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Das Meer wird sauer – mehr und mehr

Klima.- Ozeane wie der Nordatlantik saugen ständig CO2 aus der Atmosphäre und speichern es in der Tiefe. Doch das hat auch seinen Nachteil: In dem Maße, wie das Meer Kohlendioxid wegbunkert, erhöht sich der Säuregrad, und die Chemie des Ozeans gerät durcheinander.

Von Volker Mrasek |
    Die Weltmeere schlucken mehr und mehr CO2. Im Wasser entsteht aus dem Treibhausgas Kohlensäure, der Ozean versauert immer stärker an der Oberfläche. Sein pH-Wert sinkt solange, bis sich die Kalkgehäuse vieler Vertreter des Meeresplanktons förmlich in Wasser auflösen oder sie nicht mehr in der Lage sind, überhaupt noch Schalen auszubilden.

    Das ist eine Art marines Schreckensszenario für die Zukunft, falls der Gehalt von Kohlendioxid in der Atmosphäre weiter ungebremst zunimmt. Durch die Arbeiten des australischen Ozeanographen Ben McNeil rückt dieses Szenario jetzt sogar noch näher:

    "Bisher haben wir gedacht, dass die Entwicklung nicht vor 2050 kritisch wird. Meine Studien zeigen jetzt aber, dass es schon um 2030 herum so weit sein könnte. Leider sind das keine guten Nachrichten. Ich wünschte, es wäre so!"

    McNeil arbeitet im Klimaforschungszentrum der Universität von New South Wales in Sydney. Zusammen mit einem Kollegen analysierte er Messreihen aus dem kalten Südlichen Ozean rund um die Antarktis. Daten, die zweierlei zeigen: Wie hoch der pH-Wert des Oberflächenwassers im Verlauf des Jahres ist. Und welche Mengen Karbonat in ihm gelöst sind. Das ist der Baustoff, den Planktonarten mit Kalkgehäuse benötigen.

    "Unsere Arbeit bringt ans Licht, dass es große natürliche Schwankungen des Karbonat-Gehaltes im Südlichen Ozean gibt. Im Herbst und Winter ist er besonders niedrig. In dieser Jahreszeit wird die Ozean-Versauerung am schnellsten zu einer kritischen Situation führen."

    Wenn weiter so viel CO2 in die Luft geht und große Teile davon ins Meer, ist nach McNeils Berechnungen vielleicht schon in 20, spätestens aber in 30 Jahren die kritische Karbonat-Schwelle im Südlichen Ozean unterschritten. Dann käme es im Herbst und Winter zu dem, was Chemiker eine Untersättigung nennen.

    "Bei so niedrigen Konzentrationen im Meer erreicht man einen Punkt, an dem sich das Karbonat aus den Kalkgehäusen löst, damit sich wieder ein Gleichgewichtszustand einstellen kann. Das heißt: Die Schalen und Gehäuse von Meeresschnecken und dergleichen beginnen sich aufzulösen. Wenn Sie jetzt fragen: Wen kümmert das, wenn der Effekt nur im Winter auftritt? Dann muss ich Ihnen sagen: Viele Plankton-Arten im Südlichen Ozean haben mehrjährige Lebenszyklen. Sie werden diesen Bedingungen also unweigerlich ausgesetzt sein."
    In Jena präsentierte Ben McNeil auch seine jüngsten, noch unveröffentlichten Daten. Sie stammen aus einem US-Messprogramm im Ross-Meer am Südrand der Antarktis. Dort herrschen besonders extreme Bedingungen. Innerhalb von nur drei Monaten schwankte die Karbonat-Konzentration des Oberflächenwassers vor Ort um den Faktor 3. Während des Minimums starben Kalk-Schnecken aus dem Plankton ab, ihre Gehäuse sanken in die Tiefe. Die Forscher fingen sie in sogenannten Sediment-Fallen auf.

    Ben McNeil rechnet damit, dass sich die Situation im Ross-Meer durch die fortschreitende Meeresversauerung zuspitzt. Und dass sich die natürlichen Absterberaten der Kalkschnecken schon bald stark erhöhen:

    "Nach den vorläufigen Ergebnissen sieht es so aus, dass die Versauerung im Südlichen Ozean schon lange vor 2030 kritisch werden könnte."

    Plankton-Arten wie die betroffenen Kalk-Schnecken stehen am Anfang der Nahrungskette im Ozean. Wenn sie stärker dezimiert werden, hat das Folgen für die gesamte Meeresfauna.

    Eine solche Entwicklung zeichnet sich im übrigen auch in der Arktis ab. Das geht aus aktuellen Studien hervor, die in Jena erwähnt wurden. Einigermaßen sicher scheint dagegen das Meeresökosystem in den warmen tropischen und gemäßigten Breiten zu sein. Dort ist der Karbonat-Gehalt von Natur aus so hoch, dass Plankton-Schnecken vorerst wohl nicht um ihre Gehäuse fürchten müssen.