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Das Kühlhaus und die Künstler

Inmitten des Südostens von Paris steht ein altes Kühlhaus - "Les Frigos" genannt und Heimat einer lebendigen Kunst- und Handwerkerszene. Dort arbeiten Bildhauer, Schauspieler oder auch Musiker, die beispielsweise Filmmusik komponieren.

Von Jörg Christian Schillmöller |
    "Es gibt keinen Nachteil, es gibt nur Vorteile. Ich kann soviel Lärm machen, wie ich will, ich brauche fast keinen Schallschutz, weil die Mauern so dick sind - das waren ja früher Kühlräume, und die Mauern sind aus Beton und innen mit Kork isoliert, also störe ich niemanden hier, und niemand stört mich: Das ist der perfekte Ort für ein Filmmusikstudio."

    Simon Cloquet sitzt vor einem Mischpult, vor sich ein Computer und die große Glasscheibe zum Studio, darüber ein Flachbildschirm. Simon Cloquet schreibt an der Musik für die Fernsehserie "Section de Recherche" - das heißt "Forschungseinheit" und handelt von der französischen Polizei. In der Folge vor uns auf dem Bildschirm geht es um Stierkampf:

    "Sie sehen hier eine Arena in Südfrankreich, das da ist der Torero, und das Ganze ist der Teaser für die Serie."

    Hinter Simon Cloquet steht ein Flügel von Steinway&Sons, darauf liegen Noten von Schubert, Liszt und Beethoven. Das Leitmotiv der Fernsehserie klingt auf dem Flügel so:

    Alltag im alten Kühlhaus von Paris: Früher lagerten hier halbe Kühe und Schweine, bevor sie in den Markthallen im Stadtzentrum verkauft wurden. Heute gibt es in den "Frigos de Paris" rund 80 Ateliers und rund 150 Künstler und Handwerker arbeiten hier, viele haben sich eine Wohnung eingerichtet.

    Die meisten Räume haben noch die alte Kühltür, 30 Zentimeter dick, mit einem langen Hebel. Gegenüber von Simon Cloquet lebt zum Beispiel der frühere Dekorateur von Federico Fellini: Paolo Calia hat seinen Kühlraum barock eingerichtet, mit Balkon und Brunnen - zu vermieten für das Event der besonderen Art. Ein Stockwerk darüber arbeitet der deutsche Künstler Claus Velte. Er modelliert Prominente für das Pariser Wachsfigurenkabinett, und erzählt vollkommen beiläufig, wen er so alles getroffen hat.

    "Ja, eine ganze Menge, auch Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, kein Kommentar."

    Claus Velte lebt seit 30 Jahren in Paris, Auftragsbildhauer nennt er sich selbst, und den Standort des Kühlhauses findet er vor allem praktisch: Da haben es die Prominenten nicht so weit, wenn sie zum Probesitzen kommen.

    "Die Preise sind relativ zivil, normalerweise müssten wir das Doppelte hinlegen." Wie viel ist es denn? "Knapp 440 Euro für 50 Quadratmeter, das ist für Pariser Verhältnisse absolut zivil."

    Lange war es umkämpft, das alte Kühlhaus, sollte abgerissen werden und wechselte den Besitzer: Nach der Bahn ist nun die Stadt Paris Eigentümer. Früher konnte man von hier zwei Vororte weit nach Osten sehen, erzählen die Mieter. Heute ist die Sicht komplett zugebaut, aber die "Frigos" sind immer noch da. Außen hässlich, innen lebendig.

    "Wir sind eine Trutzburg, wir sind wie das Dorf von Asterix"

    Das findet auch Margerie, die wir spontan draußen vor dem Eingang des Kühlhauses ansprechen.

    "Das hier ist ein Ort des Widerstands: Vieles ist rundherum gebaut worden, aber das Kühlhaus bleibt, mit seinen Unannehmlichkeiten ebenso wie mit seiner Schönheit."

    Margerie ist Laienschauspielerin. Kommen Sie doch mal vorbei, wir proben gleich. Wir: das ist das "Spontané Theatre", die spontane Bühne, könnte man sagen. Dafür geht es im Kühlhaus ein paar Treppen hinauf.

    Das kreisrunde Treppenhaus ist von unten bis oben vollgesprüht mit Graffiti. Darum, erzählen die Mieter leicht genervt, kommen immer die Rapper und Hip-Hopper, um Fotos zu machen für ihre Plattencover.
    Das Spontané Théatre: Vier Frauen und vier Männer sitzen in einem Raum, der mehr als 100 Quadratmeter groß und von Betonpfeilern durchzogen ist. Die Wände sind weiß, der Teppichboden ist blau.

    Ein junger Mann erprobt sein Können vor der kleinen Gruppe. Ob er wegen des Besuchs auf einmal etwas Deutsches in seinen Text mischt, bleibt offen: Die Gruppe jedenfalls ist begeistert.

    So geht das in den "Frigos": Der Besucher wandert von Stockwerk zu Stockwerk durch das alte Kühlhaus, klopft hier und da ...

    ... wird eingelassen - oder auch nicht - und stößt auf Designer, Architekten, IT-Fachleute, Galeristen, Maler, Fotografen. Im Kühlhaus ist eigentlich immer jemand. Wie aber lebt es sich in dem neuen Stadtviertel, das rundherum entstanden ist, mit den vielen nagelneuen Bauten aus Stahl und Glas? Oscar arbeitet beim "Verein der Jazzmusiker" im zweiten Stock des Kühlhauses. Naja, sagt er, abends ist hier tote Hose. Oscar deutet in Richtung Fenster.

    ""Da unten, haben sie das kleine Café gesehen? Die verkaufen japanische Mangahefte, das hat ganz neu aufgemacht, immerhin - und so wird es hier Stück für Stück lebendiger."

    Ein paar Schritte durch das Büro, eine Tür, dahinter liegt der große Probenraum des Jazzvereins.

    Vibrafon, Gitarre, Bass, Schlagzeug: Das ist die Band "Federico Casagrande" - und sie probt gerade zum ersten Mal für das neue Album. Und während die Band an einer kniffligen Passage bastelt ...

    .. ordnen sich langsam die Eindrücke des Tages. Wachsfiguren, Filmmusik, barocke Parties, Theater oder Jazz: Sie haben durchgehalten, die Kühlhäuser und sind heute, nach vielen Verhandlungen mit den Behörden, ein fester - wenn auch etwas in die Jahre gekommener - Bestandteil des 13. Arrondissements. Wie sagte es die Schauspielerin Margerie: Das hier ist ein Ort des Widerstands, mit allem, was er an Widerspenstigkeit und an Schönheit besitzt."
    Wohnung von Paolo Calia, dem Fellini-Freund bei "Les Frigos"
    Wohnung von Paolo Calia, dem Fellini-Freund bei "Les Frigos" (Jörg-Christian Schillmöller)
    "Les Frigos" - das ehemalige Kühlhaus im Pariser Südosten ist heute ein Künstlerhaus
    "Les Frigos" - das ehemalige Kühlhaus im Pariser Südosten ist heute ein Künstlerhaus (Jörg-Christian Schillmöller)