Archiv


Das Oscar-Wilde-Album

Daß Oscar Wilde verheiratet und der Vater zweier Söhne war, ist heute, fast ein Jahrhundert nach seinem Tod, nahezu in Vergessenheit geraten. Vorherrschend ist sein Image als exzentrischer Londoner Dandy, als genialer Homme de lettres und vor allem als einer der bahnbrechenden Vorreiter der Schwulenbewegung. Wildes Sohn Vyvyan Holland erinnert sich in seiner 1954 erschienenen Autobiographie "Son of Oscar Wilde" an den kapriziösen Familienvater: "Ich habe ihn als einen lächelnden, immer hervorragend gekleideten Riesen in Erinnerung, der mit uns auf dem Fußboden im Kinderzimmer herumgekrabbelt ist und in einer Aura von Zigarettenrauch und Eau de Cologne lebte."

Beate Berger | 21.10.1998
    Vyvyan Holland, geboren 1886, war der zweite Sohn von Oscar Wilde. Cyril, der älteste, Jahrgang 1884, meldete sich im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger an die Front und kam 1915 durch die Kugel eines deutschen Scharfschützen ums Leben. Vyvyan wollte zunächst eine Diplomatenlaufbahn einschlagen, wagte sich dann aber dennoch ins Metier seines Vaters. Er schrieb Bücher und arbeitete als Übersetzer. Sein Sohn Merlin, geboren 1945 und Wildes einziger Enkel, kam erst nach langen beruflichen Umwegen zum Schreiben: "Mein Vater erzählte Jahre später, daß ich im Alter von etwa acht bis zehn - da habe ich ihn ein bißchen entsetzt gefragt, ob ich unbedingt Schriftsteller werden müßte. Weil ich wußte natürlich, daß mein Großvater Schriftsteller gewesen ist, und ich sah meinen Vater auf seinem Büro beim Schreiben"

    Merlin Holland, geboren 1945, trat das literarische Familienerbe als junger Mann bewußt nicht an. Nach seinem deutschfranzösischen Sprachenstudium arbeitete er in der Papierindustrie, unter anderem auch fünf Jahre in Beirut. 1974 kehrte er nach Europa zurück und arbeitete in einem akademischen Verlagshaus in Luxemburg. In den 80er Jahren zog er zusammen mit seiner Frau Sarah einen Keramikhandel auf, bis er dann 1992 durch einen journalistischen Auftrag per Zufall zum Schreiben kam. Sein Leben, sagt er beim Interview in London, lasse sich in einem Satz zusammenfassen: "Mein Leben war eine Art Odyssee."

    Der familiengeschichtliche Hintergrund für Merlin Hollands Odyssee läßt sich auf den 25. Mai 1895 zurückdatieren. Damals wurde Oscar Wilde nach einer Verleumdungsklage wegen homosexueller Handlungen in London zu zwei Jahren Freiheitsentzug mit Zwangsarbeit verurteilt. Mit diesem Stichtag verlor er alles - seine Familie, seinen Erfolg, seine Würde.

    Das Haus in der Tite Street Nr. 16, der gesamte Haushalt der Wildes wurde zwangsversteigert, nicht einmal das Spielzeug der Kinder entging dem Hammer. Wildes Frau Constance hatte die Söhne schon vor Beginn der Prozessverhandlungen in die Schweiz geschickt. Nach dem Urteil folgte sie ihnen nach und änderte aus Angst vor weiteren Repressalien den Familiennamen um in Holland.

    Merlin Holland arbeitet heute als freier Journalist in London. Sein erster großer publizistischer Einstand ist "Das Oscar-Wilde-Album" - eine reich bebilderte Hommage an den Großvater, die jetzt auch auf deutsch erschienen ist. Das Buch bietet eine informativ und elegant geschriebene Einführung in Wildes Biographie und Werk. Die großzügigen Bildstrecken, die zum Teil bislang unveröffentlichte Abbildungen enthalten, haben nicht nur illustrativen Charakter, sondern ein interessantes Eigengewicht. Wilde war ein Meister der Selbstinszenierung, ein Stilfanatiker. Wer seine Portraits betrachtet, insbesondere die komplett abgedruckte Foto-Serie des New Yorker Fotgrafen Napoleon Sarony, begreift Wildes Lust an der Pose auch ohne weiteren Kommentar.

    Am Ende des Jahres 2000 will Merlin Holland - zumindest in philologischer Hinsicht - einen Schlußstrich unter das Kapitel Oscar Wilde ziehen. Eine neue Edition der Wilde-Briefe und ein weiteres Buch über das bewegte Nach-Leben seines Großvater soll bis dahin abgeschlossen sein. Das Thema Schreiben hat für Merlin Holland existenzielle Bedeutung. Obwohl er fließend deutsch spricht, besteht er in diesem Zusammenhang auf präzise Antworten in seiner Muttersprache: "Ich habe jahrelang geschrieben, Tagebücher geführt. Ich habe das Schreiben genossen, geliebt, aber ich habe es nicht gewagt, etwas davon zu zeigen, zu veröffentlichen. Es war ein sehr starkes Gefühl, von dem ich nicht genau weiß, woher es kam. Es war sicher auch Angst; Angst, daß man mir vorwerfen könnte, ich würde mir das nur aufgrund meiner Gene erlauben. Das war natürlich ganz verkehrt. Aber diese Angst saß so tief in mir drinnen, beeinflußt durch das Klima der 50er Jahre, als meine Eltern mir immer wieder einschärften: Bleib ruhig, sag nichts. Wenn dich jemand fragt, ob du der Enkel von Oscar Wilde bist, kannst du sagen: Ja. Mach ein paar Bemerkungen, und dann wechselst du einfach das Thema. Ich glaube, daß diese Verschwiegenheit, diese Zurückhaltung, sehr prägend gewesen ist. Das hielt an, bis ich Ende 40 gewesen bin, bis ich mir sagte, jetzt ist es endlich Zeit, das zu tun, was ich tun will. In gewisser Hinsicht bin ich in der gleichen Weise zum Schriftssteller geworden, wie sich andere Leute als Homosexuelle outen."

    Daß Merlin Holland so lange mit seinem literarischen Coming Out gezögert hat, liegt sicher auch an der zwiespältigen Reputation, die sein Großvater zumindest in England bis in die 70er Jahre hinein hatte. Wilde war ein theatralischer Mensch, er schätzte das Dekorative, Schrille, Ostentative - Eigenschaften also, die sich nur bedingt mit der typisch britischen Zurückhaltung in Einklang bringen ließen. Seine Nachfahren hatten jedoch nicht alleine die Erblast seiner Diffamierung zu tragen, sondern vor allem auch die Bürde seiner Grandiosität: "Es ist schon eine großartige Geschichte und ich bin glücklich, eine kleine Fußnote am Ende dieser Geschichte zu sein", erzählt Merlin Holland. "Das heißt, manchmal wäre ich auch lieber gar keine Fußnote. Aber letztlich muß man dankbar sein, daß man die Fußnote geworden ist. Mein Vater war der letzte Abschnitt auf der Seite, ich bin die Fußnote und mein Sohn wird glücklicherweise irgendwo im Index verschwinden."