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Das liebe Geld

"Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles", so seufzt schon das Gretchen in Goethes "Faust". Regiert Geld die Welt - darüber hat das Philosophicum in Lech am Arlberg diskutiert. Welche Idee steckt hinter dem Geld, was ist seine Bedeutung und wie hängt alles zusammen, lauteten einige der Fragen.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 21.09.2008
    Der Zürsbach und der Lech rauschen durch den Ort und symbolisieren auf ihre Weise das große Thema Liquidität. Die Tagung findet in der Dorfkirche statt - ein kräftiger Hinweis auf die metaphysische Dimension des Geldes. Und dann diese Koinzidenz: Während drinnen über den illusionären Charakter des Geldes philosophiert wird, tobt draußen die Weltfinanzkrise. Selten war ein Kulturkolloquium derart eng mit der Aktualität des Zeitgeschehens synchronisiert wie dieses. Das konnte der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann als Veranstalter des Philosophicums vor Jahresfrist, als er das Thema wählte, natürlich nicht voraussehen; deshalb ist eher zu vermuten, dass er die Weltfinanzkrise selbst ausgelöst hat. Mephistophelische Magie ist sowieso immer im Spiel, wenn es um Geld geht.

    "Was ist das Faszinierende? Es ist, meine ich, gerade der alchemistische Charakter der modernen Wirtschaft. Heute wird die Alchemie zwar als Aberglaube abgetan. Es heißt, dass sich seit dem Aufkommen der modernen Wissenschaften die Goldmacherei endgültig als Illusion erwiesen habe, dass niemand mehr sinnlos seine Zeit für solch abstruse Vorhaben vergeuden wolle. Ich behaupte etwas anderes. Die Versuche zur Herstellung des künstlichen Goldes wurden nicht deswegen aufgegeben, weil sie nichts taugten, sondern weil sich die Alchemie in anderer Form als so erfolgreich erwiesen hat, dass die mühsame Goldmacherei im Laboratorium gar nicht mehr nötig ist."

    Der St. Galler Nationalökonom Hans Christoph Binswanger liest die ganze moderne Wirtschaft im Spiegel von Goethes Faust. Was er dabei als "Alchemie in anderer Form" bezeichnet, gehört zum rätselhaften Wesen des Geldes selbst. Was Geld genau sei, können nicht einmal Fachwissenschaftler eindeutig und einhellig sagen. Die klassischen Funktionsbestimmungen als Tauschmittel, als Wertaufbewahrungsmittel und als Zählmittel reichen zur Beschreibung bei weitem nicht aus:

    "Das Geld symbolisiert nicht nur die Dinge und ihren Tauschwert, es symbolisiert auch die Idee des reinen Geltens. Geld gilt, und sonst nichts. Umgekehrt: Geld, das nicht gilt, ist kein Geld. Und ich denke, dass das, was wir die Magie des Geldes nennen können, ganz wesentlich mit dieser Funktion zusammenhängt, weil wir hier spüren: Hier wird uns vor Augen geführt, was tatsächlich Gültigkeit und Geltung, reines Gelten an sich bedeutet. "

    Liessmann hat diesen Gedanken von Georg Simmel übernommen, dessen "Philosophie des Geldes" im Jahr 1900, zeitgleich mit Sigmund Freuds "Traumdeutung", erschienen ist und für die Gelddeutung ähnliche Wichtigkeit besitzt. Die Absolutsetzung des Geltens macht das Geld zu einem wahrhaft universellen Medium, das alles durchdringt und alles mit allem vermittelt. Nichts anderes meint Goethes Vers im Faust, demzufolge Geld die Welt im Innersten zusammenhält.

    Dahinter steckt eine enorme Abstraktionsleistung; Geld ist ohne Zweifel eine der größten geistigsten Schöpfungen des Menschengeschlechts. Ja, für die Sophisten war alle Philosophie bloß ein Epiphänomen des Geldverkehrs, wie der Mannheimer Philologe Jochen Hörisch erläuterte.

    "Ein so souveräner Kenner der frühen Antike wie Nietzsche hat das prägnant auf den Begriff gebracht: "Preise machen" - schreibt Nietzsche, "Werte abmessen, Äquivalente ausdenken, tauschen" - schreibt Nietzsche -, "das hat in einem solchen Maße das allererste Denken der Menschen präokkupiert, dass es in einem gewissen Sinne das Denken selbst ist. Hier ist die älteste Art Scharfsinn herangezüchtet worden; hier möchte ebenfalls der erste Ansatz des menschlichen Stolzes, seines Vorranggefühls in Hinsicht auf anderes Getier zu vermuten sein." - Menschen sind also Wesen, die Geld haben. Das können Tiere nicht. "

    Hegel fand, im Geld sei "das formale Prinzip der Vernunft vorhanden". Marx bezeichnete die Logik als "das Geld des Geistes". Dies alles sind Zeugnisse für die eine kulturhistorische Spur des Geldes, die der Rationalität verbunden ist. Die andere ist die irrationale, metaphysische, transzendentale.

    Geld ist, das wusste schon Aristoteles, vor allem eine Frage des Glaubens; wenn nicht an seinen Wert geglaubt wird, gilt Geld nichts. Aber die religiösen Implikationen gehen darüber noch weit hinaus und schlagen sich im selben Grunddesign von Münzen und Hostien nieder und in den Begriffen: Hinter Schulden steht die Schuld, hinter dem Erlös Erlösung und hinter dem Kaufpreis von Dingen der Lobpreis Gottes. Im Kaufakt vollzieht sich das Wunder der Wandlung, eine profane Art der Transsubstantiierung. Und so weiter.

    Im Grunde ist Geld ein durch und durch wahnhaftes, von Mystik und Magie durchzogenes Konstrukt. In Bezug auf die aktuelle Geldkrise sind solche Erkenntnisse freilich von begrenztem Wert. Konkreter ist da schon der wunderbare Satz von Nestroy: "Die Phönizier haben das Geld erfunden. Aber warum so wenig?"