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"Das Kooperationsverbot ist völlig absurd"

Bund und Länder sollen bei Bildung und Wissenschaft kooperieren können, sagt der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring. Dies müsse aber für den gesamten Bildungsbereich und nicht für Exzellenzuniversitäten gelten.

Kai Gehring im Gespräch mit Manfred Götzke | 09.05.2012
    Manfred Götzke: 2006 haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass Kooperation Unsinn ist – zumindest in der Bildungspolitik. Seitdem muss sich der Bund aus Bildungspolitik und –finanzierung fast komplett raushalten. Mittlerweile haben aber insbesondere die finanziell klammen Länder gemerkt, dass Kooperation doch nicht so verkehrt ist. Das Verbot soll jetzt wieder weg, strittig ist allerdings, in welchem Umfang. Die Regierung bringt morgen ein Gesetzentwurf in den Bundestag ein, der soll es dem Bund erlauben, die Hochschulen auch dauerhaft mitzufinanzieren. Die Opposition, vor allem die Grünen, wollen allerdings Zusammenarbeit in allen Bildungsbereichen. Und darüber möchte ich jetzt mit Kai Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Grünen reden. Herr Gehring, auch die SPD spricht sich für mehr Kooperation aus. Einige SPD-Politiker sagen jetzt aber, man kann ja trotzdem erstmal zustimmen, das ist besser als nichts. Warum geben sich die Grünen mit dem Spatz in der Hand nicht zufrieden?

    Kai Gehring: Also, es war ein schwerer Fehler, das Kooperationsverbot im Bildungsbereich bei der Föderalismusreform 2006 überhaupt einzuführen. Dieser großkoalitionäre Deal, der rächt sich tagtäglich, weil man einfach keine klugen Maßnahmen für die Bildungsrepublik dann im Schul- und Bildungsbereich auch verabreden kann, und deshalb sagen wir, es brauche eine Ermöglichungsverfassung, wo wir die großen Bildungs- und wissenschaftspolitischen Herausforderungen gemeinsam anpacken können, also, wo Bund und Länder kooperieren dürfen. Das Kooperationsverbot ist völlig absurd und passt nicht in die Zeit und wir haben deshalb immer dagegen gekämpft.

    Götzke: Sie wollen es komplett abschaffen?

    Gehring: Wir wollen, dass tatsächlich bei Bildung und Wissenschaft Bund und Länder kooperieren können, dass sie Vereinbarungen treffen können. Der Vorschlag von Frau Dr. Schavan, dass man Bundesmilliarden an Elite-Unis gibt, aber keinen einzigen Cent für Schulen in sozialen Brennpunkten, das ist absurd und ist ungerecht und geht eben an den zentralen Herausforderungen auch vorbei. Und deshalb springt sie da viel zu kurz und es ist verkehrt, den Bildungsbereich da komplett auszuklammern.

    Götzke: Wie sollte sich denn der Bund in die Finanzierung der Schulen einschalten, was stellen Sie sich da vor? Einen Schul-Soli für arme Bundesländer?

    Gehring: Nein, also, was auf der Hand liegt, ist, dass wir beim Bildungspaket wirklich auch nachbessern müssen, weil das teilweise an den armen Kindern und Jugendlichen vorbei geht. Dass wir bei den Ganztagsschulen qualitativ und quantitativ ausbauen müssen und dass wir das zentrale Thema Inklusion auch gemeinschaftlich anpacken können und bessere Bildung für alle Kinder und Jugendlichen organisieren können.

    Götzke: Wenn ich Sie da kurz unterbrechen darf: Das Bildungspaket ist ja ein Bundesprogramm. Bei den Ganztagsschulen hat der Bund ja auch schon mal Geld gegeben. Bleibt die Inklusion, was stellen Sie sich da konkret vor?

    Gehring: Wir dürfen jetzt aber Ganztagsschulen nicht mehr weiter ausbauen, obwohl wir diese Wahlfreiheit, dass jedes Kind oder jeder Jugendliche in eine Ganztagsschule gehen kann, eben noch nicht gegeben ist. Und deshalb sind das weitere wichtige Felder, wo der Bund mit den Ländern kooperieren sollen dürfte auf der Basis von Vereinbarungen. Uns geht es ja überhaupt nicht um Bildungszentralismus, sondern es geht uns um kluge Kooperation. Und ich finde das auch verkehrt in dem Punkt Wissenschaftsbereich, was Frau Schavan vorschlägt, dass sie sich konzentrieren will auf Leuchttürme, auf Exzellenzuniversitäten. Es ist viel wichtiger, zum Beispiel für einen dauerhaften Studienplatzausbau zu sorgen, um dem Studierendenbogen gerecht zu werden.

    Götzke: Die Gefahr, die Bundesländer sehen, die zum Teil ja auch die Union sieht, ist, dass sich der Bund zu stark auch in Schulstrukturreformen einmischt, wenn es parallel um Gelder geht. Warum sehen Sie diese Gefahr nicht?

    Gehring: Auch uns geht es um die Wahrung der Kulturhoheit der Länder. Aber es geht darum, dass Bund und Länder gemeinsam kooperieren dürfen, dass der Bund auch Geld geben darf für gezielte Bildungsmaßnahmen. Und Inklusion ist ein Thema, was alle Länder anpacken müssen, wo der Bund und die Länder die UN-Konvention unterzeichnet haben und wo es wichtig ist, dass tatsächlich Gehandicapte und nicht Gehandicapte besser individuell gefördert werden.

    Götzke: Sie schlagen die Einrichtung eines Reformkonvents vor, der breit getragene Vorschläge zur Veränderung des Grundgesetzes machen soll. Wenn man sich das so durch den Kopf gehen lässt, klingt das nach jahrelangen Verhandlungen!

    Gehring: Wir schlagen als Grüne diesen Reformkonvent vor, um wirklich die besten Lösungen für Bildung und Wissenschaft zu erreichen. Ich finde den Kooperationsstil von Minister Dr. Schavan sehr befremdlich. Sie weiß, dass sie eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat braucht, aber es hat bisher keinerlei Gespräch mit den Bundestagsfraktionen stattgefunden. Und der Reformkonvent soll auch zügig agieren und soll Bundestag und Bundesrat an einen Tisch bringen, um dann auch wirklich ein Gesamtpaket schnüren zu können. Sonst weiß ich nicht, wie das mit den Zweidrittelmehrheiten funktionieren soll!

    Götzke: Sie würden dem jetzigen Gesetzesentwurf nicht zustimmen. Wo sehen Sie einen Kompromiss?

    Gehring: Ich hoffe, dass die Koalition sich bewegt und ich hoffe, dass die Koalition sich gesprächsbereit zeigt und auf unseren mehrfach geäußerten Vorschlag Reformkonvent auch eingeht. Weil ich glaube, dass man dann auch noch weitergehendere Lösungen gemeinsam schmieden kann. Es ist wichtig, wenn man die Zweidrittelmehrheit erreichen will, dass alle auch dahinterstehen können und dass es solche grundsätzlichen Verabredungen künftig geben darf.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.