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"Das nächste Leben geht aber heute an"

Caroline Schlegel-Schelling (1763-1809) arbeitete als Übersetzerin, Lektorin und Sekretärin ihrer beiden Ehemänner, dem Literaturkritiker August Wilhelm Schlegel und dem Philosophen, Friedrich Wilhelm Schelling. Selber veröffentlichte sie jedoch kaum etwas. Zu ihrer Hinterlassenschaft zählt dennoch eine Reihe schöner Briefe, an die Christa Bürger in dem nun folgenden Essay erinnert.

Von Christa Bürger | 01.02.2009
    Christa Bürger war bis 1998 Literatur-Professorin an der Universität Frankfurt. Ihre Buchveröffentlichung: "Mein Weg durch die Literaturwissenschaft" erschien 2003 im Suhrkamp Verlag.

    Den Abschluss unserer "Romantischen Reihe" bildet am Sonntag, 8.2.2009, ein Beitrag von Albrecht Betz über den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und den Dichter Heinrich Heine.


    Christa Bürger: Caroline Schlegel-Schelling in ihren Briefen
    "Eine geringe Begebenheit ward durch ihre Art, sie zu erzählen, so reizend wie ein schönes Märchen. Alles umgab sie mit Gefühl und mit Witz, sie hatte Sinn für alles, und alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. [...] Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche, und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesichte eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen. [...] Wer sie nur von dieser Seite kannte, hätte denken können, sie sei nur liebenswürdig, sie würde als Schauspielerin bezaubern müssen, und ihren geflügelten Worten fehle nur Maß und Reim, um zarte Poesie zu werden. Und doch zeigte eben diese Frau bei großen Gelegenheiten Mut und Kraft zum Erstaunen."

    Das in Friedrich Schlegels erotischem Roman "Lucinde" versteckte Portrait seiner Schwägerin, gilt einer Frau, "die einzig war und die seinen Geist zum erstenmal ganz und in der Mitte traf".

    Im literarischen Kanon ist der Name dieser Frau nicht verzeichnet, doch lassen Caroline Schlegel-Schellings Briefe sich lesen als ein Kompendium romantischer Poesie. Der junge Friedrich Schlegel jedenfalls hat das so gesehen, wenn er ihr die Rhapsodie als ihre Naturform zuordnet. Was er damit meint, ist in seinen "Literarischen Notizen" festgehalten: Rhapsodie, das ist unsystematische Philosophie, Poesie, "die man nicht zu lernen braucht". Rhapsodie ist das Sich-Ausströmende, das Flüchtige, das, vom Zauber der lebendigen Person getragen, das Herz im Mittelpunkt trifft, wie es fast gleichlautend bei Schelling heißt.

    Ihre Wirkung haftet an Blick und Stimme, und so hat Caroline - um sie hier mit dem nur ihr eigenen Namen zu nennen -eine Form gefunden, die ihren Kunstwerkcharakter stets selbst wieder aufhebt: das gesprochene Wort, das noch im Brief nachklingt. Die Geisteshaltung aber, die in Carolines rhapsodischen Briefen zum Ausdruck kommt, ist die Ironie.

    Stimme und Blick dieser romantischen Schriftstellerin sind noch heute zu ahnen in der eigentümlichen geistigen Heiterkeit eines ihrer letzten Briefe mit dem Portrait der jungen Bettina von Arnim:

    "Das will ich Dir sagen, wir haben hier eine Nebenbuhlerin von Dir, mit der ich Dich schon ein wenig ärgern muss, wie sie mit Dir. Da kürzlich in einem Allmanach eine Erzählung von Goethe unter der Benennung die pilgernde Thörin stand, glaubt ich, er könnte niemand anders damit gemeint haben als eben Deine Nebenbuhlerin ... jener Name paßt wie für Bettina Brentano. Hast Du noch nicht vor ihr gehört? Es ist ein wunderliches kleines Wesen... innerlich verständig, aber äußerlich ganz thöricht, anständig und doch über allen Anstand hinaus, alles aber, was sie ist und thut, ist nicht rein natürlich, und doch ist es ihr unmöglich anders zu seyn. Sie leidet an dem Brentanoischen Familienübel: einer zur Natur gewordenen Verschrobenheit, ist mir indessen lieber wie die andern ... Unter dem Tisch ist sie öfter zu finden wie drauf, auf einen Stuhl niemals. Du wirst neugierig seyn zu wissen, ob sie dabei hübsch und jung ist, und da ist wieder drollicht, daß sie weder jung noch alt, weder hübsch noch häßlich, weder wie ein Männlein noch wie ein Fräulein aussieht."

    Die Gegenwart der Schreibenden vermittelt sich über ihre der Umgangssprache angenäherte, dialogische Sprechweise, vor allem über die Art, wie sie ihre jugendliche Briefpartnerin Pauline Gotter, die nur wenige Jahre später, nach Carolines frühem Tod, Schellings zweite Frau werden sollte, in ein erotisches Spiel einbindet, die Rivalität der jungen Mädchen um die Zuneigung Goethes. Die Bedeutung des Portraits besteht darin, dass der verschrobenen Individualität dieser pilgernden Törin ihre Rätselhaftigkeit bleibt. Für uns aber geraten Literatur und Leben darin so durcheinander, dass wir nicht mehr wissen, ob von Bettina oder von Mignon, Goethes geheimnisvollem Mädchenknaben aus dem "Wilhelm Meister", die Rede ist.

    Caroline beschreibt ein wirkliches lebendiges Geschöpf und - die Poesie, die freilich dämonischer Natur ist. Denn wie der Eros in Platons "Symposion" ist Bettina weder schön noch hässlich, sondern etwas dazwischen; sie ist nicht die Geliebte, sondern die ewig Liebende. Mit dem Portrait erreicht Carolines rhapsodisches Schreiben jene Grenze, wo die Ironie umschlägt in den Ernst. "Die vollendete absolute Ironie hört auf Ironie zu seyn und wird ernsthaft", notiert sich Friedrich Schlegel.

    Die Wirkungsgeschichte der Romantik ist der Auffassung des geistreichsten Kritikers der Epoche nicht gefolgt. Sie hat die Verweigerung des Werks missverstanden und das Rezeptionsinteresse von den Texten auf die Biographie der Frau verschoben. Sie hat Carolines Briefe als Autobiografie, ihr Leben aber als Roman gelesen - ein bis heute gängiges Verfahren, das mit der Absicht der nachträglichen Aufwertung die Ausgrenzung der Frau aus der Geschichte der Literatur noch einmal bestätigt, indem sie Leben und Werk gegeneinander austauscht.

    Nun bietet freilich das Leben von Caroline Schlegel-Schelling sich diesem Verfahren geradezu an. Es enthält Stoff für mehr als nur einen Roman; aber als ein mit hoher Bewusstheit gelebtes macht es in seinen krisenhaften Momenten eine ganz eigene, eigensinnige innere Form erkennbar, wo die LebendeRedendeSchreibende der Ort ist, "in welchem die Sprache lebendig wird", oder wo die Sprache zur "lebendigen Tat" wird.

    Der Freundschaftsbrief gehört zur herrschenden Praxis der Epoche der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, in die Carolines Jugend fällt, aber die 1763 geborene Tochter des Göttinger Orientalisten Johann Davis Michaelis verhält sich bereits als Fünfzehnjährige ablehnend gegenüber dem Kult der Empfindsamkeit und sucht ihre Orientierungen in der Aufklärung; Selbständigkeit, Vernunft, Reflexion sind ihre Leitwerte. Sie schreibt sich mit ihren Briefen den Begleittext zu ihrem Leben, reflektierend, räsonierend, philosophierend. Sie sei "nicht romantisch", stellt sie fest und will damit sagen, dass sie sich auf keine leidenschaftliche Liebesbeziehung einzulassen gedenkt. Les amants malheureux, ce n'est pas mon fait. Sie sei "keine mystische Religions Enthousiastin".

    Als sie merkt, dass sie in der Enge von Clausthal im Harz, im Alltag einer Vernunftehe mit dem zehn Jahre älteren Arzt Franz Böhmer auf dem vorgesetzten Weg der Selbstverwirklichung nicht weiterkommt, hält sie "Revue". Sie entscheidet, dass sie zufrieden ist, insofern sie sich als Schöpferin ihrer Situation betrachten kann. Um dem Horror der Leere und der Zwecklosigkeit zu entkommen, ordnet sie ihren Tagesablauf nach einem genauen Plan. Sie betet ihre kleine Tochter Auguste an, sie liest wahllos alles, was sie in die Hände bekommen kann, sie hat keine bestimmten Wünsche und äußert keine. Sie beobachtet den Gang ihrer "innren Geschichte". Bevor sie sich die Frage stellen kann, ob sie ihr Leben ändern will, stirbt Böhmer. Eine zweite Verbindung, die Freunde ihr zu vermitteln versuchen, schlägt sie aus und hat damit ihre erste freie Wahl getroffen.

    Sie hat noch immer keine bestimmten Wünsche, aber hinfort ein Bewusstsein ihrer selbst. Den Tod Böhmers muss sie als einen bedeutungsvollen Zufall erfahren haben, als ein Zeichen, dass sie dem "sanften Mut ihres Herzens" folgen darf, ihrem Geschick. Dieser Zug, die eigene Existenz als schicksalhafte auszulegen, fügt sich zu dem frühesten, "Göttern und Menschen zum Trotz glücklich" sein zu wollen.

    "Ich habe mir ein Ziel meines Bleibens gesezt - dann weiter, wohin mein Genie reicht - denn ich fürchte, das Geschick und ich haben keinen Einfluss mehr aufeinander - seine gütigen Anerbietungen kan ich nicht brauchen - seine bösen Streiche will ich nicht achten [...] auf Wunder rechnet man nicht, wenn man sich fähig fühlt Wunder zu thun und ein widerstrebendes Schicksaal durch ein glühendes, überfülltes, in Schmerz wie in Freuden schwelgendes Herz zu bezwingen."

    Das ist das "heilig glühende Herz" der Hymnen des jungen Goethe, dessen "Prometheus" sie noch vor der Veröffentlichung kannte: ein Ich, das in seiner Fähigkeit zu fühlen, sich selbst genießt:

    "Ich dachte an alles Liebste und Schmerzlichste und das eigne unter Fluch und Segen der Götter ruhende Geschick."

    Zweimal lässt Caroline sich mit ihre "Privatbegebenheiten" von den Stürmen einer Revolution mitreißen, denn auch die romantische Bewegung erscheint ihr als eine revolutionäre Gärung. Sie erlebt im Hause des Mainzer Jakobiners Georg Forster und seiner Frau, ihrer Freundin Therese, die Errichtung und Zerschlagung der Mainzer Republik. Über den Grad ihrer Verflochtenheit in die politischen Aktivitäten Forsters können wir nur mutmaßen. Wahrscheinlich ist ein Großteil ihrer Briefe aus dieser Epoche verloren gegangen oder vernichtet worden, und bei den erhaltenen ist davon auszugehen, dass sie sich angesichts der politischen Lage Zurückhaltung auferlegt. Jedenfalls verwendet sie in diesen Briefen einen ironischen Chronistenstil, der ihre eigene Position nicht erkennen lässt.

    "Das rothe Jacobiner-Käppchen, das Sie mir aufsetzen, werf ich Ihnen an den Kopf. Für das Glück der kaiserlichen und königlichen Waffen wird freilich nicht gebetet - die Despotie wird verabscheut, aber nicht alle Aristokraten - kurz, es herrscht eine reife edle Unpartheylichkeit". "

    So fasst sie die politische Haltung des Freundes zusammen. Trotz der Warnungen des um sie besorgten August Wilhelm Schlegel, dessen Heiratsanträge sie wiederholt zurückweist, bleibt sie in Mainz, das kurze Zeit nach ihrer Ankunft von französischen Revolutionstruppen erobert worden war, auch noch als im November 1792 Forster dem Jakobinerclub beitritt.

    " "Können Sie im Ernst darüber lachen, wenn der arme Bauer, der drey Tage von vieren für seine Herrschaften den Schweiß seines Angesichts vergießt, und es am Abend mit Unwillen trocknet, fühlt, ihm könte, ihm solte beßer seyn? Von diesem Gesichtspunkt gehen wir aus."

    Dieses politische Bekenntnis, das sie einem skeptischen Freund in der Form einer rhetorischen Frage vorlegt - es ist in dem erhaltenen Konvolut der Briefe der einzige direkte Hinweis auf ihre Sympathie mit den Ideen der Großen Französischen Revolution - wird sie nur wenige Monate später bitter zu büßen haben.

    Als Caroline im April 1793 aus dem von den Alliierten belagerten Mainz zu fliehen versucht, wird ihre Kutsche von einem preußischen Vorposten aufgehalten. Von einem Mitreisenden als Ehefrau eines Mainzer Republikaners denunziert, wird sie zusammen mit der achtjährigen Auguste auf die Feste Königstein bei Frankfurt gebracht, wo sie drei Monate gefangen gehalten wird, ohne Anklage, ohne Verfahren. Zurecht vermutet sie, dass man sie als Geisel benutzen will, um Forster dazu zu bringen, dass er sich stellt.

    "Denken Sie sich in einem Zimmer mit 7 anderen Menschen, ohne eine Augenblick von Ruhe und Stille, und genöthigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen, was Sie umgiebt, zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn - und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit [...] Mir müßen Sie es wenigstens nicht sagen, die ich 160 Gefangne sah, welche durch deutsche Hände gingen, geplündert, bis auf den Tod geprügelt worden waren, ohngeachtet die wenigsten von ihnen den Franken wirklich angehangen hatten [...] Königstein bildet eifrige Freyheitssöhne - alles, was sich noch von Kraft in diesen Armen regt, lehnt sich gegen dies Verfahren auf."

    Im Juli 1793 gelingt es Carolines jüngstem Bruder, beim preußischen König ihre Freiheit zu erwirken, buchstäblich im letzten Augenblick, denn sie ist im fünften Monat schwanger und entschlossen zum Suizid. Sie hatte, in einer Stunde "festlicher Verschwendung" auf einem von den Franzosen veranstalteten Ball, hingerissen vom Glanz der Freiheit und von der Liebenswürdigkeit ihres französischen Kavaliers, eines blutjungen Offiziers, Jean-Baptiste Crancé-Dubois, "aus leichtsinniger Kühnheit sich hingegeben", wie sie sich in ihrer großen Beichte ausdrückt.

    "Ich habe vergeßen, was ich meinem Kinde schuldig war ... und die Folgen rächen sich in dem Nahmen, gegen den ich sündigte... Ich hatte mir eine bestimmte Zeit gesezt; wurde ich innerhalb dieser nicht gerettet, so hätte ich zu leben aufgehört, denn meinem armen Kinde war es beßer ganz Waise zu sein, als eine entehrte Mutter zu haben."

    Die "Mittel dazu" hatte August Wilhelm Schlegel besorgt, der sie auch nach ihrer Freilassung abholt und unter falschem Namen bei einem alten Arzt in einem Dorf bei Leipzig unterbringt, für ihren Unterhalt aufkommt und den Bruder Friedrich damit beauftragt, ihr Gesellschaft zu leisten und beizustehen.

    Als Madame Julie Krantz bringt sie im November 1793 einen Jungen zur Welt, den sie im Altenburgischen zurücklässt, wo er nach einem Jahr stirbt. Den Heiratsantrag Crancés lehnt sie ab, aber entschließt sich zur Ehe mit August Wilhelm Schlegel und geht mit ihm nach Jena.

    Die kleine Auguste hält sich an das Verbot der Mutter, vor Dritten das Brüderchen zu erwähnen. Wir haben von der Frau, die durch das Inferno dieser barbarischen Festungshaft gegangen ist, kein Bild, aber aus ihren Selbstbekenntnissen und anklagenden Briefen kommt uns eine Gestalt entgegen, die, durch eine furchtbare Prüfung plötzlich mit sich selbst bekannt gemacht, sich "an ihrer eigenen Hand" "aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestürzt hatte", emporhebt, das Ich Caroline, deren "innere Heiterkeit der Seele" fortan nichts mehr wird stören können. Sie schreibt:

    "Aber ich bin wahrhaftig nur eine gute Frau, und keine Heldin". "

    Wenn ihr Leben sich für uns darstellt wie ein Roman, so weil sie dieser Nicht-Heldin eine innere Form gegeben hat, den Glauben an ihr jedem Schicksal gewachsenes Ich.

    Auf die "stille Gewalt" ihres "eigenen guten Gemüths" kann sie sich auch in der neuen Lebensgemeinschaft mit Schlegel verlassen. Carolines Mittagstisch, um den sich in den beiden letzten Jahren des 18. Jahrhunderts um die achtzehn Menschen versammeln, neben August Wilhelm und der jungen Auguste Friedrich und Dorothea Schlegel, die Familie des Malers Tischbein, Novalis und Schelling, ist der Mittelpunkt der romantischen Bewegung und Schauplatz dramatischer Szenen, Vereinigungen und Trennungen.

    Es herrscht eine Atmosphäre hochgespannter Erwartungen und ruheloser Produktivität; Caroline ist beteiligt an August Wilhelms Shakespeare-Übersetzungen und an Friedrich Schlegels Athenäums-Fragmenten und schreibt eigene Rezensionen. Aber auch als sich Risse in den komplizierten intellektuellen und erotischen Beziehungen innerhalb des Kreises zeigen und sie sich umgeben sieht von Verrat und Anfeindungen, lässt sie sich in dem Glauben an ihr Geschick nicht beirren.

    " "Ich seh im Gang meines Lebens Ursache und Folge genau miteinander verflochten, und will mich nicht gegen die Nothwendigkeit auflehnen. Es giebt gesammelte Stunden, wo der tief - allem zum Grunde liegende - Schmerz über ein Daseyn voll Wiederspruch herrschend wird - er lößt sich sanft auf in jedes Geschäft, an welches die Gegenwart mich heftet, in den geringsten Genuß, den sie mir darbietet. - Dies ist auch der Wiederspruch - aber wir müßen den Göttern danken nicht consequent zu seyn."

    Das ist ein vorsichtig, fast zögernd vorgetragenes Credo. Die Schreibende blickt auf ihr individuelles Leben wie auf den Gang der großen Geschichte; beide regiert die Notwendigkeit. Carolines Wille zum Glück steht im entschiedensten Gegensatz zu dem Grundgefühl der Epoche, der Zerrissenheit, die sie in der Gestalt ihres Schwagers Friedrich Schlegel vor sich hat mit seinem Drang zur alles zersetzenden Reflexion.

    Sie hat die Inkonsequenz, das Leben zu ergreifen und festzuhalten. Gegen die "kolossale Dissonanz" der Zeit setzt sie die sanfte Selbständigkeit einer Individualität, die nicht antik und nicht modern zu nennen wäre, sondern zu einer eigenen Ordnung gehört. Noch in der letzten großen Krise ihres Lebens, der Trennung von Schlegel, handelt sie im Gefühl der inneren Übereinstimmung mit ihrem Geschick, wo

    "von keiner Verschuldung die Rede seyn kann". "

    Sie fragt sich nicht, "was an sich gut ist", sondern nur, was für sie das "Rechte und Wahre" ist. Moralische Betrachtungen weist sie zurück,

    " "die aus einer andern Welt genommen sind, als in der ich existire". "

    Aus ihren Briefen tritt uns so allmählich ein Selbstbewusstsein entgegen, das beansprucht, nach seinem eigenen Gesetz zu leben, und wir beginnen zu verstehen, was dieser eher zerbrechlichen Frau den Namen einer "Madame Luzifer" eingetragen haben könnte, der in der Umgebung Schillers, wenn nicht aufgekommen, auf jeden Fall verwendet worden ist.

    Caroline ist zutiefst ungläubig, wie vielleicht von den Zeitgenossen nur Goethe, und doch kann sie von sich sagen:

    " "Ich habe am Ende doch mehr Glauben als ihr alle."

    Sie glaubt nicht an Gott, aber an die Göttlichkeit des Ich. Wie ernst es ihr ist mit diesem dämonischen Glaubensbekenntnis, macht ihre Jakobi-Kritik deutlich. Sie stimmt überein mit Jakobis Begründung aller philosophischen und moralischen Gewissheit auf das Gefühl, auf die unmittelbare Wahrheit des Herzens. Aber sie weist seinen salto mortale zurück, den Sprung aus der menschlichen Freiheit in den "Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit".

    " Die Worte von Jacobi "ich bin nicht und ich mag nicht seyn, wenn kein Gott ist" und "das Gute - was ist es? - ich habe keine Antwort, wenn kein Gott ist" das sind die, wo ich nicht mit ihm fühlen kann, und die auch mein bisschen Kopf für gefährlich erkennt. Meinem innersten Glauben ist nichts mehr zuwider, als daß das Gute soll auf einer Bedingung beruhn. "

    Caroline ist die Existenz eines persönlichen Gottes gleichgültig, und sie kennt die Angst vor dem Nichts nicht. Was sie aber vor allem abstößt an Jacobis Philosophie, ist die damit verbundene Entwertung des Ich. Für sie gibt es das glaubenslose Ich, das sich selbst genug ist; Goethe, Napoleon und Schelling stehen ihr dafür.

    "Was hat denn Goethe für einen eurer Glauben, und er wird doch zur ewigen Herrlichkeit gelangen. Was vortrefflich ist, enthält Göttliches."

    Zur ewigen Herrlichkeit wird aber auch sie selbst gelangen - in der Liebe zu Schelling; denn nur im vergöttlichten Andern kann das Ich seine eigene Göttlichkeit anschauen. Durch die Begegnung mit Schelling, die sie an die Grenze ihrer Glücks- und Leidensfähigkeit bringt, gewinnt Carolines LebenSchreibenLieben seine höchste Form, die sich in der Verweigerung der Form vollendet. Und nirgends zeigt sich ihre Glaubenslosigkeit und entschlossene Diesseitigkeit offenbarer als hier, wo sie ganz Frömmigkeit ist: in ihrem Verhältnis zu dem zwölf Jahre jüngeren Philosophen.

    Der Liebesroman, den Caroline lebt und schreibt, entfaltet sich für uns als ein Lebenskunstwerk an der Schwelle zur Moderne. Er beginnt nicht mit der Kristallisation des Gefühls, denn die Frau hat die Lehrjahre des Herzens schon hinter sich.

    "Nimm unser wunderbares Bündnis, wie es ist, jammre nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte, nicht die reine irdisch schöne beschränkte Liebe zweyer Wesen, die frey von allen Fesseln sich zum erstenmal begegnen um ihre Freiheit miteinander auszutauschen."

    Caroline will es "mit der Treue im Großen" nehmen, es kommt ihr nicht auf die Handlungen an, nicht auf das Treusein, sondern auf das Treubleiben. Die Treue im Großen bezieht sich auf das Ich und seine Übereinstimmung mit sich selbst. Wenn die Sprache der Liebe, die Caroline in ihren Briefen an Schelling spricht, sein Herz im Mittelpunkt hat treffen können, so weil sie zugleich geistreich und pathetisch, religiös und poetisch ist: weil sie wahr spricht.

    Die Wahrheit dieser Sprache und dieser Liebe gründet in einer gemeinsam übernommenen schuldlosen Schuld am Tod der jungen Auguste Böhmer, die während einer Reise Schellings mit Caroline im Sommer 1800 an der Ruhr stirbt. Mit der fünfzehnjährigen Tochter verliert sie das letzte ihrer Kinder.

    "Dieses sind die letzten Zweige, Zweige der weinenden Weide, die ich über meinem Haupt zusammenflechte, um unter ihrem Schatten den Abend zu erwarten."

    Vom Zauber der kleinen Auguste verraten die Briefe Friedrich Schlegels an Carolines "weltlich gesinntes Kind", das nicht nur Griechisch lernt, sonder auch "Kosakisch tanzen" kann, singen und Komödie spielen, mehr als das Portrait "mit niedergeschlagenen Augen", das Tischbein von ihr gemalt hat, vielleicht war ihm dieser Zauber ein wenig unheimlich.

    Den Jenaer Freunden mag dieses witzige Kind erschienen sein wie ein weiblicher Euphorion, die Verkörperung der "heiligen Poesie", das lebendige Versprechen einer romantisierten Welt.

    Caroline und Schelling müssen in einen Abgrund der Trauer versunken sein, weil sich für sie in diesem Kind die Wirklichkeit ihrer Liebe vergegenständlicht hatte. Caroline denkt daran, dem Geliebten auf immer zu entsagen und versagt sich und ihm fast zwei Jahre lang das Wiedersehen:

    "Genug, daß ich meinem Freunde verspreche, daß ich leben will."

    Als sie begreift, dass Schellings Depression lebensbedrohend wird, erbittet und erhält sie Goethes Beistand.

    "Er ist durch eine Verkettung von gramvollen Ereignissen in eine Gemüthslage gerathen, die ihn zu Grunde richten müßte ... Lassen Sie ihn einen hellen festen Blick auf sich thun ... und wenn er nicht die heftige Erschütterung scheute Ihnen gegenüber, so hätte er vielleicht selbst gethan, was ich sanfter, obwohl sehr bekümmert an seiner Statt thue: sein Heil Ihrer Vorsorge übergeben."

    Es ist auch Goethe, der beim Herzog von Sachsen-Weimar die Zustimmung zur Trennung der Ehe von August Wilhelm und Caroline Schlegel erwirkt, so dass Schellings Vater im Sommer 1803 die Trauung des Sohnes mit Caroline vollziehen kann - ihre "erste, einzige, echte Ehe".

    "Unser wunderbares Bündnis, so zerstückt wie es den einfachen Wünschen dasteht, ist es alles in allem, als Freund, als Bruder, als Sohn und Geliebten schließe ich Dich an meine Brust, es ist wie das Geheimniß der Gottheit, gleich der Jungfrau, die Mutter ist, und Tochter ihres Sohnes, und Braut ihres Schöpfers und Erlösers. So laß es uns denn endlich still und gläubig ansehen."

    In dieser geradezu schockierenden Aneignung christlicher Glaubensvorstellungen, in dieser ununterscheidbaren Einheit von Pathos und Ironie, manifestiert sich die Form, die lebend und schreibend Caroline sich gegeben hat. Sie macht sich ihre Liebe zu ihrem Werk, das jenseits der zeitlichen Beschränkung eines individuellen Lebenslaufs "alles in allem" ist, nämlich Leben, Religion und Kunst.

    Vielleicht sind es allein Carolines Briefe an Schelling, die das Projekt des romantischen Gesamtkunstwerks realisieren, indem sie ihrem Leben die paradoxe Struktur eines Fragments verleihen. Denn "alle Fragmente", schreibt Friedrich Schlegel, "gehören zur absoluten Idealpoesie". Und als Fragment war ihr Leben wohl wirklich "in sich selbst vollendet", als sie während einer Erholungsreise in die schwäbische Heimat Schellings im Herbst 1809 an der Ruhr stirbt - wie die junge Auguste vor ihr. Sie sei gestorben, wie sie es sich immer gewünscht habe, ihren nahen Freunden sei sie wie verklärt erschienen. "Die immer schönen Töne ihrer Sprache wurden zur Musik." Schelling hat diese sich ausströmende Stimme in seinem wunderbaren, im Todesjahr Carolines geschriebenen Gespräch "Über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt" festzuhalten versucht in der sibyllinischen Gestalt der Clara. Wenn der Ich-Erzähler des Gesprächs mit Clara einen herbstlichen Sonnenuntergang bewundert, dann meinen wir die Verkörperung von Schellings Philosophie der Natur zu sehen.

    "Von den Apfelbäumen, die hinter der Bank und die ganze steile Höhe hinauf gleich einem Walde standen, hob die Bewegung der Luft hie und da ein welkes Blatt ab und legte es sanft in Claras Schoß oder in ihre Haare. Sie schien es nicht zu beachten, mir fiel dabei ein, wie ganz anders im Frühling des vorigen Jahres sie unter diesen Bäumen saß, die sie mit ihren Blüthen überschütteten."

    "Möchten doch auch Sie die Hände ausstrecken nach einem Roman", wünscht sich Novalis von der Freundin. Es ist viel darüber gerätselt worden, warum Caroline einen Roman, von dem ein Schema erhalten ist - zwei Seiten nur von unverkennbar autobiographischem Gepräge - ,nicht vollendet hat. Aber wenn das Rhapsodische, in dem sie zu Haus ist, und die Ironie zusammengehören, so ist ihr Verzicht auf das Romanprojekt verständlich.

    Die Haupteigenschaft der Heldin im Entwurf ist Selbstständigkeit, Vorurteilslosigkeit, aber mit dem bedeutungsvollen Zusatz:

    "Die äußere Sitte schont sie in allem, nicht sowohl aus Grundsatz als gewohnter Bescheidenheit."

    Der Satz ist von abgründiger Ironie. Die Gabriele des Romans achtet die Gesetze der Moral und die Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nur, weil sie die Menschen, die sich darin wohlfühlen, nicht verletzen will. Ironisch ist auch ihre Haltung gegenüber ihrer Figur.

    "Der Hauptgegenstand des Romans wäre ein Weib - das wir Gabriele nennen wollen - ein selbständiges und zugleich ein liebenswürdiges Wesen. Die Thorheit müßte auf den ersten Blick stärker bey ihr hervorschimmern als die Vernunft; sie wäre ihre verführerische Seite, die sie selbst mehr aus Frohsinn als aus Leichtigkeit geltend machte. Aber im Innern wohnte Würde, Adel, der heiligste Ernst eines schönen Herzens."

    Das Schema beginnt mit einem Portrait der geistig-moralischen Physiognomie der Gabriele, das an die bekenntnishaften Stellen in den Briefen erinnert, geht über in eine geraffte Darstellung ihrer ereignislosen Kindheit und Jugend:

    "Keine zärtlichen Bande knüpfen sie an ihre erste fast bedeutungslose Jugend... Wir können vielleicht annehmen, daß ihr Vater ein Gelehrter war und sie ihre Mutter früh verlor ..."

    Es endet mit einem geradezu schmerzhaften Missklang:

    "Gabrieles Schönheit brachte sie an den Mann"

    - ein Satz von fast brutalem Lakonismus. Er markiert zugleich präzise die Bruchlinie zwischen dem Bildungsroman des 18. Jahrhunderts und dem modernen. Mit ihm erledigt Caroline das zeitgenössische Schema des Frauenromans, der jenen Satz zu seinem Inhalt hat.