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"Das Lied ist noch nicht ausgesungen"

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, betrachtet das Rettungskonzept für Opel mit Skepsis. Nach wie vor gebe es große Risiken für die Steuerzahler, sagte Driftmann. Mit Blick auf mögliche Staatshilfen für den angeschlagenen Arcandor-Konzern meinte der DIHK-Präsident, die Bundesregierung dürfe im ordungspolitischen Sinn keine weiteren Systemfehler begehen.

Hans Heinrich Driftmann im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 31.05.2009
    Das Interview mit Hans Heinrich Driftmann hören Sie am Sonntag ab 11.05 Uhr im Deutschlandfunk.

    Jörg Münchenberg: Die Opel-Rettung, das war ein Wirtschaftskrimi in den letzten Tagen - mit immer neuen Varianten. Und deshalb mussten wir auch das bereits aufgezeichnete Interview der Aktualität halber ergänzen, was allerdings nur telefonisch möglich war. Herr Driftmann, die Mehrheit der Regierung ist jetzt hörbar erleichtert über den Einstieg des Autozulieferers Magna bei Opel. Eine drohende Insolvenz des Autobauers habe damit abgewendet werden können. Wie bewerten Sie das Konzept für Opel, sind Sie auch erleichtert?

    Hans Heinrich Driftmann: So eine richtige Erleichterung stellt sich bei mir noch nicht ein, zumal ich noch keine gesicherte Problemlösung sehe. Wer Erfahrung hat in internationalen Verträgen, gerade in transatlantischen, der weiß, dass es noch Überraschungen bis in die letzte Minute geben kann. Und nach wie vor gibt es natürlich große Risiken für die Steuerzahler. Ich persönlich teile die Einschätzung von Minister zu Guttenberg, dass eine geordnete Insolvenz im Zweifel besser gewesen wäre. Eine Treuhandlösung ist ja auch nicht ganz ungefährlich, weil der Ausstieg der Regierung aus dem ganzen Verfahren dadurch schwierig wird, und - darüber müssen wir uns auch im Klaren sein - weitere Zugeständnisse zu Lasten des Steuerzahlers sind, zumindest in den nächsten Monaten, gar nicht verantwortbar.

    Münchenberg: Nun hat die Regierung bei ihren Bemühungen immer wieder auf die vielen Arbeitsplätze bei Opel verwiesen, die durch eine Insolvenz gefährdet seien. Ist es da nicht recht und billig, wenn die Regierung eben auch reichlich Steuergelder in die Hand nimmt und einen Investor vermittelt?

    Driftmann: Also, Lehrbuchweisheit hilft uns da wirklich nicht weiter, das will ich gerne zugeben. Andererseits habe ich große Sorge, dass die Regierung einfach unter Druck gerät durch sich selbst und durch ihr eigenes Verhalten, im Sinne der Ordnungspolitik weitere Systemfehler zu begehen, die dann wieder zu Lasten des Steuerzahlers gehen. Ich will nur als Stichwort "Arcandor" nennen. Für eine Hilfe in dieser Richtung und für ein Ausufern solcher Maßnahmen gibt es kein Verständnis beim Mittelstand - und auch bei ganz großen Wettbewerbern überhaupt nicht. Deswegen komme ich zu dem Schluss: Wir haben vielleicht eine Regelung gefunden - vielleicht lässt sie sich auch durchsetzen -, die relativ wenig schädlich ist. Aber das Lied ist noch nicht ausgesungen, und noch größerer Schaden kann geschehen.

    Münchenberg: Nun wird ja bei staatlichen Hilfen dann immer auch mit den Wettbewerbsverzerrungen argumentiert. Wie groß ist Ihre Sorge, dass jetzt durch diese staatliche Hilfe dann auch der Wettbewerb auf dem Automarkt verzerrt wird?

    Driftmann: Ich halte diese Gefahr für sehr realistisch. Wenn man ein Unternehmen, wenn man eine Marke besonders fördert oder entlastet, dann schädigt man ganz zwangsläufig damit die anderen. Und das werden die sich so ohne weiteres auch nicht bieten lassen. Es wird also Streit geben, und das ist genau das, was man ja in Wahlkampfzeiten vermeiden wollte.

    Münchenberg: Sie haben Arcandor mit Karstadt schon angesprochen, die ja auch in der Schlange stehen als Bittsteller und auch staatliche Hilfen wollen. Da geht es ja gleich um 50.000 Arbeitsplätze. Hat denn die Regierung mit Opel jetzt sozusagen die Büchse der Pandora geöffnet und kein Argument mehr, um zum Beispiel den Bittsteller Arcandor abzuwehren?

    Driftmann: Die Argumente werden knapp, und alles kann man dann auch mit politischer Semantik nicht mehr hinbekommen. Ich warne davor, diese Schlange fortzusetzen, sie führt nicht in die richtige Richtung. Manchmal sind schmerzhafte Prozesse besser. Die kann man durchstehen, die kann man gut begründen. Wenn man aber den jetzt eingeschlagenen Weg immer weiter fortsetzt, dann weiß ich nicht, wo das enden soll.

    Münchenberg: Aber noch einmal: Wie kann die Regierung jetzt glaubhaft machen, dass sie nicht immer doch noch als Retter in der Not einspringen wird? Bei den Banken, so das Pauschalargument, hat sie ja schließlich auch geholfen.

    Driftmann: Bei den Banken ist das eine andere Situation. Die Banken brauchen wir, um den Finanzstrom in die Realwirtschaft und unter den Teilnehmern an der Realwirtschaft sicherzustellen. Das ist etwas, was systemrelevant ist. Einzelne Unternehmen, die etwas produzieren, vertreiben usw. stehen auf einer anderen Seite. Da muss man mit anderen Mitteln eingreifen und gegebenenfalls helfen. So einfach wie im Bankenwesen ist das nicht zu machen und auch nicht zu begründen.

    Münchenberg: Herr Driftmann, Wirtschaftsminister zu Guttenberg - Sie haben es schon gesagt - hat sich ja zuletzt offenbar vehement für eine Insolvenz von Opel ausgesprochen, ist dann allerdings eingeknickt, heißt es. Wie groß ist jetzt sein Autoritätsverlust?

    Driftmann: Ich glaube, dass Minister zu Guttenberg sich an das Opportunitätsprinzip gehalten hat. Er muss natürlich auch bereit und in der Lage sein, taktische Manöver mitzutragen. Ich warne aber davor, Politik durch Politikmarketing zu ersetzen. Wir brauchen klare politische Lösungen, die begründbar sind und die auch durchzuhalten sind - nicht nur bis zum nächsten Wahltermin.

    Münchenberg: Noch einmal: Der Wirtschaftsminister gilt ja als ordnungspolitisches Gewissen auch der Regierung - in seiner Idealrolle, muss man sagen. Hätte er da konsequenterweise nicht zurücktreten müssen, weil er sich nicht durchsetzen konnte?

    Driftmann: Ich kann das letztlich nicht beurteilen, ich bin ja nicht bei diesen Verhandlungen und Gesprächen gewesen. Ich hätte ihm nicht geraten zurückzutreten. Solche politischen und auch wirtschaftspolitischen Talente sind in Deutschland nicht gerade dicht gesät. Ich hoffe, dass der Minister noch eine gute politische Karriere vor sich hat und in den gegenwärtigen Schwierigkeiten noch eine positive Rolle spielt.

    Münchenberg: Herr Driftmann, 500 Milliarden für den Bankenschirm, 100 Milliarden für den Deutschlandfonds - der Staat erfährt in diesen Wochen und Monaten eine bemerkenswerte Renaissance, er gilt als Retter in der Not. Wie nachhaltig wird dieser Prozess sein, ist das die Rückkehr sozusagen des fürsorgenden Staates?

    Driftmann: So, wie ich die Bundeskanzlerin verstanden habe, ist das gerade nicht die Intention. Es geht hier um ein temporäres Eingreifen, das kann ich auch nachvollziehen. Es muss nur dabei bleiben. Man kann - deswegen sagte ich schon - auch mal gegen Lehrbuchweisheiten verstoßen, wenn es notwendig wird, kurzfristig zu helfen, kurzfristig die Spur zu wechseln, um ein konkret definiertes Ziel zu erreichen. Aber dann muss man auch wieder zurück. Und dieses Zurückgehen auf den Normalzustand, das wird nicht ganz einfach werden. Da wird man politische Argumentationen brauchen, die auch von der Bevölkerung mitgetragen werden.

    Münchenberg: Einen ernsthaften Glaubwürdigkeitsschaden für die Regierung sehen Sie nicht?

    Driftmann: Es wird nicht einfach sein, die volle Glaubwürdigkeit wieder herzustellen. Aber ich halte es durchaus für machbar. Noch einmal: Wir müssen den Bürgern erklären, was da vor sich geht, welche Möglichkeiten - welche begrenzten Möglichkeiten - es gibt, und natürlich auch, wie limitiert diese Möglichkeiten in ihrer Nutzung sind.

    Münchenberg: Im Interview der Woche heute Hans Heinrich Driftmann, Präsident - neu gewählter Präsident - des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Herr Driftmann, Deutschland ist derzeit in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Seit Monaten - muss man sagen - hagelt es ja fast täglich neue Hiobsbotschaften. Aber jetzt gibt es ja so erste leichte Hoffnungssignale, die Stimmung in der Wirtschaft hat sich etwas aufgehellt, muss man sagen. Das hat der IFO-Geschäftsklimaindex Anfang der Woche gezeigt. Auch der Ölpreis zieht ja in den letzten Tagen und Wochen wieder deutlich an, und manche Experten deuten das ja auch, dass sich die Wirtschaft langsam erholt. Wie ist da die Einschätzung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag? Kann man sagen, der freie Fall ist inzwischen gestoppt?

    Driftmann: Wir haben den Eindruck, und unsere Umfragen machen das auch deutlich, dass in der Tat der freie Fall gestoppt worden ist. Wir befinden uns aber immer noch auf der Talsohle. Das heißt, wir können noch nicht absehen, wann das Tal der Tränen verlassen werden kann, wann es wieder bergauf geht. Es gibt nur Indikatoren, dass es wieder bergauf gehen wird. Also, um ein Bild zu bringen: Es ist noch kein Licht am Ende des Tunnels, aber erste Lichtpunkte scheinen auf, an denen man sich orientieren kann, von denen die Botschaft ausgeht: Es wird wieder besser werden.

    Münchenberg: Wenn man das breiter streut und schaut auf die einzelnen Branchen - der DIHK vertritt ja große wie kleine Unternehmen: Kann man sagen, die Stimmung ist durch die Bank überall die selbe, oder ist im Mittelstand oder bei den kleineren Unternehmen die Lage eine andere als bei den großen?

    Driftmann: Wir müssen unterscheiden zwischen den Branchen - da gibt es erhebliche Unterschiede. In der Automobilbranche kennen wir uns aus, da wissen wir, welche enormen Probleme vorherrschen. Wir haben aber auch andere Branchen, etwa die Ernährungswirtschaft, bei der die Krise kaum angekommen ist. Und dann kommt die Unternehmensgröße. Konzernunternehmen haben ganz offensichtlich größere Schwierigkeiten, die Dinge betriebswirtschaftlich in den Griff zu bekommen, als der klassische Mittelständler. Im Moment bewährt sich der typisch deutsche klassische Mittelständler, der den Gürtel enger schnallt, der seine Mitarbeiter nicht nach Hause schickt, der sich etwas einfallen lässt, der Entscheidungen relativ zügig zustande bekommt, um mit einer neuen Strategie nach vorne zu starten.

    Münchenberg: Sie sagten, es gibt noch keinen Anlass zur Entwarnung. Der DIHK mit seiner Prognose ist ja relativ positiv in das Jahr gestartet - minus drei Prozent beim Wachstum, die Bundesregierung geht von minus sechs Prozent aus. Eigentlich müsste man doch sagen, auch der DIHK muss seine Prognose dann doch ziemlich stark nach unten korrigieren für dieses Jahr?

    Driftmann: Wir gehen in der Tat davon aus, dass wir leicht nach unten werden korrigieren müssen. Aber das ist nicht so entscheidend. Wir sehen in der Tat die große Problemlage, die da auf uns zugekommen ist, und die wollen wir auch nicht beschönigen. Aber wir sehen eben auch die gegenläufigen Indikatoren. Wir sehen, dass es Bedarfe gibt in China, in Indien - von großen Märkten, die auch bei uns das Geschehen beeinflussen. Das Auslandsgeschäft läuft bei vielen wieder etwas besser, obwohl wir die allgemeinen Probleme in der Exportwirtschaft nach wie vor haben. Wir haben gesunkene Energiepreise, wir haben gesunkene Rohstoffpreise. Das alles trägt natürlich dazu bei, dass wir in der Prognose eigentlich eher optimistisch sind.

    Münchenberg: Ein Wort zur Stimmung. Bei den Verbrauchern, muss man ja sagen, scheint die Krise bislang eigentlich wenig angekommen zu sein. Die Kauflaune, auch das hat jetzt eine aktuelle Umfrage ergeben, die bleibt relativ stabil, wenngleich natürlich auf niedrigem Niveau. Wie ist das zu erklären, diese Diskrepanz - auf der einen Seite Krisenstimmung, auf der anderen Seite die Verbraucher doch relativ zuversichtlich?

    Driftmann: Das liegt natürlich an mehreren Faktoren, es ist eindimensional nicht zu erklären. Aber ein wichtiger Faktor ist, dass die verfügbaren Einkommen im Grunde gestärkt worden sind in der letzten Zeit. Und von daher ist die Kauflaune zunächst gut. Sie wird nur überlagert durch Existenzängste, die aufkommen, wenn es zu Massenentlassungen kommt; die aufkommen, wenn derartige Drohszenarien wirken und wenn sie teilweise auch noch schlimmer geredet und geschrieben werden, als sie tatsächlich sind.

    Münchenberg: Trotzdem sagen ja viele Experten, der große Einbruch jetzt - weil der Arbeitsmarkt immer zeitverzögert reagiert zur wirtschaftlichen Lage, ungefähr ein halbes Jahr - der kommt dann im Sommer. Das heißt, das Schlimmste vielleicht steht uns noch bevor.

    Driftmann: Im Bezug auf den Arbeitsmarkt wird uns einiges an Problemen wirklich noch ins Haus stehen. Ich rechne zwar noch nicht zum Sommer damit, sondern erst zum Herbst, aber da könnte sich einiges tun. Im Sommer wird uns zunächst einmal eine weitere Schwierigkeit ereilen als Unternehmen, nämlich die Liquidität wird noch schwerer zu beschaffen sein. Das sind ganz normale Folgeerscheinungen von dem, was wir eigentlich im Frühjahr schon hinter uns gebracht haben.

    Münchenberg: Wieso im Sommer Liquiditätsschwierigkeiten bei den Unternehmen?

    Driftmann: Weil ganz einfach die Planungen für das nächste Jahr im Sommer beginnen und weil natürlich auch die Banken planen und weil wir bis zum Sommer viele Dinge, die uns auf dem Bankensektor im Moment negativ bewegen, noch nicht erledigt haben werden. Also da wird es so eine Überlappung geben von Problemfeldern, die zunächst einmal zu solchen Effekten führen werden.

    Münchenberg: Im Interview der Woche heute Hans-Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Nun haben Sie gerade die Kreditklemme ja indirekt angesprochen, unter der ja gerade auch der Mittelstand immer wieder leidet, heißt es. Das Ganze habe sich jetzt verstärkt. Allerdings gibt es hier doch sehr unterschiedliche Berichte, auch Stimmungswiedergaben. Die einen sagen, es gibt eine Kreditklemme, die anderen sagen, eigentlich bekommen die Unternehmen noch das Geld von den Banken. Wie ist da die Bewertung aus Sicht des DIHK, welche Rückmeldungen bekommen Sie?

    Driftmann: Wir bekommen die Rückmeldung, dass es eine flächendeckende Kreditklemme in dem Sinne nicht gibt, dass es aber sehr wohl eine Spreizung bei der Kreditvergabe gibt, eine Spreizung der Kosten und dass es eine zunehmende Bürokratisierung gibt bei der Kreditgewährung. Das macht dem Mittelstand erhebliche Probleme. Denn der klassische Mittelständler beschäftigt keine Stäbe, die entsprechende Anträge stellen, Begründungen liefern, Prognosen ausarbeiten. Das macht Schwierigkeiten, und darauf haben sich die Banken bisher nur unzureichend eingestellt. Aber eine flächendeckende Kreditklemme können wir nicht identifizieren.

    Münchenberg: Kann man das auch etwas genauer in Zahlen fassen? Gibt es da Untersuchungen seitens des DIHK?

    Driftmann: Wir können das so genau an Zahlen nicht festmachen, weil es weniger quantitative Unterschiede als mehr qualitative gibt. Es gibt natürlich die unterschiedlichsten Finanzprodukte, die in diesem Kontext eine Rolle spielen, solche die etwa bei internationalen Konzernen eine Rolle spielen, aber beim Mittelstand gar nicht und umgekehrt. Also insofern ist das nur sehr schwer zu beziffern. Es gibt aber etwas, was auf die Stimmung in der Wirtschaft wirkt, und das ist die Unsicherheit, wie lange man mit den zugesagten Krediten, mit denen man heute arbeitet, noch weiter wird arbeiten können.

    Münchenberg: Was muss sich denn ändern?

    Driftmann: Wir müssen einfach mehr Transparenz bekommen bei den Banken. Wir müssen eine größere Bereitschaft bei den Banken reklamieren, Anträge schnell und unbürokratisch zu bearbeiten. Wir müssen das eine oder andere Ratingverfahren infrage stellen. Wir müssen sehr viel praxisorientierter und anhand konkreter Unternehmensdaten orientierte Entscheidungen einverlangen.

    Münchenberg: Nun haben Sie aber trotzdem auf den Sommer hingewiesen und sagen, da könnte sich vielleicht noch etwas zusammenbrauen. Diese Liquiditätsprobleme könnten also trotzdem noch zunehmen dann eben ab Sommer, wenn die Investitionsplanungen für die Unternehmen klarer sind?

    Driftmann: Ich gehe davon aus, dass bis dahin etwa beim KfW-Sonderprogramm die Dinge runder laufen, dass es also nicht nur das zunehmende Problem gibt, sondern auch bessere und besser wirkende Problemlösungsansätze. Insofern werden wir dieses Problem auch relativ schnell überwunden haben. Ich muss nur darauf hinweisen, dass das kommen kann.

    Münchenberg: Noch mal zurück zum Arbeitsmarkt. Über den haben wir eben gerade geredet. Sie sagen, da rechnen Sie eher damit, dass im Herbst vielleicht dann der große Einbruch kommt. Manche Experten sagen, bis zu einer Million Arbeitsplätze könnten verschwinden. Wie ist da die Einschätzung beim DIHK?

    Driftmann: Ich glaube schon, dass die Arbeitslosigkeit ansteigen wird. Allerdings gehöre ich eher zu denen, die nicht an der Obergrenze argumentieren. Es wird in der Tat einen Anstieg geben, aber in eher moderater Weise. Ich möchte jetzt ganz bewusst keine Zahlen nennen, weil natürlich vieles in der Entwicklung davon abhängig ist und davon abhängig sein wird, wie gut wir arbeiten, wie intensiv wir uns mit den Problemen auseinandersetzen und wie wir ja die bekannten Instrumente auch tatsächlich einsetzen.

    Münchenberg: Da sind Sie beim Stichwort "Kurzarbeit" zum Beispiel. Die Bundesregierung hat das Instrument jetzt noch mal verlängert von 18 auf 24 Monate. Wie sehr hilft das Instrument?

    Driftmann: Wir begrüßen es sehr, dass man mit diesem Instrument mehr Flexibilität geschaffen hat. Es ist ja niemand verpflichtet, die 24 Monate zu nutzen. Aber es bringt eine Erleichterung, wenn man denn ernsthaft diese Zeit nutzen will zur Fort- und Weiterbildung. Dafür werben wir intensiv.

    Münchenberg: Wird das auch gemacht?

    Driftmann: Das wird nach unserer Einschätzung, nach all dem, was wir im Moment beurteilen können, was schon konkret angelaufen ist, auch tatsächlich genutzt.

    Münchenberg: Herr Driftmann, Sie haben gesagt, auf jeden Fall werden auf dem Arbeitsmarkt Jobs wegfallen. Das steht fest - in welchem Umfang, da gehen die Prognosen auseinander. Was heißt das für den Lehrstellenmarkt, denn die Unternehmen werden natürlich vielleicht auch dort sparen wollen?

    Driftmann: Das ist weniger eine Frage des Sparens. Nach allem, was wir bis jetzt schon beurteilen können, wird es uns gelingen, jedem ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen jungen Menschen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Die Unternehmen haben längst begriffen, dass sie mit der Ausbildung von jungen Menschen über ihre Zukunft entscheiden. Wir laufen ja, wie Sie wissen, aus Gründen, die sich in der Bevölkerungspyramide abbildet, in eine Lage hinein, in der es eine Knappheit an geeigneten Arbeitskräften geben wird. Das wissen die Unternehmen. Und darauf bereiten sie sich auch vor.

    Münchenberg: Im Klartext: Trotz Krise keine Krise auf dem Lehrstellenmarkt?

    Driftmann: Im Klartext: Trotz Krise wird nicht nur alles versucht, um unser Versprechen, das wir abgegeben haben, zu halten, sondern die große Zuversicht, dass das auch gelingen wird.

    Münchenberg: Nun stehen Sie Staatshilfen, das haben Sie klar formuliert, ablehnend gegenüber, Herr Driftmann. Auf der anderen Seite macht sich ja gerade DIHK sehr stark für eine stärkere steuerliche Entlastung der Unternehmen, obwohl der Staatshaushalt kurz vor einem Kollaps steht. Wie passt das zusammen?

    Driftmann: Wir müssen auch hier ein bisschen differenzieren. Zunächst einmal ist die Steuerbelastung, die wir ja zusammen sehen müssen mit der Abgabenbelastung, die ja ein Paket zusammen bilden, als zu hoch anzusehen. Wir sind in der Tat gebeutelt durch eine Abgabenlast, die uns sehr zu schaffen macht. Nur dies ist eine allgemeine Aussage. Sie ist nicht auf einen Zeitpunkt festgelegt. In der gegenwärtigen Situation sage ich, bevor wir über Mehrwertsteuererhöhung, wie jetzt von bestimmten Instituten gefordert wird, oder das Absenken der Steuerlast reden, müssen wir zunächst einmal Transparenz herstellen. Wir haben ein nahezu völlig undurchsichtiges Steuersystem. Ein normaler Unternehmer hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er kann begreifen, wie das Steuersystem ist, mit dem er es zu tun hat, oder er kann Geschäfte machen. Beides geht nicht. Also von daher brauchen wir mehr Transparenz, wir brauchen eine Vereinfachung des Steuersystems. Wir brauchen eine Reduzierung der administrativen Kosten im Zusammenhang mit dem Steuersystem. Und allein diese Einsparungen können schon an den Steuerbürger weiter gegeben werden. Und dann in entsprechenden darauf folgenden Schritten, zeitlich differenziert, muss dann in Richtung Steuerermäßigung gearbeitet werden. Ich warne vor einem Schnellschuss, ich warne auch vor einem Schuss aus der Hüfte, das muss sehr sorgfältig erarbeitet werden.

    Münchenberg: Das heißt aber, DIHK besteht jetzt nicht mittelfristig auf Steuersenkungen? Habe ich das richtig verstanden?

    Driftmann: Nicht kurzfristig. Wir möchten ein transparentes, ein klares, ein vereinfachtes Steuersystem haben. Und in der Folge soll das dann natürlich dazu führen, in absehbarer Zeit, aber auch dann wieder von Konjunkturlage abhängig, zu einer Steuerermäßigung führen, einer Ermäßigung der Steuerlast für die Unternehmen, aber auch für den einzelnen Steuerbürger.

    Münchenberg: Nun ist die Bundesregierung den Unternehmen diese Woche auch entgegen gekommen. Es gab ja bestimmte Steuererleichterungen. Die Unternehmensteuerreform wurde etwas, zeitlich befristet muss man sagen, rückgängig gemacht, Stichwort Zinsschranke. Auch bei der Abrechnung der Umsatzsteuer gab es Erleichterung oder soll es Erleichterung geben. Jetzt ohne ins Detail gehen zu wollen, reicht das aus? Mittel- und kurzfristig?

    Driftmann: Es ist ein Signal, das wir dankbar aufnehmen. Es zeigt, dass in die richtige Richtung gedacht wird. Wir müssen uns aber davor hüten, eine Cafeteria-Politik zu machen - von jedem Tellerchen etwas nehmen und daraus ein Menü machen. Das reicht nicht aus. Wir müssen wie gesagt grundsätzlich an diese ganze Angelegenheit herangehen, und wir müssen das System prüfen.

    Münchenberg: Sind Sie da oder der DIHK nicht trotzdem einsamer Rufer in der Wüste? Wenn man sich die Parteiprogramme anschaut, da werden Sie von Steuervereinfachung im Augenblick herzlich wenig finden, zumal die Politik sowieso gerade sehr stark auf die Krise fokussiert ist.

    Driftmann: Es ist unsere Aufgabe, auch über den Tag hinaus, vernünftige Dinge zu fordern und zu begründen. Es ist ja nicht unsere Aufgabe, etwas zu reglementieren. Wir können bei der Politik nur werben, indem wir informieren, indem wir Dinge zu Ende denken und indem wir Vorschläge machen.

    Münchenberg: Nun sind Sie erst seit ein paar Wochen im Amt. Wie gut, würden Sie denn sagen, wenn Sie nach so kurzer Zeit eine Bilanz ziehen, ist den Ihr Draht ins Kanzleramt oder auch zum Wirtschaftsminister als Präsident des DIHK?

    Driftmann: Eine der angenehmsten Überraschungen für mich war, dass es einen hohen Gesprächsbedarf gibt. Ich hatte Gelegenheit, sehr ernsthafte Gespräche mit sehr vielen Verantwortungsträgern in der Regierung, aber auch im Parlament zu führen. Man kann sich dort wirklich intensiv austauschen, auch auf angemessenem Niveau. Es wird beiderseitig zugehört. Und das Verständnis über einander und über die jeweiligen Verhaltensweisen kann man Erfahrungen sammeln, und man kann vieles besser nachvollziehen. Ich verstehe in der Tat auch manches Manöver der Regierung besser, und ich habe den Eindruck, dass unsere Argumente doch sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen werden.

    Münchenberg: Nun wurden Sie ja in einer schwierigen Zeit zum neuen DIHK-Präsidenten gewählt. Hätten Sie sich nicht gerne einen einfacheren Einstieg gewünscht?

    Driftmann: Herausforderungen locken mich durchaus. Natürlich hätte man zu einer bequemeren Zeit sich mehr auf Repräsentation stürzen können. Aber meine Sache ist dann doch eher die Auseinandersetzung in der Sache. Und hier gibt es viele Felder, auf denen man sich engagieren und, ich hoffe, auch bewähren kann.