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Das Leben, die Eiszeiten und die Erde

Ob die Erde in ihrer Geschichte Phasen der kompletten Vereisung erlebt hat, ist unter Experten heiß umstritten. Derzeit steht die Theorie von der "Schneeball-Erde" auf dem Programm einer Tagung in Ancona. Weil während der Totalvereisung des Planeten andere Gesetzen gelten als in der Welt, wie wir sie kennen, ist die Rekonstruktion dieser fernen Zeiten vor Hunderten oder gar Tausenden von Millionen Jahren sehr aufwändig, und die Geologen kommen nur schrittweise voran.

Von Dagmar Röhrlich | 20.07.2006
    Die Idee vom Schneeball Erde hat schon etwas: Alle Meere sollen mit einer meterdicken Eisschicht bedeckt gewesen sein, die das Sonnenlicht abblockte. Der Himmel war immer stahlblau, es gab keinen Regen, keinen Schnee, die Welt war erstarrt. Ein hollywoodreifes Szenario. Dreimal soll sich die Erde in eine globale Eistruhe verwandelt haben, erklärt einer der Väter der Idee, Joe Kirshvink vom Caltech-Institute in Pasadena:

    " Warum es diese Schneeball-Ereignisse gegeben hat, ist immer noch ein Geheimnis. Bei dem ältesten vor 2,3 Milliarden Jahren, glauben wir, dass das Leben selbst die Eiszeit ausgelöst hat, durch Photosynthese betreibende Cyanobakterien. "

    Die produzierten reichlich freien Sauerstoff, ein neuer Mitspieler war da. Zuvor hatten jedoch andere Mikroben dafür gesorgt, dass sich die Luft mit dem immens wirkungsvollen Treibhausgas Methan gefüllt hatte. Methan und Sauerstoff vertragen sich nicht - und so "verbrannte" das Methan zu Kohlendioxid. Damals strahlte die Sonne schwächer als derzeit. Das hatte Folgen:

    " Das Klimagas Methan fiel plötzlich weg, und der Kohlendioxidgehalt allein reicht nicht aus, um die Erde warm zu halten - und die Erde kippte in eine Eiszeit. "
    Die immerhin 100 Millionen Jahre gedauert haben soll. Der Planet konnte nur aus dem Eishaus herauskommen, weil die Vulkane so lange Kohlendioxid in die Luft pumpten, bis ein galoppierender Treibhauseffekt die Erde vom Eis befreite. Die ungeheuren Mengen an Kohlendioxid in der Atmosphäre kristallisierten als Dolomit-Schlamm aus und deckten rund um die Welt die eiszeitlichen Ablagerungen zu: Deshalb werden sie Deck-Karbonate genannt. Martin Kennedy von University of California at Riverside hat die 630 Millionen Jahre alte Deck-Karbonate der dritten, der letzten Schneeball-Phase untersucht:

    " Heute entstehen solche Dolomite in warmen flachen Meeren, dort, wo man in Korallenriffen Ferien verbringt. Damals waren sie Resultat einer tief gestörten Umwelt. Sie sind deshalb so interessant, weil sie eng mit den Zyklen verbunden sind, die die Temperatur auf der Erde bestimmen. Damals lag der Kohlendioxidanstieg etwa bei heutigen Werten, und es wurde so warm, dass die Methaneisknollen im Boden schmolzen. Das ist mehrfach in der Erdgeschichte passiert, und das war immer mit großen Katastrophen verbunden. "
    Als nächstes hatte Martin Kennedy die Kohlenstoff-Isotopen in den Deck-Karbonaten untersucht. Dabei interessiert ihn das Verhältnis zwischen den beiden Varianten C-12 und C-13:

    " Das erzählt uns sehr viel über die biologische Aktivität in den Meeren, denn die Photosynthese verändert dieses Verhältnis zugunsten von C-12. Wenn wir uns die Werte ansehen, müssten vor 630 Millionen Jahren - am Ende des letzten Schneeballs - alle Lebewesen ausgestorben sein. "

    Was unmöglich ist, so Kennedy, denn vielleicht 100.000 Jahre später tauchen erstmals große Fossilien auf, die der rätselhaften Ediacara-Fauna: Es sind mehrere Meter lange, farnartige Lebewesen, die fest auf dem Meeresboden verankert in der Strömung wogten.

    " Der Schneeball kann nicht alle Lebewesen getötet haben, denn so große Organismen entstehen nicht im kurzer Zeit aus dem Nichts. Was die globale Vereisung aber wohl getan hat ist, die biogeochemischen Zyklen so zu verändern. Diese großen, farnartigen Lebewesen brauchen vor allem für ihren Stoffwechsel viel freien Sauerstoff in der Luft und der Schneeball Erde und die Klimakrise können dafür gesorgt haben, dass es viel freien Sauerstoff gab. "

    Zum einen konnten die Algen und Cyanobakterien verwandelt nach der Schmelze regelrecht explodieren, weil es so viele Nährstoffe gab. Zum anderen aber sollen damals primitive einzellige Pflanzen die Kontinente erobert zu haben. Dadurch verwitterten die Steine nicht mehr einfach zu Sand, sondern Böden entstanden. Die Bodenbildung sorgt über mehrere Stufen dafür, dass der Kohlenstoff aus dem System heraus- und der Sauerstoff in der Luft zurückbleibt. Dieser Idee zufolge wäre der Weg für die Tiere frei, und die übernahmen sofort die Kontrolle über die Erde - und seit damals hielten sie sich ihren Lebensraum selbst stabil, indem sie durch ihre Kalkschalen dafür sorgten, dass das Kohlendioxid in der Atmosphäre nicht außer Kontrolle gerät.