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Das Leben ein Traum

Palast und Grab, Aufstieg und Sturz, Erlösung und Verdammnis - das Barockdrama des Spaniers Calderón de la Barca, 1635 in Madrid uraufgeführt, ist tief geprägt von den Gegensätzen seiner Zeit. Karin Beier übersetzte nun am Burgtheater in Wien Calderons auf Gott und das Gute setzendes Stück sehr souverän in unsere skeptische Zeit.

Von Hartmut Krug |
    Höfischen Prunk und barocke Pracht gibt es nicht in Karin Beiers Inszenierung von Calderon de la Barcas moralphilosophisch-politischem Lehrstück aus dem Jahr 1634, sondern nur ein Spiel mit Zitaten und Bedeutungen. Auf Thomas Dreißigackers offener, von Scheinwerferbatterien erleuchteter und von hellbraunen Holzstühlen und Wandelementen umstellter leerer Bühne wird eine Versuchsanordnung durchgespielt.

    Die Theatersituation und -metapher versinnlicht Calderons Thema und Frage: ist das Leben ein Traum oder, und wenn ja, wie existiert eine Wirklichkeit, die wir annehmen, vielleicht gar beeinflussen können? Die Schauspieler, umringt von und eingebettet in eine wechselnde Anzahl von im doppelten Sinne spielenden Mitgliedern eines Streichorchesters, treten ins Spielquadrat und übernehmen ihre Rollen.

    Wenn Basilius, König eines fiktiven Polen, erzählt, dass er seinen Sohn Sigismund wegen böser Vorahnungen nach der Geburt in einen Turm weggesperrt hat, fährt er eine Schubkarre mit Erde herbei, die er über seinen Sohn schaufelt. Später, wenn er seinem Sohn im Kampf unterlegen ist, wird er selbst in dieser Schubkarre hereingefahren. Sigismund ist nicht wie bei Calderon angekettet und in Fell gekleidet, sondern umspielt in neutraler Arbeitskleidung seinen Stuhl.

    Wo bei Calderon Sigismund schon durch seine Erscheinung zeigt, dass er ein noch nicht zu sich selbst gefundener Mensch, ja, fast noch ein Tier ist, da muss Nikolas Ofzarek dies erst erspielen. Was den Schauspieler dazu bringt, der Figur mit zwischen spastischen Bewegungen und Haltungen zwischen Nachdenklichkeit und Aggressivität unentwegt Bedeutung zu erspielen: das ist so virtuos wie überinstrumentiert. Während Peter Simonischek, an Stöcken gehend, vor allem den herrscherisch hohen Ton pflegt.

    Beides ist eine Art von Schauspielertheater, die in sich selbst ruht. Karin Beier liebt die eindeutigen Bilder: wenn zum Beispiel der König die mit- und gegeneinander um seine Nachfolge ringenden Estrella und Astolf darüber informiert, dass er seinen verborgenen Sohn zur Probe auf den Thron setzen werde, nimmt er die beiden in den herzlichen Schwitzkasten.

    Die Erfahrungsetappen und -verwandlungen aber muss Sigismund uns vor allem erzählen, wie alle, tritt er dazu oft an ein Mikrophon an der Rampe. Calderons seitenlange Monologe wurden geschickt gekürzt für eine nur zweistündige Aufführung, und die Verse hat Sören Voima wirkungssicher flott gemacht. Karin Beier lässt zwar alle personenreich verwickelten Seitenstränge mitspielen, konzentriert sich aber ganz auf die politisch-philosophische Grundfrage des Stückes.

    Clarin, von Michael Wittenborn mit präzisem Witz als eine Figur gespielt, die sich immer heraushalten will und jedem, der ihm zu essen gibt, nach dem Munde redet, wird gerade deshalb zum Opfer. Während Sigismund, nachdem er seine Probe als Herrscher nicht bestanden hat, und, wieder aufwachend im Turm, über Sein und Dasein, Traum und Wirklichkeit, Macht und Willen nachsinnt, von Revolutionären befreit wird.

    Der zweite Teil des Stückes, in dem der Prinz die Wirklichkeit als Traum annimmt, ist ein einziges skeptisches Zitatengewitter. Sigismund, über nackter Brust einen roten Fummel und unter der modisch bunten Sonnenbrille ein Hitlerbärtchen, fährt in einem Elektroauto mit Mikronfonbatterie herein, während die von ihm geliebte Rosaura wie eine heilige Jungfrau, mit Engelsflügeln, Schwert und Heiligenschein in die Schlacht zieht, aus der sie blutbeschmiert zurück kehrt.

    Die Szenen besitzen, auch tänzerisch und musikalisch, Witz und Schwung und stellen Sigismunds Unsicherheit sehr schön und offensiv aus. Denn der nimmt, um die wiedergewonnene Macht zu behalten, sein Leben als Traum an. Nicht, weil er, wie bei Calderon, mit gewonnener Freiheit des menschlichen Willens gelernt hat, das "Rechte", sondern das für seine Wünsche nützliche zu tun gelernt hat.

    Wenn Sigismund am Schluss bei der doppelten Paarzusammenführung die von ihm geliebte Rosaura einem anderen gibt, seinem Vater verzeiht und den Revolutionär wieder in das Gefängnis steckt, dann reagieren alle auf die herrschaftsstabilisierenden, pragmatischen Entscheidungen mit "Klasse" oder anderen, heutigen Begriffen. Aber gut und geklärt ist nichts, wenn Sigismund zuletzt allein im Licht sitzt und fragt: "Wer bin ich".

    Karin Beier ist eine schwungvolle Inszenierung mit einem auf allen Positionen vorzüglich besetztem Ensemble gelungen, die Calderons auf Gott und das Gute setzendes Stück sehr souverän in unsere skeptische Zeit übersetzt.