Donnerstag, 28. März 2024

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Das Laientum des Lebens

Weißt Du, für alle möglichen unwichtigen Dinge bekommt man Unterricht - Klavierspielen, Maschineschreiben. Jahrelang lernt man, wie man Gleichungen löst, die man im gewöhnlichen Leben weiß Gott nie wieder zu lösen braucht. Aber das Elternsein? Oder auch die Ehe, überleg dir das mal! Bevor man mit einem Auto fahren darf, muss man einen behördlich genehmigten Fahrunterricht absolvieren, aber Autofahren ist nichts, überhaupt nichts, verglichen mit dem, was es heißt, tagein, tagaus mit einem Ehemann zusammenzuleben und einen neuen Menschen großzuziehen.

Von Walter van Rossum | 09.01.2005
    So heißt es in Anne Tylers Roman "Atemübungen", für den sie 1988 den Pulitzerpreis erhielt. Und wie viele große Schriftsteller schreibt vielleicht auch Anne Tyler immer an dem einen großen Roman fort. So können wir getrost jenes Zitat als Überschrift über die Gesamtheit der bisher 16 Romane der amerikanischen Schriftstellerin setzen. Es geht um den Blindflug des Lebens mitten im hyperkomplexen zivilisatorischen Tumult unserer Tage. Und kaum vertiefen wir uns in einen ihrer Romane entdecken wir auch, dass es sich dabei um eine Angelegenheit handelt, die man nicht begreifen kann - davon muss man erzählen. Und deshalb spielen diese Romane auch nicht auf metaphysischen Höhenkämmen, sondern in der Tiefebene der Normalität.

    Da, wo solche Leute wie Pauline und Michael durch das Dickicht ihrer Tage stolpern. Das sind die beiden Helden aus Anne Tylers letztem Roman "Im Krieg und in der Liebe". Im amerikanischen Original heißt er "The Amateur Marriage", was man mit "Die Ehe der Amateure" übersetzen könnte. Da sind wir wieder beim Laientum des Lebens - und der Liebe. Dabei beginnt alles so hübsch übersichtlich im kleinen Lebensmittelladen von Michaels Mutter, Mrs Anton, in Baltimore, Ende 1941:

    In Antons Lebensmittelladen - einem schlecht beleuchteten, voll gestopften, urgemütlichen Raum mit L-förmiger Holztheke und Regalen bis zur Decke - wickelte Michaels Mutter zwei Dosen Erbsen für Mrs Brunek ein. Sie umschnürte sie fest mit einer Kordel und überreichte sie ohne Lächeln, ohne "Auf Wiedersehen", oder "guten Tag". (Mrs Anton hatte es schwer im Leben.) Einer der Brunek-Jungen - Carl?, Paul?, Peter?, sie sahen alle gleich aus - drückte sich die Nase an der Vitrine mit billigen Bonbons platt. Eine Diele knarrte, wo die Cornflakes standen, aber das war nur das alte Gebäude, das sich immer tiefer in den Boden eingrub.

    Links, hinter der langen Theke, packte Michael Anton Woodbury-Seife ins Regal. Damals war er zwanzig, ein großer Junge mit schlecht sitzenden Sachen, das Haar tiefschwarz und zu kurz geschnitten, sein Gesicht etwas zu schmal, mit dem dunklen Oberlippenbart, der immer durchschimmerte, egal, wie oft er sich rasierte. Er stapelte die Seifenstücke zur Pyramide, fünf Stücke unten, vier darüber, drei darüber - obwohl seine Mutter ihm mehr als einmal klar gemacht hatte, dass sie ein standfesteres, weniger kunstvolles Gebilde lieber sähe.

    Dann fällt eine Gruppe junger Mädchen in den Laden. Eines von ihnen war gestürzt und blutet. Das ist Pauline. Und während der paar Augenblicke, in denen Michael die Wunde an Pauline Kopf verpflastert, ist es um ihn geschehen - und wohl auch um Pauline. So ist das Leben. Wir fällen unsere folgenreichen Lebensentscheidungen im Zustand einer kalkulierten Umnachtung, wir überrumpeln uns. Wir lassen einen Auftrag Herrschaft über uns ergreifen, damit es so aussieht, wir verstünden uns und die Welt, als seien wir die erfahrenen Piloten unseres Daseins.

    Es ist kurz nach dem Angriff der Japaner auf den amerikanischen Marinehafen Pearl Harbour. Es ist der Tag, an dem der Präsident sich genötigt sah, die Vereinigten Staaten in den 2. Weltkrieg eingreifen zu lassen. In den Städten feiern die Menschen ausgelassen, und Michael, nachdem er sich kurz zuvor in Pauline verliebt hatte, lässt sich von ihr und der allgemeinen Begeisterung treiben und meldet sich freiwillig. Doch er wird bereits im Ausbildungslager von einem Schuss getroffen. So entgeht er dem Krieg. Fortan hinkt er. Das dunkle Trommeln des Krieges beschleunigt bei vielen Paaren den Wunsch nach fester Bindung. Und so heiraten auch Pauline und Michael bald. Später erfahren wir, dass bereits in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft ihr persönlicher Bürgerkrieg ausbrach. Noch am Tag der Hochzeit will Pauline einen Rückzieher machen. Doch am Ende gibt sie ihr Ja-Wort. Damit beginnt die Abnutzungsschlacht auf dem Feld der Ehe.

    War es möglich, dass man die eigene Ehefrau nicht leiden konnte? Nein, natürlich nicht. Das war nur eine der Höhen und Tiefen, die jedes Ehepaar durchmachte. Er hatte gesehen, dass dieses Thema auf den Titelseiten der Zeitschriften, die Pauline immer kaufte, erwähnt wurde: "Wie stoppt man Ehekräche, bevor sie anfangen?" und: "In diesem Heft: warum streiten wir uns so oft?"

    Aber mit Sicherheit waren andere Ehefrauen nicht so unbeständig wie Pauline. So launisch, so unlogisch. (...)

    Oh, es hatte jede Menge Streitereien gegeben. Streitereien über Geld; sie gab Geld aus für Dinge, die er für unnötig hielt, für Haushaltskram, Babysachen und für dekorative Dinge, die auf Erden keinen Nutzwert hatten, während Michael besonnener war (geizig, nannte sie es). Streitereien wegen der Wohnung: Sie schwor, sie würde noch verrückt werden, so eingeklemmt in diesen luftlosen, dunklen Räumen, auf Tuchfühlung mit seiner Mutter, und sie wollte, dass sie aufs Land zögen, sobald der Krieg vorbei sei - irgendwohin mit einem Garten vorne und hinten und an der Seite auch mit Bäumen; nicht in diesen Reihenhaussiedlungen, die jetzt hier und dort zu sprießen begannen. (...)

    Selbst ihr Sexualleben war ein Anlass, sich zu zanken. Musste er jedes Mal immer ganz genau gleich anfangen? Die gleichen mechanischen Bewegungen, die gleiche eine Stellung? Michael war sprachlos. "Na, aber, ich meine, wie sonst...?" hatte er gestottert, und sie hatte gesagt: "Oh, nicht wichtig. Wenn ich es erst sagen muss, vergiss es." Und dann hatte er es vergessen.


    Nun wird sich der geneigte Hörer vielleicht fragen, ob er nach 200 Jahren sozusagen genialer Ehezerrüttungsliteratur von Balzac über Fontane bis zu Jonathan Frantzen sich noch einmal über 300 Seiten lang dem Schlachtfeld der Intimität aussetzen soll. Gegen solche durchaus berechtigten Zweifel möchte der Rezensent seine Leseerfahrung ins Feld führen. Denn es gehört zu den Mysterien der Anne Tyler, dass sie den abgestandensten aller Stoffe so erzählen kann, dass demgegenüber Berichte über Himalaja Expeditionen und U-Boot-Kriege im Meer der Langeweile versinken. Es ist allerdings nicht so, dass Pauline und Michael dramatische Entwicklungen durchleben, um sich am Ende zu Heiligen zu läutern oder aber wenigstens ihr wahres Selbst zu offenbaren.

    Wir bewundern die Hochspringer und Vielverdiener, die schönen Jäger des Sinns und die Erlösungsarbeiter aller Fraktionen, aber nach einem Roman von Anne Tyler kommen die einem allesamt wie uralte und furchtbar laute Fernsehzombies vor. Ein auf den ersten Blick reizloseres Personal als in ihren Romanen lässt sich kaum vorstellen. Es sind meist Kauze, tief verstrickt in die selbstgebaute Normalität als Lebensgeländer. Schrebergärtner ihrer provinziellen Existenz. Warum sich jemand in die Größe zu retten versucht, davon haben wir schon viel gehört. Wie sich aber jemand im Kleinen einrichtet, in der flachen Ekstase der Wiederholung sein Leben verzehrt und sich von Anfang an als Überlebender einrichtet, dafür muss man Anne Tyler lesen. In einem ihrer seltenen Interviews erklärte sie:

    Ich habe keine Weltanschauung. Als ich Eudora Welty als Jugendliche las, wurde mir klar, dass die ganz kleinen Dinge oftmals wirklich größer sind als die großen Dinge. Ich weiß, dass es da ein paar Zentralmotive in meinen Büchern gibt, die immer und immer wieder auftauchen. Ich interessiere mich sehr für die Dauer, die von Tag zu Tag geschieht. Und ich bin sehr interessiert an dem Raum um die Leute herum. Die wahren Helden in meinen Büchern sind zunächst die, die es schaffen durchzuhalten und, zweitens, die, die es anderen irgendwie ermöglichen, die Privatheit des sie umgebenden Raums zu schützen und dabei vielleicht noch Wärme erzeugen.

    Was es mit dem Raum um Personen auf sich hat, der merkwürdigen Aura von Unberührbarkeit, das erleben wir auch am Beispiel von Pauline und Michael - den Helden des Romans "Im Krieg und in der Liebe". Anfangs, wenn wir ihre Bekanntschaft machen, während sie ihre Widersprüche gegeneinander formieren und trainieren, wenn sie immer wieder auf die Barrikaden des Zorns und gar des Hasses steigen, dann möchten wir ihnen Lebensberatung zuteil werden lassen, eine gewisse Sorte geläufiger Lebensmanagement-Psychologie, um die laufende Missverständnisproduktion lahm zu legen. Doch nach kurzer Zeit nehmen wir Abstand von diesem Reflex. Wir sind draußen. Und vielleicht erleben wir die Figuren so, wie sie auch Anne Tyler erlebt:

    Ich vermute, ich arbeite mit einer Kombination aus Neugier und Distanz. Manchmal kommt es mir so vor, als schaute ich aus dem Fenster auf etwas in großer Entfernung und ich frage mich, was das sei. Aber ich will keineswegs dahin gehen. Ich bleibe am Fenster und schreibe darüber. Und so muss ich mir alle meine Neugier selbst beantworten, statt über die Straße zu gehen und zu fragen, was denn los sei.

    Und auch der Leser verharrt auf einem merkwürdige Beobachterposten. Er spürt, mit Leuten wie Pauline und Michael könnte er gar nicht ins Gespräch kommen. Sie bedürfen seiner nicht. Und man sieht aus dieser Distanz etwas ganz anderes: Wenn man die Menschen nicht erklärt, sondern nur beobachtet, dann werden sie mitten im Licht zu Geheimnisträgern. Wenn man sie aus der Rasterfahndung gängiger Menschendeutung entlässt, dann entgleiten sie ins Abenteuerliche.
    Pauline und Michael strahlen die gediegene Ruhe von Stillleben aus. Ein Stillleben zeigt Dinge, die in keinem Zweck-Mittel-Zusammenhang mehr stecken, und die nichts anderes mehr darstellen als in ihrem bloßen Sein zu leuchten. Einfach so. Pauline und Michael sind keine Großwildjäger des Sinns. Ihr Daseinsprojekt scheint sich darin zu erschöpfen, durchzuhalten, eine Familie zu gründen und ihresgleichen fortzuzeugen. Die Dynamik der Geschichte ist ihnen fremd, und an den Aufregungen der amerikanischen Pursuit of Happiness scheinen sie nicht teilzunehmen. Gleichwohl läuft ihr Leben nicht gerade rund. Von Zeit zu Zeit toben ihre wüsten Ehekräche, danach versöhnen sie sich und sie schicken sich für eine Weile in die routinierte Duldung des anderen.

    Einmal hatte er ihr völlig unvermittelt erzählt, dass er von einem Kunden eine neue Redensart gelernt habe: den Frosch ganz langsam töten. "Rate mal, woher das kommt", sagte er.

    "Ich weiß noch nicht mal, was das bedeutet", sagte Pauline. (...) "Woher?"

    "Man sagt, wenn man einen Frosch in einen Topf mit kaltem Wasser auf kleiner Flamme aufsetzt, erhitzt sich das Wasser langsam, Grad für Grad, und der Frosch spürt nicht, was passiert. Schließlich ist er tot und hat gar nichts gespürt."

    "Warum erzählst du mir das?", fragte Pauline.

    "Hmm?"

    "Du denkst, dass wir beide ganz langsam getötet werden, ja? Unsere Ehe. Und du willst behaupten, dass ich diejenige bin, die das tut."


    Ihre Kinder entwickeln sich zunächst ganz normal - was immer das heißen mag. Die älteste Tochter Lindy entwickelt sich allerdings bald zur Rebellin, angesteckt von der Stimmung der 60er Jahre. Eines Tages verschwindet sie ganz. Viele Jahre später erhalten die Eltern eine Nachricht, dass ihre Tochter in einer Drogenklinik zum Entzug steckt und deren vierjähriger Sohn allein in einer Pension in San Francisco verwahrlost. Pauline und Michael nehmen das Kind zu sich, ihre Tochter können sie nicht sehen. Und es wird sehr lange dauern, bis sie sich wieder meldet. Aber auch solche Dramen sprengen nicht den Rahmen des Stilllebens. Leute Laufen weg, andere sterben - kein Grund, die Ewigkeit beim Verrinnen zu stören: Neue Anlässe für neue Familienzusammenkünfte - und zu dauern.

    Alle Romane von Anne Tyler handeln vom Dauern der Zeit. Ihr erstes Buch hieß : "When Morning ever comes" (Wenn es endlich morgen wird), ein späteres "The clockwinder" (Der Uhrenaufzieher); "Back when we were grownups" hieß einer ihrer letzten Romane (Damals als Jugendliche), und ein anderer: "Ladder of years": (Leiter der Jahre). Die Zeit vergeht nicht, wir erschaffen uns in ihr von Moment zu Moment, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. Anne Tyler versucht, einen Blick auf dieses ganz alltägliche Dauern zu gewinnen. Was nicht der Rede Wert zu sein scheint, ist in Wirklichkeit der intimste Lebensstoff: das verblüffende Unternehmen man selbst zu sein. Die meisten Zeitgenossen werden allerdings noch nicht mal das Problem verstehen. Schließlich leben wir in einer Welt, die allen Ernstes glaubt, bis auf die letzten drei Millionstel Sekunden genau, die Entstehung der Welt durch den Urknall zu verstehen. Das Problem bleibt nur, dass wir nicht einmal verstehen, warum wir das verstehen sollen. Die Matadore des Wissens hängen Träumereien an - die sich von denen eines Michael gar nicht so sehr unterscheiden:

    Er ging zur Kasse und bezahlte seinen Kauf, reichte das Geld abgezählt, wollte keine Tüte: Draußen begutachtete er die aufgereihten Schneeschaufeln, bevor er zögernd zum Auto ging. Eisenwarengeschäfte hatten etwas Beruhigendes. Wir haben für jedes ihrer Probleme eine Lösung, lautete die tröstliche Botschaft. Zugige Fenster, vereiste Gehwege, Schimmel, Motten, Unkraut... Wir wissen Bescheid! Keine Sorge!


    Wenn wir über uns reden, verfallen wir meist in die Rhetorik der Lebensläufe mit ihrem Datenformular; Manchmal machen sehen wir uns als psychologische Fallbeispielen oder wir werden zu Historikern unserer selbst. Kurz, wir identifizieren uns stets nur im Spiegel vorübergehender und in gewisser Weise beliebiger Denkordnungen. Zwar bewaffnet mit redseligen Gründen, verstehen wir uns im Grunde doch nicht - oder vielmehr: wir verstehen uns aus den Augenwinkeln. Das ist der Blindflug des Lebens: unsere elementarste und zugleich unzugänglichste Wirklichkeit. Davon lässt sich - wie gesagt - nur erzählen.

    Fast alle Romane von Anne Tyler spielen in Baltimore, einer Metropole längst vergangener Tage an der amerikanischen Ostküste. Ein Ort, an dem die Lava der Geschichte seit geraumer Zeit erkaltet ist und an dem die Optimierungswut der Gegenwart einfach abperlt. "In Zeiten des Kriegs und der Liebe" entfaltet ganz beiläufig ein Panorama der jüngeren amerikanischen Geschichte - von Pearl Harbour 1941 bis zum Anschlag auf das World Trade Center im Jahre 2001. Sozusagen von Kriegseintritt zu Kriegseintritt. Allerdings scheint Anne Tyler darin keinen Fortschritt zu sehen, sondern nur Wiederholung. Wir erleben bis ins rührende Detail genau die Entwicklung von Michael Antons Lebensmittellädchen zum Supermarkt mit fünf Sorten französischen Senfes, wir erfahren präzise von der Evolution des Schlafzimmerdesigns und den Veränderungen durch den allmählich steigenden Wohlstand. Und auch wenn die Kulturrevolution der 60er Jahre ihnen die Tochter zu rauben scheint, die Geschichte scheint nicht mehr zu bedeuten als ein Wechsel der Kulissen, als ein Austausch der Requisiten. Zwischen der Geschichte und den Individuen klafft ein magischer Abstand. Das eine geht nicht im anderen auf.

    Auch Anne Tyler lebt seit vielen Jahren in Baltimore. Geboren wurde sie in Minnesota - und zwar 1941, in dem Jahr, da "Im Krieg und in der Liebe" beginnt. Allerdings in Minneapolis. Ihr Vater war Chemiker und ihre Mutter Lehrerin. Doch sie wuchs unter außergewöhnlichen Umständen auf, denn mit ihren Eltern verbrachte sie ihre Jugend in verschiedenen Quäkercamps im Mittelwesten - fernab der Zivilisation. Darüber berichtet sie in ihrem einzigen autobiographischen Text: "Just still writing" heißt der kurze Essay mit der für sie typischen grazilen Lakonie: "Einfach bloß schreiben". Und Anne Tyler vermutet, dass ihr lebenslang anhaltendes Staunen über die Zivilisation, ihr unmerkliches Abstandhalten von der Gesellschaft vielleicht damit zu tun hat, dass sie erst als junges Mädchen Bekanntschaft mit Dingen wie Waschmaschinen oder Fernsehern gemacht. In ihrer Kindheit zählte, Fußsohlen zu haben, so dick, dass man daran Streichhölzer entzünden konnte.

    In der amerikanischen Gegenwartsliteratur spielt Anne Tyler seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. John Updike hat einmal in einem Essay über sie geschrieben: "Anne Tyler ist nicht bloß gut, sie ist teuflisch gut." Und auch ein jüngerer Autor wie Jonathan Frantzen weiß, was er ihr verdankt. Viele ihrer Romane wurden auch in Deutschland mit großem Erfolg verlegt. Doch die deutsche Kritik scheint ihrem erzählerischen Minimalismus zu misstrauen, der atemberaubenden Ruhe ihres Erzählens und der Orgie des Normalismus fernab der üblichen amerikanischen Tragödien von Gewinnern und Verlierern. Roddy Doyle und Nick Hornby - nicht gerade Repräsentanten der Hausfrauenliteratur - haben hingegen Anne Tyler kurzerhand zur besten Schriftstellerin der Gegenwart gekürt.

    Anne Tyler: Im Krieg und in der Liebe. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christine Frick-Gerke und Gesine Stempel. List Verlag. München 2004. 336 S.