Burkhard Müller-Ullrich: Und wenn gerade von den wortlosen Bildern der Theatermacherin Gisèle Vienne die Rede war, dann liegt es nahe, diese Schnittstelle von Schauspiel und Bildender Kunst auch von der anderen Seite zu betrachten, und das wäre dann die Performance, das Happening und der Spezialfall Fluxus. Christiane Vielhaber, Sie waren im Dortmunder U, dem ehemaligen Gär- und Lagerhaus der berühmten Union-Brauerei, das jetzt als Kulturzentrum dient und unter anderem vom Museum am Ostwall bespielt wird. Nun denkt man bei Fluxus zunächst an die Weltstadt Wiesbaden oder vielleicht auch an Köln in den wilden 60er-Jahren, aber warum Dortmund?
Christiane Vielhaber: Dortmund, das hängt mit den Sammlern zusammen, die sich schon ganz früh für Fluxus begeistern können. Das ist einmal der Remscheider Unternehmer Wolfgang Feelisch, der in dieses Netzwerk von diesen international agierenden Künstlern auch mit eingebunden war. Er hat auch vieles finanziert, er hat auch Kästchen verlegt oder Scheiben verlegt und er hat den Vice-Versand. Es ist einmal er und dann hatte dieser Herr Feelisch in Remscheid in der Innenstadt irgendwann mal in den 60er-Jahren eine Vitrine gemietet, die so Läden vor der Tür haben, die Werbung machen, ich sage jetzt mal vor einer Drogerie oder Apotheke. Die hatte er gemietet und hatte schon ganz witzige Objekte, die sich diese Künstler gegenseitig geschickt beziehungsweise gemailt hatten, da ausgestellt. Und dann gab es den Ingenieur Hermann Braun, der davon wieder fasziniert war. Der fing dann auch an zu sammeln, und beide haben nach und nach dem Dortmunder Museum Teile dieser Sammlung, die immer noch gewachsen ist, als Leihgaben überlassen, und jetzt hat Dortmund mithilfe der Stadt, aber auch mit Freunden des Museums auch noch 300 Objekte aus diesen Sammlungen angekauft und die werden nun in einer Sonderausstellung präsentiert, denn Fluxus gehört auch zur ständigen Sammlung des Museums.
Müller-Ullrich: Jetzt war schon von Scheiben und Kästchen und Witzen die Rede und wir müssen mal kurz nachtragen, was Fluxus eigentlich ist oder war: Nach Dada - das war ja vor dem Ersten Weltkrieg noch - eine große Gegenbewegung in der Kunst, also eine Bewegung, die Kunst eigentlich negiert hat und die dem Bürger so ein bisschen die Zunge rausgestreckt hat - hat Fluxus was ganz Ähnliches gemacht, nur vielleicht noch radikaler. Kann man sagen, mit Publikumsverarschung?
Vielhaber: Nein, das wollte man ganz bestimmt nicht. Dahinter steckte eine Theorie. Man wusste, was man nicht wollte, nämlich keine statische Kunst, also keine Skulptur oder kein Bild an der Wand, sondern eine Ereigniskunst. Das sieht so aus, dass man zum Beispiel Karten verteilt an die Menschen, die um einen herumstehen, und dann steht auf diesen Karten zum Beispiel "Boden" und dann gucken die Leute auf den Boden. Dann steht dort "Wand", dann dreht man sich zur Wand. Dann steht da "Decke", dann schaut man unter die Decke. Es gibt also Handlungsanweisungen, und das kam nicht von Ungefähr. Der eine Vater der Fluxus-Kunst ist John Cage mit dem Prinzip Zufall. Sie haben vorhin Wiesbaden genannt. 1962, also vor 50 Jahren, fand das erste Fluxus-Konzert in Wiesbaden statt, und John Cage hatte dafür Geräusche aus dem Alltag zufällig zusammengemixt und daraus dann ein Konzert gemacht. Und auf der anderen Seite steht der Gründungsvater Marcel Duchamp, der auch Alltagsgegenstände genommen hat, sie aber zur Kunst geadelt hat, indem er das Pissoir dann ins Museum getan hat.
Man kann auch nicht sagen Mitmachkunst, denn Fluxus-Kunst entsteht nur in dem Moment, wo jemand handelt, und wenn er aufhört zu handeln, ist die Kunst vorbei. Ein Beispiel: Allan Kaprow hat noch in den späten 80er-Jahren einen Damenschuh Größe 38 an einen Bindfaden gebunden und ist dann damit durch die Bonner Innenstadt gegangen. Er hatte mit dabei ein Pflaster und Verbandsmaterial, und immer wenn der Schuh irgendwo gegenklapperte, oder wenn er sich verletzte, wurde der Schuh dann heil gemacht, und diesen Schuh kann man jetzt zum Beispiel mit seinen Verletzungen und Pflästerchen auch im Museum sehen.
Aber der Vater, der diese Gruppe zusammengehalten hat, war der aus Litauen stammende Maciunas. Den muss man sich so vorstellen wie André Breton bei den Surrealisten, der bestimmte: Du darfst bei uns mitmachen, du nicht, du darfst, du nicht. Das muss teilweise schwierige Kämpfe gegeben haben, dass man überhaupt dazugehören durfte.
Müller-Ullrich: Jetzt haben Sie ja schon auf diesen performativen Charakter hingewiesen, also eigentlich ist es eine Aufführungskunst. Das macht sie aber eigentlich kaum ausstellbar?
Vielhaber: Zum Beispiel haben wir eine große Sandkiste, die Wolf Vostell bei dem Sammler Feelisch im Garten installiert hatte, und dazugibt es Gummistiefelchen und dann gibt es Schaufeln und aus Gewichtsgründen ist diese große Kiste jetzt mit Torf gefüllt, und dann können Sie in diese Kiste reingehen und dann hauen Sie mit dem Spaten in diese Torfmasse und plötzlich macht es Bumm und dann hört man plötzlich ein Klavier, das macht Ping. Unter diesem Boden sind Drähte gespannt und die werden durch Membrane, durch Lautsprecher nach draußen gegeben, und jedes Mal, wenn Sie irgendwo einen Nerv in diesem Sinne treffen, dann kommt es zur Musik, und wenn Sie aus dieser Kiste rausgehen, ist die Kunst vorbei.
Müller-Ullrich: Ist das für Konservatoren nicht irgendwie grauenhaft, die Vorstellung, dass das Publikum alles anfassen darf?
Vielhaber: Na ja, man darf nicht so viel anfassen. Vieles ist doch in Vitrinen. Man kann viel lesen, man kann digital in Dingen blättern, man kann an Musikstationen zum Beispiel die Konzerte hören, die damals beim WDR aufgeführt worden sind, man hört einzelne Künstler, die von der Theorie reden. Aber Sie hören dann auch so was Witziges wie Robert Filliou, "Nui, Nui, Nui". Das ist zusammengesetzt aus no und oui und das ist dann ein Vogellaut und daneben haben Sie ein kleines Objekt mit einem winzigen Vögelchen drauf.
Müller-Ullrich: Dortmund scheint, noch über Geld zu verfügen, denn ich lese, es wird weiter angekauft.
Vielhaber: Na ja. Man muss natürlich betteln gehen und teilweise sind sicherlich diese beiden Sammler, beziehungsweise der Sammler Braun ist vor wenigen Jahren gestorben, auch großzügig und pressen die nicht so aus. Und es ist ja auch eine Kunst, die nicht über die Maßen teuer ist. Natürlich: so ein Kärtchen von Beuys - und viele wissen gar nicht, dass Beuys auch zu Fluxus gehörte -, wo dann nur draufsteht, "Gib mir Honig" in der typischen Schrift von Beuys - das wird kein Vermögen kosten.
Müller-Ullrich: Vielen Dank! - Das war Christiane Vielhaber über die Ausstellung "Fluxus - Kunst für Alle" im Dortmunder U.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christiane Vielhaber: Dortmund, das hängt mit den Sammlern zusammen, die sich schon ganz früh für Fluxus begeistern können. Das ist einmal der Remscheider Unternehmer Wolfgang Feelisch, der in dieses Netzwerk von diesen international agierenden Künstlern auch mit eingebunden war. Er hat auch vieles finanziert, er hat auch Kästchen verlegt oder Scheiben verlegt und er hat den Vice-Versand. Es ist einmal er und dann hatte dieser Herr Feelisch in Remscheid in der Innenstadt irgendwann mal in den 60er-Jahren eine Vitrine gemietet, die so Läden vor der Tür haben, die Werbung machen, ich sage jetzt mal vor einer Drogerie oder Apotheke. Die hatte er gemietet und hatte schon ganz witzige Objekte, die sich diese Künstler gegenseitig geschickt beziehungsweise gemailt hatten, da ausgestellt. Und dann gab es den Ingenieur Hermann Braun, der davon wieder fasziniert war. Der fing dann auch an zu sammeln, und beide haben nach und nach dem Dortmunder Museum Teile dieser Sammlung, die immer noch gewachsen ist, als Leihgaben überlassen, und jetzt hat Dortmund mithilfe der Stadt, aber auch mit Freunden des Museums auch noch 300 Objekte aus diesen Sammlungen angekauft und die werden nun in einer Sonderausstellung präsentiert, denn Fluxus gehört auch zur ständigen Sammlung des Museums.
Müller-Ullrich: Jetzt war schon von Scheiben und Kästchen und Witzen die Rede und wir müssen mal kurz nachtragen, was Fluxus eigentlich ist oder war: Nach Dada - das war ja vor dem Ersten Weltkrieg noch - eine große Gegenbewegung in der Kunst, also eine Bewegung, die Kunst eigentlich negiert hat und die dem Bürger so ein bisschen die Zunge rausgestreckt hat - hat Fluxus was ganz Ähnliches gemacht, nur vielleicht noch radikaler. Kann man sagen, mit Publikumsverarschung?
Vielhaber: Nein, das wollte man ganz bestimmt nicht. Dahinter steckte eine Theorie. Man wusste, was man nicht wollte, nämlich keine statische Kunst, also keine Skulptur oder kein Bild an der Wand, sondern eine Ereigniskunst. Das sieht so aus, dass man zum Beispiel Karten verteilt an die Menschen, die um einen herumstehen, und dann steht auf diesen Karten zum Beispiel "Boden" und dann gucken die Leute auf den Boden. Dann steht dort "Wand", dann dreht man sich zur Wand. Dann steht da "Decke", dann schaut man unter die Decke. Es gibt also Handlungsanweisungen, und das kam nicht von Ungefähr. Der eine Vater der Fluxus-Kunst ist John Cage mit dem Prinzip Zufall. Sie haben vorhin Wiesbaden genannt. 1962, also vor 50 Jahren, fand das erste Fluxus-Konzert in Wiesbaden statt, und John Cage hatte dafür Geräusche aus dem Alltag zufällig zusammengemixt und daraus dann ein Konzert gemacht. Und auf der anderen Seite steht der Gründungsvater Marcel Duchamp, der auch Alltagsgegenstände genommen hat, sie aber zur Kunst geadelt hat, indem er das Pissoir dann ins Museum getan hat.
Man kann auch nicht sagen Mitmachkunst, denn Fluxus-Kunst entsteht nur in dem Moment, wo jemand handelt, und wenn er aufhört zu handeln, ist die Kunst vorbei. Ein Beispiel: Allan Kaprow hat noch in den späten 80er-Jahren einen Damenschuh Größe 38 an einen Bindfaden gebunden und ist dann damit durch die Bonner Innenstadt gegangen. Er hatte mit dabei ein Pflaster und Verbandsmaterial, und immer wenn der Schuh irgendwo gegenklapperte, oder wenn er sich verletzte, wurde der Schuh dann heil gemacht, und diesen Schuh kann man jetzt zum Beispiel mit seinen Verletzungen und Pflästerchen auch im Museum sehen.
Aber der Vater, der diese Gruppe zusammengehalten hat, war der aus Litauen stammende Maciunas. Den muss man sich so vorstellen wie André Breton bei den Surrealisten, der bestimmte: Du darfst bei uns mitmachen, du nicht, du darfst, du nicht. Das muss teilweise schwierige Kämpfe gegeben haben, dass man überhaupt dazugehören durfte.
Müller-Ullrich: Jetzt haben Sie ja schon auf diesen performativen Charakter hingewiesen, also eigentlich ist es eine Aufführungskunst. Das macht sie aber eigentlich kaum ausstellbar?
Vielhaber: Zum Beispiel haben wir eine große Sandkiste, die Wolf Vostell bei dem Sammler Feelisch im Garten installiert hatte, und dazugibt es Gummistiefelchen und dann gibt es Schaufeln und aus Gewichtsgründen ist diese große Kiste jetzt mit Torf gefüllt, und dann können Sie in diese Kiste reingehen und dann hauen Sie mit dem Spaten in diese Torfmasse und plötzlich macht es Bumm und dann hört man plötzlich ein Klavier, das macht Ping. Unter diesem Boden sind Drähte gespannt und die werden durch Membrane, durch Lautsprecher nach draußen gegeben, und jedes Mal, wenn Sie irgendwo einen Nerv in diesem Sinne treffen, dann kommt es zur Musik, und wenn Sie aus dieser Kiste rausgehen, ist die Kunst vorbei.
Müller-Ullrich: Ist das für Konservatoren nicht irgendwie grauenhaft, die Vorstellung, dass das Publikum alles anfassen darf?
Vielhaber: Na ja, man darf nicht so viel anfassen. Vieles ist doch in Vitrinen. Man kann viel lesen, man kann digital in Dingen blättern, man kann an Musikstationen zum Beispiel die Konzerte hören, die damals beim WDR aufgeführt worden sind, man hört einzelne Künstler, die von der Theorie reden. Aber Sie hören dann auch so was Witziges wie Robert Filliou, "Nui, Nui, Nui". Das ist zusammengesetzt aus no und oui und das ist dann ein Vogellaut und daneben haben Sie ein kleines Objekt mit einem winzigen Vögelchen drauf.
Müller-Ullrich: Dortmund scheint, noch über Geld zu verfügen, denn ich lese, es wird weiter angekauft.
Vielhaber: Na ja. Man muss natürlich betteln gehen und teilweise sind sicherlich diese beiden Sammler, beziehungsweise der Sammler Braun ist vor wenigen Jahren gestorben, auch großzügig und pressen die nicht so aus. Und es ist ja auch eine Kunst, die nicht über die Maßen teuer ist. Natürlich: so ein Kärtchen von Beuys - und viele wissen gar nicht, dass Beuys auch zu Fluxus gehörte -, wo dann nur draufsteht, "Gib mir Honig" in der typischen Schrift von Beuys - das wird kein Vermögen kosten.
Müller-Ullrich: Vielen Dank! - Das war Christiane Vielhaber über die Ausstellung "Fluxus - Kunst für Alle" im Dortmunder U.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.