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Das Persien am Pazifik

Die politischen Spannungen um den Iran und sein Atomprogramm machen Sanktionen gegen die Führung in Teheran immer wahrscheinlicher. US-Außenministerin Condoleezza Rice appellierte an den UN-Sicherheitsrat, bei seiner Sitzung Ende des Monats "scharfe Maßnahmen" gegen den Iran zu ergreifen. Der Rat müsse, so Rice, die "Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft" wahren. Vier Millionen Iraner leben weltweit im Exil. Die meisten von ihnen sind in Los Angeles: In der kalifornische Metropole, die unter dem Schah als Schwesterstadt Teherans galt, leben rund 600.000 iranische Staatsbürger. Die iranische Gemeinde stand lange Zeit in dem Ruf vorbildlich integriert zu sein. Doch das hat sich geändert. Vor allem die Jugend sucht jetzt nach ihren Wurzeln. Ein Bericht von Beatrice Uerlings.

Vier Millionen Iraner leben weltweit im Exil. Die meisten von ihnen sind in Los Angeles: In der kalifornische Metropole, die unter dem Schah als Schwesterstadt Teherans galt, leben rund 600.000 irani |
    Kurz vor Sendebeginn, im Aufnahmestudio von NITV wird das Licht ausgemacht. Auf den Monitoren, wo eben noch Schreckensbilder des islamischen Regimes liefen, sind nur noch Schattenrisse zu erkennen. Die Podiumsrunde findet im Dunkeln statt. Fernsehdirektor Zia Atabay will es so.

    " Wir haben die Leute in Teheran aufgerufen, aus Protest gegen die Mullahs alle Lichter zu löschen. Als Zeichen der Solidarität gehen auch wir im Kerzenlicht auf Sendung!"

    NITV gibt der Oppositionsbewegung rund um die Uhr ein Forum: Auch Reza Pahlevi, der in Maryland lebende Sohn des Schah, ist ein regelmäßiger Studiogast. Laut Atabay haben schon 8 Millionen Iraner das subversive Programm gesehen - per Satellit oder auf geschmuggelten Videokassetten. Dennoch führt der Fernsehdirektor in Los Angeles einen einsamen Kampf. Er kann den Sendebetrieb nur aufrecht erhalten, weil die Schönheitsfarm seiner Frau so viel Gewinn abwirft.

    " In Europa haben wir viele Zuschauer. Aber die Iraner hier interessieren sich nicht für Politik. Sie wollen ein angenehmes Leben haben und vor allem: Geschäfte machen."

    Schaufensterbummel am Westwood Boulevard, dem ethnischen Herzstück der Gemeinde. Alles erinnert an das opulente Teheran der 60er Jahre. In den Läden werden Seidenteppiche und vergoldete Stühle angeboten. Männer in schicken Designerklamotten schieben Backgammonklötzchen über Mahagoni-Bretter, die Frauen flanieren in dicken Klunkern statt Schleier.

    Bijan Khalili ist Buchhändler aus Leidenschaft. Sein Ketab Bookstore ist mit 13.000 geführten Titeln der größte Farsi-sprachige Buchladen außerhalb des Iran. Anders als im Iran ist hier auch ziemlich so jede Lektüre zu kaufen, die sich gegen die Mullahs richtet. Die exil-iranischen Schoengeister interessieren sich jedoch kaum für politisch-orientierte Literatur.

    " Die Poesie läuft am besten, denn alle Perser sind Poeten! Die jungen Leute kaufen vor allem CDs: Ob Folklore oder Pop: 98 Prozent aller iranischen Musik wird hier produziert!"

    In Karikaturen werden die Iraner von Los Angeles oft als sorglose Schah-Anhänger dargestellt, die immer noch von hinübergeretteten Schmuckschatullen leben. Tatsächlich ist keine Minderheit so elitär und wohlhabend: Die US-Iraner weisen doppelt so häufig Hochschulabschlüsse vor wie der Landesdurchschnitt; jedes Jahr steuern sie 400 Milliarden zur US-Wirtschaft bei - so viel das gesamte Bruttoinlandsprodukt des Iran.

    Eine exiliranische Erfolgsstory residiert eher versteckt am Sunset Boulevard. Die First Credit Bank erwirtschaftet die zweithöchste Rendite in ganz Kalifornien. Bankdirektor Farhad Ghassemieh, der nicht als offizielle Gegner des Regimes gilt, könnte relativ leicht in den Iran reisen: Seit dem Tod des Ayatollah Khomeini 1989 werden die Pässe innerhalb weniger Wochen bearbeitet. Der 58-Jährige weigert sich trotzdem zurückzugehen. Er will nach vorne schauen.

    " Ich wehre mich dagegen, dass wir eine separate Gruppe hier bleiben sollen. Was sollen wir mit einer Lobby in Washington? Sagen, dass wir arm sind und Unterstützung brauchen? - Das wäre doch zum Lachen!"

    Die Iraner in Kalifornien haben nie dafür gekämpft, eine anerkannte Minderheit zu sein. Und sie wählen vor allem republikanisch. Das hat historische Gründe: Viele werfen den Demokraten immer noch vor, dass US-Präsident Jimmy Carter seinerzeit zu sehr auf die Menschenrechte gepocht habe, als dass der Schah sich gegen die islamischen Revolutionäre hätte durchsetzen können.

    Doch die schöne, heile Exilwelt hat Risse bekommen. Schikanen gehören seit dem 11. September zum Alltag. Tausende Iraner wurden seit Inkrafttreten der neuen Antiterrorgesetze festgenommen. Die Rechtsanwältin Soheila Jonoubi hat eine Razzia live miterlebt. Sie befürchtet, dass sich die Lage ihrer Landsleute noch verschlimmern wird, jetzt wo Washington einen Militärschlag gegen den Iran plant.

    "Tausende saßen alleine in diesem Gefängnis, wo ich war. Es gab nicht genug Betten, das "WC" war ein großes Loch in der Mitte des Raumes, keine Wand drum herum. Sie haben stundenlang nichts zu trinken bekommen. Seife gab es auch keine."

    Vielen US-Iranern droht die Abschiebung. Nassr Ahmadi ist einer der wenigen Betroffenen, die ihrer Wut öffentlich Luft machen. Der Soziologieprofessor hat selber zwei Tage im Knast der Einwanderungsbehörde verbracht.

    " Das Schlimme ist, dass sie meinen Pass einbehalten haben. Ohne Pass kann ich keinen Führerschein bekommen, kein Konto eröffnen und keine Krankenversicherung abschließen. Vorträge an ausländischen Universitäten muss ich ablehnen, weil ich nicht reisen darf."

    Die Jugend versteht am allerwenigsten, dass sie plötzlich kein integrierter Teil der Multikulti-Nation mehr ist Und als Reaktion darauf zelebriert sie eine iranische Identität, die mehr mit dem Leben ihrer Großeltern zu tun hat als der Realität.

    Vor dem Daya-Restaurant - dem iranischen Szenetreffpunkt in Santa Monica - reihen sich auf Hochglanz polierte BMWs. Innen scheinen Kristallleuchter auf Esfahani-Tischdecken. Die Mitglieder des Persian Club bestellen Darjeeling Tee und Rosenwasser-Eiscreme im Wechseltakt. Traditionelle Küche statt McDonalds: Shirin ist der Studentenvereinigung beigetreten, weil sie Halt sucht.

    " Wenn ich sage, dass ich aus dem Iran komme, verwechseln die Leute das jetzt mit "Irak". Deshalb sage ich: Ich bin Perserin, denn Persien, das ist ja der alte Name des Iran!"

    Die Architekturstudentin Farnaz lebt seit 1994 in Amerika. Ihr ursprünglicher Wunsch, sich anzupassen, ist in Trotz umgeschlagen.

    " Vor kurzem habe ich einen iranischen Pass bekommen und für das Foto musste ich einen Schal tragen, wie damals in der Schule. Das hat viele, schöne Erinnerungen wachgerufen. Freiheit ist relativ!"

    Eine Generation auf Identitätssuche: Hin und her gerissen zwischen einem verklärten Bild von Heimat und den Erinnerungen der Eltern. Selbst Aryaman, ein in den USA geborener Webmaster, lässt sich regelmäßig Landschaftsaufnahmen aus Teheran e-mailen.

    " Viele von uns haben unser Land nie gesehen und würden so gerne zurück! Das Problem sind die Eltern, die uns andauernd sagen: Vergiss es, du bist Amerikaner! Sie schämen sich wegen ihrer Herkunft!"

    Dann schaut Aryaman melancholisch auf das Fresko an der Restaurant-Wand. Bauwunder des persischen Großreiches sind darauf zu sehen. Keine Mullahs. Und natürlich auch keine Fabriken, die nukleare Brennstoffe herstellen ...