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Das "kleine" tt

33 Jahre ist das kleine Berliner Theatertreffen alt. Wenn großen Stars der großen Häuser abgereist sind, kommen die Jugendlichen auch. Die Stücke behandeln zumeist ihre eigene Lebenswelt – und dazu gehört Weltpolitik ebenso, wie der erste Kuss, Fremdbestimmung durch die Eltern oder die Vermischung von realen und virtuellen Lebenswelten.

Von Eberhard Spreng | 31.05.2012
    "Ihr müsst einfach nur ihr selber sein,
    einfach nur mit euch selbst im Reinen sein
    einfach nur ausgeglichen sein
    nur sein nur sein nur sein ..."

    Ihr müsst einfach nur ihr selber sein, singt ein ausgesprochen schlaksiger Jugendlicher mit Rasta-Locken, während er auf Stelzen über eine leere Bühne stakst und eine bunte Schar von Jüngern um sein Selbstbefreiungsprojekt versammelt. Das ist eine Szene aus dem Stück "Salam, Shalom, we came to organize your peace. A tale about german confusion", mit dem das 33. Theatertreffen der Jugend eröffnet wurde. Da wollen Jugendliche aus Hannover Israelis und Palästinensern Frieden bringen, scheitern und werden dabei zurückgeworfen auf die eigenen ungeklärten Identitäten und die vielen eigenen Konfliktfelder.

    Wie man selbst sein kann in einer äußerst komplizierten, medial überfrachteten Gesellschaft, ist eine der zentralen Fragen in diesem Jahr.

    In "Fluch der Hoffnung" erzählen die "Rheinischen Rebellen" vom Schauspiel Köln in einer bildmächtigen Szenenfolge die Geschichte des Seemanns Gale aus dem "Totenschiff"-Roman von B. Traven, dem sein Seemannspass verloren ging und der so in einer immerfort auf Papiere bedachten Welt zum administrativen Nichts wird. Die Theatertruppe verknüpft dies mit dem Schicksal heutiger Staatenloser und der aktuellen Form ihrer Ausbeutung.

    "Während staatliche Behörden versuchen, sie los zu werden, freuen wir Deutschen uns über die billigen Arbeitskräfte. So versorgen sie zuverlässig unsere schreienden Kinder, putzen unseren Omas und Opas den Po ab, wischen unsere Wohnungen, kochen das Essen und renovieren unsere Häuser."

    Individuum und Masse bilden das Spannungsfeld in der "Fatzer"-Bearbeitung des Jugendtheaters der Berliner Volksbühne. Die Beschäftigung mit der eigenen Sexualität in einer von Pornografie durchsetzten Medienwelt ist Thema beim "Frühlingserwachen" der Krefelder Theatergruppe von der dortigen Marienschule. Wer ist die Generation Porno, Generation Facebook, Generation Doof? Eine Frage, die sich die Produktion "Generation S" vom Jugendclub Drei in Stuttgart stellt. Martin Frank erlebt einen Wandel im Begriff des politischen Theaters.

    "Früher, in den Zeiten von Linie 1, da hat man sich auf die verschiedensten Revolutionskulturen draufgesetzt. Das tun sie meiner Ansicht nach überhaupt nicht, sondern die sagen einfach: Ich habe ein Handwerkszeug, mit dem gehe ich auf die Welt zu, ich habe was zu erzählen und ich erzähle jetzt etwas. Ich bin weder links noch rechts, ich bin einfach wach."

    Die wohl radikalste Selbstbestimmung einer zugleich persönlichen und politischen Position kam von den Muslimat des Moabiter Jugendtheaterbüros in Berlin. Da wurde die Geschichte der jungen Sima erzählt, die ihr Vater gegen ihren Willen mit einem Jungen verheiraten will, um sein gesellschaftliches Ansehen zu stärken. Und während Sima mit ihrem Leid allein bleibt, studiert sie den Koran auf der Suche nach Passagen, die ihr helfen könnten, und findet sie erst nach der verhassten Hochzeit.

    "Daraufhin ließ Mohamed ihren Vater einladen und erklärte ihm, dass die Entscheidung in der Hand seiner Tochter liegt. Wenn einer von euch seine Tochter verheiraten möchte, so muss er sie um ihre Erlaubnis bitten."

    In dem Stück "Keiner hat mich gefragt" der jungen Asma Zaher wird kein westliches Zivilisationsmodell gegen die Zwangsehe aufgerufen, sondern die Sunna, und somit der Islam selbst.

    Es wird viel gerapt und gesungen beim diesjährigen Theatertreffen der Jugend und immer, wenn das der Fall ist, kommt beim jungen Publikum richtig Stimmung auf. Mitunter gerät das Theater dabei in die Show-Biz-Falle, weil es genau dann auch fast immer den eigenen dramatischen Diskurs aus dem Blick verliert und auf vordergründige körperliche und stimmliche Performance setzt. Ironische Zitate aus der Fernsehwelt sind ebenso Momente einer schnellen Verbrüderung von Bühne und Publikum. Die politische Geistesgegenwart und Spielfreude sind offensichtlich, die ästhetische Genauigkeit, so etwas wie eine Handschrift, bleibt noch zu erkämpfen im Theater der Jugend.