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Das Leben stirbt

Hinter der alten, zerfallenen Farm in der weiten Ebene von Karoo steigt kahl und abweisend ein Schotterhang zum Lootsberg-Pass auf. Steil ragt er 300 Meter über die toten Bäume, die vor mehr als 100 Jahren gepflanzt worden sind, um dem Haus in der erbarmungslosen südafrikanischen Sonne Schatten zu spenden. Heute huschen nur noch Käfer und Spinnen durch die Räume, Vögel ruhen sich hier aus. Die Menschen dagegen haben den Kampf gegen Trockenheit und Hitze längst aufgegeben: Lediglich der Familienfriedhof am Fuß des Lootsberg-Pass' erzählt von ihnen. 1900 ist der letzte der Fouches gestorben, Jacobus hieß er, verrät die verwitterte Grabinschrift. Der Ort für die letzte Ruhestätte ist beziehungsreich gewählt, liegt er doch inmitten eines viel älteren Friedhofs, eines Friedhofs für urzeitliches Leben: Die Steine von Karoo erzählen von einer phantastischen Welt in grauer Vorzeit, von riesigen Schnecken und bizarren Reptilien - und sie zeugen von der größten Katastrophe, die sich je auf der Erde abgespielt hat. 250 Millionen Jahre vor unserer Zeit.

Von Dagmar Röhrlich | 31.12.2004
    Seit weit mehr als drei Milliarden Jahren gehören das Leben und die Erde zusammen. Doch es war nicht immer einfach: Manchmal stand es auf Messers Schneide, wenn das Leben in tiefe Krisen schlitterte, die alles zu vernichten drohten. Bislang soll es fünf solcher Krisen gegeben haben. Zweimal war der Bruch so tief, dass die Evolution danach vollkommen neue Wege einschlug:

    Die vergangenen 500 Millionen Jahre sind in drei große Abschnitte unterteilt. In Paläozoikum oder die alte Tierwelt, Mesozoikum, also die mittlere und Känozoikum, die neue Tierwelt. Vor fast 200 Jahren haben Geologen diese drei großen Gruppen erkannt und vermutet, dass die Arten nicht allmählich ineinander übergegangen sind, sondern dass diese Wechsel die Folgen von gewaltigen Katastrophen waren.

    Die Steine von Karoo erzählen die Geschichte vom Ende der alten und dem Anfang der mittleren Tierwelt. Es geschah abrupt. In der einen Sandsteinschicht schien die Welt in Ordnung, in der nächsten hat sich ihr Charakter fast völlig verändert. Was war geschehen?

    Das Massenaussterben am Ende des Perms steht für die tiefste Krise, in die das Leben je geraten ist. 95 Prozent aller in den Meeren bekannten Arten verschwanden.
    Die beste Datierung, die wir derzeit dafür geben können, liegt bei 251einhalb Millionen Jahren, plus minus eine halbe Million Jahre.
    Das eigentliche Aussterben scheint 10.000 Jahre zu dauern. Aber schon zuvor hatten allmähliche Veränderungen begonnen. Es war langsam wärmer und wärmer geworden, aber dann kippten wir urplötzlich aus einer üppigen Welt in einen Wüstenplaneten.

    Erst vor etwa 30, 40 Jahren setzte sich in der Geologie die Idee vom Massenaussterben durch. Schließlich widersprachen die Indizien niemand geringerem als Charles Darwin. Laut Darwin sollte die Evolution kontinuierlich voranschreiten, als Ergebnis eines Kampfes um knappe Ressourcen - ein steter Wandel, ohne Brüche. Doch Darwin irrte: Die Evolution kennt tiefe Verwerfungen - Massenaussterben, bei denen auf einen Schlag mehr als die Hälfte der Arten aus dem Spiel des Lebens katapultiert werden.

    Dahinter steckt nicht der langsam ablaufende Konkurrenzkampf zwischen den Arten. Vielmehr scheint sich bei diesen Massenaussterben die Umwelt so schnell zu verändern, dass sich viele Lebewesen nicht anpassen können und aussterben.

    Doch was kann solche Umwälzungen auslösen? Wie gewaltig müssen die Verheerungen sein, um das Leben so in die Enge zu treiben? In den vergangenen Jahren haben die Geologen viel über Massenaussterben gelernt. Auf den ersten Blick ist jede der fünf großen Katastrophen ein sehr individuelles Ereignis. Aber es gibt Muster, die allen gemeinsam sind - und aus denen lassen sich Lehren ziehen:

    Die Massenaussterben, insbesondere das am Ende des Perms vor 251 Millionen Jahren, hat eine Bedeutung für das, was heute mit der globalen Erwärmung passiert, weil der Klimawandel, den wir heute verursachen, ähnliche Probleme bringen könnte. Wir haben hier ein sehr schönes Experiment, das die Natur für uns geführt hat, aus dem wir ablesen können, was schlimmstenfalls in der Zukunft passiert.

    Die Erde vor gut 250 Millionen Jahren. Alle Kontinente sind verschmolzen: zu Pangäa, einer endlosen Landmasse, die sich vom Nord- bis zum Südpol erstreckt. Nur China und Südostasien schwimmen als Inseln im Erd umspannenden Panthalassischen Ozean. Das Innere Pangäas ist höllisch: eine Wüste, die Sommer lang und heiß, die Winter extrem kalt, nie fällt ein Tropfen Regen. Aber an den Rändern des Riesenkontinents hat es das Leben leicht. In den lichten Wäldern wachsen Ginkgo, Palmfarne und die baumgroßen Samenfarne. Insekten schwirren durch die Luft, Salamander kriechen durchs Moos, Eidechsen huschen über Steine. Die Herrscher dieser Welt sind die säugetierähnlichen Reptilien, die Therapsiden, die wie eine Kreuzung zwischen Hund und Eidechse aussehen. Zahllose Arten von ihnen streichen durch Sümpfe und Wälder. Darunter auch Gorgo.

    Wer Gorgonen erblickt, die Schreckgestalten mit ihren Schlangenhaaren, erstarrt zu Stein - so steht es in der griechischen Mythologie.

    Nun sind die Gorgonen selbst zu Stein geworden, weil die Paläontologen das größte Raubtier des Perms Gorgonopsia genannt haben - oder kurz Gorgo. Es war ein wirklich scheußliches Biest, fast drei Meter lang, und es glich einem furchtbar grimmigen Löwen.

    Noch vor 251 Millionen Jahren jagte Gorgonopsia durch das sumpfige Marschland von Karoo, immer auf der Suche nach Beute, erzählt Peter Ward von der University of Washington in Seattle. Der Professor für Paläontologie ist ein Experte für schlechte Zeiten, jedenfalls, wenn es um die geologische Vergangenheit geht.

    Ich verbrachte 20 Jahre zumeist in Europa, in wunderschönen Buchten Frankreichs. Dort habe ich untersucht, was die Dinosaurier getötet hat. Jetzt arbeite ich in Afrika daran herauszufinden, warum es die Dinosaurier überhaupt gegeben hat.

    Und das hat viel mit der Katastrophe vor 250 Millionen Jahren am Ende des Perms zu tun. Diese Geschichte hat eine Symbolfigur: Gorgo. Gorgo, erzählt Ward, stand damals an der Spitze der Nahrungskette - und fraß alles, was in seine Nähe kam.

    Es war ein grausames Biest. Sein Schädel war lang, seine riesigen Reißzähne ragten aus dem Maul, wie bei einem Säbelzahntiger. Sein Gehirn war klein - und die Haie lehren, dass man sich vor Tieren mit großen Zähnen und kleinen Hirnen in Acht nehmen sollte. Vielleicht war es auch gerissen. Seine Beine standen seitlich von seinem Körper ab, wie bei einem Krokodil, er war jedoch schneller, und sein Schwanz war kürzer - insgesamt eine sehr bizarre und Furcht einflößende Kreatur.

    Zehn Millionen Jahre lebte Gorgo auf der Erde - als Königin einer Welt, in der das Zeitalter der Säugetiere heraufdämmerte.

    Im Licht durchfluteten, warmen Panthalassischen Ozean türmen sich Moostierchen, Korallen und Schwämme zu riesigen Riffen. Etwas abseits leben Muscheln. Sie sind die Statisten auf der Bühne des Lebens. Die Hauptrolle ist besetzt mit den Brachiopoden, die - mit einem dicken, fleischigen Stiel fest mit dem Untergrund verwachsen - in den fetten, planktonreichen Lebensräumen hocken. Im Grunde sind diese kieselgroßen Tiere nichts anderes als ein mit zwei Schalen versehener Filterapparat samt angehängtem Verdauungstrakt. Über den Meeresboden kriechen Seeigel, Seelilien wiegen sich in der Strömung, die letzten Trilobiten wühlen im Schlamm. Im freien Wasser patrouillieren Haie auf der Suche nach Beute. Nie zuvor war das Leben so vielfältig wie damals, kurz bevor das Perm zu Ende ging.

    Warum sind vom Aussterben Ökosysteme in ganz unterschiedlichen Regionen der Erde betroffen? Was verursacht diese Krise? So viele verschiedene Arten in den verschiedensten Lebensräumen zu töten, ist nicht einfach. Das Problem für uns Wissenschaftler heute ist, dass wir es zwar mit einem globalen Phänomen zu tun haben, aber 250 Millionen Jahre später kaum noch Plätze finden, wo es Steine aus der Zeit gibt. Die Spuren sind wirklich sehr lückenhaft überliefert.

    Doug Erwin vom Smithsonian Museum of Natural History in Washington DC verfolgt das Schicksal der Meerestiere am Ende des Perms. Die Dimensionen des Sterbens sind unvorstellbar. Selbst Lebensgemeinschaften, die Hunderte von Millionen Jahren im Ozean existiert hatten, verschwanden.

    Zu den wichtigsten Anhaltspunkten auf der Suche nach dem Auslöser gehört, ob die Ereignisse an Land und im Meer gleichzeitig auftraten. Die Analyse von Verschiebungen in den Kohlenstoffisotopen macht uns inzwischen recht sicher, dass es fast gleichzeitig passierte.

    Die Ursache muss also für Meer und Luft dieselbe gewesen sein. Sicher ist: Als nach dem großen Sterben die Trias begann, hatte sich die Erde erheblich aufgeheizt. Was aber war ein plausibler Auslöser für diesen Treibhauseffekt? Die Spur führt nach Sibirien, wo genau zu der Zeit, als das große Sterben begann, gewaltige Basaltfluten aus dem Boden schossen. Sollte von hier der Tod über die Erde gekommen sein?

    Als das Perm zu Ende geht, liegt Sibirien weit im Norden Pangäas. Kräfte, tief unten im Inneren der Erde, beginnen zu wirken. Von der Grenze zum Erdkern ist ein "Mantelplume" aus ultraheißem Gestein wie ein Schneidbrenner quer durch den gesamten Erdmantel aufgestiegen. Die Landmasse Sibiriens hält ihn zunächst auf. Wie eine dicke Decke isoliert der Kontinent das Magma, das von unten her drückt und mit seiner Hitze mehr und mehr Gestein aufschmilzt. Ein gewaltiges Reservoir bildet sich, drängt nach oben. Irgendwann hält die Erdkruste dem Druck nicht mehr stand, reißt auf - und Basaltstrom über Basaltstrom ergießt sich über ein Gebiet, größer als Westeuropa, begräbt das Land unter einer kilometerdicken schwarzen Gesteinsdecke. Nach einer Million Jahren ist das sibirische Trap-Plateau entstanden.

    Der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre schoss vor 250 Millionen Jahren in die Höhe - genau zu der Zeit, als die Sibirischen Traps ausgebrochen sind.

    Als nach dem Ende des Perms die Trias begann, war aus der Erde ein Wüstenplanet geworden. 95 Prozent aller Meerestierarten, 70 Prozent aller Landlebewesen und Pflanzen waren tot. Waren tatsächlich die Ereignisse in Sibirien die Ursache?

    Diese Flutbasalte schufen Bedingungen in der Atmosphäre, die durchaus dem gleichen, was uns heute beunruhigt. Die Eruptionen setzten sehr viel Kohlendioxid frei, und das Ergebnis war ein Treibhauseffekt, der die Temperaturen weltweit nach oben springen ließ.

    David Bottjer von der University of Southern California in Los Angeles erforscht die ökologischen Zusammenhänge der Katastrophe aus grauer Vorzeit. Zwischen drei und zehn Grad betrug damals der zusätzliche Treibhauseffekt. Das muss eine ganze Kaskade von Reaktionen ausgelöst haben, davon ist Bottjer mittlerweile überzeugt:

    Es ist ein komplexes Geschehen. Heizt sich die Atmosphäre stark auf, erwärmen sich die Meere, und die Meeresströme verlieren an Fahrt. Dadurch gelangt weniger Sauerstoff in die tieferen Meeresschichten. Gleichzeitig arbeiten Wind und Wellen das CO2 aus der Luft auch ins Meer ein und verändern seine Chemie. Durch die erdgebundenen Prozesse eines Vulkanausbruchs startet also eine für das Leben toxische Zeit, bei der nur wenige Organismen überleben.

    In Sibirien waren 1,6 Millionen Kubikkilometer Basalt ausgeflossen - nicht gleichmäßig, sondern über eine Million Jahre hinweg, in gewaltigen Pulsen, die die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre überforderten. Gegen einen solchen Ausbruch nimmt sich der des Pinatubo wie ein Streichholzfunke aus. Außerdem setzten die Eruptionen Unmengen an Schwefel frei, der als saurer Regen auf die Erde fiel: Die Chemie des Planeten geriet weiter aus dem Gleichgewicht, die Böden versauerten.

    Wenn große Mengen an Flutbasalten ausbrechen, geht es dem Leben sehr schlecht. So etwas könnte einen Umwelteffekt hervorrufen, der einige Millionen Jahre lang anhält.

    Die Steine aus Koroo erzählen auch diese fatale Geschichte. Organische Kohlenstoffe finden sich darin in solch ungeheuren Mengen, dass die in die Luft geschleuderten Gase aus dem Inneren der Erde als Erklärung nicht ausreichen. Vielmehr muss das Magma in Sibirien Kalkschichten und Kohlelagerstätten regelrecht 'gekocht' haben. Mehr und mehr Kohlendioxid und Methan dampften heraus. Die Temperaturen kletterten weiter - in der Atmosphäre und auch in den Meeren.

    Wird es warm, könnten als nächstes die Methaneisknollen im Meeresboden geschmolzen sein. Es ist fast schon ein Domino-Effekt.

    Die gewaltigen Methanmengen, so glauben die Geologen heute, heizten dem Treibhaus Erde weiter ein. Dazu kam dann ein zweiter, noch gefährlicherer Effekt. In der Luft oxidiert Methan zu Kohlendioxid - was viel Sauerstoff verbraucht. Tatsächlich zeigen die Analysen, dass vor 250 Millionen Jahren der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre und im Ozean deutlich absank.

    Betrachtet man das Muster des Aussterbens, müssen in den Meeren die Veränderungen in der Chemie tödlich gewesen sein. Es ist erstaunlich, wie effizient das Töten war: Die Brachiopoden beispielsweise haben einen Schlag erhalten, von dem sie sich nie wieder erholten.

    Treibhauseffekt, saurer Regen, Sauerstoffmangel,...: Bedrohung addiert sich auf Bedrohung: Je mehr es sind, desto schwieriger das Überleben. Die Flutbasalte Sibiriens wären dieser Theorie zufolge der "Trigger", die Veränderungen im Klima und im Meer die "Killer".

    Als die Meerestemperaturen steigen und sich das Wasser mehr und mehr verändert, sterben die Riffe. Damit verschwindet ein ganzer Lebensraum aus dem Panthalassischen Ozean. Keine der alten Korallen, keiner der alten Schwämme überleben. Statt dessen taucht etwas auf, was seit Urzeiten vergessen scheint: Bakterienriffe. Mikroben türmen am Meeresgrund hohe Mauern und Hügel auf, denn es gibt niemanden mehr, der sie abgrasen könnte. Der Ozean verwandelt sich in eine bizarre Bakterienwelt, in der Einzeller in dicken Schleiern wabern.
    Im Erdaltertum waren sehr einfache, inaktive Organismen wie Korallen oder Brachiopoden recht verbreitet. Ihre Anatomie war schlicht: Sie hatten keinen Kreislauf und "atmeten" über den Gasaustausch an der Körperoberfläche. Ihr Stoffwechsel war niedrig, sie brauchten kaum Nahrung und wenig Sauerstoff.

    Seine ganz eigenen Gedanken zu den Ereignissen vor 250 Millionen Jahren macht sich der emeritierte Geologieprofessor Richard Bambach, der an der Harvard Universität forscht. Ihm und seinen Kollegen ist ein seltsames Muster des Überlebens aufgefallen: Obwohl in den Meeren der Sauerstoffgehalt sinkt, sterben eher die passiven Tiere wie Brachiopoden und Korallen, die ruhig am Meeresboden sitzen - obwohl sie doch eigentlich die Gewinner sein müssten.

    Aktivere Tiere wie Mollusken, Schnecken oder Muscheln, die viel Energie und Sauerstoff brauchen, litten weniger unter dem Aussterben. Das erscheint auf den ersten Blick unsinnig. Aber wenn das Meerwasser wenig Sauerstoff enthält, ist es meist kohlendioxidreich. Vielleicht ist das der Grund für dieses seltsame Muster. Kohlendioxid stört den Stoffwechsel der Meerestiere und vergiftet sie. Aktive Tiere dagegen, die viel Sauerstoff brauchen, produzieren auch bei ihrer Atmung viel Kohlendioxid. Deshalb haben sie Mechanismen entwickelt, damit fertig zu werden, etwa Kiemen für den Gasaustausch. Auch ihr Kreislauf ist darauf eingerichtet, aktiv Giftstoffe hinauszuschleusen. Die Meerestiere, die es damals nicht geschafft haben, könnten an einer Kohlendioxidvergiftung gestorben sein.

    Diese Idee hilft weiter, auch wenn noch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben müssen. Denn auch bei den Muscheln haben nicht die "fleischigen" mit dem höchsten Stoffwechsel überlebt, sondern eher die kleinen, flachen, an denen vergleichsweise wenig dran war. Der Tod hatte damals wohl mehr als eine Waffe - und vielleicht brauchten die Arten neben der richtigen Physiologie vor allem eines, um es zu schaffen: sehr viel Glück.

    Innerhalb weniger Jahrtausende erstickt der weltumspannende Panthalassische Ozean. Wenn dieses sauerstofflose, giftige Wasser durch ein Erdbeben in die flachen Buchten Pangäas schwappt, wohin sollten sich die Tiere dann noch zurückziehen? Das Sterben erfasst die letzten Winkel. Innerhalb von 10.000 Jahren ist die Welt ein Leichenhaus.

    Die Zeit danach, die Trias. Nur wenige haben überlebt, und damit fehlen die Fossilien. Jetzt erzählen die Steine von den Veränderungen in der Umwelt.
    Peter Ward:


    Die Flüsse veränderten sich plötzlich. Vor dem Ende des Perms gab es auf Pangäa große, mäandrierende Flüsse wie die Mosel. Solche schwingenden Flüsse entstehen, wenn an den Ufern Pflanzen wachsen. Bevor Pflanzen in der Erdgeschichte die Kontinente besiedelt hatten, waren alle Flüsse vom zweiten Typ, den wir heute noch vor Gletschern sehen. Sie fließen nicht durch ein einziges Bett, sondern bestehen aus vielen Flussarmen, die sich wie geflochtene Haare kreuzen. Vor der Katastrophe mäandrierten die Flüsse, danach gab es nur verflochtene. Also muss auf den Kontinenten die Vegetation abgestorben sein.

    Mit Beginn des Massenaussterbens stürzte die Photosyntheserate ab, erzählt Peter Ward. Das Leben hielt für Millionen von Jahren den Atem an, ehe es wieder auf die Bühne zurückkehrte - in neuer Besetzung. Die geochemischen Daten beweisen, dass die Ökosysteme der frühen Trias äußerst simpel und damit anfällig waren.

    In den ersten fünf Millionen Jahren nach der großen Krise sieht man kaum eine Erholung in der Artenvielfalt. Wir sehen statt dessen über die vier, fünf Millionen Jahre mehrere sehr starke Verschiebungen in den Kohlenstoffisotopen. Die Ökosysteme waren also während dieser Zeit sehr instabil.

    Der Kohlenstoffzyklus war aus dem Tritt geraten und blieb es, erzählt der Harvard-Geologe Jonathan Payne. Die Effekte der Flutbasalte können über Millionen von Jahren zu einem lang anhaltenden Stress geführt haben.

    Auf der anderen Seite hatten wir aber auch seit der Entstehung der Tiere noch nie eine so geringe Artenvielfalt auf der Erde wie damals, und das allein stört schon den Kohlenstoffzyklus. Diese Möglichkeit beunruhigt mich besonders, denn wenn wir weiterhin die Artenvielfalt so stark beschneiden, könnte das auch bei uns zu einer Destabilisierung der geochemischen Zyklen führen.

    Homo Sapiens, der "weise Mensch" hat gelernt, die Welt zu verändern. So dezimierte er nicht nur die Artenvielfalt. Seit Beginn der Industrialisierung stieg auch die Konzentration des Treibhausgases CO2 stetig an. Heute ist sie ein Drittel höher als während der kleinen Eiszeit vom Ende des Mittelalters bis zum 19. Jahrhundert. Der weise Mensch sorgt dafür, dass sich die Erde aufheizt: sehr schnell aufheizt. Angesichts eines bestimmten Musters bei allen Massenaussterben sei das mehr als besorgniserregend, meint Aubrey Manning von der Universität Edinburgh: Fünfmal in 570 Millionen Jahren sei das Leben ins Trudeln geraten. Und auch wenn die Auslöser unterschiedlich gewesen sein mögen: Immer setzten sie eine tödliche Kettenreaktion in Gang - und immer spielten schnelle Klimawechsel dabei eine zentrale Rolle:

    Als Biologe bin ich sehr besorgt über die Veränderungen, die wir hervorrufen, weil wir ein sechstes Massenaussterben verursachen könnten. Ein Massenaussterben, das diesmal nicht durch geologische Ereignisse wie gigantische Vulkaneruptionen ausgelöst wird, oder weil uns ein Asteroid auf den Kopf fällt: Wir sind es selbst. Wir verändern das Klima, wir töten Pflanzen und Tiere. Einige direkt, andere, indem wir ihre Lebensräume okkupieren und für unsere Belange umgestalten. Wir gebrauchen und verbrauchen den Planeten nach unserem Willen. Je mehr Menschen es gibt, um so mehr Raum beanspruchen wir auf der Erde als unserer Ressource.

    . Aussterben an sich ist etwas Normales: Mehr als 99 Prozent aller Arten, die jemals gelebt haben, teilen dieses Schicksal. Großzügig geschätzt hatte jede Art eine Lebenszeit von fünf bis zehn Millionen Jahren. Aber derzeit nimmt das Sterben Fahrt auf. Heute verschwinden 70 Tierarten, morgen, übermorgen ebenso.... Und wieder addiert sich Bedrohung auf Bedrohung: Klimawandel, Umweltzerstörung, Zersiedlung der Landschaft, Verlust der genetischen Vielfalt - und die größte Gefahr: die Überbevölkerung. Derzeit leben sechseinhalb Milliarden Menschen, 2050 werden es neun Milliarden sein, rechnet Richard Bambach:

    Das ist unvermeidbar. Das schreckliche Problem dabei ist, dass wir damit die Nahrungskette an ihrer Basis gefährden. Bald werden wir den ganzen Planeten darauf verwenden müssen, um Lebensmittel für die vielen Menschen zu erzeugen. Wenn wir überall Korn anbauen, wird das Ökosystem durch den Verlust der Artenvielfalt extrem empfindlich. Je einfacher ein System ist, um so leichter bricht es zusammen - wie ein Kartenhaus.

    Aber stehen wir wirklich schon am Abgrund? Die meisten Arten, die heute verschwinden, sind selten, leben in kleinen, spezialisierten Habitaten. Bei einem Massenaussterben hingegen verschwinden die weit verbreiteten Tiere. Das heißt, so betont Doug Erwin, was wir heute sehen, könnte durchaus öfter in der Erdgeschichte passiert sein, ohne dass die Erde in ein Massenaussterben gekippt wäre.

    Wir sollten alle hoffen, dass das der Fall ist. Denn wenn die Grenze zu einem Massenaussterben überschritten ist, kennen wir kein Mittel, den Sturz aufzuhalten. Es käme zu einem so riesigen Verlust an Artenvielfalt und einem so gigantischen Verlust an Ökosystemfunktionen, dass das Überleben der Menschen fraglich wäre. Ratten und Kakerlaken haben dann wohl keine Probleme, aber ich glaube kaum, dass wir das von unseren Enkeln behaupten könnten.

    Gorgo - oder korrekt: Gorgonopsia, der König des Erdaltertums, verschwindet am Ende des Perms, als er nichts mehr zu fressen findet. Seine Beute ist ausgestorben. Einer seiner entfernten Verwandten, der Pflanzen fressende Lystrosaurus hingegen erlebt den Anbruch der neuen Epoche, der Trias. Das ein Meter große Tier, das einem kleinen Nilpferd mit bizarrem Bulldoggengesicht und zwei kurzen Stoßzähnen gleicht, kommt anscheinend gut mit der kargen Welt nach der Katastrophe zurecht und verbreitet sich über ganz Pangäa. Auch andere haben überlebt, die Ahnen der Krokodile etwa, die der Schildkröten - und die der Dinosaurier. Sie sind der Stoff für die neue Zeit.

    Den zweiten Teil der Reihe mit dem Titel "Das Leben kehrt zurück" - hören Sie am Sonntag, 2.1.2004, um 16:30 Uhr