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Das Kooperationsverbot

Bund und Länder dürfen in Deutschland per Grundgesetz nur in Ausnahmefällen kooperieren. Kritiker meinen, dass diese Regelung vor allem bei der Bildungspolitik zu absurden Situationen führen kann. Befürworter wollen die Autonomie der Länder sichern.

Von Armin Himmelrath | 29.05.2012
    Eigentlich ist alles ganz einfach. Artikel 91 b des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland stellt klar:

    "Bund und Länder können aufgrund von Vereinbarungen in Fällen von überregionaler Bedeutung zusammenwirken bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen."

    …also zum Beispiel bei der Finanzierung der Max-Planck-Gesellschaft oder der Fraunhofer-Institute…

    "…bei Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen…"

    …also zum Beispiel bei der Exzellenzinitiative, also der milliardenschweren Förderung besonders forschungsstarker Universitäten. Dazu fallen in gut zwei Wochen die nächsten Entscheidungen.

    "…und bei Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten."

    Die restliche Bildungspolitik ist dagegen alleine Sache der Bundesländer: der Bau von Hörsälen und die Einrichtung von Studienplätzen, der Aufbau eines Schulsystems und die Gesetzgebung rund um Bildungsabschlüsse. Die Idee dahinter ist eindeutig: Bildung ist Ländersache. Und der Bund darf sich da nur in besonderen Ausnahmefällen einmischen, indem er sich zum Beispiel an der Finanzierung bestimmter Projekte im Wissenschaftsbereich beteiligt. Eine dauerhafte finanzielle Beteiligung der Bundesregierung an Aufgaben der Länder ist dagegen ausgeschlossen. Kooperationsverbot heißt diese Trennung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern.

    "Das Kooperationsverbot besagt, dass der Bund den Ländern nicht mit Geld helfen kann, wenn’s zum Beispiel um den Ausbau des Schulsystems geht, wenn’s um Inklusion geht oder wenn’s um ein zweites Ganztagsschulprogramm geht."

    Ulla Burchardt, SPD, Vorsitzende des Bildungsausschusses im Deutschen Bundestag.

    "Das ist nach der letzten Föderalismusreform verboten. Das versteht kein Mensch; deswegen gibt es seit Jahren Bewegungen, die sagen: Also, ihr Politiker im Bundesrat, im Bundestag, nun macht doch endlich was und macht diesem Unsinn ein Ende."

    "Es ist eine altbekannte Forderung (...), dass wir in die Lage versetzt werden müssen, unsere Bildungsaufgaben auch zu erfüllen."

    Bernd Althusmann, CDU, Bildungsminister in Niedersachsen.

    "Dazu gehört auch eine finanzielle Ausstattung. Und die Länderhaushalte der Länder sind zum Teil schwierig, prekär zum Teil. Und von daher kann eine nationale Bildungsstrategie für Deutschland, und dafür sind die Länder ja mit verantwortlich – die kann ja nur lauten: Wir müssen uns auch über die finanziellen Fragen unterhalten. Und gegebenenfalls über eine Erhöhung des Länderanteils an der Mehrwertsteuer zugunsten von besserer Bildung, das ist nationale Zukunftsvorsorge, wenn man so will, hier im Bereich der Bildung Schwerpunkte zu setzen."

    "Obwohl unser Bildungssystem weiter unterfinanziert ist, darf der Bund bei Bildung nicht mitfinanzieren."

    Kai Gehring, Bündis 90/ Die Grünen, bildungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.

    "Obwohl es Kindern nützt und Eltern unterstützt, darf der Bund kein Ganztagsschulprogramm auflegen. Obwohl es immer noch Schulen gibt, die verfallen und in die es hineinregnet, geht eine Schulbaumodernisierung nur mit einer abenteuerlichen Umgehung unseres Grundgesetzes, wie dem Rückgriff auf eine außergewöhnliche Notlage bei den Konjunkturpaketen. Bildung ist aber nichts Außergewöhnliches und keine Naturkatastrophe, sondern eine zentrale staatliche Daueraufgabe."

    Seit das Kooperationsverbot 2006 von der Großen Koalition gegen die Stimmen von Grünen und Linken im Grundgesetz verankert wurde, mehren sich die Stimmen, die eine Neuregelung fordern. Nahezu einmütig sprachen sich zuletzt bei einer Anhörung im Bundestag im März die geladenen Experten für eine Lockerung des Verbots aus. Mit dem SPD-regierten Hamburg und dem bisher CDU-regierten Schleswig-Holstein haben außerdem zwei Länder Bundesratsanträge gestellt, die eine Abkehr vom Kooperationsverbot fordern. Und auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan wird in der morgigen Kabinettssitzung einen Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung vorlegen, um eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zumindest in der Hochschulpolitik zu ermöglichen. Im Koalitionsausschuss Anfang März hatten CDU und FDP laut Protokoll vereinbart:

    "Die Bundesregierung strebt noch in dieser Legislaturperiode eine Grundgesetzänderung an, die es im Bereich der Wissenschaftsförderung ermöglicht, dass Bund und Länder nicht nur bei Projekten, sondern auch bei der institutionellen Förderung von Hochschulen zusammenwirken können. Über eine solche Änderung hat sich in den letzten Monaten ein breiter Konsens aufseiten der CDU-regierten Länder und auch bei den Koalitionspartnern entwickelt."

    Direkt nach der Sommerpause soll das Gesetz in den Bundestag eingebracht werden und schon im März 2013 in Kraft treten. Klare Sache also? Eine ganz große Koalition, die die Abkehr vom Kooperationsverbot auf wenigstens einem Gebiet unterstützt und locker für die nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat sorgen wird, um das Grundgesetz entsprechend zu ändern? Nein – denn der weit verbreitete Reformwillen im Hinblick auf das Kooperationsverbot täuscht darüber hinweg, dass es quer durch Parteien, Koalitionen und Bundesländer enorme Meinungsunterschiede darüber gibt, wie weit die Abschaffung des Verbots reichen soll.

    So gibt es vor allem bei der FDP enorme Vorbehalte. Holger Zastrow, stellvertretender Bundesvorsitzender der Liberalen, wetterte etwa beim außerordentlichen Bundesparteitag vor einem halben Jahr in Frankfurt heftig gegen Änderungen beim Kooperationsverbot.

    "Die Aufhebung des Kooperationsverbotes bestraft die Leistungsträger in unserer Gesellschaft und bestraft ausgerechnet die Bundesländer, die in den letzten Jahren immer schon die Prioritäten richtigerweise für die Bildung gesetzt haben. Das muss mal feststehen, und das kann eine liberale Partei beim besten Willen nicht gut finden."

    Die Länder, argumentiert Zastrow, seien die Einzigen, die wirklich wüssten, was im Bildungssystem vor Ort notwendig sei. Und die Akteure vor Ort seien auch die Einzigen, die tatsächlich handlungsfähig seien.

    "Wenn der Bund sich aktiv in die Bildungspolitik einmischt, dann ahne ich wieder, wie es ausgeht. Dann erleben wir das, was wir immer auf Bundesebene, bei jedem Projekt – außer bei der Energiewende, aber sonst immer – erleben: ein ewiger Prozess auf der Suche nach einem kleinen Kompromiss, nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das wird lange dauern, und eines habe ich in 21 Jahren deutscher Einheit gelernt: Dass in dieser Bundesrepublik Deutschland niemals der Beste bei einem Kompromiss das Tempo vorgibt, niemals der Stärkste das Tempo vorgibt. Sondern am Ende heißt der Kompromiss immer, dass der Schwächste das Tempo vorgibt. Und das ist nicht mein Leistungsgedanke!"

    Auf klaren Konfrontationskurs geht Holger Zastrow auch zum Koalitionspartner im Bund, der CDU. Die geplante Abschwächung des Kooperationsverbots werde einen fatalen Signalcharakter haben, warnt der sächsische FDP-Politiker.

    "Die Aufhebung des Kooperationsverbots ist der Sündenfall für eine gute Bildungspolitik und auch für den Föderalismus in Deutschland. Der Bund versucht doch nichts anderes, als die Länder und Kommunen zu ködern. Er winkt mit Geld, und wir sollen diesem verlockenden Angebot natürlich, wir sollen uns da verleiten lassen. Das ist nicht anderes als ein trojanisches Pferd. Denn auch in diesem Fall gilt natürlich das Prinzip: Wer zahlt, bestellt."

    Nicht nur bei der FDP, auch innerhalb der CDU gibt es erhebliche Skepsis, ob die Abkehr vom Kooperationsverbot richtig ist. Thomas Sternberg ist bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag.


    "Meine Befürwortung des Kooperationsverbots liegt vor allen Dingen darin, dass ich der Meinung bin: Wenn wir in den Ländern die uns zustehenden verfassungsmäßigen Aufgaben – und die sind vor allen Dingen Bildung, Wissenschaft und Kultur – nicht eigenständig und selbstständig wahrnehmen, dann schaffen wir uns selber ab. Was bleibt eigentlich noch an landespolitischen Eigenaufgaben, wenn solche Kernaufgaben an den Bund übergehen?"

    An eine solche Abschaffung der Länderkompetenzen aber denkt Bundesbildungsministerin Annette Schavan nicht. Sie will lediglich die bisher schon im Grundgesetz erlaubte Förderung von zeitlich begrenzten Einzelvorhaben durch die Möglichkeit ergänzen, auch ganze Wissenschaftseinrichtungen zu fördern – und zwar nicht mit zeitlicher Begrenzung, sondern dauerhaft. Im restlichen Schul- und Bildungsbereich sieht der Gesetzentwurf, der morgen im Bundeskabinett behandelt wird, dagegen keine Änderungen vor. Und genau an der Formulierung von den zu fördernden "Einrichtungen der Wissenschaft" stört sich die SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt, Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag.

    "Damit meint Frau Schavan Spitzenuniversitäten, die von überregionaler Bedeutung sind, und internationale Leuchttürme. Das bedeutet aber, dass nur einige wenige Superhochschulen in den Genuss von Bundesförderung kommen, die große Mehrheit der Hochschulen in den Ländern und damit die große Mehrheit der Studierenden nichts davon hat, von dieser Grundgesetzänderung. Und vor allen Dingen wird es kein zweites Ganztagsschulprogramm geben. Und wird es auch nicht möglich sein, die ganzen Probleme, die es gegeben hat, mit Schulsozialarbeitfinanzierung und all solche Dinge zu lösen."

    Die von der Bundesregierung angestrebte Ergänzung des Grundgesetzparagrafen 91b gehe zwar in die richtige Richtung, aber eben nicht weit genug, sagt Ulla Burchardt.

    "Wir sagen: Der Vorschlag ist unzureichend, das soll nur ein Punktsieg für Frau Schavan werden, so ein als ob sie denn das Kooperationsverbot aufgehoben hätte. Es führt zu einer Schieflage und wird die Menschen enttäuschen, wenn sie feststellen: Sie haben in der großen Mehrheit nichts davon."

    Die SPD setzt auf einen anderen Weg: Sie will einen zusätzlichen Paragrafen ins Grundgesetz aufnehmen, der ausdrücklich die Kooperation zwischen Bund und Ländern in Sachen Bildung regelt. Im Antrag des Landes Hamburg an den Bundesrat ist das so formuliert:

    "Nach Artikel 104b wird ein neuer Artikel 104c eingefügt, der auf Grundlage von Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern dauerhafte Finanzhilfen des Bundes für Bildung ermöglicht, ohne die Bildungshoheit der Länder einzuschränken. Um die Gleichbehandlung der Länder sicherzustellen, ist dabei vorzusehen, dass diese Vereinbarungen von den Ländern nur einstimmig beschlossen werden können. Aufgabe des Staates ist es, ein gerechtes und leistungsfähiges Bildungswesen zu gewährleisten. Die Bildungspolitik bedarf einer ganzheitlichen Strategie, die alle politischen Ebenen mit einbezieht. Die gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Bildungszusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen sind unzureichend."

    Die Bundesregierung will also eine Ergänzung der bestehenden Regelungen im Grundgesetz, die SPD einen neuen Paragrafen. Den Grünen wiederum reicht der SPD-Vorschlag nicht aus, sie würden lieber den bestehenden Paragrafen neu formulieren, aber viel weiter gehend als CDU und FDP – unter Einbeziehung der Schulen nämlich. Denn wer gute Bildung wolle, müsse eine gesamtstaatliche Strategie für das gesamte Bildungssystem verfolgen, anstatt bildungspolitische Kleinstaaterei beizubehalten, sagt Kai Gehring, bildungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion.

    "Wer sonntags eine Bildungsrepublik ausruft, der darf werktags die Zusammenarbeit von Bund und Ländern eben nicht blockieren, weil Kindeswohl vor Kooperationsverbot gehen muss. Die Folgen mangelnder Bildung – wie Fachkräftemangel, Arbeitslosigkeit, steigende soziale Transfers betreffen übrigens dann auch alle staatlichen Ebenen und die gesamte Gesellschaft. Und Gerechtigkeits- und Innovationsfragen von solch gesamtstaatlicher Tragweite benötigen die Kooperation aller politischen Ebenen statt Selbstblockaden. Und in diesem Sinne ist Bildung eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen."

    Zusammenarbeit von Bund und Ländern auch im Schulbereich? Das ist zwar im aktuellen Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht vorgesehen, wird aber sogar von CDU-Politikern für möglich gehalten – etwa von Bernd Althusmann, Kultusminister in Niedersachsen.

    "Zum Beispiel im Bereich – das ist immer mein Thema, bei dem ich sehr intensiv dafür werbe, dass wir im Bereich der Ganztagsschulen, der Ganztagsbeschulung in Deutschland besser werden und weitere und mehr Angebote bieten. Warum sollen Bund und Länder in dieser Frage nicht – das gab es schon mal, da wurde aber nur in die Sanierung, in den Ausbau von Ganztagsschulen investiert. Wir müssen uns um die Qualität der Ganztagsschule kümmern – dass man in dem Bereich zusammenarbeiten kann."

    Und es kommen noch weitere, große Bildungsaufgaben im Schulbereich hinzu, die die Länder kaum alleine schultern können: Die Umsetzung der Vorgaben zur Inklusion etwa, also des regulären gemeinsamen Unterrichts für behinderte und nichtbehinderte Schüler, oder auch der Umgang mit der in Deutschland vergleichsweise hohen Zahl von Bildungsabbrechern und funktionalen Analphabeten. Hinzu kommt die schnell steigende Zahl an Studenten, für die es noch längst nicht ausreichend Studienplätze gibt. Für die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze, SPD, zählt dabei vor allem, dass sechs Jahre nach der Föderalismusreform und der damit verbundenen Einführung des Kooperationsverbots endlich Bewegung in die Diskussion gekommen ist – wenn auch abseits der sonst üblichen Trennlinien zwischen Parteien sowie Bund und Ländern.

    "Ich glaube, dass inzwischen durch alle Parteien hindurch klar ist, dass wir Bildung anders finanzieren müssen. Dass das wirklich ein Schwerpunkt des Landes sein muss, und dass Bund und Landtag gemeinsam finanzieren müssen. Und das gilt nicht nur für den Hochschulbereich, sondern auch für den Schulbereich."

    Denkbar wäre demnach auch, dass die Bundesregierung – wie das vor rund einem Jahrzehnt schon einmal zaghaft diskutiert wurde – die finanzielle und organisatorische Verantwortung für einzelne Hochschulen übernehmen könnte, um die Länder auf diese Weise zu entlasten. Doch solchen Diskussionen um eine Bundesuniversität schiebt Svenja Schulze sofort einen Riegel vor. Dafür ist sie viel zu sehr auch Landespolitikerin.

    "Nein, ich glaube nicht, dass wir eine bundesfinanzierte Universität brauchen, sondern wir brauchen die Mitfinanzierung vom Bund und dann die Stärke der Länder. Ich halte das für eine Stärke, dass wir auch ein unterschiedliches Schulsystem haben, unterschiedliche Zugänge. Woran wir arbeiten müssen, ist die stärkere Anerkennung und Vergleichbarkeit. Also, ein Lehrer in Bayern muss genauso in NRW unterrichten können und vor allen Dingen auch umgekehrt."

    Ob das über bilaterale Vereinbarungen der Länder erreicht werde oder durch ein Bundesgesetz, sei letztlich egal. Doch zwingend notwendig, so Svenja Schulze, sei eine Neuregelung im Grundgesetz bei der Finanzierung großer gemeinsamer Vorhaben. Ihr landespolitischer Gegenspieler Thomas Sternberg von der CDU jedoch ist noch immer nicht überzeugt. Er pocht auf die politische Eigenständigkeit der Bundesländer im Bildungsbereich.

    "Wenn der Bund wirklich große Mittel hat, dass er sagt: Wir helfen euch ja gerne, wir geben euch Geld – dann müssten diese Finanztransfers anders geregelt werden können. Dann können wir über eine andere Verteilung des Steueraufkommens reden; wir könnten reden über eine andere Verteilung der Aufgaben der Sozialhilfe etwa und ähnliche Dinge. Aber nicht in diesem Bereich, in denen wir unsere ureigene Selbstständigkeit haben. Und das sind ja keine Kleinigkeiten. Wenn ich denke: Wir haben hier einen Schuletat von über 15 Milliarden, wir haben einen Wissenschaftsetat von knapp sechs Milliarden Euro, das sind ja keine Pappenstiele. Wenn da dann mit ein paar Hundert Millionen gewunken wird, dann ist mir das nicht wichtig genug, um hier diese verfassungsmäßige Trennung aufzuweichen."

    Ein schwieriger juristischer und politischer Balanceakt ist das: aus Landessicht einzugestehen, dass man die finanzielle Unterstützung aus Berlin braucht, und gleichzeitig auf der verfassungsmäßigen Eigenständigkeit in Sachen Bildungspolitik zu bestehen. Dabei sei das Kooperationsverbot eben ein wichtiges Symbol, sagt Thomas Sternberg. Den Kurs seiner Parteifreundin, der Bundesbildungsministerin, zur Auflockerung des Verbots sieht er deshalb skeptisch – auch wenn ihm die Realitäten klar seien.

    "Allerdings brauchen wir natürlich die enge Kooperation der Länder untereinander. Dann kann ich mir auch vorstellen, dass man dann durchaus in Abstimmung mit dem Bund auch mit dem Bund was macht. Das ist ja in Wissenschaft ganz offensichtlich, der Bund hat sogar Kompetenzen im Bereich der Forschung, dass da Zusammenarbeit passiert, ist ja selbstverständlich. Ich will ja keine Abgrenzung haben. Aber ich möchte das Kooperationsverbot insofern, als deutlich gemacht wird: Es gibt Zuständigkeiten, und diese Zuständigkeiten haben verfassungsmäßigen Rang."

    Einigkeit oder gar eine klare politische Linie zum Kooperationsverbot gibt es also derzeit in keiner Partei – und auch nicht unter den Bundesländern, egal, von wem sie aktuell regiert werden. Die Akteure stellen sich deshalb auf eine langwierige Debatte ein. Der ehrgeizige Zeitplan von Annette Schavan, nach dem morgigen Kabinettsbeschluss schon bis zum Jahresende eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zusammen zu bekommen und das neue Gesetz bereits im Frühjahr 2013 in Kraft treten zu lassen, sei jedenfalls kaum umzusetzen, sagt NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze.

    "Es gibt im Moment eine Diskussion: Macht man das, hebt man das nur für den Wissenschaftsbereich, für Hochschulbereich auf, oder auch für die Schule? Und ich glaube, dass jetzt eine historische Chance ist, das wirklich für beides zu öffnen (...). Da, glaube ich, geht der Weg auch hin, und meine Prognose wäre, das wird sich jetzt so schnell nicht klären, das wird sich erst mit dem Wahlkampf 2013 am Ende wirklich klären."

    Der Fehler ist zwar erkannt, doch die Chancen für eine schnelle Abschaffung des Kooperationsverbots sind wohl eher gering. Und bis zu einer Neuregelung bleibt es dabei: Die Bundesländer sind selbst dafür zuständig, die enormen Aufgaben im Bildungsbereich zu schultern – von der frühkindlichen Sprach- und Entwicklungsförderung über den Ausbau der Ganztagsschulen bis hin zur Bewältigung des Studentenandrangs an den Hochschulen. Vor sechs Jahren haben sie diese neu gewonnenen Zuständigkeiten noch als föderalen Meilenstein gefeiert –heute aber tragen sie bis auf Weiteres erst einmal die Folgen ihrer damaligen selbstbewussten Entscheidung.

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