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Das Ohr gen Osten

Auf dem Teufelsberg im Grunewald steht ein verfallenes Gebäude, das zahlreiche Neugierige in seinen Bann zieht: eine alte amerikanische Abhöranlage. Zwar ist die Erkundung dieses Relikts nur bedingt legal, aber dennoch hat das Gebäude einen richtigen Besucherführer.

Von Julia Brunner | 08.01.2012
    Ein gewaltiger Turm ragt in den Himmel. Weiße Planen sind zerfetzt, schlagen im Wind gegen ein Gerüst. Vor dem Eingangstor zur ehemaligen Abhörstation der Amerikaner auf dem Teufelsberg ist an diesem Sonntag viel los. Knapp 60 Besucher wollen die Anlage erkunden. Das Tor klemmt.Ein hoher Zaun umgibt die Anlage. Auf gelben Schildern steht: "Betreten verboten". Der Zaun ist durchlöchert. Durch eines der Löcher schlüpfen heute die Besucher. Nina Blinten hat blonde, schulterlange Haare und trägt einen schwarzen Kapuzenpulli. Sie klopft sich Dreck von der Hose:

    "Hm, warum bin ich jetzt hier so legal und bezahle Geld dafür, dafür dass ich doch durch den Zaun durchgehe? Irgendwie macht das jeder, aber irgendwie ist es ja trotzdem illegal, aber im Endeffekt: Klar, es ist etwas anderes mit der Führung."

    Hinter dem Zaun führt ein geteerter Weg zu den Gebäuden. Vor dem großen Hauptgebäude mit dem Turm: niedrige Flachdächer. Ihre Außenwände sind blau getäfelt und voller Graffiti.

    Der Teufelsbergführer Christopher McLarren geht voraus. Er kennt sich hier gut aus. Früher hat er in der Abhörstation gearbeitet. Zu den Führungen kam er aus Zufall.

    "Zufälligerweise hat meine Frau davon erfahren und meinte, weil ich hier gedient hatte, könnte ich wahrscheinlich ein paar gute Geschichten erzählen. Was tatsächlich der Fall ist. Also ich erkläre gern, was wir damals gemacht haben, wie das Leben war."

    1972 begann das amerikanische Militär mit den Bauarbeiten der Abhörstation. Ein Jahr später war die Anlage fertig. Die Lage war ideal. Der Teufelsberg ist die zweithöchste Erhebung in Berlin. Von hier konnte man weit in den Osten hören.

    Die Besucher besichtigen das Hauptgebäude: Eine riesige Halle, etwa so groß wie ein Fußballfeld. Sie ist leer. Auf dem Boden liegen Scherben und Schutt. Früher waren hier Räume. Heute erinnern nur ein paar Trennwände daran, wie es ausgesehen hat.

    1991 zogen die Amerikaner ab. Nach der Wende nutzte die Bundesbehörde für Luftsicherheit die Abhörstation, zur zivilen Luftüberwachung. Doch 1996 ging auch sie.

    Zwischenstopp auf dem Dach: Silvia Wichel knöpft ihre blaue Windjacke zu. Sie ist zu Besuch hier und genießt den Ausblick.

    "Ich hätte nicht gedacht, dass Berlin außen herum so grün ist. Einfach vom Gucken her, man hat hier so den Überblick. Es ist einfach nur eine Großstadt mitten im Grünen. Ich finde das total klasse!"

    Hier oben ist es auch gefährlich. Es gibt kein Geländer. Knapp 20 Meter geht es in die Tiefe. Unten auf dem Asphalt hat jemand mit weißer Farbe auf Englisch geschrieben: Spring doch! Versuchs mal!

    Alexander Waltz trägt enge Jeans und eine dunkle Jacke. Er drückt sich an die Außenmauer des Turms.

    "Ich find es hier oben einfach total gruselig, so ohne Schutz, ohne irgendwie so am Geländer. Ich hab einfach Angst, dass man da runter fällt. Also ich bleib jetzt hier an der Mauer."

    Es geht weiter nach oben. Das Treppenhaus ist stockfinster. Dann plötzlich wird es heller. Die Kuppel ist rundherum mit einer weißen Plane bespannt. Sie sieht aus wie ein Golfball.

    Früher standen hier Radarabhörgeräte. In dem runden Raum haben sich heute Musiker verteilt. Der Performancechor für experimentellen Gesang spielt mit der besonderen Akustik des Raums:

    Nina Blinten ist begeistert:

    "Das fand ich super spannend. Also diese Akustik fand ich super interessant und total beeindruckend, so ein bisschen unheimlich. Es ist eigentlich schade, dass solche Räume nicht genutzt werden können, für Kulturveranstaltungen. Da hat man wirklich einen Raum, den man sonst in Berlin nicht hat."

    Pläne gab es. Ein Privatinvestor kaufte das Gelände, um Lofts zu bauen. Der Kultregisseur David Lynch wollte sogar eine Universität errichten. Der Teufelsberg gilt aber offiziell als Wald und darf nicht neu bebaut werden.

    Nach zwei Stunden Führung lässt Christopher McLarren die Besucher durch eines der Löcher im Zaun nach draußen. Er schaut sich noch einmal um.

    "Es kostet eine Menge Geld, jetzt das wieder in Ordnung zu bringen oder herunterzureißen. Im Moment ist das also nicht realistisch. Ich würde mir wünschen, dass wir ein kleines Museum hier hätten. Man sieht wie hier alles zuwächst, also die Geschichte verschwindet."