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Das multikulturelle Lehrerzimmer

Nur etwa zwei Prozent der Lehrer in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Inzwischen bemühen sich Programme um multikulturellen Lehrernachwuchs. Eine Studie untersucht, ob das multikulturelle Lehrerzimmer neue Impulse für mehr Vielfalt an deutschen Schulen geben kann.

Von Barbara Leitner |
    "Ich denke, dass was migrantische Lehrer momentan leisten, ist ein wahnsinniger Balanceakt. Sie kommen mit der lebensgeschichtlich erworbenen Sensibilität für bestimmte Themen, für Mehrsprachigkeit, für Umgang mit kultureller, sprachlicher und religiöser Differenz. Sie können Impulse setzen. Aber man darf sie damit nicht alleine lassen und es ist eben nur ein Baustein von interkultureller Schulentwicklung."

    Viola Georgi, Juniorprofessorin für interkulturelle Erziehungswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Gemeinsam mit einem Forscherteam befragte sie im Frühjahr 2010 erstmals in Deutschland Lehrende mit migrantischen Hintergrund zu ihrem professionellem Selbstverständnis. 200 Lehrerinnen und Lehrer beantworten ihren Fragebogen. 60 stellten sich überdies vertiefenden biografischen Interviews. Wie nicht anders zu erwarten, erlebt die große Mehrheit der Befragten, dass ihnen sowohl von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund als auch von deren Eltern ein großes Vertrauen entgegen gebracht wird.

    "Man guckt in den Spiegel und ich glaube die Kinder gucken auch in den Spiegel, wenn man sich begegnet."

    So die Erfahrung der türkischen Lehrerin Mengü Özahn. 78 Prozent der Befragten Pädagogen wollen das Selbstbewusstsein der migrantischen Kinder stärken. Bewusst nehmen sie im Unterricht Rücksicht auf ihre Lernbesonderheiten und schlüpfen in die Rolle von Vorbildern. Jenseits des Klassenzimmers helfen sie den Kindern und deren Familien häufig, den Anforderungen der deutschen Schule zu genügen.

    "Sie werden oft angefragt für Übersetzerdienste, für Konfliktsituationen mit Eltern, mit Schülern, auf Elternabenden. Sie übernehmen auch im außerschulischen Bereich oft Sonderrollen, wenn sie Schülerinnen und Schülern in schwierigen Situationen zur Seite stehen. Viele sagen auch, das ist eine Rolle, die ein Sozialarbeiter, eine Sozialarbeiterin einnehmen müsste. Da bin ich schlicht überfordert und kommen damit auch an ihre Grenzen. Einige weisen es inzwischen auch zurück, immer die Feuerwehr für diese ganzen Geschichten zu sein."

    Denn diese Sonderrollen strengen nicht nur an. Sie können einem Kollegium auch als Alibi dienen und verhindern, sich tatsächlich mit der Vielfalt an der Schule auseinanderzusetzen. Eine Lehrerin mit afrikanischen Wurzeln berichtet beispielsweise, dass von ihr erwartet wird, sich für die Partnerschaft mit der Schule des schwarzen Kontinents, das Anti-Rassismus-Projekt und dergleichen mehr verantwortlich zu fühlen. Die Schulkultur verändert sich dadurch nicht.

    72 Prozent der Lehrer mit migrantischem Hintergrund fühlen sich laut Studie von den Kollegen ihrer Schule akzeptiert. Dennoch erleben viele von ihnen nicht nur überfordernde Rollenzuschreibungen. Sie berichten auch von Kulturalisierungen unter dem Motto Türken stinken immer nach Knoblauch und Diskriminierungen beispielsweise aufgrund ihrer Sprachbeherrschung, ihres Akzentes, ihrer Religion oder anderer Vorurteile.

    "Dass die sich gar nicht vorstellen können, dass eine Türkin Naturwissenschaften studiert, erfolgreich auch noch. Das gibt es. Auch den Satz musste ich mir anhören: Jetzt sehen deutsche Beamte schon so aus."

    "Es gibt viele Erzählungen, wo migrantische Lehrende erzählen, ich zittere auf dem Elternabend und sitze an der Tafel und habe Angst, dass ich jetzt einem Kommafehler mache, weil ich jetzt weiß, dass der Studienrat so und so vom Schüler so und so jetzt ganz genau guckt, ob ich als migrantischer Lehrer jetzt einen Fehler mache. Da sind sie unter einem großen Druck auch und sie müssen einen großen Balanceakt tatsächlich meistern zwischen all diesen unterschiedlichen Erwartungshaltungen ihren eigenen Weg zu gehen."

    Dabei bauen auch diese Lehrer vor allem auf ihre eigenen, reflektierten Erfahrungen. Aus- und weitergebildet, um im interkulturellen Klassenzimmer zu bestehen, sind noch immer die Ausnahme. Welche Nachteile das bringt, wir auch am Verhältnis der Lehrenden mit Migrationshintergrund zu ihrer Herkunftssprache im Unterricht deutlich. Auch sie verpflichten in der Regel ihre Schüler auf Deutsch als Unterrichtssprache, verstärken den monolingualen Habitus der deutschen Schule und nutzen Türkisch, Arabisch, Russisch und andere Sprachen meist nur im Gespräch unter vier Augen im außerschulischen Kontext. Die Muttersprache als Bildungsressource für Kinder mit Migrationshintergrund bleibt damit ungenutzt, bedauert die Erziehungswissenschaftlerin Ursula Neumann von der Universität Hamburg.

    "Dass sie in der Lage sind, die Kinder darauf anzusprechen, die Pluralbildung im Türkischen, wie macht ihr das und dann entdecken die Kinder, im Deutschen gibt es acht verschiedene Formen, den Plural zu bilden und im Türkischen ist es ganz einfach, da kommt nur la oder ler dran. Oder im Englischen ist es noch einfacher, nur ein s, also dass die Kinder verstehen, was ein Plural ist. Das ist in einer einsprachigen Situation viel schwieriger. Und deswegen meine ich, wenn solche Kompetenzen nicht genutzt werden, dann ist das leer und hohl. Wir holen uns die Lehrer mit all ihren multikulti Fähigkeiten und dann setzen die aber nicht ein."

    Lehrende mit Migrationshintergrund - so das Fazit der Studie - können die Öffnung der Schule hin zu einer gelebten Vielfalt anregen und unterstützen. Um tatsächlich eine interkulturelle Schulentwicklung voranzutreiben, ist es notwendig, Heterogenität im viel weiteren Sinne zu diskutieren und zu üben. Viola Georgi nennt Beispiele.

    "Dazu gehört, dass man in der Schulbücher Bücher in anderen Sprachen hat, seien es Comics sei es die Literatur, auch in den Muttersprachen lesbar. /Es spielt auch eine große Rolle, dass die Lehrbücher und Lehrmaterialien diese Minderheiten auch in einem positiven Sinne repräsentieren. Da gibt es auch ganz viele Beispiele, die diese Minderheiten noch einmal stigmatisieren. Das ist ganz zentral. Das Curriculum spielt eine Rolle. Wie gehen eigentlich die Fächer mit der Frage der Vielfalt in ihren Klassenzimmern um. Für den Deutschunterricht beispielsweise, dass man genau so selbstverständlich wie man Goethe Faust unterrichtet, man auch die Karawanserei von Emine Sevgi Özdamar mit hinein nimmt oder andere Migrantenliteratur. Im Geschichtsunterricht, dass man fragt, wie gehen wir eigentlich damit um, dass wir ganz viele Menschen hier haben, die eine ganz andere Kollektivgeschichte mitbringen, die andere Nationalgeschichten mitbringen. Wie kann man das eigentlich zu einem Gegenstand der Verhandlung von Identität in der Einwanderungsgesellschaft machen."