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Das Leben kehrt zurück

Karoo, ein einsamer Landstrich in Südafrika. Endlos reicht der Blick über Bergketten, die sich wie Kulissen hintereinander auftürmen. Unter sengender Sonne fressen Schafe das trockene Gras ab.

Von Dagmar Röhrlich | 02.01.2005
    Am Lootsberg-Pass über dem weiten Tal nehmen Geologen Gesteinsprofile auf - eine eintönige Geduldsarbeit: Erst den langen Stab mit den Zentimetermarkierungen anlegen, dann minutiös notieren: roter Sandstein, grobkörnig, gut gerundete Quarze. Eine Probe nehmen, beschriften, manchmal auch ein paar Bruchstücke von Fossilien einsammeln: So vergehen Tage und Wochen. Tage und Wochen, in denen die Wissenschaftler aus den Steinen rekonstruieren, wie es in Karoo vor 250 Millionen Jahren aussah: sumpfiges Marschland, Palmfarne, die an den Ufern eines großen Flusses wuchsen, Echsen, die durchs Unterholz stampften - die Welt des Perm. Dann ändert sich der Charakter des Sandsteins. Den Strom mit seinen Mäandern gibt es nicht mehr. Was ist passiert?

    Die Erde vor 250 Millionen Jahren, am Beginn der Trias. Pangäa, die gigantische Landmasse, die sich vom Nord- bis zum Südpol erstreckt, ist heiß und trocken. Staubstürme fegen über leere Weiten, verdüstern tagelang die Sonne und machen den wenigen Arten, die das große Sterben überlebt haben, schwer zu schaffen.
    Begonnen hatte die Katastrophe mit einem gigantischen Vulkanausbruch in Sibirien. Die Erde war aufgerissen und Lavafontänen schossen aus dem Boden, ein Meer von Magma quoll heraus, weit wie ein Kontinent. Das Inferno löste eine Kaskade von Ereignissen aus, die fast alles Leben vernichtete. Nun, am Beginn der Trias, ist es öde auf der Erde.

    Massenaussterben sind in der Entwicklung des Lebens entscheidende Ereignisse. Sie "neigen" dazu, die dominierenden Organismen auszulöschen und die Evolution in eine neue Richtung zu schicken, jedenfalls meistens. Nach dem Massenaussterben vor 250 Millionen Jahren am Ende des Perms, verlief die Evolution in eine vollkommen neue Richtung.

    Was damals passierte, fasziniert den Paläontologen Doug Erwin vom Smithsonian Museum of Natural History in Washington DC seit langem. Denn auch heute ist die Erde nicht gefeit vor solchen Desastern. Es wird wieder geschehen: Nur wann? In 100 Millionen Jahren? Morgen? Offen ist auch, was dann der Auslöser sein wird. Aber was ein Biozid bedeutet, das lehrt die Vergangenheit. Fünfmal schlitterte das Leben in den letzten 570 Millionen Jahren in tiefe Krisen. Die einschneidendste war die am Ende des Perm, als 95 Prozent aller bekannten marinen Arten verschwanden und mehr als 70 Prozent der an Land. Eine Klimakatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes traf damals die Erde wie ein Blitz und warf das Leben völlig aus der Bahn. 10.000 Jahre sind in der Geologie nur ein Augenblick, doch dieser Augenblick genügte, um die Hunderte von Millionen Jahre alte Welt des Erdaltertums auszulöschen.

    Normalerweise lässt sich die Evolution nie besonders lange von schweren Zeiten beeindrucken. Doch diesmal war das anders:

    Gewöhnlich gibt es ein sehr kurzes Überlebensintervall, in dem die wenigen verbliebenen Exemplare ihre Chance nutzen, sich so weit wie möglich auszubreiten. Sie schreiben das nächste Kapitel der Evolution. Zuerst entsteht kaum Neues, doch dann beginnt die "Rekonvaleszenz" des Ökosystems, in der sich sehr schnell sehr viele neue Gruppen entwickeln. Zwar dauern diese Intervalle immer unterschiedlich lang, aber nach dem größten Einschnitt ins Leben, vor 250 Millionen Jahren am Ende des Perms, erschien über endlose fünf Millionen Jahre praktisch nichts Neues.

    Warum hielt das Leben so lange den Atem an? War das 'System Erde" so nachhaltig getroffen, dass die Evolution zu Beginn der Trias wieder ganz von vorn anfangen musste?

    Fünf Millionen Jahre lang kämpft das Leben - ums Überleben. Es fehlte nicht viel, und der Planet hätte wieder den Einzellern gehört. Die Überlebenden der Katastrophe finden sich in einer fremden Welt wieder. Die Meere sind verpestet: Ihre Bewohner vom Kohlendioxid vergiftet oder erstickt, die Riffe tot. Die Herren von einst sind verschwunden. Auch die Brachiopoden, diese Organismen, die wie Muscheln aussehen, aber nichts mit ihnen zu tun haben. Über endlose Jahrmillionen saßen Brachiopoden dicht an dicht in Licht durchfluteten Meeresräumen. Doch sie haben den Sprung in die neue Zeit nicht geschafft. Wo sie früher mit weit geöffneten Schalen Plankton aus dem Wasser filterten, wabern jetzt Bakterien. Oder es sitzen dort Muscheln wie früher sie, dicht an dicht, Abermillionen Kopien ein- und desselben Organismus'. Denn auch von den Muschelarten des Erdaltertums hat nur eine Handvoll überlebt.

    Faszinierend an der frühen Trias ist, dass wir wieder Strukturen in den Sedimenten finden, die es seit Hunderten von Millionen Jahren, seitdem die Tiere auf der Erde erschienen sind, kaum mehr gegeben hat. Jetzt gibt es wieder Bakterienriffe und Mikrobenmatten, denn sie werden nicht mehr abgefressen.

    Die frühe Trias war eine der ungewöhnlichsten Zeiten auf der Erde, erklärt der Paläoökologe David Bottjer vom Geologischen Institut der University of California in Los Angeles. In flachen Meeresbecken wuchsen sogar riesige Fächer aus Kalkkristallen auf dem Schlick. Auch die waren seit Äonen verschwunden: Denn das Plankton hatte viel Kalk für seine Schalen verbraucht, und über und im Boden waren genug Lebewesen gekrochen, um jedes Kristallwachstum zu verhindern. Jetzt mussten weite Meeresbecken wie leergefegt sein. Die Lebensvielfalt war vernichtet. Es herrschten andere Gesetze:

    Einige Organismen kommen in der gestörten Umwelt gut klar. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht an eine kleine, begrenzte Nische gebunden sind. Überstehen sie - durch Zufall oder mit viel Glück - das Massenaussterben, vielleicht, weil sie sich gerade an einem weniger betroffenen Ort aufhalten, dann ziehen sie unmittelbar danach ihren Vorteil daraus. In der frühesten Trias boomten diese opportunistischen Lebewesen.

    Ihre Ökosysteme waren im besten Fall "minimalistisch". Als die Katastrophe Fahrt aufgenommen hatte, waren die Nahrungsketten zerrissen und die Lebensräume verschwunden. Wer trotzdem gerade noch überlebte, hatte plötzlich keine Konkurrenz mehr. Arten, die zuvor bescheiden am Rand existiert hatten, vermehrten sich explosionsartig.

    Die Bedingungen waren jetzt gerade richtig für sie, sodass sie regelrecht ausflippten. Plötzlich waren sie überall, auch da, wo sie normalerweise nicht auftauchten. Auch das zählt zu den ungewöhnlichen Dingen in der frühen Trias. Wir finden Steine, die voll sind von winzigen Schnecken, die damals eine gewaltige Blüte erlebten. Wie konnte so etwas ökologisch überhaupt noch funktionieren? Mit so wenigen Arten in einem Ökosystem, und die sind nach dem Massenaussterben auch noch so viel häufiger als zuvor?

    Durch die Katastrophe ist sogar die Luft eine andere geworden: Der Sauerstoffgehalt ist gesunken, dafür heizt immer noch das Kohlendioxid der Erde ein. Wo früher üppiger Wald stand oder weites Marschland, leben jetzt nur noch Pilze auf verrottendem Holz. Sie sind das letzte, was von den Wäldern und Sümpfen Pangäas bleibt. Langsam, langsam breiten sich von Norden her die Nadelbäume aus und erobern den Kontinent. Die Trockenheit macht ihnen nichts aus. Ihre Zeit ist gekommen. Auch an den Flüssen lebt ein Fleisch fressendes Reptil, das bislang ein Schattendasein gefristet hat: Proterosuchus fergusi, der Urvater der Saurier, er jagt Fische und Amphibien. Noch geben seine Konkurrenten, die früher so stolzen säugetierähnlichen Reptilien nicht auf. Bei ihnen hat Lystrosaurus überlebt: eine Art Mininilpferd mit einem stumpfen, stoßzahnbewaffneten Maul. Er kam über die Krise hinweg, weil er noch mit der härtesten Pflanzenkost fertig wird, selbst mit Wurzeln, die er im Boden aufspürt. Es sieht gar nicht schlecht für ihn aus. Lystrosaurus verbreitet sich über ganz Pangäa, vom Nordpol, bis zum Südpol. Er ist ein Kosmopolit - aber gegen die Saurier wird er verlieren.

    Ich glaube nicht, dass es bei diesem Aussterben im Perm Unterschiede in der Verwundbarkeit gab. Den echten Reptilien, den Vorfahren der Saurier also, erging es in der Krise ebenso schlecht wie den säugetierähnlichen Reptilien. Nach dem Sterben jedoch war die Welt eine andere als zuvor - und die Veränderungen bevorzugten die Saurier. Ich glaube, ich weiß, warum: Die geochemischen Daten zeigen, dass der Sauerstoffgehalt gefallen war und lange niedrig blieb. Säugetieren geht es bei hohem Sauerstoffgehalt in der Luft gut, bei niedrigem schlechter, während dann die Reptilien aufblühen. Das am höchsten entwickelte Reptil ist der Vogel, und der fliegt noch in Höhen von mehr als 10 Kilometern, wo der Sauerstoffgehalt gering ist. Säugetiere können das nicht annähernd.

    Die Vogellunge stammt aus der Saurierzeit, erzählt Peter Ward von der University of Washington in Seattle.

    Es scheint diesen Lungentyp schon bei den frühen Sauriern gegeben zu haben. Wahrscheinlich wurden sie deshalb in einer Luft mit hohem Kohlendioxid- und niedrigem Sauerstoffgehalt so dominant. Wir Säugetiere halten uns immer für überlegen, aber wir vergessen, dass wir stammesgeschichtlich sehr alt sind, älter als die Dinosaurier. Unsere Lungen sind sehr primitiv im Vergleich zu denen der Saurier und Vögel.

    Seitdem Bakterien die Photosynthese entwickelt hatten, trieb ein Mehr oder Weniger an Sauerstoff die Evolution zu erstaunlichen Blüten. Insekten etwa atmen über Tracheen, wobei der Sauerstoff aus der Luft direkt ins Blut wandert. Eine nicht sonderlich effiziente Methode also. Als vor mehr als 350 Millionen Jahren nach dem Auftreten des Holzes mächtige Kohleflöze entstanden, sprang der Sauerstoffgehalt der Luft auf mehr als 30 Prozent. Das gab den Insekten die Chance, riesig zu werden. Libellen mit einer Spannweite von 70 Zentimetern flogen durch die Wälder, ein Kakerlakenahne erreichte eine Größe von einem halben Meter, und zahllose Beine trugen einen zweieinhalb Meter großer "Tausendfüßer" durch den Wald. Die Welt mit viel Sauerstoff erscheint heute bizarr, aber nicht weniger ungewöhnlich ist die sauerstoffärmere Welt der Trias. Sie ließ die Stunde der Reptilien schlagen.

    Nach dem Sterben beginnt ein Wettlauf, das Rennen der Artentstehung. Die säugetierähnlichen Reptilien brachten zwar nach wenigen Millionen Jahren die echten Säugetiere hervor. Aber unter dem enormen Umweltdruck blieben sie klein. Die Dinosaurier waren es, die groß wurden. Bei diesem Rennen geht es jedoch nicht nur darum, wer am schnellsten neue Arten erfindet, sondern auch darum, wer am schnellsten die größten Arten bekommt - und Größe gewinnt.

    Erstens hat man weniger Fressfeinde, zweitens scheint in einer Welt mit knappem Sauerstoff Größe ein Vorteil zu sein. Drittens braucht man sich nicht um warm- oder kaltblütig zu kümmern, denn irgendwann kühlt der Körper nicht mehr aus - das heißt, man braucht auch weniger Energie. Und während die kleinen Säugetiere dauernd fressen müssen, können die Reptilien es "gemächlicher" angehen lassen.

    Standen vor der Katastrophe die säugetierähnlichen Reptilien, die Therapsiden, an der Spitze der Nahrungskette, wendete sich danach das Blatt:

    In der Welt der Vorsäugetiere waren die Vorfahren der Dinosaurier sehr klein. Die Reptilien insgesamt bildeten eine unbedeutende Gruppe am Rande. Sie waren nicht sehr zahlreich, sie waren nicht dominant und wahrscheinlich nicht sehr glücklich mit ihrer Rolle im Leben.

    Ohne dieses Massenaussterben hätten wir niemals Dinosaurier gehabt. Statt dessen hätten innerhalb weniger Millionen Jahre die echten Säugetiere die Welt übernommen, denn ihre Evolution ist durch das Zeitalter der Dinosaurier zunächst unterdrückt worden. Das Saurierzeitalter hat 160 Millionen Jahre verschwendet. Die Intelligenz hätte 160 Millionen Jahre früher entstehen können, und eben nicht erst jetzt.

    Fünf Millionen Jahre lang scheint das Leben auf der Erde zu stagnieren. Dann ist es, als bräche die Sonne nach der Sintflut wieder durch die dunklen Wolken: Das Leben erholt sich. Zunächst hat die Evolution im Verborgenen Fahrt aufgenommen, jetzt aber erscheinen die neuen Arten wie aus dem Nichts. Zu den Ahnen dieser neuen Welt gehört eine See-Anemone. Wo sie das große Sterben überlebt hat, weiß niemand. Aber sie entwickelt ein hartes Außenskelett und erschließt sich so den "Lebensraum Riff". Wer in der Krise zunächst zu den Gewinnern zählte, dem kann es nun schlecht ergehen. Denn nun greifen wieder die alten Gesetze vom Wettbewerb, vom Überleben des Stärkeren. Manche Schnecken etwa überstehen die Katastrophe und auch noch die schlimme Zeit danach. Aber in der neuen Welt zählen sie zu den Verlierern. Die altertümlichen Tiere haben so große Schalenöffnungen, dass die neuen Krebse sie problemlos mit ihren Scheren herausziehen können. Für diese Schnecken ist das das Todesurteil. Jetzt leben viel mehr Räuber. Das Leben ist ungemütlicher geworden. Doug Erwin:

    Auch nach der großen Krise ging das Sterben weiter. In der frühen Trias verschwanden etliche Gruppen. Sie hatten den Schock zunächst überlebt, konnten sich aber in der neuen Umwelt nicht halten. Es gab also noch eine zweite, kleinere Krise, die viele der zunächst Überlebenden auslöscht. Wir fanden sogar Überlebende der Katastrophe, die die nächsten fünf Millionen Jahre in der Trias überstanden - aber dann verschwanden, als es endlich besser wurde und sich neue Ökosysteme entwickelten - so, als gäbe es in der neuen Welt keinen Platz mehr für sie. Die Evolution schlug einen neuen Weg ein, und verdrängte dabei einige der Überlebenden.

    Jeden erreichbaren Fleck auf Pangäa hatten zunächst die Opportunisten besetzt. Die Analyse von Meeressedimenten zeigt, dass es zu Beginn der Trias nur ein Hundertstel der Lebensvielfalt gab, die zuvor da war. Erwin:

    Die interessante Frage ist nun, wie unter diesen Umständen ein Ökosystem neu entsteht. Unsere früheren Modelle gingen vom "Neufüllen" der verlassenen Nischen aus, wie bei einem Schachbrett, von dem das Massensterben einfach Figuren wegwischt, und danach einfach neue Figuren wieder aufstellt, so als blieben die Räume erhalten, als Erbe des alten Ökosystems an die neue Welt. Das ist falsch, denn dann müssten ja die Nischen das Aussterben überlebt haben, während sie doch in Wirklichkeit mit den Arten verschwunden sind, die in ihnen gelebt hatten. Um zu verstehen, was nach dem Aussterben passierte, müssen wir erst einmal lernen, wie Ökosysteme neu gebildet werden.

    David Bottjer:
    Einige der Überlebenden schienen nie wieder Organismen hervorzubringen, die sich die neue Ökologie zunutze machen konnten. Andere brauchten lange dazu. Massenaussterben sind eine Art Filter: Die einen kommen durch, die anderen nicht. Von denen, die durchkommen, etablieren sich manche nur sehr langsam wieder, andere schaffen das sofort. Das strukturiert wirklich viel in der Geschichte des Lebens.

    Der Sprung in die Zukunft gelang nur mit viel Glück: Etwa dem Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Denn was auffällt ist, dass die Ahnen der neuen Lebenszeit aus ganz bestimmten Regionen Pangäas kamen. Offenbar geschützten Rückzugsgebieten

    David Bottjer:
    Im Meer waren die Bedingungen wohl gleichmäßig schlecht. Allerdings hatte die Katastrophe die Fauna in der Nähe des Nordpols weniger stark getroffen als anderswo - und die Tiere kehrten dort auch schneller zurück. Im polaren Klima bei Spitzbergen und Kanada erholte sich das Leben sehr viel schneller als in tropischen Breiten.

    Wobei "polares Klima" relativ ist. Eis gab es nirgends auf der Erde. An den Polen war es nur kühler als sonst auf dem Wüstenplaneten. Und es gab noch ein zweites, sehr wichtiges Rückzugsgebiet.

    Doug Erwin:
    Der große Superkontinent Pangäa enthielt damals alle Landmassen außer China und Indochina, die als Inseln vor der Küste lagen. Dort war das Klima offenbar nicht so extrem. Denn betrachten wir das Muster des Aussterbens, sieht es so aus, als ob Pangäa sehr viel höhere Verluste erlitten hätte als die vorgelagerten Inseln, denn viele der Überlebenden kamen aus Ostasien.

    Es dauerte vier, viereinhalb Millionen Jahre, ehe es langsam wieder besser wurde. Dann erholte sich das Leben plötzlich sehr schnell. Viele neue Arten entstanden, deren Ahnen bis dahin scheinbar verschwunden waren. Sie hatten wohl das Aussterben und die Zeit danach versteckt in einer Nische überstanden. Wir nennen sie die Lazarus-Taxa, weil es so aussieht, als wären sie von den Toten auferstanden.

    Abstammungslinien tauchten scheinbar aus dem Nichts auf. So sind etwa die Opportunisten-Muscheln der frühen Trias nicht der Ausgangspunkt für die Muscheln, die sich später in ungeheurer Vielfalt ausbreiten sollten: Deren Ahnen haben irgendwo überlebt - niemand weiß, wo, so David Bottjer:

    Es gibt verschiedene Arten von Erfolg nach einem Massenaussterben. Den schnellen, der von kurzer Dauer ist, den der meisten Opportunisten. Oder man wird fast vernichtet, wie die Crinoiden, von denen nur ein oder zwei Gattungen überlebt haben. Aber später kamen die dann wieder zurück. Wenn man nur zwei Individuen durch ein Massenaussterben bringt, kann das Genom überleben - und man selbst lebt weiter.

    Mit jedem Organismus, der zurückfand oder neu hinzukam, wurde das Ökosystem komplexer - und damit wuchsen die Chancen für alle. Je vielfältiger und vernetzter Habitate sind, desto stabiler sind sie auch. Die meisten der Opportunisten dagegen, die zunächst wie die glücklichen Sieger aussahen, hielten in dieser neuen, komplexen Umwelt nicht mehr mit. Sie konnten dem Druck der Veränderungen nicht standhalten, und obwohl sie zunächst jede erreichbare Nische besetzt hatten, mussten sie sich zurückziehen - und am Rande des Geschehens wieder auf schlechte Zeiten warten.

    Noch immer ist Pangäa ein Wüstenkontinent. Die Zeit hat längst nicht alle Wunden geheilt. 100 Millionen Jahre nach der Katastrophe ist die Luft noch immer arm an Sauerstoff und noch immer ist die Welt sehr warm. Die Saurier beherrschen die Erde. Für sie scheint es keine Grenzen zu geben. Das Land haben sie schnell okkupiert, auch das Meer. Fischsaurier jagen hier zusammen mit Krokodilen nach Beute, Schildkröten haben ihre Wanderungen durch die Weltmeere aufgenommen, immer auf der Suche nach Quallenschwärmen. Die Saurier schaffen sogar den Sprung in die Luft, entthronen damit die Insekten am Himmel. Und während dieser ganzen Zeit huschen die Säugetiere klein und möglichst unauffällig durch die nachgewachsenen Wälder, stets auf der Hut vor den gefräßigen Sauriern. Als die Trias zu Ende geht, hat das Leben eine neue Blüte erreicht.

    Die Trias ist ein Zeitalter, das geprägt ist von Klimakatastrophen. Eine stand an ihrem Beginn, eine andere an ihrem Ende, als erneut Flutbasalte ausbrachen, diesmal dort, wo sich Südamerika und Afrika voneinander lösten. Und wieder kippte das Klima, erzählt Peter Ward:

    Das Phänomen Globale Erwärmung gab es nicht nur am Ende des Perms. Wir haben noch ein zweites Massenaussterben am Ende der Trias, das auch durch einen Ausbruch von Flutbasalten und einen großen Hitzepuls im Anschluss entstanden ist. Mindestens sechs oder sieben Mal in der Erdgeschichte gab es plötzliche Erwärmungen, die immer von großen und kleinen Aussterben begleitet waren. Erwärmungen sind gefährlich, und wir sollten unseren Politkern sagen, dass sie sich in ihrem Zeitplan eine Stunde frei nehmen und ein Buch über die früheren Massenaussterben lesen sollten.

    Denn Massenaussterben sind kein abgeschlossenes Kapitel in der Erdgeschichte. Es kann wieder passieren - und diesmal kann durchaus der Mensch zum Auslöser werden. Die entscheidende Frage ist: Schafft er es, durch seinen hausgemachten Klimawandel und seine schrankenlose Ausbreitung über den Planeten, die Ökosysteme an der Basis zu treffen? So, wie es die großen Massenaussterben getan haben? Doug Erwin vom Smithsonian-Institut:

    Angesichts der Komplexität moderner Ökosysteme lässt sich sehr schwer vorhersagen, welche Art kritisch für das Funktionieren eines Ökosystems ist und wer verschwinden kann. Gott zu spielen ist sehr riskant. Unvorhersagbarkeit ist ein Markenzeichen der Massenaussterben. Wer hätte angesichts eines Tyranno saurus rex geahnt, dass diese kleinen, rattenartigen Säugetiere einmal die Welt beherrschen würden? Dass sie mit Homo Sapiens eine Art hervorbringen, die den Planeten stärker dominiert und verändert, als alles jemals zuvor? Eine Art, die bestimmt, wer überlebt und wer nicht?

    Die Zivilisation des Menschen reicht nicht weit in die Erdgeschichte zurück. Ein paar Tausend Jahre nur, ein Nichts. Aber der Mensch, homo sapiens, der weise, denkt in noch weitaus kürzeren Zeiträumen. Politiker meist sogar nur in Zeiträumen von vier Jahren. Massenaussterben haben da ganz andere Dimensionen. Verschwinden komplexe Ökosysteme, ist das vom menschlichen Standpunkt aus für immer. Zwar mögen Katastrophen dem Leben als solchem neue Chancen eröffnen - aber nur auf sehr lange Sicht. Und nicht unbedingt für die Zivilisation.: Doug Erwin:

    Massenaussterben schaffen Möglichkeiten. Es ist niemals klar, welche Art die Chance nutzen kann. In vielerlei Hinsicht war das Massenaussterben am Ende des Perms das beste, was dem Leben je passiert ist. Leben ist heute sehr viel vielfältiger als zuvor. Wir haben viel mehr ökologische Systeme, wir haben viel fettere und nahrhaftere Lebewesen in den Meeren, unsere Welt ist viel reicher als die des Perms - und das reflektiert das Geschehen von damals. Auf sehr lange Sicht mag es etwas Gutes sein - aber es dauert zehn Millionen Jahre und mehr, ehe jemand den Vorteil daraus zieht. Für den kurzfristigen Erfolg gibt es kein Rezept.