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Das Plankton-Paradoxon

Phosphat verschwand seit den 80er-Jahren zunehmend aus den Waschmitteln, weil es in Seen die Algenblüte begünstigte. Forscher beobachteten in der Saidenbacher-Talsperren, dass die Algen weiterhin verstärkt wachsen. Wachstumsfördernd soll der Klimawandel sein.

Von Volker Mrasek | 10.07.2013
    Seit über 50 Jahren unterhält die Technische Universität Dresden eine ökologische Außenstation im Erzgebirge, im kleinen Ort Lengefeld. Seit über 30 Jahren wird sie von dem Umweltphysiker Lothar Paul geleitet:

    "Wir untersuchen traditionell seit 1959, die Trinkwasser-Talsperren im Erzgebirge. Und ganz besonders die Talsperre Saidenbach vor unserer Haustür, eine der größten Sachsens, mit 22 Millionen Kubikmetern."

    Die ökologischen Langzeit-Beobachtungen im Saidenbacher Talsperren-See sind einmalig in Deutschland. Und sie dokumentieren jetzt eine erstaunliche Entwicklung über die letzten Jahrzehnte.

    Seit der Eintrag von Phosphat aus Waschmitteln vor gut zwei Jahrzehnten drastisch reduziert wurde, wachsen pflanzliche Algen in dem Stehgewässer nicht etwa schlechter, sondern besser. Lothar Paul spricht von einem Paradoxon. Eigentlich hatte man das genaue Gegenteil erwartet. Denn Phosphor ist ein wichtiger Nährstoff, den das pflanzliche Plankton zum Wachsen braucht. Gelangt nicht mehr so viel von dem Element in das Gewässer, sollten Algenblüten im Gewässer eigentlich zurückgehen. Tatsächlich aber sind die Algen ...

    "... noch schneller und noch intensiver gewachsen. Und wie wir dann festgestellt haben, ist das letztlich auf den / Klimawandel zurückzuführen."

    Einen Fachartikel dazu haben Lothar Paul und zwei Kollegen soeben zur Veröffentlichung eingereicht. Wachstumsfördernd für die Algen ist der Klimawandel demnach im Frühjahr:

    "Wir konnten feststellen, dass die Winter tendenziell wärmer geworden sind, die Eisbedeckung im Frühling sozusagen eher zu Ende war. Und wir sprechen dann, nachdem die Eisdecke verschwunden ist, von der sogenannten Frühjahrsvollzirkulation. Diese Phase, die ist deutlich länger geworden."

    Das bedeutet: Der Wasserkörper der Talsperre wird heute länger von Grund auf durchmischt. Davon profitieren Kieselalgen im See. Sie sind vergleichsweise schwer und sinken normalerweise schnell zum Grund, wo sie absterben. Richtig wachsen können Kieselalgen nur im Frühjahr – eben dann, wenn der See kräftig durchmischt wird. Die Turbulenz im Wasser hält sie dann in der Schwebe.

    Der Klimawandel wirkt nun offenbar lebensverlängernd auf die Kieselalgen. Denn er zögert ihren Schwebezustand hinaus. Die pflanzlichen Einzeller haben so mehr Zeit, Phosphat aus dem Wasser aufzunehmen und kräftig zu wachsen.

    "Früher war die Phase der Vollzirkulation kurz. Sie wurden also nur eine kurze Zeit in Schwebe gehalten. Und die Algen sedimentierten zum Grunde des Gewässers. Das heißt also: Früher hatten wir wesentlich mehr Phosphor, aber der konnte nicht in Wachstum umgesetzt werden, weil die Physik das Wachstum begrenzt hat, die Turbulenz. Jetzt, durch den Klimawandel, hat die Länge der Vollzirkulation zugenommen. Und der Phosphor, obwohl weniger, kann in mehr Biomasse umgesetzt werden."

    Physiker Paul ist sicher, dass das Phänomen nicht nur in den Talsperren des Erzgebirges auftritt:

    "Da sind wir im Moment gerade dabei, im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Trinkwasser-Talsperren, zu untersuchen, ob wir die Zusammenhänge in anderen Talsperren bestätigen können. Das wird uns ja auch pauschal von einer ganzen Reihe von Kollegen bestätigt, aber es gibt bisher noch keine, sagen wir mal, systemübergreifende Statistik."

    Im Wasserwerk muss das Plankton herausgefiltert werden, denn im Trinkwasser darf es nicht mehr vorkommen. Wenn Algenblüten in Talsperren-Seen also weiter zunehmen, bedeutet das einen erhöhten Reinigungsaufwand.

    Eigentlich müsste man die Phosphor-Einträge in Gewässer deshalb noch weiter vermindern, sagt Lothar Paul. Wobei das Nährelement aus Waschpulvern ja schon weitgehend verschwunden ist und auch die Einträge aus der Landwirtschaft stark reduziert wurden ...

    "Natürlich ist noch vieles denkbar bis hin zu einer Phosphor-Eliminationsanlage im Zufluss zur Talsperre. Aber das muss natürlich am Ende irgendjemand bezahlen."

    Die Klimaerwärmung könnte also dazu führen, dass Trinkwasser aus unseren Talsperren in Zukunft teurer wird.