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Das neue Hebbel am Ufer

Das Berlin Hebbel am Ufer hat mit neuer Intendantin wiedereröffnet. Annemie Vanackere will mit internationalen Künstlern an das Bestehende anknüpfen, aber auch neue Akzente setzen.

Von Eberhard Spreng | 02.11.2012
    Annemie Vanackere ist die neue Intendantin des HAU in Berlin
    Annemie Vanackere ist die neue Intendantin des HAU in Berlin (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    "Im ersten Moment möchte ich vielleicht gar nichts sehen, ich möchte vielleicht was hören und dann wünsch ich mir vielleicht, dass das eine oder andere Gesicht hinzukommt, die Lebendigkeit, die Bewegung, Rhythmik, die Dynamik, ja: das Wort, ein bisschen Farbe, ein bisschen Form, das könnte ich mir gut vorstellen."

    Eine Dame aus Oberschwaben erzählt, was sie sich vom Theater wünscht, auf Berliner Straßen befragt von dem niederländisch-flämischen Performer - Kollektiv Wunderbaum. Dieses hatte den Auftrag, zur Neueröffnung des HAU ein, nun ja, programmatisches Stück zu entwickeln und versucht in seiner "Vision out of Nothing" mit gewohntem multimedialen Technikeinsatz die vielen Vorstellungen von Theater zu skizzieren, die es von diversen Passanten zu hören bekam. Innenbeleuchtete Quallen wabern so über die Bühne, nachdem ein junger Mann von seinen ersten Taucherfahrungen berichtet hatte, putzige Monster treten auf, es wird Musik gemacht und gesungen, wenn auch nicht die österreichische Nationalhymne, die sich ein Tabakhändler in der Nachbarschaft des Kreuzberger Theaters gewünscht hatte. Von Gentrification spricht ein nicht gerade wohlhabender Berliner in einer der Videoeinspielungen und einer der ausländischen Performer entdeckt die Schuld an dieser problematischen Sozialentwicklung in sich selbst, seinem Neu-Berliner-Dasein, seinem Rollenkoffer, seinem laktosefreien Latte macchiato. Ein buntes, etwas naives Wunschkonzert ist das Stücklein.

    Berlin wünscht sich was, das Theaterkombinat Hebbel am Ufer muss liefern. Irgendwie spiegelt das ganz gut die Haltung der neuen Chefin, die begierig ist, Berlin und seine Bedürfnisse zu verstehen und darauf zu reagieren und vorerst das Risiko zu scheuen scheint, die Stadt mit einer eigenwilligen Haltung zu überraschen. Sie versucht dabei einen Mittelweg zwischen der Programmatik ihren beiden Vorgänger.

    "The best of both worlds: Das Internationale ist mir schon wichtig, was Nele Hertling gemacht hat als Moment, diese internationale Performing Arts nach Berlin zu holen, eine Tradition, die ich sehr gern weitermache. Was mit Matthias Lilienthal schon wichtig war, ist diese Positionierung in einer Gesellschaft, wo man Themen aufgreift und das auch ins Theater bringt. Ich glaube, das eine geht auch nicht mehr ohne das andere. Theater ist ein wunderbarer Raum um alles, was es da gibt - von existenziellen Themen bis zu politischen Themen - in eine Form zu gießen und in einen Dialog zu treten."

    Eine dezidiert interdisziplinäre Diskursplattform, die das HAU unter Matthias Lilienthal war, mit seinen Symposien und Themenwochenenden wird es in Zukunft wohl weniger sein, dafür wieder mehr internationale Performance Arts zeigen, wobei Vanackere mit einigen Künstlern oder Gruppen wie zum Beispiel Wunderbaum dauerhafte Arbeitsbeziehungen entwickeln will.

    "Ich glaube das, was ich mit meinem neuen Team machen werde, das was ich auch in den vorhergehenden Jahren in Rotterdam gemacht habe, ist längere Linien mit Künstlern auszubauen. Dann fühlen sich Künstler auch mehr zu Hause als in einem Festival, was ja ein Moment des Jahres ist, wo viel zusammen kommt und das ist auch schön, aber Verbündete und Verbindungen mit einem Haus ist noch eine andere Geschichte und die am Haus zu behalten ist auch wichtig, für das Publikum, das gerne neue Arbeiten sieht von Künstlern, die es schätzt."

    Rumänisches Theater wird Vanackere einladen, und Künstler wie Raimund Hoghe oder Jan Fabre nach Jahren der Abwesenheit wieder nach Berlin ans HAU bringen. Ob das in der Konkurrenz zu anderen Orten in Berlin reicht, die sich ebenfalls verstärkt dem internationalen, multimedialen Bühnenallerlei verschreiben, dem Festival Foreign Affairs der Festspiele zum Beispiel, wird sich zeigen. Am Eröffnungsabend jedenfalls, nach der launigen Grußwortplauderei des Regierenden Bürgermeisters las die aufgeregte Intendantin aus Angst vor Deutschfehlern einen kleinen Begrüßungstext vom Blatt, der zum Schluss mit einer Liebesaufforderung endete, die das Verhältnis zwischen Theater und Publikum prägen solle.

    Eine etwas schärfer konturierte Studie zwischenmenschlicher Verhältnisse boten dann später am Abend noch die Amsterdamer Performer der Gruppe Schwalbe: eine beklemmend physische Mischung aus Gewalt, Spielregeln, Sport und Überlebenskampf. Acht Akteurinnen und Akteure sind da auf einem Kampfplatz, auf dem bizarre Regeln gelten, die der Zuschauer jeweils erst erkunden muss. "Schwalbe spielt falsch" ist eine einzige große Metapher unseres brutalen und zugleich völlig geordneten Überlebenskampfes und einer Gesellschaft, die sich ein Leben jenseits des Winner-Loser-Schemas nicht mehr vorstellen kann.