Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

"Das Kongo-Tribunal" von Milo Rau
"Meines Erachtens ist das ein Wirtschaftskrieg"

Ein Tribunal zum Kongo-Krieg als Film und Live-Performance - in seinem aktuellen Projekt fragt der Schweizer Regisseur Milo Rau: "Was sind die Anlässe für diesen Krieg, der einfach nicht aufhören will seit 20 Jahren?" Er versteht sich dabei als "Arrangeur eines politischen Meetings, eines Tribunals in der Tradition des Vietnam-Tribunals, vielleicht sogar des Nürnberger Tribunals".

Milo Rau im Gespräch mit Karin Fischer | 20.05.2015
    Der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau
    Der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau (dpa / picture alliance / TASS / Novoderezhkin Anton)
    Karin Fischer: Der Schweizer Regisseur Milo Rau ist der Mann, der den Begriff "Reenactment" fürs Theater fruchtbar gemacht hat. Seine Inszenierungen sind realitätsnah bis zur Schmerzgrenze und versammeln Laien auf einer Bühne, die aber - das ist der Unterschied etwa zu der Gruppe Rimini Protokoll - nur insofern Bühne ist, als ein dezidiert politisches Setting dort nachgespielt wird. So stellte die preisgekrönte Produktion "Hate Radio" die Verführung zu Hass und Mord durch einen Radiosender in Ruanda nach.
    In diesen Tagen sind Milo Rau und sein International Institute of Political Murder im Ost-Kongo unterwegs. Sein nächstes Projekt ist wie die "Moskauer Prozesse" oder die "Züricher Prozesse" ein Gerichtsformat, ein dreitägiges "Kongo-Tribunal". Vor der Sendung habe ich mit Milo Rau via Skype im Kongo gesprochen und ihn gefragt, was genau er dort gerade tut.
    Milo Rau: Wir bereiten hier das "Kongo-Tribunal" vor. Ich arbeite mit meinem Team. Wir drehen parallel zu den Vorbereitungen. Das Tribunal selber wird stattfinden Ende des Monats, vom 29. bis 31. Mai, und da arbeiten wir eigentlich mit quer durch die kongolesische Gesellschaft, um die Hintergründe des Kongo-Krieges herauszufinden. Da sind Minister dabei, da sind aber auch einfache Goldschürfer dabei, Rebellen, Generale. Wir versuchen wirklich, so breit wie möglich die Leute zu haben, die wir vors Tribunal rufen und dann befragen.
    Das Massaker von Mutarul
    Fischer: Im Mittelpunkt steht das Massaker von Mutarule von 2014, dessen Zeuge Sie zufällig wurden; was ist damals passiert?
    Rau: Genau. Einer der drei Fälle ist das Massaker von Mutarule. Was da passiert ist: Es wurde in der Nähe von Burundi ein Dorf massakriert unter den Augen der UNO, die nicht eingegriffen hat, wie behauptet wird, im Zusammenhang auch mit höheren Stellen des kongolesischen Militärs. Zugleich liegt dieses Dorf auf einer Transportroute für Konfliktmineralien, und das ist ähnlich wie in den anderen Fällen, wo es um eine Deportation eines Minendorfs geht, oder noch ein Fall, wo es auch um die Vertreibung von Leuten von einer Mine geht. Da geht es eigentlich um die Zusammenhänge von Krieg und Rohstoffen und wie europäische Firmen darin zusammenhängen.
    Fischer: Dem Hearing Ende Mai soll eines im Juni in Berlin folgen, dort stehen dann die EU, die Weltbank und multinationale Unternehmen im Mittelpunkt. Denn es gibt eine globale Seite dieses Krieges, wenn ich Sie richtig verstehe, die seinen Fortbestand garantiert. Was wollen Sie erreichen?
    Rau: Was ich zeigen will, ist, dass dieser Krieg, der eigentlich allgemein wahrgenommen wird als ein Krieg zwischen verschiedenen Ethnien, als ein lokaler Krieg, ich will die wirtschaftlichen Hintergründe dazu zeigen, weil meines Erachtens ist das ein Wirtschaftskrieg, in den Europa, die USA und auch China verwickelt sind, denn im Ost-Kongo liegen eigentlich die wichtigsten Abbaustätten für Coltan, für Kupfer, für Zink, für Gold. Wer diese Region wirtschaftlich, sagen wir mal, dominiert, der hat eigentlich die besten Voraussetzungen fürs 21. Jahrhundert, und das ist das, was ich zeigen will: Wie sind die Zusammenhänge, wie hängt die UNO drin, die NGOs, die Weltbank, was sind die Anlässe für diesen Krieg, der einfach nicht aufhören will seit 20 Jahren.
    "Ich habe in der Jury darauf geachtet, dass sie ausgewogen ist"
    Fischer: Sie haben eine internationale Jury eingeladen, unter anderem kommt der Soziologe Jean Ziegler und zwei Anwälte des Strafgerichtshofs in Den Haag, vor allem aber - das haben Sie gesagt - Vertreter von Regierung und Opposition und der kongolesischen Streitkräfte. Das ist eine Konstellation, die es so noch nie gegeben hat.
    Rau: Ja. Ich denke, es hat sie noch nie gegeben, jedenfalls im Kongo noch nicht, wo diese Seiten natürlich unmöglich miteinander sprechen würden. Ich habe in der Jury darauf geachtet, dass sie ausgewogen ist. Ich habe auch bei den Experten, soweit es geht, darauf geachtet, dass sie ausgewogen ist, sodass man quasi der neoliberalen Vorstellung einer internationalen Industrialisierung vom Ost-Kongo eine ehrliche Chance gibt: Was ist da dran an diesen beispielsweise Weltbank-Statistiken, die ja immer sehr positiv aussehen und diese Konflikte gar nicht erklären können. Ich will das eigentlich tatsächlich offen debattieren.
    Der Regisseur als Arrangeur eines Tribunals
    Fischer: Sie arbeiten, Milo Rau, weder mit Schauspielern, noch mit einem Skript. Trotzdem suchen Sie, wenn Sie keinen Film drehen, Theaterräume für diese Verhandlungen, auch in Bukavu. Sind die mehr als ein Schutzraum für eine politische Aufarbeitung? Haben Sie noch Kunst im Sinn, oder sind Sie der Arrangeur politischer Meetings?
    Rau: Ich denke, in diesem Fall bin ich tatsächlich der Arrangeur eines Tribunals, eines politischen Meetings, eines Tribunals in der Tradition des Vietnam-Tribunals, vielleicht sogar des Nürnberger Tribunals. Und der Grund für den Theaterraum in Bukavu ist ganz einfach: Es gibt keinen anderen großen Raum und dieser Raum wurde selber auch noch in der Kolonialzeit gebaut. Das ist ein Raum, der hat eine Geschichte und gleichzeitig ist es der einzige große Raum, der mehrere Hundert Menschen fasst und der sich soweit elektrifizieren lässt, dass man darin drehen kann.
    Fischer: Und die Elektrifizierung des Ost-Kongo ist noch nicht 100-prozentig ausgebaut, wir bitten die Aussetzer der Verbindung zu entschuldigen. Der Regisseur und Aktivist Milo Rau über sein "Kongo Tribunal" Ende Mai in Bukavu.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.