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Das osmanische Reich und das Empire

Die "Reise durch ein Jahrtausend” türkischer Kultur, die nur sehr wenig mit der heutigen Türkei zu tun hat, ist für den Besucher zunächst einmal verwirrend. Nicht nur ist sie lang, sondern auch kompliziert - man stelle sich eine Ausstellung über 1000 Jahre europäische Kultur vor -, und außerdem durchmisst sie einen großen Teil Asiens - vom Westen Chinas bis nach Persien, von den zentralasiatischen Steppen bis nach Mesopotamien, von der Mongolei bis vor die Tore Wiens. So viele Stämme und Völker unterschiedlichster Herkunft, ständig auf Wanderschaft, zumeist in Richtung Westen. Kriege, Raubzüge, Plündereien, Einflüsse werden aufgesogen, Kulturen und Religionen vermischen sich. Wer also die Uiguren nicht von den Ogusen, die Seldschuken nicht von den Osmanen zu unterscheiden vermag, fühlt sich etwas verloren.

Von Hans Pietsch |
    Man sollte jedoch die Geschichte zumindest vorübergehend beiseite legen - man ist ja eigentlich wegen der Kunstschätze der verschiedenen Türkvölker gekommen, und da gibt es einiges zu bestaunen und zu bewundern. Da sind Fragmente von Wandmalereien aus in Felsen gehauenen buddhistischen Tempeln in der chinesischen Provinz Xinyang aus dem 14. Jahrhundert; primitive, für religiöse Riten gedachte Steinplastiken der Uiguren; spektakuläre Teppiche, fast 800 Jahre alt, Textilien, Keramik, Schmuck und Buchmalerei. Etwa der reich verzierte Koran des osmanischen Sultans Mehmed des Zweiten, der 1453 Konstantinopel einnahm, und damit das Ende des oströmischen Reiches besiegelte. Und da ist sein vom Venezianer Gentile Bellini am 25. November 1480 gemaltes Porträt, mit dem das osmanische Imperium endgültig Anschluss an den Westen fand - wenn auch als der Eroberer.

    Aber da ist noch etwas: Wenn Institute wie die Royal Academy eine so ehrgeizige und groß angelegte Schau zusammenstellen wollen, sehen sie sich oft einem Dilemma gegenüber - sie stoßen dabei auf die Politik. Ohne die aktive Unterstützung von Regierungen und Botschaften lassen sich Schätze wie das exquisit illuminierte Poesiebuch des Sultans Hussein Mirza aus dem späten 15. Jahrhundert oder die mit Perlmutt eingelegte Tür eines Pavillons im Harem des Topkapi Palasts in Istanbul nicht loseisen, und da geraten die Museen nicht selten unter politischen Druck. Bei der Türken-Ausstellung kommt noch etwas anderes hinzu: Zwei unerwartete "Kenner” der Materie schreiben in Vorworten zum Katalog begeistert von "kultureller Vielfalt” als einer "Quelle des Reichtums von Nationen” und von der "so wichtigen Interaktion unterschiedlicher Kulturen”. Der türkische Ministerpräsident Erdogan und sein britischer Amtskollege Blair haben dabei natürlich eines vor Augen: den Eu-Beitritt der Türkei, den beide befürworten.

    Wieweit das Bestreben, die Türkei einem nicht gerade europafreundlichen britischen Publikum schmackhaft zu machen, das Konzept der Ausstellung beeinflusste, ist schwer zu sagen. Die Eroberung Istanbuls durch Mehmed den Zweiten lapidar als "Zusammentreffen zweier Kulturen” zu bezeichnen, macht stutzig. Doch der Besucher kann sich dem leicht entziehen, so vielfältig, so grandios sind die Ausstellungsstücke selbst. Höhepunkt der Schau ist ein Raum mit Dutzenden farbiger Zeichnungen aus dem 14. Jahrhundert, die aller Voraussicht nach von der Hand eines Künstlers stammen, dem man später den Namen Mohammed Siyah Qalam gab - Mohammed mit der Schwarzen Feder -, eine Art asiatischer Breughel.

    Keine elegante Hofkunst, sondern fast derbe Alltagsszenen aus dem Leben turkmenischer Nomaden der innerasiatischen Steppen - Männer füttern und tränken ihre Pferde, ein Zeltlager mit offenem Feuer, Frauen und Kinder, zwei Priester im Gespräch, und dazu wild tanzende Derwische und Furcht erregende Dämonen. Voller Realismus, voller Humor, hauptsächlich mit drei Farben auskommend: schwarz, blau und rot. Der Zweck der Zeichnungen ist unklar, doch geht man heute davon aus, dass sie wohl Geschichtenerzählern als Illustrationsmaterial dienten. Ganz erstaunliche Blätter, die das Museum des Topkapi Serai in Istanbul noch nie verlassen haben, und auch dort nur selten zu sehen sind. Allein ihretwegen lohnt sich ein Besuch.