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Das Kunstfest Weimar heißt jetzt: "pèlerinages" - und sonst?

Lohengrin ist unterwegs. Der Ritter macht sich auf den Weg und kommt gerade noch rechtzeitig nach Flandern, um Elsa von Brabant zu retten. Als Unbekannter, Unerkannter und Fremder zieht er ein (und fremd zieht er wieder von dannen). Nike Wagner, die neue Leiterin des Weimarer Festivals, fürchtet, dass es ihr nicht viel anders gehen wird in einigen Jahren. Sie hat sich auf ein schwieriges Pflaster eingelassen. Und sie weiß das:

Von Frieder Reininghaus |
    Ich will kein besinnungsloses Spaß- und Event-Kultur-Festival hier machen, sondern ein genau strukturiertes, dramaturgisch sinnvoll zusammengebautes Festspiel-Konzept bieten; ich möchte damit nicht nur Weimar und Thüringen ansprechen, sondern v.a. auch überregionale Besucher, Besucher aus Europa.
    Gewiss, genau strukturiert und dramaturgisch sinnvoll konzipiert erscheint die erste Ausgabe von "pèlerinages". Und vielerlei war und ist gerade hier in Weimar zu bedenken - vornan das politisch und ästhetisch wechselvolle Schicksal der Stadt und die besondere Aura ihrer Kultur. Aber eben auch Schrecken und Verderben, die Verbrechen im Lager Buchenwald, direkt oberhalb der Stadt.

    Dem Andenken Buchenwalds gewidmet war das Eröffnungskonzert. Es wurde aus gutem Grund nicht am "Originalschauplatz" im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrations- und sowjetischen Gefangenen-Lager ausgerichtet, sondern im Kongress-Zentrum - einem sehr neutraler Ort, der die fast ungeteilte Konzentration auf die Musik erlaubt.

    Dass aber nichts im Programm sich auf den Kontinent der antifaschistischen oder antistalinistischen Musik bezog, erschien als postmoderne Volte: Optimistisch und "lebensbejahend" sollte die Musik sein, die da nach so langer Zeit erinnert. Vor Gustav Mahlers "Lied von der Erde" tat dies die Koppelung des durch die Nazi-Zeit besonders kontaminierten "Lohengrin"-Vorspiels mit György Ligetis "Atmosphères", die Marc Albrecht (als Sohn des früheren Weimarer GMDs George-Alexander Albrecht) mit der ortsansässigen Staatskapelle durchmaß.

    Der Geist des Ur-Urgroßvaters Franz Liszt - er war der Titelspender des Kunstfestes - war höchst präsent am Eröffnungswochenende: Junge Russen stemmten sein Es-Dur-Konzert im luftig frischen, regnerischen Schloßhofabend (und von nebenan drang schon die Rockband gewaltig herüber, die den Weimaren zum plebiszitär akzeptierten Tanz aufspielte). An Liszt als Mann der entschiedenen Moderne des 19. Jahrhunderts, des Fortschritts, der Zukunft, erinnerte nicht nur die Eröffnungsmatinee mit einem brillanten Vortrag von Nike Wagner und den von Marc-André Hamelin phantastisch zelebrierten und beschleunigten "Suisse"-Bildern der "Années de pèlerinage", sondern auch die mediale Aufbereitung der auf zwei Klaviere übertragenen "Dante-Symphonie". Sunnyi Melles las mit etwas schwacher Stimme Verse des italienischen Dichters dazu; die bewegten Bilder operierten mit den von Liszt bei Bonaventura Genelli in Auftrag gegebenen Illustrationen in ihrer schwülen Weiterentwicklung durch Gustave Doré. Das erschien durchaus exquisit.
    Dass es das nun neu durchstartende Kunstfest schwer hat, ist der Intendantin bewußt:
    Das ist alles nicht ganz leicht. Unsere Zeiten sind nicht sehr günstig für Festspiele - der Staat zieht sich ständig zurück aus den Verpflichtungen, die Kultur zu subventionieren. Man muss irgendwo mitten hindurch - ich gehe trommeln, ich gehe betteln, ich werbe sowohl mit dem alten Namen Weimar im Rücken für ein Festival, das ich für notwendig halte, weil man hier mit den Traditionen umgehen kann. D.h., man kann eine Linie von der sehr bekannten Vergangenheit in die Zukunft, in unsere Gegenwart ziehen. Gerade hier in Weimar ständig die Moderne anzuschieben, macht Spaß, weil man ja auch weiß: die Moderne hat es hier immer schwer gehabt.