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Das Knochenkonto

Wie der Bewegungsapparat des Menschen ausgebildet wird, klärt sich schon in den ersten Lebensjahren. Je kräftiger die Muskeln des Kindes sind, desto stabiler werden die Knochen. Das Problem: Viele Kinder bewegen sich immer weniger, Muskeln und Knochen verkümmern. Das kann später Osteoporose verursachen.

Von William Vorsatz |
    Ob ein junger Mensch später unter einer Arthrose leidet, also einer Gelenkabnutzung, das entscheidet sich oft schon kurz nach der Geburt. Beispielsweise, wenn bei einem Kind das Hüftgelenk nicht richtig ausgereift ist. Das kommt überwiegend bei Mädchen vor und führt zur Instabilität der Hüfte. Rasches Handeln beugt jedoch dauerhaften Schäden vor. Professor Jochen Eulert von der Universitätsklinik Würzburg:

    "Nach der Geburt in den ersten Lebenswochen können wir mittels Sonographie ein Hüftgelenk so diagnostizieren, dass wir diese Hüftdysplasie, die zu einer Arthrose führen würde, erkennen, und durch ganz einfache Maßnehmen, Spreizwindel-Hose oder entsprechende andere Orthesen können wir dann das Hüftgelenk sich normal entwickeln lassen und dadurch entsteht dann überhaupt keine Arthrose."

    In den frühen Lebensjahren entscheidet sich außerdem, wie der Halte- und Bewegungsapparat ausgebildet wird. Je kräftiger die Muskeln eines heranwachsenden Kindes sind, desto stabiler werden die Knochen. Orthopäden sprechen davon, dass jeder Mensch ein Knochenkonto hat. Dort wird vor allem in den ersten 20 Lebensjahren ein Guthaben angespart. Mit zunehmendem Lebensalter bauen die Knochen ab, die Stabilität geht verloren.

    Im hohen Alter kommt es dann oft zum Knochenschwund, der Osteoporose. Sieben Prozent aller 55-jährigen Frauen sind davon betroffen, mit 80 sind es sogar 19 Prozent. Je bescheidener das Knochenkonto gefüllt ist, desto stärker fällt der spätere Abbau ins Gewicht. Professor Rüdiger Krauspe vom Universitäts-klinikum Düsseldorf:
    "Das Problem ist, dass die Kinder es nicht merken. Sie merken es spät, wenn sie dann eine Fraktur haben. Das ist wie mit dem Zähne putzen. Wenn Sie nie die Zähne putzen, geht das vielleicht fünf Jahre gut und dann fallen sie aus. Und sie müssen frühzeitig an präventiven Programmen teilnehmen, und Sie müssen frühzeitig das Richtige für die Knochenbank tun. Weil: Sie können nicht mit 40 Jahren sich erinnern, jetzt muss ich was für meine Knochen tun. Dann geht’s nicht mehr. Dann ist es zu spät."

    Aber die Kinder bewegen sich immer weniger, Muskeln und Knochen verkümmern, stattdessen werden Fettdepots angelegt. Außerdem haben sich die Essgewohnheiten verändert, warnt Professor Eulert:

    "Das sind alle diese Fastfoods-Dinge, die sind natürlich sehr schlecht, weil die fettreich sind und wenig Proteine haben und viele Phosphat, wie übrigens auch Cola, und die Resorption das Kalziums aus der Nahrung wird dadurch herabgesetzt, so dass die Kalziumzufuhr ungenügend ist. Wenn man zu wenig Kalzium hat, dann hat man auch zu wenig Knochensubstanz. Weil, der Knochen muss, damit er hart wird, das Kalzium einbauen."

    Doch nicht nur das Falsche und zuviel verursachen später Osteoporose. Immer mehr Jugendliche sind auch unterernährt. Vor allem Mädchen. Sie eifern Models nach, die einen pathologischen Schlankheitswahn vorleben. Die Folge: die Knochen werden nicht mehr hinreichend mit lebenswichtigen Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien versorgt und bauen ab. Diabeteserkrankungen im Kindes- und Jugendalter haben ebenfalls zugenommen:

    "Und die Diabetiker, wenn das so früh auftritt, haben nachher Folgeschäden am Bewegungsapparat. Kriegen Veränderungen an den Nerven, und das wirkt sich für uns Orthopäden nun am Fuß besonders aus, die diabetische Neuropathie führt zu einer Gelenkveränderung, und das ist ein sehr schweres Problem."

    Das Risiko orthopädischer Krankheiten lässt sich deutlich reduzieren. Durch eine gesündere Lebensweise schon in frühem Alter. Natürliche, energiearme Nahrung hilft. Und dazu viel Bewegung:

    "Das Kind sollte eigentlich schon in frühen Lebensjahren spielerisch sich körperlich betätigen, eine richtige Sportausübung ist eigentlich dann frühestens im Vorschulalter oder Schulalter gegeben. Aber alles ist wichtig, auch das spielerische schon, damit die Kinder von vornherein lernen, sich zu bewegen, rumzuturnen, um frühzeitig eben Muskulatur und Kraft anzusammeln und eben dadurch auch vermehrte Knochenmasse."

    Nicht nur die Eltern sind gefordert. In Düsseldorf gibt es beispielsweise Modellkindergärten mit ausgebildeten Sporterziehern, die den Kindern verschiedene Sportarten spielerisch schmackhaft machen. Das muss in der Schule weiter gehen, fordern die Orthopäden. Denn viele Kinder hören mit neun Jahre schon wieder auf mit dem Sport und widmen sich in ihrer Freizeit nur noch Computern und Gameboys.