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Das Orchester der Abruzzenregion
Hoffnung durch Musik

2009 erschütterte ein schweres Erdbeben die italienische Abruzzenregion und ihre Hauptstadt l'Aquila. Damit verlor auch das ansässige Sinfonieorchester seine Spielstätte. Seitdem kämpfen die Musiker um den Erhalt ihres Klangkörpers; unterstützt werden sie dabei von der künstlerischen Leiterin Luisa Prayer.

Von Thomas Migge | 09.01.2017
    Ein Mann geht an einem eingerüsteten historischen Gebäude mit Säulen vorbei Foto: Maurizio Gambarini/dpa
    Kommt langsam voran: die Restaurierung erdbebengeschädigter Häuser in l'Aquila (dpa)
    "Wir haben 21 Konzerte hier in l’Aquila von Oktober bis April. Wir organisieren Konzerte in Atri, in Ortona, dann auch im Teatro Marrocino in Chieti. Einige Konzerte werden in Pescara wiederholt, und darüber hinaus eröffnen wir mit unserem Orchester die Konzertsaison in einigen Städten außerhalb unserer Region".
    Rund 100 Konzerte in sechs Monaten. Angesichts eines Gesamtbudgets von nur etwas mehr als zwei Millionen Euro ist das ein gigantisches Programm. Das 1970 gegründete Orchestra Sinfonica Abruzzese unter der künstlerischen Leitung von Luisa Prayer ist eines der 13 vom Staat anerkannten öffentlichen Orchester Italiens. Das Budget wird also durch öffentliche Gelder bestritten. Theoretisch jedenfalls - denn bevor die Pianistin Luisa Prayer, die am Konservatorium in L’Aquila lehrt, das Ruder beim Orchestra Sinfonica Abruzzese übernahm, drohte die Schließung und die Entlassung sämtlicher Musiker:
    "Ich übernahm das Amt als künstlerische Leiterin im September 2015. Das Orchester arbeitete nicht mehr seit Monaten, seit Juli. Seit April 2015 erhielten die Musiker kein Gehalt mehr, weil es ein finanzielles Problem mit der Region Abruzzen gab. Das ist ja hier keine reiche Region. Hier wird nicht viel in Kultur investiert. Jedenfalls nicht bis zu dem Moment meiner Amtsübernahme".
    Das schwere Erdbeben, das l’Aquila und die Region 2009 erschütterte, tat das seine, um das Orchester finanziell ins Abseits zu drängen. Das historische Theater der Stadt, deren Zentrum zum großen Teil immer noch wegen Einsturzgefahr gesperrt ist, kann noch nicht genutzt werden. Mit der Restaurierung wurde erst vor etwa drei Jahren begonnen. Die Arbeiten werden voraussichtlich erst in einem Jahr abgeschlossen sein. Der Weg zum provisorischen Konzertsaal, direkt neben dem derzeit unzugänglichen Theater, führt vorbei an Kirchen und Palästen, die mit Holz- und Stahlkonstruktionen vor dem Einstürzen bewahrt werden. Luisa Prayer:
    "Die Situation hier ist schon bedrückend. In einer Stadt im Wiederaufbau, einer immer noch halbzerstörten Stadt zu arbeiten und zu musizieren ist nicht leicht. Aber ich hoffe, das wird sich langsam aber sicher bald ändern".
    Obwohl die Konzerte derzeit in einem musikalisch vollkommen inadäquaten Probenraum stattfinden, sind sie fast alle ausverkauft. Die Menschen wollen Musik, sagt Luisa Prayer, der es gelungen ist, mit zähem Durchsetzungswillen, das einzige bedeutende Orchester der gesamten Region nicht sterben zu lassen und zu alter Größe zu führen:
    "Unser Orchester bringt wichtige Finanzmittel des Staates in die Region. Doch das Kulturministerium in Rom zahlt nur dann seinen Teil, den Löwenanteil der Finanzmittel, wenn zuvor die Region ihrerseits Finanzmittel bereitstellt. Genau das war 2015 nicht geschehen. Also ohne das Geld der Region gab es kein Geld aus Rom. Als man mich bat, dieses Amt zu übernehmen, mußte ich zunächst vermitteln. Und ich nutzte die Medien für unsere Sache".
    Luisa Prayer ist keine Unbekannte in den Abruzzen. Die Römerin, die mit Mann und Kindern in der Hauptstadt lebt und zwischen beiden Städten hin- und herpendelt, gründete im Jahr 2000 das Festival "Pietre che cantano", die klingenden Felsen: Eine Reihe von Konzerten mit klassischer und zeitgenössischer Musik in verschiedenen kleinen und kleinsten Ortschaften der Bergregion, in romanischen Kirchen und Klöstern, die zu den schönsten historischen Gebäuden Mittelitaliens gehören. Diese Konzerte in zumeist bukolischer Atmosphäre mit italienischen, deutschen und österreichischen Künstlern sind vor allem für die lokale Bevölkerung gedacht, die, wenn sie nicht nach l’Aquila oder in die anderen Städte der Abruzzen fährt, sonst nie klassische Musik zu hören bekommt. Luisa Prayer organisiert das Festival mit weniger als 200.000 Euro aus öffentlichen Mitteln und von Sponsoren. Die Eintrittskarten kosten unter zehn Euro. Ein erfolgreiches Festival, das Musikkultur auch in den hintersten Winkel der verkehrsmäßig nicht immer bequemen Bergregion bringt.
    Weil sie mit ihrem Festival so erfolgreich ist und als hartnäckige Vermittlerin gilt, wurde sie von der Orchesterdirektion Ende 2015 darum gebeten, das regionale Symphonieorchester zu retten. Ihr gelang es, die örtlichen Politiker von der Wichtigkeit der angesehenen musikalischen Institution zu überzeugen. Und ihr gelang es, für 2016 ein wirklich ansehnliches Programm auf die Beine zu stellen, die Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten zu erhöhen und die Säle zu füllen, in L’Aquila und den anderen Konzertorten der Region Abruzzen. Als Hauptdirigenten gelang es ihr Ulrich Windfuhr zu verpflichten. Windfuhr unterrichtet Dirigieren und Orchesterleitung an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater und arbeitet ständig mit den Hamburger Symphonikern zusammen. Vom regionalen Symphonieorchester der Abruzzen hatte er vor seiner Berufung noch nie etwas gehört. Ulrich Windfuhr:
    "Ich habe Vertrauen in Luisa. Ich weiß, dass sie eine fantastische Musikerin ist und genau weiß, worum es geht. In Italien gibt es ganz wenige Orchester. Wir Deutschen sind ja verwöhnt mit den tausenden von Orchestern... Tausend gibt es nicht aber 160 oder 170. Hier gibt es, glaub ich, 20 überhaupt, inklusive der Theaterorchester, und das Orchester hier ist ein wichtiger Kulturträger von ganz Italien".
    Anfang Dezember dirigierte Ulrich Windfuhr eines seiner Konzerte in l’Aquila und anderen Städten in den Abruzzen. Ein Brahmsabend, zusammen mit der ausgezeichneten kroatischen und in Berlin lebenden Pianistin Martina Filijak.
    Die Rettung des Orchesters durch Luisa Prayers Insistieren bei Lokal- und Regionalpolitikern trägt Früchte. Es ist ihr zu verdanken, dass die Stadt l’Aquila, mit ihrem in weiten Teilen immer noch unbewohnten historischen Zentrum, musikalisch aktiv ist.
    Auch wenn in l’Aquila noch sehr viel zu tun ist, um das historische Stadtzentrum wiederzubeleben, schlägt dank der Pianistin und Managerin Luisa Prayer auf jeden Fall das musikalische Herz der Abruzzenstadt. Es schlägt stark und ist ungemein aktiv. Bleibt zu hoffen, dass die oftmals wankelmütigen Regionalpolitiker ihr auch weiterhin finanziell die Stange halten - was im krisengeschüttelten Italien alles andere als sicher ist.