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Das Lächeln, das man hört

Nicht nur Argumente überzeugen, auch wie man etwas sagt, ist entscheidend. Davon sind Sprechforscher überzeugt. Sie fördern Erstaunliches zutage, zum Beispiel: Oskar Lafontaine und Guido Westerwelle sind sich in der Art des Sprechens sehr ähnlich.

Von Barbara Weber | 06.12.2007
    SPD-Parteitag, Mannheim, 1995. Parteivorsitzender Rudolf Scharping will eigentlich nur wiedergewählt werden. Doch es kommt alles ganz anders:

    "Alle Delegierten waren angereist nach zweijährigem Parteivorsitz von Scharping, um ihn in seinem Amt zu bestätigen, aber sie sind abgereist und hatten einen neuen Parteivorsitzenden. Was ist passiert? Einiges ist im Hintergrund natürlich passiert, aber ganz markant sind die beiden Parteitagsreden dieser beiden Kontrahenten","

    so Professor Walter Sendlmeier, Lehrstuhl für Mündliche Kommunikation der Technischen Universität Berlin.

    ""Die Beiden halten eine Rede, die dem Inhalt nach fast identisch ist. Sie sind zum Teil sogar in einzelnen Passagen im Wortlaut gleich, und trotzdem haben sie eine völlig unterschiedliche Wirkung. Der eine ist am Ende der klare Verlierer, der andere der klare Gewinner."

    Das lag. meint der Wissenschaftler. auch an ihren Reden und an der Dynamik, die sie auslösten.

    "Scharping als noch Parteivorsitzender, der in seinem Amt bestätigt werden sollte, hatte natürlich eigentlich die Aufgabe, die Parteitagsdelegierten, die SPD, die damals im Stimmungstief sich befand, herauszuführen, zu begeistern, kämpferisch nach vorn zu schauen. Aber das ist ihm nicht gelungen. In seiner Stimme ist sehr viel Resignation zu hören. Wir haben sogar Merkmale entdeckt, die uns an traurige Stimmen erinnern. Das genaue Gegenteil: Oskar Lafontaine, kämpferisch, aggressiv, Führerschaft signalisierend und so weiter. Bei Lafontaine ist anzumerken, dass er das Kämpferische vor allen Dingen durch seine Art der Betonung zum Ausdruck bringt. Er hat eine sehr markante Art der Betonung, die Führerschaft und eine kämpferische Grundeinstellung zum Ausdruck bringt, und zwar betont er nicht nur sehr ausdrucksvoll und sehr häufig und sehr pointiert, sondern, wie er es macht, ist auch interessant."

    Und wird nicht nur von Lafontaine so gemacht

    "Er erzeugt ein lokales Maximum innerhalb der zu betonenden Silben. Bei Lafontaine ist dieser Anstieg auf der zu betonenden Silbe sehr steil und abrupt und gleich am Beginn der zu betonenden Silbe, und er hat noch im Rest der Silbe noch genügend Zeit, noch mal herunterzugehen. Dieser steile und frühe Anstieg gefolgt durch einen Abfall in der gleichen Silbe prägt seine Art der Betonung. Interessanterweise ist in diesem Punkt eine Parallele zu Guido Westerwelle zu sehen, den wir vor kurzem analysiert haben. Hier findet sich fast genau die gleiche Art der Betonung wie bei Oskar Lafontaine, so sehr die Beiden vom politischen Spektrum her an unterschiedlichen Enden anzusiedeln sind, witzigerweise ist ihre Sprechweise in weiten Bereichen sehr ähnlich."

    Die Vermittlung von Gefühlen in der Sprache scheint nach ähnlichen Regeln zu funktionieren wie in der Musik. Für die Musik ist das schon seit der Antike untersucht worden. Die Griechen beschäftigten sich in ihrer Ethoslehre mit der unterschiedlichen Bedeutung von Tonarten, Tongeschlechtern und Rhythmen. An der TU Berlin konnten die Wissenschaftler in neueren Forschungen jetzt die Ähnlichkeit von Emotionsvermittlung in Sprache und Musik nachweisen.

    Was die Sprache anbelangt, arbeiten die Kommunikationswissenschaftler seit zehn Jahren kontinuierlich an der Verbindung von Emotion und Sprache:
    "Wir sind davon ausgegangen, dass die sogenannten Basisemotionen, so wie sie in der Psychologie sich inzwischen etabliert haben und recht unstrittig auch tatsächlich als Basisemotionen anerkannt sind, nämlich die vier Emotionen Freude, Trauer, Ärger und Angst, dass die sich zuverlässig stimmlich und sprecherisch unterscheiden lassen, dass wir unabhängig vom Inhalt doch sehr schnell erkennen können, ob die Sprecher in einem dieser Gefühlszustände sich gerade befinden. Wir haben zusätzlich noch zwei Gefühlszustände noch hinzugenommen, nämlich Langeweile und Ekel, die mitunter auch als Basisemotionen eingestuft werden. Wir haben inhaltlich neutrale Sätze uns überlegt, die keinerlei Hinweis auf die ein oder andere Emotion geben wie etwa"

    ""In sieben Stunden wird es soweit sein. In sieben Stunden wird es soweit sein."

    "Wir haben eine ganze Reihe von Sätzen uns überlegt, inhaltlich neutralen Sätzen, einphrasige Sätze, zweiphrasige Sätze, die von verschiedenen Schauspielern gesprochen wurden, Männern und Frauen. Ein solcher Satz ist etwa 'In sieben Stunden wird es soweit sein', der durch die Semantik keinerlei Hinweis auf eine der Emotionen gibt. Diese Sätze, von professionellen Schauspielern aufgezeichnet in einem sogenannten schalltoten Raum der Technischen Akustik in Berlin. Die Schauspieler haben keine Vorgaben bekommen, wie sie diese Emotion zu erzeugen haben, wie sie sich da hineinzuversetzen haben, sondern da es alles professionelle Schauspieler waren von zum Teil großen Berliner Bühnen, sind wir davon ausgegangen, dass die selbst in der Lage sind, dies zu tun. Und die Schauspieler haben uns die Sätze einmal in einer neutralen Version, dann in einer ärgerlichen, freudigen, traurigen, ängstlichen und so weiter Weise, die den jeweiligen Gefühlszustand widerspiegeln sollte."

    "In sieben Stunden wird es soweit sein. In sieben Stunden wird es soweit sein."

    "Da also aus der Semantik kein Hinweis kommt, muss ein Hörer, der jetzt diese Gefühlszustände einzustufen hat, ausschließlich aus der Art und Weise, wie gesprochen wird und wie die Stimme klingt, ableiten. Wir haben jetzt in Hörexperimenten diese Aussprachen beurteilen lassen. Da aber auch professionelle Sprecher nicht immer jeden Versuch gleich optimal hinbekommen, haben wir dann nur die Äußerungen berücksichtigt, die von über 80 Prozent der Hörer zuverlässig als die intendierten Emotionen erkannt wurde, so dass wir dann Beispiele übrig hatten, von denen man sagen kann, hier ist der emotionale Ausdruck von den Schauspielern sehr authentisch und glaubwürdig umgesetzt worden, und Hörer können zuverlässig einstufen anhand der Art und Weise, wie gesprochen wird und wie die Stimme klingt, der Mensch ist traurig, ängstlich, der ekelt sich oder freut sich und so weiter."

    Der Verhaltensforscher Irinäus Eibl-Eibesfeld wies nach, dass Basisemotionen wie Freude oder Trauer unabhängig der kulturellen Prägung von den meisten Menschen an der Mimik erkannt werden können. Er schloss daraus, dass sie angeboren sind und nicht im Laufe des Lebens erworben werden.

    "Gerade die Basisemotionen werden als solche bezeichnet, weil sie kulturunabhängig sind, weil sie als universell angenommen werden. Das schöne Beispiel, an dem man das im Bereich der Mimik sich selbst klarmachen kann, das hier tatsächlich weitgehend es sich um kulturunabhängige Dinge handelt, also nicht um gelernte Dinge, ist etwa die Betrachtung der Mimik von blindgeborenen Kindern. Da können Sie erkennen, dass diese, wenn sie etwa freudig sind oder traurig sind, die gleiche Mimik einnehmen wie sehende Kinder oder Erwachsene, obwohl sie selbst ja nie ein Gesicht gesehen haben. An diesem Beispiel können Sie erkennen, dass es sich hier um fundamentale Dinge, die kulturunabhängig sind, handelt, da ja diese blind geborenen Kinder diese verschiedenen Gesichtsausdrücke nicht gelernt haben können."

    Das Ergebnis seiner Forschung spreche dafür, so Walter Sendlmeier, diese Erkenntnis auf die Sprechforschung zu übertragen.

    "Ähnlich verhält es sich hier, es geht ja wieder um die Basisemotion, da kann man auch sagen, Freude oder Trauer manifestiert sich stimmlich und sprecherisch tatsächlich, ja, man muss sagen nicht nur kulturunabhängig, dazu kommt ja auch noch dazu der Aspekt der Sprachspezifik, auch sprachunabhängig, weitgehend, es wird natürlich ein wenig kulturell überformt insofern als das Ausmaß abgeschwächt oder verstärkt wird."

    Wie verändern sich Stimmen im Alter? - Markus Brückl untersucht in seiner Doktorarbeit dieses Phänomen anhand von Frauenstimmen. Er ließ Frauen aller Altersgruppen zum Beispiel einen Text lesen:

    "Wir haben hier einmal eine alte Frau:"

    "An der nächsten Ecke bin ich links in die Helenenstraße abgebogen und kurz danach gleich wieder links in die Schlossstraße, ach nein, falsch, da musste ich ja rechts in die Königsbergerstraße."

    "Eine sehr alte Frau ist das, die war bei dieser Aufnahme 87 Jahre alt, was man jetzt im Vergleich, im Längsschnitt dazu hört, wenn man sie fünf Jahre später noch mal hört, hört es sich so an:"

    "An der nächsten Ecke bin ich links in die Helenenstraße abgebogen und kurz danach gleich wieder links in die Schlossstraße, ach nein, falsch, da musste ich ja rechts in die Königsbergerstraße."

    "Ich meine, man kann an dem Beispiel ganz gut erkennen, dass die Sprechweise langsamer wird und zweitens auch noch ein gutes Stück undeutlicher, also schlechter artikuliert. Es wird auch noch ein Tick tiefer, und spektral verändert sich auch noch ein bisschen was."

    Noch deutlicher werden die Veränderungen hörbar, wenn man die alte mit einer jungen Frau vergleicht.

    "Ein jüngeres Beispiel von einer Frau, die um die 30 Jahre alt ist, würde sich mit dem gleichen gelesenen Satz so anhören."

    "An der nächsten Ecke bin ich links in die Helenenstraße abgebogen und kurz danach gleich wieder links in die Schlossstraße, ach nein, falsch, da musste ich ja rechts in die Königsbergerstraße."

    "Ich denke, man kann eindeutig hören, dass es sehr viel schneller ist und flüssiger gesprochen wird, dazu auch noch besser artikuliert ist, bisschen voller klingt, und in jedem Fall hört man auch, dass sie höher ist."

    Was Markus Brückl zunächst verblüffte: Nicht immer stimmt das geschätzte Alter mit dem numerischen Alter überein, das heißt, ausschlaggebend ist das biologische Alter. Je fitter und agiler eine Sprecherin war, umso jünger wurde sie eingeschätzt. Numerisches und biologisches Alter können bis zu 20 Jahre differieren. Eine weitere Erkenntnis: Alte Menschen lassen sich schlechter schätzen als Junge. Und noch ein Ergebnis ist erstaunlich: Spricht jemand starken Dialekt, wird er älter geschätzt, als er tatsächlich ist.

    An welchen Merkmalen junge und alte Menschen erkannt werden können - das erforscht Ralf Winkler. Dazu ließ er 30 Versuchspersonen verschiedene Worte sprechen. In einem akustischen Labor wurden Aufnahmen gemacht und gleichzeitig die Schwingung der Stimmlippen physikalisch gemessen. Dabei bekommen die Versuchspersonen ein Halsband umgelegt, an dem zwei Kontakte befestigt sind, die links und rechts die Stimmlippenschwingungen messen.

    "Im Laufe des Lebens verändert sich das. Besonders im hohen Alter, gibt es Änderungen an den Knorpeln, an den Strukturen, die im Kehlkopf arbeiten, um den Grundton zu erzeugen. Durch Verknöcherung oder Verkalkung an den Knöchelchen und Gelenken sind sie nicht mehr so gängig. Es entsteht eine Unruhe, eine Rauheit."

    Diese Rauheit ist nicht nur zu messen, sondern auch zu hören. Messen können die Wissenschaftler auch eine sogenannte Behauchung. Sie ist aber wiederum kaum hörbar. Beides nimmt im Laufe des Lebens zu. Auch die Grundfrequenz verändert sich, das ist die Frequenz, mit der die Stimmbänder während stimmhafter Sprache schwingen, und natürlich die Geschwindigkeit.

    "Ob aber eine Veränderung eines Parameters tatsächlich wirkt, erfährt man nur, indem man Material herstellt, was sich überhaupt gar nicht verändert außer in den zu untersuchenden Merkmalen."

    Das geht mit Hilfe synthetisch erzeugter Stimmen.

    In der Tat konnten die künstlichen Stimmen altersmäßig ziemlich exakt von den Versuchspersonen eingeordnet werden. Was die Wissenschaftler der TU Berlin noch herausfanden: Die Stimmen von Frauen werden mit zunehmendem Alter tiefer, die der Männer höher. Neben den knöchernen Veränderungen- so die Vermutung, scheint dabei auch der Hormonstatus eine Rolle zu spielen.

    Was die Wissenschaftler seit Neuestem interessiert, ist der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Sprache. Professor Walter Sendlmeier zitiert Theodor Fontane, der es seiner Meinung nach auf den Punkt gebracht hat:

    "'Durchs Auge Liebe, nichts ist abgeschmackter, der Kehlkopf nur verrät uns den Charakter.' Wir sind auf der Suche nach Korrelaten in der Stimme und in der Sprechweise für Charaktereigenschaften, also was man früher Charakter nannte. Heute in der Psychologie nennt man das eher Persönlichkeitsmerkmale. Da haben sich herauskristallisiert nach Jahrzehnten der Persönlichkeitsforschung die sogenannten Big Five. Das sind so grundsätzliche Unterscheidungsweisen, die auch im Alltag immer wieder auftauchen wie etwa Introvertiertheit versus Extrovertiertheit, oder dass eine Person eher labil oder stabil ist, dass sie eher gewissenhaft ist oder nicht gewissenhaft ist, dass sie eher sozial verträglich ist oder nicht sozial verträglich ist und so weiter. Die spannende Frage ist nun, gibt es Indikatoren in Stimme und Sprechweise, die uns doch deutlich verraten oder zumindest Hinweise geben auf diese Persönlichkeitseigenschaften, mit was für einem Menschen habe ich es zu tun?"

    Bislang ist dieser Bereich noch nicht untersucht worden. In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es zwar amerikanische Studien, die sich damit beschäftigten, ob sich eine Psychose oder eine geplante Selbsttötung durch die Stimme ankündigt. Im Rahmen der allgemeinen Psychologie wurde diese Forschung aber vernachlässigt.

    "Natürlich ist auch eine ganz interessante Anwendung darin zu sehen, dass man etwa bei der Partnersuche solche Erkenntnisse einsetzt aber gar nicht mal nur die kommerziellen Partnervermittlungsinstitute sondern jeder einzelne Mensch, jeder Single im Grunde genommen, der auf Partnersuche ist, kann solche Erkenntnisse nutzbar machen, macht es ja auch oft intuitiv, aber mitunter wird das nicht genügend gewichtet. Ein Bild kann man schönen. Der Text, der kann erlogen sein. Mit der Stimme ist es ganz anders."
    Oskar Lafontaine, Parteichef Die Linke
    Oskar Lafontaine, heute Parteichef der Linken. (AP)
    Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle während der Debatte zum 50. Jahrestag der Europäischen Union.
    Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. (AP)
    Theodor Fontane
    Theodor Fontane (AP)