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Das Lächeln des Verlierers

Das Internationale Olympische Komitee vertritt auch in London das Prinzip der universalen Präsentation. Selbst die verborgenen Ecken der Welt sollen bei den Spielen mit Athleten vertreten sein. Zwergstaaten wie Palau, Tuvalu oder die Marshall-Inseln befinden sich für wenige Tage auf Augenhöhe mit den Industriemächten.

Von Ronny Blaschke |
    Der Judoka Ricardo Blas wiegt fast 220 Kilogramm, in der Wettkampfklasse über 100 Kilo ist er in der zweiten Runde ausgeschieden. Nun tapst der 25-Jährige in einem blauen Anzug schwitzend durch die Interviewzone. Er hat verloren, aber er lächelt. Kein Sportler aus seinem Heimatland Guam hatte es bei Olympia je in eine zweite Runde geschafft. Ricardo Blas scheint selbst das Scheitern zu genießen, für die Reporter nimmt er sich viel Zeit.

    "Nicht jeder kann gewinnen – das ist die wichtigste Botschaft Olympias. Es überhaupt hierher zu schaffen, ist großartig für jedes Land auf der Welt, für ein kleines Land wie Guam ist es noch ein bisschen wichtiger. Deswegen möchte ich meinen Landsleuten sagen: Ich liebe euch. Ihr ward eine große Inspiration für mich. Und ich will weitermachen."

    Die westpazifische Insel Guam hat 185000 Einwohner. Ricardo Blas war schon 2008 in Peking dabei, damals trug er die blaue Landesflagge ins Stadion, die eine Palme und ein Segelschiff zeigt. Sein Vater, selbst 1988 bei Olympia aktiv und heute Vorsitzender des Olympischen Komitees von Guam, drängte ihn auf die Matte. Ricardo Blas fand Gefallen, wechselte bald in ein japanisches Judointernat und trainierte zuletzt sechs Stunden am Tag. Sein Trainer Atif Hussein.

    "Ich bin sicher, dass jeder in Guam die Kämpfe von Ricardo vor dem Fernseher verfolgt hat. Das hat ihn natürlich ein bisschen nervös gemacht, er konnte nicht wirklich gut schlafen. Alle Augen seiner Heimat waren auf ihn gerichtet. Das hat ihn unter Druck gesetzt."

    Olympia ist eine Unterhaltungsindustrie, ausgerichtet auf Glamourfiguren. Wie der Sprinter Usain Bolt, der Basketballer Kobe Bryant, der Schwimmer Michael Phelps. Was wären diese Superstars ohne einen Gegenentwurf? Ohne Außenseiter, die ihr letztes Hemd für Olympia geben würden? Die beweisen, dass Sport ohne Körperkult, Medaillenjagd und Interviewphrasen existieren kann? Außenseiter, die dem Publikum das Gefühl geben, greifbar zu sein. Das langjährige IOC-Mitglied Walther Tröger.

    "Damit jedes Land auch vertreten sein kann, gibt es in einigen Wettbewerben und in einigen Sportarten diese Wildcards für Leute, die die Normen, die gesetzt sind, nahezu erreichen."

    Es sind oft Momente des Scheiterns, die von Olympia in Erinnerung bleiben. Der britische Skispringer Michael Edwards, genannt Eddie the Eagle, landete bei den Winterspielen 1988 in Calgary mit großem Abstand auf dem letzten Platz. Der Schwimmer Eric Moussambani aus Äquatorialguinea wäre 2000 in Sydney über 100 Meter Freistil fast ertrunken. In London nun wurde Hamadou Djibo Issaka gefeiert, ein abgeschlagener Ruderer aus Niger. Nicht besser erging es der Gewichtheberin Jeniy Tegu Wini von den Salomonen oder dem Judoka Sled Dowabobo von der Insel Nauru. Walther Tröger:

    "Alle Länder sollen teilnehmen dürfen, müssen vertreten sein können. Kommt in den Ländern enorm gut an. Und sie fühlen sich einfach in der Welt aufgehoben."

    Die amerikanischen Basketballer wohnen nicht im olympischen Dorf, vermutlich kämen sie aus dem Autogramme schreiben und Posieren für Fotos nicht mehr heraus. Ricardo Blas aus Guam, der schwerste Athlet der Olympia-Geschichte, hätte sich auch eine Unterschrift geholt. Er hat nun Freizeit, will London erst nach den Spielen verlassen.

    "Ich möchte mich ausruhen und mit vielen Menschen in Kontakt kommen. Ich war noch nie in London, deshalb werde ich mir alle Sehenswürdigkeiten anschauen."

    Ricardo Blas ist einer von acht Athleten aus Guam. Auch in Rio de Janeiro 2016 würde er gern wieder im Olympischen Dorf empfangen werden, während der Zeremonie die Hymne seines Landes hören und dem Bürgermeister ein Geschenk überreichen. In den nächsten Tagen will er im Internet schauen, wo in der Welt über ihn berichtet wurde. Seinen Kampf hatte er nach zwei Minuten verloren, in der Interviewzone steht er nun schon 20 Minuten. Ricardo Blas möchte Olympia nicht enden lassen.

    "Guam ist noch nicht sehr bekannt. Ich hoffe, Sie werden uns besuchen."