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"Das Laufen hat mir wieder diese Stärke zurückgegeben"

In Deutschland leben 67.000 Menschen mit HIV und Aids, einer von ihnen ist Ralph Ehrlich. Es war vor allem der Sport, der ihm neue Sicherheit gab. Aus dem unsportlichen Berliner wurde ein leidenschaftlicher Läufer. Am Samstag veranstaltete er seinen ersten Benefizlauf für mehr Akzeptanz von HIV-Positiven.

Von Ronny Blaschke |
    Es ist nicht der längste Lauf, es ist nicht der bekannteste Lauf, aber es ist ein Lauf mit besonderer Botschaft. Deshalb haben ihm seine Organisatoren einen hintergründigen Titel gegeben: "Life Run, Lebenslauf". Am Samstagmorgen gehen im Berliner Volkspark Friedrichshain 79 Läuferinnen und Läufer auf eine zehn Kilometer lange Strecke. Es regnet in Strömen, es ist kühl, doch Ralph Ehrlich lacht und wirkt glücklich. Der 47-jährige Berliner hat den Life Run ins Leben gerufen. Er schätzt, dass 20 Prozent der Teilnehmer HIV-positiv sind. Für sie gehe es nicht nur um den Sieg – sondern um Solidarität für eine oft vernachlässigte Minderheit.
    Rückblende. Zwei Tage vor dem Liferun in der Berliner Aidshilfe in Charlottenburg. Im Empfangsbereich geht es hektisch zu. Im Büro von Ralph Ehrlich stapeln sich Urkunden und Startnummern. Mitarbeiter füllen Verpflegungsbeutel und beantworten Anmeldeanträge. Vor zwei Jahren hat Ralph Ehrlich eine Laufgruppe für HIV-Positive gegründet. Ihre Mitgliederzahl wächst. Doch einfach ist die Aufbauarbeit noch immer nicht, ein Beispiel war die Sponsorensuche für den Liferun.
    "Obwohl mehrmals kontaktiert, überhaupt nichts zurückkam. Ich weiß jetzt nicht: Liegt das einfach daran, dass sie vielleicht zuviel zu tun haben oder liegt es vielleicht doch immer noch am Thema? Oder da immer noch scheinbar Berührungsängste sind. Viele, die halt immer noch so fragen wie: Kann man das überhaupt mit HIV laufen? Und meistens auch eher die Fragen: Was ist denn, wenn der fällt oder stürzt, kann ich den dann anfassen?"

    Ralph Ehrlich hat eine großgewachsene, drahtige Statur, er spricht mit seinem ganzen Körper. Doch es ist nicht lange her, dass er sich zu Hause einschloss, zweifelte und grübelte. 1995 hatte er seine HIV-Diagnose erhalten. Sein Arzt gab ihm noch drei oder vier Jahre zu leben. Ralph Ehrlich dachte an alles, nur nicht an Sport. Das sollte sich ändern.
    Im Volkspark Friedrichshain erinnert nichts mehr an die Resignation von damals. Vor fünf Jahren entwickelte Ralph Ehrlich einen neuen Antrieb. Er stellte seine Ernährung um und er tat das, was er sonst nie tat: Sport treiben. Er lief einfach los, immer öfter, immer länger. 2007 wurde Ehrlich Mitglied eines Projektes: 20 HIV-Positive trainierten für den Berliner Marathon. Seine Freunde fürchteten, er würde sich zu Tode rennen. Doch auf der Strecke kam es im Spätsommer 2008 dann ganz anders.
    "Und als ich dann die Vierziger-Marken sehen konnte, so die End-Dreißiger, da war einfach nur noch Freude und irgendwie habe ich nur noch geheult. Und da wurde mir bewusst, wenn ich diesen Weg weiter gehe, dass ich an dieser blöden Infektion nicht sterben werde. Und der Marathon und das Laufen hat mir wieder diese Stärke zurückgegeben, diese Sicherheit. Die Angst, die ich vorher hatte, dass mein Körper versagen könnte, das kann er natürlich immer noch. Aber mit einer ganz anderen Selbstsicherheit, und das war der Wendepunkt."
    Die Blutwerte von Ralph Ehrlich haben sich verbessert, Monat für Monat. Er hat Muskeln aufgebaut, er hat Immunsystem und Ausdauer gestärkt. Und er hat Glückshormone freigesetzt. Sport als Stütze der Therapie? Der Mediziner Bernhard Bieniek hat vor zehn Jahren eine Schwerpunktpraxis für Infektionskrankheiten eröffnet. Für Bieniek ist Ralph Ehrlich eine von wenigen Ausnahmen.
    "Früher, als es die guten Medikamente noch nicht gab, war die Furcht sehr viel größer und die Leute haben aus Verzweiflung sehr nach Strohalmen gegriffen, unter anderem auch nach Sport. Seit HIV besser behandelbar ist, wird es von vielen – ich würde sagen, von den meisten – nicht mehr zum Anlass genommen, den Lebensstil besonders gesund zu machen."
    Seit fast zwei Jahrzehnten ist HIV im Profisport ein öffentliches Thema. 1991 hatte sich der Basketballstar Magic Johnson zu seiner Erkrankung bekannt. Er motivierte sich - und er motivierte andere. Ein Jahr später gewann Johnson mit den USA Olympisches Gold. Er wurde zum bekanntesten Botschafter gegen Aids und zu einem Vorbild für eine wachsende Sportbewegung auf Amateurebene. Auch für den Läufer Ralph Ehrlich.
    Wie viele Sportler sind gezwungen, im Verborgenen mit dem Virus zu leben? In der Fußball-Kreisklasse, in der Betriebs-Turngruppe oder hier auf der Laufstrecke im Volkspark Berlin-Friedrichshain? Einige von ihnen werden ausgegrenzt, in Familie und Beruf. Gibt es für sie ein ausreichendes Sportangebot?
    "Nein, gibt es nicht. Und wie gesagt: Wir haben ja auch eine Schwimmgruppe hier, die immer noch alleine im Schwimmbad badet, weil es Probleme gab, als andere Schwimmer herausgefunden haben, dass sind HIV-Positive, sich irgendwie beschwert haben."
    Ralph Ehrlich ist ehrenamtlicher Sprecher der Berliner Aidshilfe, die in einem eigenen Sportverein für Bewegung werben möchte. So wie in seiner Laufgruppe.
    "Ich hoffe natürlich auch, dass die dadurch auch noch mal ein bisschen auch Mut bekommen, ein bisschen raus zu gehen. Es sind auch einige Leute, die auch mit Depressionen zu kämpfen haben, die sich wirklich darauf freuen, zweimal die Woche mitzulaufen und die wirklich aufblühen."