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Das Phänomen Homer

An Homer und seinen berühmten Epen - der "Ilias" und der "Odyssee" - kommt man auch knapp 3000 Jahre nach ihrem Entstehen nicht vorbei. Das sieht man auch in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien so: Dort wurde nun eine aufwendig gestaltete Ausstellung eröffnet: "Das Phänomen Homer".

Von Günter Kaindlstorfer | 24.05.2009
    Es soll ja Menschen geben, die, wenn sie die Buchstabenfolge "Homer" lesen, zuerst an Homer Simpson denken. Cornelia Römer, Direktorin der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, gehört nicht zu dieser Kategorie von Menschen. Sie hat ihren Homer noch im Altgiechisch-Unterricht im Gymnasium gepaukt, und das durchaus mit Lust. Dass die Versepen des archaischen Griechen die Menschen durch die Jahrtausende hindurch fasziniert haben - von den attischen Rhapsoden des fünften vorchristlichen Jahrhunderts bis hin zu den doch eher erbärmlichen Verfilmungen mit Kirk Douglas und Brad Pitt - diese ungebrochene Homer-Faszination quer durch die Jahrhunderte hat Cornelia Römer zufolge durchaus mit einem gewissen Action-Aspekt der "Odyssee" und der "Ilias" zu tun.

    "Es ist einerseits die Geschichte von der Belagerung einer Stadt, da geht es wild her, es gibt Einzelkämpfe, aber eben nicht nur Einzelkämpfe. Es geht auch um den Kampf des Einzelnen mit sich selbst, um die Entscheidungen, die er treffen muss, das ist sicher das große Thema in der "Ilias". In der "Odyssee" sind es die ständig wechselnden Schauplätze, die Abenteuer auf See, die Begegnungen mit wundersamen Wesen, die die Menschen immer fasziniert haben."

    Wie aber sind uns Homers Texte überliefert worden? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Wiener Ausstellung. Naive Gemüter mögen vielleicht davon ausgehen, dass der Urvater der abendländischen Dichtung Papyrusrolle auf Papyrusrolle mit seinen unsterblichen Epen vollgeschrieben hat, und dass diese Rollen heute in irgendeinem Museumstresor irgendwo auf der Welt streng bewacht verwahrt werden. Weit gefehlt. Homers Texte sind in 2000 rund um den Globus verstreuten Papyrus-Fragmenten erhalten, und dabei handelt sich um die Kopien von Kopien von Kopien. "Urtext" gibt's keinen ...

    Die frühesten erhaltenen Homer-Kopien stammen aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert und sind durchwegs in Ägypten entstanden. Zwischen dem Entstehen der Homer'schen Epen und den frühesten erhaltenen Papyrus-Fragmenten klafft also eine Lücke von fünfhundert Jahren!

    Und wie kam Homer nach Ägypten? Nach der Eroberung des Nilreichs durch Alexander den Großen 332 vor Christus bildete sich auch in Ägypten eine Griechisch sprechende Oberschicht heraus. Die Beschäftigung mit Homer war für diese neuen Eliten eine Art Status-Symbol.

    "Also, diese Elite, die sich da herausgebildet hat im alten Ägypten, diese Oberschicht, die ließen natürlich ihre Kinder lesen und schreiben lernen auch anhand der Texte Homers. In der Ausstellung sind entsprechende Schulbücher zu sehen. Andererseits wollte man wohl gerne auch einen Homer zu Hause im Bücherschrank haben: eine Papyrusrolle mit dem ersten Buch der "Ilias", das war das Mindeste."

    Und so sind in der Wiener Ausstellung vor allem auch ägyptische Homer-Fragmente zu sehen. Dazu kommen Griechisch-Schulbücher aus dem antiken Ägypten und jede Menge Kostbarkeiten aus späteren Jahrhunderten: Der erste Druck der "Ilias" aus dem Jahr 1488 - ein Exemplar aus der Privatbibliothek Prinz Eugens -, die Erstausgabe der berühmten Johann-Heinrich-Voß-Übersetzung der "Odyssee" von 1781 und jede Menge Kuriosa, etwa Homer-Übersetzungen ins Schwyzerdütsche oder in die Kunstsprache Esperanto. Johanna Rachinger, die Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek:

    "Wir greifen mit dieser Ausstellung ein Thema auf, das so alt ist wie die europäische Schriftkultur. Die Schriften Homers stehen ja an der Wiege der antiken, griechischen Kultur und haben damit natürlich einen ganz wesentlichen Einfluss auf die gesamte europäische Kultur genommen. Dabei ist es ja nicht verwunderlich, dass sich an einer traditionsreichen Bibliothek wie der Österreichischen Nationalbibliothek sehr viele Dokumente zur Überlieferungsgeschichte der Homer'schen Epen befinden. Und die werden jetzt in dieser Ausstellung gezeigt."

    Durch Raoul Schrotts heißdiskutierte Übersetzung der "Ilias" ist Homer in jüngster Zeit eine Art Pop-Star der Feuilletons geworden. Die Wiener Ausstellung bietet seriöses Unterfutter für diesen Popdiskurs der durchaus problematischen Art.