Eine Leiche im Moor? Man denkt an ein Gewaltverbrechen. So auch bei der Frauenleiche, die im Jahr 2000 im Uchter Moor bei Nienburg gefunden wurde. Fünf Jahre lang glaubte die Polizei an ein Mordopfer und verfolgte alle erdenklichen Spuren. Bis dem ersten schaurigen Fund weitere folgten. Da wandte man sich an Henning Haßmann, den Landesarchäologen im Niedersächsischen Amt für Denkmalpflege.
"In dieser Funktion hat mich im Januar 2005 die Kriminalpolizei Nienburg angerufen und gesagt, wir haben eine Hand gefunden. Diese Hand sieht aus wie die Hand einer Mumie, hat mich auch darauf hingewiesen, dass das an derselben Stelle war, wo schon weitere Teile einer Moorleiche gefunden worden sind."
Schnell stellte sich heraus: Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, dann ist es vor etwa 2650 Jahren geschehen - und damit ein Fall für die Denkmalpflege, für Henning Haßmann und seine Kollegen. Ein Glücksfall, sagt der Archäologe. Denn Menschenfunde aus der frühen römischen Eisenzeit hat es bis dahin in Norddeutschland noch nie gegeben. Der damalige Totenkult bestimmte eine Verbrennung der Leichen.
"Wir fragen uns natürlich warum ist dieses Mädchen nicht verbrannt worden. Das lässt zahlreiche Schlüsse zu. Es kann also sein, dass sich dieses Mädchen verlaufen hat, dass es ein Unglücksfall war. Es kann auch sein, dass es eine Bestattung war, eine Sonderbestattung, insofern, dass sie ja nicht verbrannt wurde, sondern, dass man sie aus welchen Gründen auch immer hier an dieser Stelle niedergelegt hat."
Inzwischen wird Moora, wie man die junge Frau getauft hat, allen möglichen Untersuchungen unterzogen. In Zusammenarbeit mit dem Rechtsmedizinischen Institut des Hamburger Universitätsklinikums soll bis zum Jahr 2011 Licht ins Dunkel gebracht werden: Wie hat Moora gelebt, wie hat sie ausgesehen? Andreas Bauerochse, Paläoökologe im Niedersächsischen Amt für Denkmalpflege koordiniert das Forschungsprojekt. Als Erstes wird derzeit mit Computern versucht, die Schrumpfungs- und Verformungsprozesse der Moorleiche zu berechnen.
"Und wenn das gelungen sein wird, wird man in einem weiteren Arbeitsschritt versuchen, den gesamten Körper zu rekonstruieren, beginnend mit dem Schädel. Was diese Schädelrekonstruktion angeht, sind inzwischen erste Arbeitsschritte erfolgreich abgeschlossen. Und wenn der Schädel rekonstruiert sein wird, wird man auch versuchen mit verschiedenen Verfahren dem Mädchen wieder ein Gesicht zu geben."
Fest steht bislang, dass Moora sehr jung gestorben ist. Ein Teenager zwischen 16 und 19 Jahren. In ihrem kurzen Leben hatte sie einiges zu erleiden.
"Man weiß, dass sie im Laufe ihres Lebens extremen Stresssituationen unterlegen war. Das können sowohl schwere Krankheiten aber auch Hungersnöte gewesen sein. Die Vielzahl und Regelmäßigkeit des Auftretens dieser Nachweise, man erkennt das an sogenannten Harrislinien, das sind Wachstumsstillstandslinien, die sich in Röhrenknochen abbilden, deuten darauf hin, dass es vermutlich Hungersnöte waren, die regelmäßig immer zum Spätwinter früher eben aufgetreten sind, immer dann wenn die Ernährungssituation für die damaligen Menschen schlecht geworden ist, die Vorräte aufgebraucht waren und es noch keine neuen Nahrungsmittel in der Natur zu finden gab."
Elf solcher Linien erkennt man an Mooras Knochen. Daraus können die Wissenschaftler schließen: Hungersnöte waren vor 2650 Jahren an der Tagesordnung. Und, so stellten sie fest, es war damals auch üblich, Lasten auf dem Kopf zu transportieren.
"Wir kennen das von Volksstämmen aus Afrika, die dann Wasserkrüge auf dem Kopf tragen, was dazu führt, dass bestimmte Wirbelsäulenbereiche stärker beansprucht werden, wo der Körper rauf reagiert, dass einfach die Knochen eine höhere Dichte aufweisen."
Dank solcher Knochenuntersuchungen konnte man auch feststellen, dass Moora Linkshänderin war. Und durch eine neue Methode ließen sich sogar Fingerabdrücke der Moorleiche nehmen. Für die Forscher eine kleine Sensation, sagt Henning Haßmann.
"Was jetzt interessant ist, dass wir plötzlich hier ein Fenster aufmachen in eine Zeit vor 3000 Jahren. Und kucken hier ganz konkret einer unserer Vorfahrinnen ins Gesicht im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sehen plötzlich, wie diese prähistorische Population war. Ja, auch damals gab es Linkshänder. Wir haben's vermutet, jetzt wissen wirs. Wir stellen fest, dass anhand der Fingerabdrücke sie einem ganz typischen mitteleuropäischen Typ entspricht. Auch dieses lässt sich schon für die Vorgeschichte nachweisen."
Ein wesentliches Ziel des Forschungsprojekts ist es, Rückschlüsse auf Klima und Landschaft ziehen zu können.
"Da spielen die norddeutschen Moore eine Schlüsselrolle, weil sie Klimaereignisse in einer sehr hohen Auflösung, in sich konserviert haben, wie wir das sonst nur von den Eisbohrkernen in Grönland kennen."
Der Leiche des Teenagers kommt bei der Rekonstruktion des damaligen Lebensraums eine bedeutende Rolle zu. Sie ist gewissermaßen ein Zeitzeuge, der Informationen über Ernährung, Krankheiten und Lebensgewohnheiten der damaligen Menschen im Norddeutschen Moor mit sich führt, erklärt der Archäologe Henning Haßmann.
"Weil wir hier einen Marker haben innerhalb der Torfschichten, wo wir sagen können, in dieser Zeit sind hier Menschen gewesen, wir haben also einen Hinweis darauf und können jetzt innerhalb dieser Profilsäule dieses Torfes beispielsweise Pollen analysieren. Wir können anhand charakteristischen Torfwachstums feststellen wie die große Klimasituation aussah."
Durch archäologische Funde kennt man bereits Werkzeuge der damaligen Moorbewohner, ihre Waffen und die Form der Gehöfte, in denen sie lebten. Nach Mooras Auffinden hofft man zu erfahren, ob sie Wälder rodeten, welches Getreide sie anpflanzten. Und ob es zwischen einzelnen Regionen größere Wanderbewegungen gab. Andreas Bauerochse.
"Wir möchten gerne wissen, wo kam das Mädchen her, war sie tatsächlich aus der Region oder war sie eine Zugewanderte. Wir werden da versuchen mit Hilfe Isotopenanalysen Licht ins Dunkel dieser Frage zu bekommen und das Ganze ist aber ein laufendes Verfahren, so dass wir in zwei Jahren sicherlich mehr wissen werden."
Bislang wissen die Forscher allerdings nicht einmal, zu welcher Jahreszeit und woran Moora gestorben ist. Die Rechtsmediziner vom Hamburger Universitätsklinikum konnten keine Anzeichen für einen gewaltsamen Tod finden. Sonst ist alles offen.
"Das heißt es lässt die Möglichkeit offen, dass sie erfroren ist, sie kann eingesunken sein und vielleicht ertrunken sein. Sie kann aber auch an Schwäche oder an einer anderen Krankheit, an Herzinfarkt, was auch immer zu Tode gekommen sein."
Autorin: Und, fügt Henning Haßmann hinzu, es könnte auch sein, dass sie geopfert wurde.
"Wir wissen auch aus dieser Zeit, dass es Opfer gegeben hat gerade auch in der Nähe des Fundortes der Moorleiche gibt es Niederlegungen von Schmuck und Waffenfunden, die zeigen, dass die Menschen offensichtlich in diesen Mooren heilige Landschaften auch gesehen haben. Und das ist eine spannende Frage, die jetzt auch im Zusammenhang mit der Moorleiche auftritt, können wir da vielleicht was sagen über die sakrale Bedeutung von Mooren. Diese Moorleiche , spielte sie vielleicht eine Rolle im religiösen Leben dieser Zeit."
"In dieser Funktion hat mich im Januar 2005 die Kriminalpolizei Nienburg angerufen und gesagt, wir haben eine Hand gefunden. Diese Hand sieht aus wie die Hand einer Mumie, hat mich auch darauf hingewiesen, dass das an derselben Stelle war, wo schon weitere Teile einer Moorleiche gefunden worden sind."
Schnell stellte sich heraus: Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, dann ist es vor etwa 2650 Jahren geschehen - und damit ein Fall für die Denkmalpflege, für Henning Haßmann und seine Kollegen. Ein Glücksfall, sagt der Archäologe. Denn Menschenfunde aus der frühen römischen Eisenzeit hat es bis dahin in Norddeutschland noch nie gegeben. Der damalige Totenkult bestimmte eine Verbrennung der Leichen.
"Wir fragen uns natürlich warum ist dieses Mädchen nicht verbrannt worden. Das lässt zahlreiche Schlüsse zu. Es kann also sein, dass sich dieses Mädchen verlaufen hat, dass es ein Unglücksfall war. Es kann auch sein, dass es eine Bestattung war, eine Sonderbestattung, insofern, dass sie ja nicht verbrannt wurde, sondern, dass man sie aus welchen Gründen auch immer hier an dieser Stelle niedergelegt hat."
Inzwischen wird Moora, wie man die junge Frau getauft hat, allen möglichen Untersuchungen unterzogen. In Zusammenarbeit mit dem Rechtsmedizinischen Institut des Hamburger Universitätsklinikums soll bis zum Jahr 2011 Licht ins Dunkel gebracht werden: Wie hat Moora gelebt, wie hat sie ausgesehen? Andreas Bauerochse, Paläoökologe im Niedersächsischen Amt für Denkmalpflege koordiniert das Forschungsprojekt. Als Erstes wird derzeit mit Computern versucht, die Schrumpfungs- und Verformungsprozesse der Moorleiche zu berechnen.
"Und wenn das gelungen sein wird, wird man in einem weiteren Arbeitsschritt versuchen, den gesamten Körper zu rekonstruieren, beginnend mit dem Schädel. Was diese Schädelrekonstruktion angeht, sind inzwischen erste Arbeitsschritte erfolgreich abgeschlossen. Und wenn der Schädel rekonstruiert sein wird, wird man auch versuchen mit verschiedenen Verfahren dem Mädchen wieder ein Gesicht zu geben."
Fest steht bislang, dass Moora sehr jung gestorben ist. Ein Teenager zwischen 16 und 19 Jahren. In ihrem kurzen Leben hatte sie einiges zu erleiden.
"Man weiß, dass sie im Laufe ihres Lebens extremen Stresssituationen unterlegen war. Das können sowohl schwere Krankheiten aber auch Hungersnöte gewesen sein. Die Vielzahl und Regelmäßigkeit des Auftretens dieser Nachweise, man erkennt das an sogenannten Harrislinien, das sind Wachstumsstillstandslinien, die sich in Röhrenknochen abbilden, deuten darauf hin, dass es vermutlich Hungersnöte waren, die regelmäßig immer zum Spätwinter früher eben aufgetreten sind, immer dann wenn die Ernährungssituation für die damaligen Menschen schlecht geworden ist, die Vorräte aufgebraucht waren und es noch keine neuen Nahrungsmittel in der Natur zu finden gab."
Elf solcher Linien erkennt man an Mooras Knochen. Daraus können die Wissenschaftler schließen: Hungersnöte waren vor 2650 Jahren an der Tagesordnung. Und, so stellten sie fest, es war damals auch üblich, Lasten auf dem Kopf zu transportieren.
"Wir kennen das von Volksstämmen aus Afrika, die dann Wasserkrüge auf dem Kopf tragen, was dazu führt, dass bestimmte Wirbelsäulenbereiche stärker beansprucht werden, wo der Körper rauf reagiert, dass einfach die Knochen eine höhere Dichte aufweisen."
Dank solcher Knochenuntersuchungen konnte man auch feststellen, dass Moora Linkshänderin war. Und durch eine neue Methode ließen sich sogar Fingerabdrücke der Moorleiche nehmen. Für die Forscher eine kleine Sensation, sagt Henning Haßmann.
"Was jetzt interessant ist, dass wir plötzlich hier ein Fenster aufmachen in eine Zeit vor 3000 Jahren. Und kucken hier ganz konkret einer unserer Vorfahrinnen ins Gesicht im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sehen plötzlich, wie diese prähistorische Population war. Ja, auch damals gab es Linkshänder. Wir haben's vermutet, jetzt wissen wirs. Wir stellen fest, dass anhand der Fingerabdrücke sie einem ganz typischen mitteleuropäischen Typ entspricht. Auch dieses lässt sich schon für die Vorgeschichte nachweisen."
Ein wesentliches Ziel des Forschungsprojekts ist es, Rückschlüsse auf Klima und Landschaft ziehen zu können.
"Da spielen die norddeutschen Moore eine Schlüsselrolle, weil sie Klimaereignisse in einer sehr hohen Auflösung, in sich konserviert haben, wie wir das sonst nur von den Eisbohrkernen in Grönland kennen."
Der Leiche des Teenagers kommt bei der Rekonstruktion des damaligen Lebensraums eine bedeutende Rolle zu. Sie ist gewissermaßen ein Zeitzeuge, der Informationen über Ernährung, Krankheiten und Lebensgewohnheiten der damaligen Menschen im Norddeutschen Moor mit sich führt, erklärt der Archäologe Henning Haßmann.
"Weil wir hier einen Marker haben innerhalb der Torfschichten, wo wir sagen können, in dieser Zeit sind hier Menschen gewesen, wir haben also einen Hinweis darauf und können jetzt innerhalb dieser Profilsäule dieses Torfes beispielsweise Pollen analysieren. Wir können anhand charakteristischen Torfwachstums feststellen wie die große Klimasituation aussah."
Durch archäologische Funde kennt man bereits Werkzeuge der damaligen Moorbewohner, ihre Waffen und die Form der Gehöfte, in denen sie lebten. Nach Mooras Auffinden hofft man zu erfahren, ob sie Wälder rodeten, welches Getreide sie anpflanzten. Und ob es zwischen einzelnen Regionen größere Wanderbewegungen gab. Andreas Bauerochse.
"Wir möchten gerne wissen, wo kam das Mädchen her, war sie tatsächlich aus der Region oder war sie eine Zugewanderte. Wir werden da versuchen mit Hilfe Isotopenanalysen Licht ins Dunkel dieser Frage zu bekommen und das Ganze ist aber ein laufendes Verfahren, so dass wir in zwei Jahren sicherlich mehr wissen werden."
Bislang wissen die Forscher allerdings nicht einmal, zu welcher Jahreszeit und woran Moora gestorben ist. Die Rechtsmediziner vom Hamburger Universitätsklinikum konnten keine Anzeichen für einen gewaltsamen Tod finden. Sonst ist alles offen.
"Das heißt es lässt die Möglichkeit offen, dass sie erfroren ist, sie kann eingesunken sein und vielleicht ertrunken sein. Sie kann aber auch an Schwäche oder an einer anderen Krankheit, an Herzinfarkt, was auch immer zu Tode gekommen sein."
Autorin: Und, fügt Henning Haßmann hinzu, es könnte auch sein, dass sie geopfert wurde.
"Wir wissen auch aus dieser Zeit, dass es Opfer gegeben hat gerade auch in der Nähe des Fundortes der Moorleiche gibt es Niederlegungen von Schmuck und Waffenfunden, die zeigen, dass die Menschen offensichtlich in diesen Mooren heilige Landschaften auch gesehen haben. Und das ist eine spannende Frage, die jetzt auch im Zusammenhang mit der Moorleiche auftritt, können wir da vielleicht was sagen über die sakrale Bedeutung von Mooren. Diese Moorleiche , spielte sie vielleicht eine Rolle im religiösen Leben dieser Zeit."