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Das letzte Wort dem Volke?

Im Fürstentum Liechtenstein hat bei allen Entscheidungen des Landtags der Fürst das letzte Wort. Kritiker brachten eine Volksabstimmung gegen diese Regelung auf den Weg. Prinz Hans-Adam II. drohte daraufhin mit Wegzug aus Liechtenstein - undenkbar für seine Untertanen.

Von Thomas Wagner |
    Dörfliche Idylle mitten im Zentrum eines eigenständigen Staates: Gleich neben der katholischen Pfarrkirche in der Liechtensteiner Hauptgemeinde Vaduz befindet sich das neoklassizistische Regierungsgebäude. Es gleicht eher einem älteren Schulhaus. Dahinter, an der steil nach oben ragenden Felswand, steht ein moderner, beigefarbener Flachdachbau. Dort hat Paul Vogt seinen Arbeitsplatz: Der 60-Jährige ist Leiter des Landesarchivs. Paul Vogt ist ein politisch interessierter Bürger. Kritisch hat er sich mit der 2004 verabschiedeten Liechtensteiner Verfassungsänderung beschäftigt. Die räumt Staatsoberhaupt Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein ein Vetorecht bei Gesetzesbeschlüssen ein. Paul Vogt empfindet das als undemokratisch:

    "Für uns war es klar, dass das Volk das letzte Wort haben soll. Es ist ja in unserer Verfassung so geregelt, dass, wenn ein Beschluss des Landtages oder einer Volksabstimmung vorliegt, der Fürst immer noch das Recht hat, das zu unterschreiben oder auch nicht. Er macht einfach nichts – und dann ist das abgelehnt."

    Gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten hat Paul Vogt eine "Volksinitiative" ins Leben gerufen. Diese fordert eine Volksabstimmung über das umstrittene Vetorecht ihres Fürsten. Anlass ihres Unmutes war das "Nein" ihres Staatsoberhauptes im vergangenen Oktober. Der Fürst hatte mit seinem Veto verhindert, dass Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Umständen in Liechtenstein straffrei sein sollen, ähnlich wie in den Nachbarländern Schweiz und Österreich:

    "Egal, wie der Landtag oder das Volk entscheiden würden – er sagte: Er könne sich das nur so vorstellen, dass man Schwangerschaftsabbrüche im Ausland straffrei durchführen kann, aber nicht im Inland."

    Der Vorgang brachte das Fass zum Überlaufen: Paul Vogt tat sich mit Gleichgesinnten zusammen, um das Vetorecht des Fürsten per Referendum zu kippen. Doch obwohl dies ein Schritt hin zu mehr Demokratie bedeuten würde, stößt er dabei auf große Widerstände – beispielsweise bei Alexander Batliner, dem Vorsitzenden der "Fortschrittlichen Bürgerpartei" Liechtensteins:

    "Das Präsidium der Fortschrittlichen Bürgerpartei hat sich einstimmig gegen diese Initiative ausgesprochen. Das Fürstenhaus hat sehr restriktiv von diesem Vetorecht Gebrauch gemacht. Und es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern."

    Wer das fürstliche Vetorecht als undemokratisch bezeichnet, verstehe das politische System in Liechtenstein nicht richtig, kritisiert Batlinger:

    "Wir haben zwei Souveräne im Land: auf der einen Seite der Fürst und auf der anderen Seite das Volk. Das ist ein duales System, das im Gleichgewicht balanciert. Das heißt: Es kann das Volk oder der Landtag als Vertretung des Volkes kein Gesetz ohne Sanktion des Fürsten in Kraft setzen. Es kann aber auch das Fürstenhaus kein Gesetz auf den Weg bringen, ohne dass der Landtag zustimmen würde. Alles ist in der Balance, sodass in der Balance immer beide Souveräne zustimmen müssen, bis ein Gesetz in Kraft treten kann."

    Schließlich hätten die Liechtensteiner in einer Volksabstimmung die derzeit gültige Verfassung mit einer Zweidrittelmehrheit abgesegnet, betont Batliner. Die sei demokratische Legitimation genug. Was der Parteivorsitzende aber nicht offen anspricht: Seinerzeit hatte Staatsoberhaupt Fürst Hans-Adam II. ausdrücklich mit seinem Wegzug aus Liechtenstein gedroht, sollte er in seinen angestammten Rechten als Monarch beschnitten werden. Für die meisten Liechtensteiner wäre dies ein unvorstellbares Szenario.

    Martin Hasler ist Politik- und Wirtschaftsredakteur beim "Liechtensteiner Volksblatt". Er kennt die Mentalität seiner Landsleute nur zu genau – und weiß auch, warum die Liechtensteiner ihren Fürsten so sehr schätzen:

    "Er wird gesehen, dass das Fürstenhaus einen maßgeblichen Anteil daran hatte, dass das Fürstentum in den letzten sechs, sieben Jahrzehnten so einen steilen Aufstieg hatte, der natürlich durch die starken Banken, durch den starken Finanzsektor bedingt war, andererseits durch die niedrigen Steuern, die dafür sorgten, dass sich sehr viele Unternehmen ansiedelten."

    Dies haben die meisten Bürgerinnen und Bürger in dem kleinen Fürstentum im Hinterkopf. Einerseits sehen die das fürstliche Vetorecht als undemokratisch an. Andererseits wollen sie den Fürsten durch eine Beschneidung seiner Rechte nicht verärgern:

    "Eigentlich finde ich es schon nicht in Ordnung, wenn in einer Demokratie ein Einziger das letzte Wort hat. Aber ich denke, der Fürst macht Liechtenstein doch auch aus. Und deshalb ... ich wüsste jetzt selbst nicht, wie ich stimmen wollte."

    "Also als Demokrat kann ich da nur sagen, dass ich das Vetorecht schon auch infrage stelle. Wir sind natürlich in Europa eine Erbmonarchie auf demokratisch-parlamentarischer Grundlage. Es ist schon sehr fragwürdig."

    "Also ich denke, das Volk sollte das letzte Wort haben. Und das wäre ja nicht so schlimm für den Fürsten. Er würde ja nicht vom Thron gestoßen. Er hätte ja auch ein Wort mitzureden. Nur hätte er nicht mehr alleine das letzte Wort. Ich möchte, dass das Volk das letzte Wort hat."

    Das Fürstenhaus selbst hat nur mit einer knapp formulierten Mitteilung auf die Volksinitiative reagiert: Das Vetorecht des Fürsten sei nur durch die Abschaffung der Monarchie zu kippen, hieß es da. Der Fürst weiß selbst nur zu genau, dass das kaum einer in Liechtenstein ernsthaft will. Deshalb kann er mit Zuversicht der voraussichtlich im September stattfindenden Volksabstimmung entgegensehen.