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Das Kleopatra Komplott

Er spricht minutenlang scheinbar ohne Luft zu holen. Rasend schnell. Spricht beim Ein- und Ausatmen. Dieser Trick muß auch sein, er ist notwendig, weil sonst das Sprechen dem Denken überhaupt nicht mehr nachkäme. Sein Lieblingswort heißt "natürlich". "Also natürlich ist die erste Reaktion zu sagen, wehe wenn ich den je treffe. Aber am nächsten Tag ist das auch vergessen. Und keiner, der erzählt, er liest keine Kritiken, sagt die Wahrheit. Jeder liest Kritiken. Und jeder würde ganz gerne gelobt werden. Natürlich ist das so."

Brigitte Neumann |
    Immer ist Michael Jürgs gelobt worden, für seine Springer-Biographie, das Buch über Romy Schneider und für den dicken Schinken über die Treuhandanstalt. Aber diesmal hat keiner Michael Jürgs gelobt. Für den Thriller "Das Kleopatra Komplott" gibt es nur Verrisse. Jürgs erträgt sie mit Fassung: "Wenn ich gescheitert bin mit diesem Buch, dann glaub’ ich, daß ich zumindest mir die Mühe gegeben hab’, es so zu machen, daß ich von einer gewissen Höhe heruntergefallen bin."

    Es ist Michael Jürgs erster Krimi. Und es ist so: Mühsam quält sich der Leser durch die ersten 150 Seiten. Immer wieder stoppt die Handlung und muß Gedanken und Spekulationen zu anderen wichtigen Phänomenen dieser Zeit Platz machen. Michael Jürgs weiß einfach zu viel, will uns das mitteilen, und in diesem Eifer befangen, läßt er seine Geschichte nicht weitergehen. Über dieses erste Drittel muß sich der Leser irgendwie hinwegretten, dann wird’s spannend. Die Geschichte ist ja auch gut.

    Eine Geheimbande mit Namen "Kleopatra" legt Mördern und Menschenverächtern das Handwerk. Durch Exitus. Ihre Philosophie: Gerechtigkeit geht vor Recht. Es gibt Umstände, die es erlauben, am Gesetz vorbei zu handeln und selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Viererbande besteht aus Interpol-Elitepolizisten. Ein Deutscher, ein Ire, ein Amerikaner und ein Franzose. Die Opfer der Kleopatra: ein Nazifunktionär, ein Boat-People-Mörder, ein belgischer Richter, verstrickt in die Affaire Dutroux, und ein IRA-Funktionär. Der sammelt, noch während die Friedensverhandlungen laufen, in Amerika Geld für neue Bomben. Damit der IRA-Terror irgendwann mal aufhört, werden die vier vom Kleopatra Komplott aktiv.

    "Die Jury, die an der Rhône saß, beschloß das Todesurteil gegen Sean Howie durch einfaches Kopfnicken. Er wird ihr zehntes Opfer sein seit 1990 , allerdings kämen sie nie auf den Gedanken, ihre Delinquneten als Opfer zu bezeichnen. Da natürlich Riley in den USA dabeisein dürfte, mußten sie nicht fragen, welche Methode es diesmal sein würde. Auf jeden Fall eine schnelle, unkomplizierte. Peter McFerrer hatte bereits einen Flug ab London gebucht, um am kommenden Montag in derselben Maschine sitzen zu können wie der Terrorist. Daß er dann anders aussehen würde als heute, vor allem kein rotgelocktes Haar mehr auf dem Kopf hätte, verstand sich von selbst. Auch der, den er jagen sollte, würde kaum mehr anhand der Fahndungsforos erkennbar sein. McFerrer war aber überzeugt, Mr. Sean Howie nicht zu verpassen."

    Die vier Gerechten sind hochbegabte Dedektive und sympathische Lebemänner. Zum Beispiel Alain Renoit, der Franzose, rezitiert Liebes-Gedichte, und Lionel Zartmann, der Deutsche, tischt edles Essen auf, Langustinensalat mit Olivenöl und Trüffeln. Kartoffeln mit Schweinsfüßen oder etwa Foie Gras. Es muß nicht immer Kaviar sein. Simmel fand das "Kleopatra Komplott" übrigens nicht schlecht. Sagt Jürgs. Weil das Thema an unseren kollektiven Befürchtungen andockt. "Die Angst vor Geheimbünden, wie sie unser Leben bestimmen, ist natürlich eineinhalb Jahre vor Jahrtausendende größer denn je. Weil Milleniumängste da sind und man glaubt, es wird irgendetwas gesteuert in unserem Leben, was wir gar nicht wissen, woher es kommt. Die Politik ist angeblich undurchschaubar geworden, weil die ja angeblich alle korrupt sind. Also muß es eine andere Macht geben. Deshalb die Idee, diese menschliche Angst und diese Lust auf Geheimnis natürlich auch zu benutzen für dieses Buch." Die Idee ist nicht neu. Jürgs hat das Thema nur etwas anders aufgerollt. In Joseph Haslingers "Opernball" zum Beispiel geht es auch um vier Mitglieder eines Geheimbundes, der sich "die Entschlossenen" nennt. Diese vier leiten Blausäuregas in das Lüftungssystem der Wiener Oper, während alle Entscheider, Würdenträger und Erbtanten beim Opernball sind. Nur es ist bei Haslinger ein Geheimbund von Nazis, die das 4. Reich wollen und kriegen. Michael Jürgs Kleopatra-Männer sind von der anderen Partei, sie sind Nazi-Killer.

    "Nur ein Beispiel aus dem Buch: Ich vermute, hinter dem Brandanschlag in Lübeck stecken vielleicht doch die Rechtsradikalen. Das Buch ist längst erschienen und plötzlich haben wir letzte Woche gehört, es könnten ja doch sein, daß die vier aus Grevesmühlen irgend etwas mit dem Anschlag zu tun haben. Und dann ist es erlaubt, als Schreiber weiterzuspinnen. Und zu sagen: Wenn es die vier denn gewesen sein sollten, wer steckt eigentlich dahinter? Wer sagt uns eigentlich , daß die ganzen rechtsradikalen Übergriffe durch Zufall entstehen, durch Dummheit entstehen? Durch Besoffene, immer nur im Osten. Vielleicht steckt wirklich jemand dahinter. Und das hab ich versucht, auszubauen."

    Dokumentation und Fiktion sind im "Kleopatra Komplott" bis zur Unkenntlichkeit vermischt. Michael Jürgs gibt sich alle erdenkliche Mühe, uns glauben zu machen, daß die erfundene Geschichte jederzeit Wirklichkeit werden kann. Oder vielleicht schon Wirklichkeit ist, und keiner weiß es. Sein Mittel, um diese Verwirrung zu stiften, ist Präzision. "Alle Namen in diesem Buch, also alle Institutionen, alle Plätze die es gibt, sind bis ins Detail recherchiert. Natürlich war ich in Lyon. Natürlich hab ich mir das angeschaut. Natürlich hab ich mit BKA-Leuten gesprochen. Und natürlich ist so ganz nebenbei die echte Barschel-Akte im Buch eingebaut." Nicht nur Barschel wird so ganz nebenbei behandelt, auch Lady Di und der bis heute fehlende Film zum Unfall, die sechs Morde, die der RAF nie nachgewiesen werden konnten, Watergate, ETA. Und er hat alles ausrecherchiert, alles, vom Weg im Hamburger Stadtpark bis zur letzten französischen Speisekarte."

    Das, was bei der Recherche rauskommt, müßte sich dann allerdings auch unterordnen können. Unterordnen unter die höheren Gesetze, nach denen ein Kriminalroman funktioniert. Aber diese Art Verzicht schafft Jürgs erst im Laufe des Buches. Am Anfang steht manches Satzungeheuer. Schachtelsätze, die wie eine Kalaschnikow alles treffen, was der Autor schon immer mal treffen wollte. Gefolgt von Sätzen, die wie dicke Faktizitätsknödel im Hirn liegen.

    Die Verlagslektorin hob damals, als das erste Drittel fertig war, warnend den Finger, Michael Jürgs gibt’s zu, aber er wollte nicht hören. "Was ich gemerkt habe, ist allerdings, daß einen Roman zu schreiben, einen Thriller zu schreiben, viel viel viel schwerer ist, als ein Sachbuch zu schreiben. Weil es muß ja bis ins letzte Detail nicht nur die Logik, die Spannung, die Dramaturgie stimmen. Und beim Sachbuch, was ja auch nie einer zugeben wird, kann man sich an schlechten Tagen immer retten, daß man aus Akten zitiert, die keiner kennt. Und das man dann sagt, Menschenskind, wo hat er die Akte her. Das geht hier nicht."

    Sein größtes Vorbild ist der amerikanische Krimiautor John LeCarré. Überhaupt, die Amerikaner. Nicht wie den Deutschen ginge es denen darum, bedeutsam zu langweilen, sondern auf hohem Niveau zu unterhalten. Und das hat Michael Jürgs versucht. Ab Seite 150 klappts dann auch. Dann kriegt er die Leser. Und die liegen dann im Sessel und hören nicht mehr auf. Und vergessen das Luftholen sogar. Übrigens: Jürgs hat das nächste Buch schon in Arbeit. Es wird wieder ein Sachbuch.