Archiv


Das Model der Welt im Kopf

Der in Berlin und New York lebende Künstler Matt Mullican umkreist mit seinen Installationen, Zeichnungen und Collagen nichts Geringeres als den Sinn des Lebens und die Existenz des Menschen in dieser Welt. Über 70 Zeichnungen, Plänen, Collagen, Fotografien und Objekten seiner Arbeit "City as a Map (of Ideas)" aus den Jahren 2003-2008 zeigt die Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Seit Jahrzehnten baut uns der Künstler Matt Mullican Parallelwelten aus disparaten Bild-, Sprach- und Zeichensystemen, die so instruktiv wie absurd sind. Sein jüngstes Projekt "City as a Map (of Ideas)" auf der Bremer Teerhof-Insel ist eine Art ästhetisches Nord-Derby, denn es führt am Beispiel Hamburgs vor, wie der Versuch, den städtischen Raum enzyklopädisch zu erfassen, schrittweise in den organisierten Wahnsinn führt. Die Leiterin der GAK und Kuratorin Janneke de Vries erläutert das Unternehmen:

    "Ich glaube, dass Matt Mullican sich für das interessiert, was Menschen konstruieren, um Welt in den Griff zu kriegen. Oder das in den Griff zu kriegen, womit wir tagtäglich konfrontiert sind. Dass jeder sein eigenes Model der Welt im Kopf hat. Egal, ob ihm das bewusst ist oder nicht."

    Anfangend bei den allerallgemeinsten Begriffen – wie Universum und Erde – menschliches Leben und Geschichte – legt Mullican ein immer feineres Raster auf den Stadtplan rund um die Alster. Dem Hamburger Michel-Kirchturm wird dabei zum Beispiel das Etikett "Bakterien und Viren" zugeordnet, der Kunsthalle "Landwirtschaft und Forsten". In schrittweisen Zooms geht es weiter: über Stadtviertel und Quartiere, durch Straßenzüge und vorbei an einzelnen Häusern, bis hin zum Querschnitt durch ein mehrgeschossiges Gebäude und zum Grundriss einer Wohnung. Dort landet Mullican schließlich im Badezimmer, das er bis ins kleinste Detail mustert. Parallel dazu überlagert er die Karten- beziehungsweise Bildausschnitte mit immer feineren enzyklopädischen Begriffs- und Unterbegriffsrastern.

    "Was auch eine Rolle spielt, ist sein großes Interesse am Unterbewusstsein. Das ist seit den 7oer-Jahren ein wichtiger Strang in seiner Arbeit. Er macht Performances, wo er sich unter Hypnose setzen, diese irrationalen Systeme geöffnet werden, mit den man gar nicht mehr rechnet und das ist das Unterbewusste."

    Seine rasante Bild-Sinn-Safari endet schließlich bezeichnenderweise im Spiegelschrank überm Waschbecken bei einem Rasierapparat, dem er das medizinische Spezial-Begriffspaar "Knochenerweichung und Muskelschwäche" logisch zuordnen kann. Triumph oder Pyrrhus-Sieg? Der Künstler liest die Stadt mit seiner eigenen, selbstgebackenen Syntax. Doch deren logische Bezüge stimmen zwar als Parallelwelten in sich, im Kontext universaler Welterklärung aber erscheinen sie immer sinnloser. Matt Mullican über seine Arbeitsweise:

    "Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode", mag sich der Besucher von Matt Mullicans Installation sagen, angesichts dieses verstiegenen Kletterns, dieser Begriffs-Raster-Fahndung in der Großstadt. Eins immerhin lehrt uns das Vanitas-Projekt "City as a Map (of Ideas)": Gerade der ästhetische – in diesem Fall unterbewusst-somnambule – Blick zeigt, wie fruchtlos und letzten Endes eitel der Versuch ist, systematische Ordnung ins Chaos dieser Welt bringen zu wollen. Und das stimmt auch wieder sanft optimistisch: Was Google auch immer scannen und vermessen wird – unseren eigenen Reim auf die Welt werden wir uns auch in Zukunft selbst machen müssen."