Das Attentat von Düsseldorf hat die Republik verändert. Politiker aller Couleur fordern, dass nun endlich etwas gegen den braunen Terror getan werden soll - Und auch den stillschweigenden Sympathisanten muss der Boden entzogen werden, so die einhellige Forderung. Für viele scheint da die schärfste Waffe der Demokratie nur Recht und Billig zu sein: Das Parteienverbot. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands, kurz NPD. Sie sei ein Teil des geistigen Nährbodens, der rechten Terror gedeihen lasse. Deshalb müsse diese Partei verboten werden. Prominentester Befürworter eines NPD-Verbots ist Bundeskanzler Gerhard Schröder. Zwar mehren sich mittlerweile die Stimmen, die sich kritisch zu solch einem Verbot äußern. Aber eine eigens eingesetzte Expertenkommission - mit Vertretern aus Bund und Ländern - prüft, ob ein NPD-Verbotsantrag in Karlsruhe überhaupt Aussicht auf Erfolg haben würde.
Art 21 Abs. 2 GG "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht."
So ist es im Grundgesetz unter Artikel 21 Absatz 2 nachzulesen. Die Erfahrungen aus der Weimarer Republik und dem Dritten Reich standen im Vordergrund als die Mitglieder des parlamentarischen Rates diesen Artikel formulierten. Nie wieder sollte es gelingen, die Demokratie mit den eigenen Mitteln zu schlagen. So wie es Hitler gelungen war. Auf der anderen Seite wurde aber auch klar gestellt, dass ein Parteienverbot nicht zum willkürlichen Instrument der Politik werden darf. Eine solche Entscheidung ist deshalb ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Andere Organisationen, die keine Parteien sondern nur Vereine sind, können dagegen vom zuständigen Innenminister verboten werden. So wie es beispielsweise bei der rechtsextremen FAP der Fall war. Nach Angaben des Bundesverfassungsschutzes sind viele der einstigen FAP-Funktionäre in die NPD eingetreten.
Erst zweimal ist in der Geschichte der Bundesrepublik ein Parteienverbot ausgesprochen worden. 1952 betraf dies die Sozialistische Reichspartei. In ihr hatten sich alte Nationalsozialisten wieder zusammengefunden und propagierten ganz unverhohlen die Ideologie des Dritten Reichs. Dieser Zusammenhang war so deutlich, dass die Karlsruher Richter weniger als ein Jahr brauchten, um das Verbot auszusprechen.
Das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands 1956 gestaltete sich da schon weitaus schwieriger. Insgesamt fünf Jahre prüften die Richter, bevor sie ihr Urteil sprachen. Auf über 300 Seiten ist dezidiert nachzulesen, aus welchen Gründen die KPD verfassungswidrig ist. Mit diesem Urteil sind auch Maßstäbe gesetzt worden, wann eine Partei verboten werden kann.
Seither hat es kein weiteres Parteinverbot mehr gegeben. Sollte also wirklich ein NPD-Verbotsantrag gestellt werden, dann müsste sich der zuständige 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts auf juristisches Brachland begeben. Die fast 50 Jahre alten Urteile zu KPD und SRP dürften nur begrenzt übertragbar sein. Damals war die Demokratie noch jung, ohne Wurzeln und der kalte Krieg war im vollen Gange.
Einige Kriterien, wann eine Partei verboten werden kann, lassen sich jedoch noch heute aus den SRP/KPD-Urteilen ableiten: "Aktiv kämpferisch" müsste die NPD gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorgehen. Wüste Äußerungen in Parteipostillen reichen in der Regel nicht aus, um diese aktiv kämpferische Haltung zu belegen. Vielmehr muss auch der Wille nachgewiesen werden, diese Androhungen früher oder später in die Tat umzusetzen. Für den Nachweis müssen unumstößliche Beweise vorliegen.
Doch diese Beweise zu beschaffen, dürfte alles andere als einfach sein. Als die NPD 1964 gegründet wurde, hatten ihre Mitglieder noch ganz genau die Parteiverbote der vergangene Jahren vor Augen. Denn eines war offensichtlich: Der Staat beäugte die NPD kritisch. Auch ihre Gründungsväter hatten wenigstens teilweise eine nationalsozialistische Karriere aufzuweisen. Und so war klar, dass verfassungsfeindliche Parolen oder gar Taten zu einem weiteren Parteiverbot hätten führen können. Also hütete man sich davor, zuviel Angriffsfläche zu bieten.
Allerdings bewerten die Karlsruher Richter nicht nur die Taten und Aussagen von NPD-Mitgliedern. Wobei Mitglieder diejenigen sind, die ein Parteibuch in der Tasche haben und in den offiziellen Listen der NPD auftauchen. Auch das Verhalten der sogenannten Anhänger - der Mitläufer und Sympathisanten die nur gelegentlich bei NPD-Veranstaltungen auftauchen - zählt und schlägt gegebenenfalls negativ zu Buche. "Sieg Heil Rufe" randalierender Neo-Nazis, während einer NPD-Demonstration, muss die Partei verantworten. Allerdings gilt auch hier eine juristische Einschränkung, so der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Heinz-Hugo Klein. Wie lange die NPD sich diese Taten anrechnen lassen muss, erklärt Klein so:
"Sie muss sie sich so lange zurechnen lassen, als lang sie sich nicht glaubwürdig davon distanziert, sei es durch einen Parteiausschluss, sei es durch dezidierten Widerspruch gegen die entsprechenden Aktivitäten."
Und das weiß die NPD-Führung, davon darf man getrost ausgehen. Eine Erfahrung, die die Sicherheitsbehörden schon zuhauf machen mussten. Hartwig Möller, der Leiter der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde:
"Eigentlich hat die NPD sich immer bemüht in den letzten Jahren sich offiziell zurückzuhalten, d.h. also was die Aktivitäten der Funktionäre anging, sie haben sich bemüht sich formal korrekt zu verhalten, sie haben in vielen Fällen, Funktionäre die über die Stränge geschlagen sind zurechtgewiesen, z.T. sind auch Ausschlussverfahren erfolgt das ist nur in der letzten Zeit, in ein paar Ereignissen, /.... / anders gewesen, aber sonst hat sich die NPD formal bemüht korrekt zu verhalten."
Das soll ein formal korrektes Verhalten sein, wenn die braune Saat gesät wird und in Mord und Totschlag aufgeht ? Aber rein formal geht es beim Parteienverbot im Grundgesetz eben auch noch um etwas anderes, meint Martin Morlok, der Rektor des Institutes für Deutsches und Europäisches Parteienrecht der Fernuniversität Hagen:
"Die spannende Problematik ist doch darin zu sehen, was ist das Schutzgut des Parteiverbots und eben nicht dass - so schlimm es ist - dass irgend jemand verprügelt wird, sondern Schutzgut ist die Freiheitlichkeit des politischen Prozesses, die Offenheit der politischen Kommunikation auch in der Zukunft. Und da meine ich, muss man unterscheiden zwischen polizeilichen Schutzgütern und Schutzgütern des Verfassungsschutzes."
Zu diesen sogenannten polizeilichen Schutzgütern gehört Leib und Leben der Bürger zu schützen: Natürlich auch vor Neo-Nazis, die prügelnd, bombend und mordend Angst und Schrecken verbreiten. Und das Strafgesetz bietet schließlich genug Möglichkeiten rechten Glatzen hinter Gittern zu bringen. Ohne jede Ausnahme. Die notwendigen juristischen Mittel gibt es - darin sind sich in dieser Diskussion sogar fast alle Politiker einig.
Wenn sich die Karlsruher Richter tatsächlich mit einem NPD Verbotsantrag beschäftigen müssen, dann werden sie wohl auch prüfen, welche Bedeutung der Partei insgesamt zukommt. Hat die NPD wirklich die Möglichkeiten und den Willen die Demokratie zu beeinträchtigen oder gar irgendwann abzuschaffen ? Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutzchef Hartwig Möller:
"Man muss ja auch einmal die Bedeutung der NPD sehen, bei aller Berücksichtigung der politischen Situation im Moment, der Schlagzeilen in der Presse darf man nicht vergessen, wie viel Mitglieder hat die NPD, wie viel Erfolge haben sie bei Wahlen erzielt. Und dann ist wirklich die Frage, ob man einer so zumindest rein zahlenmäßig relativ unbedeutenden Partei ob man einer solchen Partei mit einer solche krassen Maßnahme wie es ein Parteienverbot darstellt begegnen muss, ob es nicht auch mildere Mittel gibt. Ich glaube auch es könnte sein, dass die Antragsteller vom Gericht aufgefordert werden doch mal darzulegen, was man denn an Mitteln unterhalb der Verbotsschwelle versucht hat, um die NPD zu bekämpfen."
Nur: Mittel unterhalb der Verbotsschwelle gibt es verfassungsrechtlich eben nicht. Alles oder nichts lautet die Devise. Solange eine Partei nicht verboten ist, kassiert sie Gelder aus Steuermitteln, darf im Wahlkampf staatlich geförderte Werbespots ausstrahlen und vor dem Brandenburger Tor demonstrieren. All das steht einer Partei rechtlich zu - selbst einer NPD, die mit platten ewig-gestrigen Parolen hausieren geht. So bleibt der Politik vor einem Parteiverbot nichts anderes übrig, als den politischen Kampf aufzunehmen. Der wird nun zunehmend in die Öffentlichkeit getragen. Aber nicht nur von den Gegnern, sondern auch von der NPD. So verkündete der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt vor kurzem triumphierend, dass die NPD in den vergangenen Wochen 500 Neueintritte zu verzeichnen habe und die Mitgliederzahl damit auf über stolze 6.500 angewachsen sei.
Sollte es zu einem Verbotsantrag kommen, werden die Karlsruher Richter ganz akribisch die vorgelegten Beweise unter die Lupe nehmen. In den Verfassungsschutzämtern dürfte deshalb jetzt eine Stimmung wie in einem aufgescheuchten Bienenschwarm herrschen: Der Verfassungsschutz wird es schon richten, hofft so mancher Politiker. Wenn diese Erwartungen mal nicht enttäuscht werden - gestern gab es dazu eine erste Rückmeldung: Der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens erklärte, das die Erkenntnisse seines Verfassungsschutzes wahrscheinlich keinen Verbotsantrag rechtfertigen würden. Behrens zeigte sich wenig optimistisch, dass andere Bundesländer da mehr aufweisen könnten.
Und selbst wenn das Material der Verfassungsschützer ausreichend wäre, ist noch lange nicht sicher, ob denn die eingesetzte Expertenkommission tatsächlich geschlossen für einen Verbotsantrag in Karlsruhe stimmen wird. Hartwig Möller:
"Man muss erst einmal abwarten, ob es wirklich eine eindeutige Empfehlung gibt, den Antrag zu stellen. Ich sehe das noch nicht so. Es kann durchaus sein, dass ein Bericht herauskommt in der Expertenkommission, der auf die Risiken hinweist. Ich glaube nicht, dass die dort vorhandenen Juristen einen Freibrief für einen Antrag erarbeiten werden."
Einen Freibrief könnten die Juristen auch kaum erteilen, denn woher sollten sie auch wissen, was in Zukunft geschehen wird? Und genau um diese Frage geht es bei einem Parteiverbotsverfahren - um eine Prävention. Die Bundesverfassungsrichter müssten eine Prognose abgeben: Wird die NPD auch in ZUKUNFT versuchen, die Demokratie zu beeinträchtigen? Dazu gehöre dann auch, dass das Verhalten der NPD während des Verfahrens eine Rolle spielen müsse, meint die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Karin Grashoff:
"So dass in dieser Verfahrensdauer, Zeit, der Sachverhalt sich ja auch ständig ändern kann und man nicht vorhersehen kann, ob die betroffene Partei nicht inzwischen ihre Strategie auf das Verfahren ausrichtet und nicht widerlegbar ihre kämpferische, ihre aggressive Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung mildert, so dass möglicherweise die Prognose dann gar nicht mehr möglich ist, dass sie aggressiv die freiheitlich demokratische Grundordnung beeinträchtigen will."
Wesentliche Teile ihrer Strategie hat die NPD jetzt schon geändert. Vor wenigen Tagen kündigten sie an, vorerst keine Demonstrationen mehr zu planen. Bei diesen NPD-Demonstrationen waren in den vergangenen Jahren verstärkt jüngere Neonazis ins Rampenlicht getreten, die keine NPD-Mitglieder sind. Durch diese Kundgebungen bot die NPD ihnen aber eine Plattform, um sich darstellen zu können. Dabei kam es zu martialischen Aufmärschen, die von den Verfassungsschützern kritisch beobachtet worden sind. Diese Angriffsfläche will die NPD wohl nicht mehr bieten und hat deshalb einen vorläufigen Demonstrationsstopp verkündet. Die Partei dürfte ihr Verhalten aber noch weiter anpassen, so Möllers Einschätzung:
"Ich denke, dass die NPD vorsichtiger agieren wird und sich wieder mehr auf eine Handlungsweise zurückziehen wird, die sie früher doch ziemlich stringent praktiziert hat. Nämlich sich ganz strikt abzugrenzen von Gewalttaten und eine formale Grundgesetztreue zu zeigen. Diese Haltung ist in der letzten Zeit etwas ins Wanken geraten vor allen im Osten aber auch hier in NRW, z B. Bei den Überfall auf das Mahnmal des ehemaligen KZs Kemna, wo zwei führende NPD-Funktionäre und das ist neu für NRW, sich aktiv beteiligt haben. Interessant wird sein wie die NPD, wenn - die Verfahren sind ja noch nicht abgeschlossen -, verurteilt werden sollten, ob die NPD mit einem Ausschluss aus der Partei reagieren wird."
Je länger ein mögliches Verfahren in Karlsruhe dauern würde, desto mehr Zeit bliebe also auch der NPD ihre Strategie zu ändern. Sehr optimistische Beobachter hoffen, dass Karlsruhe innerhalb eines Jahres über einen solchen Verbotsantrag entscheiden könnte. Doch das scheint aus der Sicht der ehemaligen Bundesverfassungsrichterin Karin Grashoff doch wenig realistisch:
"Das KPD-Verbot brauchte, bis es entschieden wurde, fünf Jahre, seinerzeit waren im damals zuständigen ersten Senat im Jahr 73 Verfahren anhängig. Derzeit sind im Jahr über 2000 Verfahren anhängig. Das zeigt selbst eine geringere Belastung des Bundesverfassungsgerichts mit anderen Verfahren die Zeit .... nicht radikal verkürzen kann. Ich würde sagen unter drei Jahren wäre eine Entscheidung nicht zu kriegen und das wäre schon dann eine sehr zügige Behandlung, die natürlich auf Kosten anderer anhängiger Verfahren gehen würde."
Nur am Rande seien hier einige der Verfahren erwähnt, für die der 2. Senat zuständig ist. Verfahren, deren Entscheidung sich erheblich verzögern würden:
1. Die Ökosteuer 2. Die unterschiedliche Besteuerung von Renten und Pensionen 3. Die unterschiedliche Besoldung von Beamten in Ost- und Westdeutschland 4. Das Verfahren zum hessischen Wahlprüfungsgericht
Während Juristen einem möglichen Parteienverbot der NPD aus rechtlichen Gründen sehr kritisch gegenüber stehen, machen sich nun auch auf der politischen Ebene Zweifel breit. Die viel beschworene Signalwirkung eines NPD-Verbotes dürfte verpuffen, wenn eine Entscheidung erst in mehreren Jahren zu erwarten ist. Wenn die Karlsruher Richter aber die NPD nicht verbieten sollten - dann wäre dieser Schuss gründlich nach hinten losgegangen. Nur die rechte Szene, die triumphiert schon jetzt. Zum Beispiel über das von Rechtsextremen betriebene Nationale Infotelefon in Hamburg. In der Sprache zeigt man sich zwar sehr zurückhaltend, schließlich hört der Verfassungsschutz mit, aber die Nachricht ist deutlich:
"Mit der Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission zur Prüfung eines NPD-Verbotes haben sich die Verantwortlichen in eine schwierige Lage gebracht. Faktisch gibt es nämlich kaum noch eine Möglichkeit auf einen Verbotsantrag zu verzichten, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Denn wenn die Kommission am Ende erklären sollte, das Material sei für einen Antrag nicht ausreichend, würde die NPD auch ohne Beschluss des Bundesverfassungsgerichts jenen Persilschein erhalten, den man ja gerade vermeiden wollte."
Zitat Ende. Auch aus dieser Sicht betrachtet, hat das Düsseldorfer Attentat auf neun jüdische Russlanddeutsche die Republik verändert. Wird kein Verbotsantrag gestellt, lachen sich die Rechten ins Fäustchen. Wird einer gestellt und negativ beschieden, fühlt sich der braune Rand auch noch bestärkt. Das die Karlsruher Richter tatsächlich die NPD verbieten würden, ist noch völlig ungewiss. Fast sieht es so aus, als ob die Regierung Schröder nun in einer rechten Rattenfalle sitzt. Bleibt nur noch eine Frage offen - Wie will sie sich daraus wieder befreien?
Art 21 Abs. 2 GG "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht."
So ist es im Grundgesetz unter Artikel 21 Absatz 2 nachzulesen. Die Erfahrungen aus der Weimarer Republik und dem Dritten Reich standen im Vordergrund als die Mitglieder des parlamentarischen Rates diesen Artikel formulierten. Nie wieder sollte es gelingen, die Demokratie mit den eigenen Mitteln zu schlagen. So wie es Hitler gelungen war. Auf der anderen Seite wurde aber auch klar gestellt, dass ein Parteienverbot nicht zum willkürlichen Instrument der Politik werden darf. Eine solche Entscheidung ist deshalb ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Andere Organisationen, die keine Parteien sondern nur Vereine sind, können dagegen vom zuständigen Innenminister verboten werden. So wie es beispielsweise bei der rechtsextremen FAP der Fall war. Nach Angaben des Bundesverfassungsschutzes sind viele der einstigen FAP-Funktionäre in die NPD eingetreten.
Erst zweimal ist in der Geschichte der Bundesrepublik ein Parteienverbot ausgesprochen worden. 1952 betraf dies die Sozialistische Reichspartei. In ihr hatten sich alte Nationalsozialisten wieder zusammengefunden und propagierten ganz unverhohlen die Ideologie des Dritten Reichs. Dieser Zusammenhang war so deutlich, dass die Karlsruher Richter weniger als ein Jahr brauchten, um das Verbot auszusprechen.
Das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands 1956 gestaltete sich da schon weitaus schwieriger. Insgesamt fünf Jahre prüften die Richter, bevor sie ihr Urteil sprachen. Auf über 300 Seiten ist dezidiert nachzulesen, aus welchen Gründen die KPD verfassungswidrig ist. Mit diesem Urteil sind auch Maßstäbe gesetzt worden, wann eine Partei verboten werden kann.
Seither hat es kein weiteres Parteinverbot mehr gegeben. Sollte also wirklich ein NPD-Verbotsantrag gestellt werden, dann müsste sich der zuständige 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts auf juristisches Brachland begeben. Die fast 50 Jahre alten Urteile zu KPD und SRP dürften nur begrenzt übertragbar sein. Damals war die Demokratie noch jung, ohne Wurzeln und der kalte Krieg war im vollen Gange.
Einige Kriterien, wann eine Partei verboten werden kann, lassen sich jedoch noch heute aus den SRP/KPD-Urteilen ableiten: "Aktiv kämpferisch" müsste die NPD gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorgehen. Wüste Äußerungen in Parteipostillen reichen in der Regel nicht aus, um diese aktiv kämpferische Haltung zu belegen. Vielmehr muss auch der Wille nachgewiesen werden, diese Androhungen früher oder später in die Tat umzusetzen. Für den Nachweis müssen unumstößliche Beweise vorliegen.
Doch diese Beweise zu beschaffen, dürfte alles andere als einfach sein. Als die NPD 1964 gegründet wurde, hatten ihre Mitglieder noch ganz genau die Parteiverbote der vergangene Jahren vor Augen. Denn eines war offensichtlich: Der Staat beäugte die NPD kritisch. Auch ihre Gründungsväter hatten wenigstens teilweise eine nationalsozialistische Karriere aufzuweisen. Und so war klar, dass verfassungsfeindliche Parolen oder gar Taten zu einem weiteren Parteiverbot hätten führen können. Also hütete man sich davor, zuviel Angriffsfläche zu bieten.
Allerdings bewerten die Karlsruher Richter nicht nur die Taten und Aussagen von NPD-Mitgliedern. Wobei Mitglieder diejenigen sind, die ein Parteibuch in der Tasche haben und in den offiziellen Listen der NPD auftauchen. Auch das Verhalten der sogenannten Anhänger - der Mitläufer und Sympathisanten die nur gelegentlich bei NPD-Veranstaltungen auftauchen - zählt und schlägt gegebenenfalls negativ zu Buche. "Sieg Heil Rufe" randalierender Neo-Nazis, während einer NPD-Demonstration, muss die Partei verantworten. Allerdings gilt auch hier eine juristische Einschränkung, so der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Heinz-Hugo Klein. Wie lange die NPD sich diese Taten anrechnen lassen muss, erklärt Klein so:
"Sie muss sie sich so lange zurechnen lassen, als lang sie sich nicht glaubwürdig davon distanziert, sei es durch einen Parteiausschluss, sei es durch dezidierten Widerspruch gegen die entsprechenden Aktivitäten."
Und das weiß die NPD-Führung, davon darf man getrost ausgehen. Eine Erfahrung, die die Sicherheitsbehörden schon zuhauf machen mussten. Hartwig Möller, der Leiter der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde:
"Eigentlich hat die NPD sich immer bemüht in den letzten Jahren sich offiziell zurückzuhalten, d.h. also was die Aktivitäten der Funktionäre anging, sie haben sich bemüht sich formal korrekt zu verhalten, sie haben in vielen Fällen, Funktionäre die über die Stränge geschlagen sind zurechtgewiesen, z.T. sind auch Ausschlussverfahren erfolgt das ist nur in der letzten Zeit, in ein paar Ereignissen, /.... / anders gewesen, aber sonst hat sich die NPD formal bemüht korrekt zu verhalten."
Das soll ein formal korrektes Verhalten sein, wenn die braune Saat gesät wird und in Mord und Totschlag aufgeht ? Aber rein formal geht es beim Parteienverbot im Grundgesetz eben auch noch um etwas anderes, meint Martin Morlok, der Rektor des Institutes für Deutsches und Europäisches Parteienrecht der Fernuniversität Hagen:
"Die spannende Problematik ist doch darin zu sehen, was ist das Schutzgut des Parteiverbots und eben nicht dass - so schlimm es ist - dass irgend jemand verprügelt wird, sondern Schutzgut ist die Freiheitlichkeit des politischen Prozesses, die Offenheit der politischen Kommunikation auch in der Zukunft. Und da meine ich, muss man unterscheiden zwischen polizeilichen Schutzgütern und Schutzgütern des Verfassungsschutzes."
Zu diesen sogenannten polizeilichen Schutzgütern gehört Leib und Leben der Bürger zu schützen: Natürlich auch vor Neo-Nazis, die prügelnd, bombend und mordend Angst und Schrecken verbreiten. Und das Strafgesetz bietet schließlich genug Möglichkeiten rechten Glatzen hinter Gittern zu bringen. Ohne jede Ausnahme. Die notwendigen juristischen Mittel gibt es - darin sind sich in dieser Diskussion sogar fast alle Politiker einig.
Wenn sich die Karlsruher Richter tatsächlich mit einem NPD Verbotsantrag beschäftigen müssen, dann werden sie wohl auch prüfen, welche Bedeutung der Partei insgesamt zukommt. Hat die NPD wirklich die Möglichkeiten und den Willen die Demokratie zu beeinträchtigen oder gar irgendwann abzuschaffen ? Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutzchef Hartwig Möller:
"Man muss ja auch einmal die Bedeutung der NPD sehen, bei aller Berücksichtigung der politischen Situation im Moment, der Schlagzeilen in der Presse darf man nicht vergessen, wie viel Mitglieder hat die NPD, wie viel Erfolge haben sie bei Wahlen erzielt. Und dann ist wirklich die Frage, ob man einer so zumindest rein zahlenmäßig relativ unbedeutenden Partei ob man einer solchen Partei mit einer solche krassen Maßnahme wie es ein Parteienverbot darstellt begegnen muss, ob es nicht auch mildere Mittel gibt. Ich glaube auch es könnte sein, dass die Antragsteller vom Gericht aufgefordert werden doch mal darzulegen, was man denn an Mitteln unterhalb der Verbotsschwelle versucht hat, um die NPD zu bekämpfen."
Nur: Mittel unterhalb der Verbotsschwelle gibt es verfassungsrechtlich eben nicht. Alles oder nichts lautet die Devise. Solange eine Partei nicht verboten ist, kassiert sie Gelder aus Steuermitteln, darf im Wahlkampf staatlich geförderte Werbespots ausstrahlen und vor dem Brandenburger Tor demonstrieren. All das steht einer Partei rechtlich zu - selbst einer NPD, die mit platten ewig-gestrigen Parolen hausieren geht. So bleibt der Politik vor einem Parteiverbot nichts anderes übrig, als den politischen Kampf aufzunehmen. Der wird nun zunehmend in die Öffentlichkeit getragen. Aber nicht nur von den Gegnern, sondern auch von der NPD. So verkündete der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt vor kurzem triumphierend, dass die NPD in den vergangenen Wochen 500 Neueintritte zu verzeichnen habe und die Mitgliederzahl damit auf über stolze 6.500 angewachsen sei.
Sollte es zu einem Verbotsantrag kommen, werden die Karlsruher Richter ganz akribisch die vorgelegten Beweise unter die Lupe nehmen. In den Verfassungsschutzämtern dürfte deshalb jetzt eine Stimmung wie in einem aufgescheuchten Bienenschwarm herrschen: Der Verfassungsschutz wird es schon richten, hofft so mancher Politiker. Wenn diese Erwartungen mal nicht enttäuscht werden - gestern gab es dazu eine erste Rückmeldung: Der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens erklärte, das die Erkenntnisse seines Verfassungsschutzes wahrscheinlich keinen Verbotsantrag rechtfertigen würden. Behrens zeigte sich wenig optimistisch, dass andere Bundesländer da mehr aufweisen könnten.
Und selbst wenn das Material der Verfassungsschützer ausreichend wäre, ist noch lange nicht sicher, ob denn die eingesetzte Expertenkommission tatsächlich geschlossen für einen Verbotsantrag in Karlsruhe stimmen wird. Hartwig Möller:
"Man muss erst einmal abwarten, ob es wirklich eine eindeutige Empfehlung gibt, den Antrag zu stellen. Ich sehe das noch nicht so. Es kann durchaus sein, dass ein Bericht herauskommt in der Expertenkommission, der auf die Risiken hinweist. Ich glaube nicht, dass die dort vorhandenen Juristen einen Freibrief für einen Antrag erarbeiten werden."
Einen Freibrief könnten die Juristen auch kaum erteilen, denn woher sollten sie auch wissen, was in Zukunft geschehen wird? Und genau um diese Frage geht es bei einem Parteiverbotsverfahren - um eine Prävention. Die Bundesverfassungsrichter müssten eine Prognose abgeben: Wird die NPD auch in ZUKUNFT versuchen, die Demokratie zu beeinträchtigen? Dazu gehöre dann auch, dass das Verhalten der NPD während des Verfahrens eine Rolle spielen müsse, meint die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Karin Grashoff:
"So dass in dieser Verfahrensdauer, Zeit, der Sachverhalt sich ja auch ständig ändern kann und man nicht vorhersehen kann, ob die betroffene Partei nicht inzwischen ihre Strategie auf das Verfahren ausrichtet und nicht widerlegbar ihre kämpferische, ihre aggressive Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung mildert, so dass möglicherweise die Prognose dann gar nicht mehr möglich ist, dass sie aggressiv die freiheitlich demokratische Grundordnung beeinträchtigen will."
Wesentliche Teile ihrer Strategie hat die NPD jetzt schon geändert. Vor wenigen Tagen kündigten sie an, vorerst keine Demonstrationen mehr zu planen. Bei diesen NPD-Demonstrationen waren in den vergangenen Jahren verstärkt jüngere Neonazis ins Rampenlicht getreten, die keine NPD-Mitglieder sind. Durch diese Kundgebungen bot die NPD ihnen aber eine Plattform, um sich darstellen zu können. Dabei kam es zu martialischen Aufmärschen, die von den Verfassungsschützern kritisch beobachtet worden sind. Diese Angriffsfläche will die NPD wohl nicht mehr bieten und hat deshalb einen vorläufigen Demonstrationsstopp verkündet. Die Partei dürfte ihr Verhalten aber noch weiter anpassen, so Möllers Einschätzung:
"Ich denke, dass die NPD vorsichtiger agieren wird und sich wieder mehr auf eine Handlungsweise zurückziehen wird, die sie früher doch ziemlich stringent praktiziert hat. Nämlich sich ganz strikt abzugrenzen von Gewalttaten und eine formale Grundgesetztreue zu zeigen. Diese Haltung ist in der letzten Zeit etwas ins Wanken geraten vor allen im Osten aber auch hier in NRW, z B. Bei den Überfall auf das Mahnmal des ehemaligen KZs Kemna, wo zwei führende NPD-Funktionäre und das ist neu für NRW, sich aktiv beteiligt haben. Interessant wird sein wie die NPD, wenn - die Verfahren sind ja noch nicht abgeschlossen -, verurteilt werden sollten, ob die NPD mit einem Ausschluss aus der Partei reagieren wird."
Je länger ein mögliches Verfahren in Karlsruhe dauern würde, desto mehr Zeit bliebe also auch der NPD ihre Strategie zu ändern. Sehr optimistische Beobachter hoffen, dass Karlsruhe innerhalb eines Jahres über einen solchen Verbotsantrag entscheiden könnte. Doch das scheint aus der Sicht der ehemaligen Bundesverfassungsrichterin Karin Grashoff doch wenig realistisch:
"Das KPD-Verbot brauchte, bis es entschieden wurde, fünf Jahre, seinerzeit waren im damals zuständigen ersten Senat im Jahr 73 Verfahren anhängig. Derzeit sind im Jahr über 2000 Verfahren anhängig. Das zeigt selbst eine geringere Belastung des Bundesverfassungsgerichts mit anderen Verfahren die Zeit .... nicht radikal verkürzen kann. Ich würde sagen unter drei Jahren wäre eine Entscheidung nicht zu kriegen und das wäre schon dann eine sehr zügige Behandlung, die natürlich auf Kosten anderer anhängiger Verfahren gehen würde."
Nur am Rande seien hier einige der Verfahren erwähnt, für die der 2. Senat zuständig ist. Verfahren, deren Entscheidung sich erheblich verzögern würden:
1. Die Ökosteuer 2. Die unterschiedliche Besteuerung von Renten und Pensionen 3. Die unterschiedliche Besoldung von Beamten in Ost- und Westdeutschland 4. Das Verfahren zum hessischen Wahlprüfungsgericht
Während Juristen einem möglichen Parteienverbot der NPD aus rechtlichen Gründen sehr kritisch gegenüber stehen, machen sich nun auch auf der politischen Ebene Zweifel breit. Die viel beschworene Signalwirkung eines NPD-Verbotes dürfte verpuffen, wenn eine Entscheidung erst in mehreren Jahren zu erwarten ist. Wenn die Karlsruher Richter aber die NPD nicht verbieten sollten - dann wäre dieser Schuss gründlich nach hinten losgegangen. Nur die rechte Szene, die triumphiert schon jetzt. Zum Beispiel über das von Rechtsextremen betriebene Nationale Infotelefon in Hamburg. In der Sprache zeigt man sich zwar sehr zurückhaltend, schließlich hört der Verfassungsschutz mit, aber die Nachricht ist deutlich:
"Mit der Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission zur Prüfung eines NPD-Verbotes haben sich die Verantwortlichen in eine schwierige Lage gebracht. Faktisch gibt es nämlich kaum noch eine Möglichkeit auf einen Verbotsantrag zu verzichten, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Denn wenn die Kommission am Ende erklären sollte, das Material sei für einen Antrag nicht ausreichend, würde die NPD auch ohne Beschluss des Bundesverfassungsgerichts jenen Persilschein erhalten, den man ja gerade vermeiden wollte."
Zitat Ende. Auch aus dieser Sicht betrachtet, hat das Düsseldorfer Attentat auf neun jüdische Russlanddeutsche die Republik verändert. Wird kein Verbotsantrag gestellt, lachen sich die Rechten ins Fäustchen. Wird einer gestellt und negativ beschieden, fühlt sich der braune Rand auch noch bestärkt. Das die Karlsruher Richter tatsächlich die NPD verbieten würden, ist noch völlig ungewiss. Fast sieht es so aus, als ob die Regierung Schröder nun in einer rechten Rattenfalle sitzt. Bleibt nur noch eine Frage offen - Wie will sie sich daraus wieder befreien?