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Das Profil von Amt und Kandidat

Vor zwei Jahren schlugen SPD und Grüne Joachim Gauck zum ersten Mal für das Amt des Bundespräsidenten vor. Diesmal ist er der Konsenskandidat der meisten Parteien – doch der streitbare frühere Bürgerrechtler polarisiert auch.

Von Jacqueline Boysen, Thorsten Jabs, Catrin Stövesand und Jeanette Seiffert | 20.02.2012
    Freiheit – für Joachim Gauck ist das mehr als ein hehres Wort, Demokratie ist ihm mehr als eine politische Ordnung. Wortgewaltig verteidigt der gebürtige Rostocker die Errungenschaften der Friedlichen Revolution von 1989. Zugleich versucht der parteilose, aber stets Partei ergreifende Theologe auch der Demokratie ge- oder verwöhnten Bevölkerung in Westdeutschland ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass Bürgerrechte nicht gottgegeben sind – die Aufklärung über die Diktatur und über Mechanismen der Unfreiheit ist Joachim Gaucks Lebensthema. Und er betreibt diese Auseinandersetzung mit ungebrochenem Elan – und nicht zum Selbstzweck. Die Nation – so Gauck mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer –, die sich offen mit Schuld und Verfehlung auseinandersetzt, bekomme ein neues Gesicht und verdiene Glaubwürdigkeit:

    "Deshalb mein Appell: Wir können nicht per Ordre de Mufti sagen, jetzt interessiert uns alles nicht mehr, sondern wir erwarten, dass dieser Prozess, der eingeleitet ist, die Wahrheit zu benennen und auch Schuld zu benennen und nicht nur strafrechtliche Schuld, sondern auch politische Verantwortung und moralische Schuld zu benennen und zu besprechen. Das ist ein heilsamer Prozess, und er führt letztendlich zur Befreiung."

    Wie schmerzlich solche Prozesse sein können, hat der 72-Jährige nicht erst in den zehn Jahren, in denen er die Behörde für die Unterlagen der Staatsicherheit leitete, erfahren. Doch stets hat Gauck die Öffnung der Akten vehement verteidigt und wieder und wieder erklärt, was aus den Hinterlassenschaften des Inlandsgeheimdienstes der DDR zu lernen sei: Die Dokumente belegen verwerfliches Tun aus Überzeugung, Obrigkeitstreue oder aus niederen Beweggründen. Die Stasiakten bezeugen aber auch, wie couragiert DDR-Bürger ihre eigene Meinung verfochten haben – gegen die Staatsgewalt. Als Trauma seiner eigenen Kindheit beschreibt Joachim Gauck in einem Zeitzeugengespräch mit dem Deutschlandfunk, wie sein Vater zu Beginn der 50er-Jahre inhaftiert und aufgrund nichtiger Vorwürfe ins sibirische Workuta verbannt wurde.

    "Er wird von den Russen abgeholt, was wir nicht wissen, er wird unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Werft gelockt, er war Seemann und hatte einen seemännischen Beruf, aber an Land, und wird gerufen zu einem Unfall und taucht nirgendwo auf, und wird zweieinhalb Jahre weg sein. Mutter und Großmutter versuchen verzweifelt, vom Volkspolizisten bis hin zum Staatspräsidenten, zu erfahren, wo ist der Mann? Niemand kennt ihn. In Stalins Zeiten war es so: Hatten die Häscher erst eine Person, dann fand sich das Delikt. So muss man sich das vorstellen. Und die wurden so behandelt, dass die notfalls alles unterschrieben."

    Joachim Gauck berichtet, seine Geschwister und er seien in dem Verständnis aufgewachsen, sie seien die Anständigen. Bis zum Bau der Mauer reiste der Heranwachsende und spätere Theologiestudent auch in den Westen. Gern wäre Joachim Gauck Journalist geworden, die geforderte Staatsnähe und die gewünschte Parteilichkeit in diesem Berufszweig insbesondere in der frühen DDR aber machten diese Pläne zunichte. Die Option, die DDR zu verlassen aber wählte er nicht – anders als später seine Kinder. Joachim Gauck wurde Pastor der mecklenburgischen Landeskirche – die sich, im Gegensatz zur benachbarten evangelischen Kirche in Greifswald, gegen die staatliche Vereinnahmung und Unterwanderung offensiv zu schützen versuchte. Joachim Gauck lernte in seiner Kirche Menschen kennen, deren oppositionelle Haltung auch in widerständiges Handeln mündete. Auch er selbst geriet immer wieder in Konflikt mit dem Staat und verteidigte Gemeindemitglieder gegen Willkür und Benachteiligung. Doch zum Kreis der schon zu Beginn der 80er-Jahre aktiven Mitglieder der DDR-Friedens- oder Bürgerrechtsbewegung zählt er sich selbst nicht. Aus dem Schatten seiner Gemeinden trat Joachim Gauck mit seinem Engagement für die Kirchentage in Mecklenburg. Unter dem Motto "Brücken bauen" stand die Veranstaltung in Rostock im Jahr 1988 – mit dem Kanzelredner Helmut Schmidt:

    "Es gab große, heftige Debatten um die Einreise von Helmut Schmidt, und wir haben ihn eingeladen. Wenn der Staat ihn nicht haben will, dann soll er ihn ausladen, aber wir doch nicht. Und so ist es dann auch gekommen. Er kam. Wissen Sie, diese ganze Zeit ist ... man muss wirklich sehr genau hinschauen, man kann kirchenleitenden Damen und Herren nicht verbieten, Kompromisse zu schließen. In einer Diktatur ist eben nicht alles möglich an Freiheit, und gerade in einem System, das atheistisch ist, ist es außerordentlich schwierig, für die Kirche einen Weg zu finden, bei dem sie sich nicht selber verliert."

    Debatten aber schreckten den redegewandten Pastor, der längst unter besonderer Beobachtung der Staatssicherheit stand, nicht. Das prädestinierte ihn in der Zeit der Friedlichen Revolution schließlich auch für den Sprecherrat des oppositionellen Neuen Forums in Rostock.

    "Vor der Einheit kam die Freiheit, denkt daran, liebe Landsleute! Diese Bewegung für Freiheit und Demokratie ist ja in der deutschen Geschichte nicht so übermäßig großartig mit Ereignissen ausgestattet. Und das ist eben so ein Hochgefühl gewesen, und das ging eigentlich den ganzen Winter über noch, und im neuen Jahr, na ja, da fing es dann an bei den Ersten, der Streit: Wohin soll es gehen?"

    Anders als viele seiner Mitstreiter vom Neuen Forum, die an eine Reform des Sozialismus DDRscher Prägung glaubten, schlug Gauck rasch und voll Überzeugung den Weg gen Wiedervereinigung ein. Joachim Gauck tauschte die Kanzel mit dem Rednerpult in der frei gewählten Volkskammer der sich selbst abschaffenden DDR. Mit initiiert hat er das noch von der Volkskammer beschlossene Stasiunterlagengesetz, das die Nutzung der Akten für politische, juristische und historische Aufarbeitung regelt. Der Theologe wurde mit der Leitung des Volkskammerausschusses betraut, der das Ministerium für Staatssicherheit und dessen Nachfolgeeinrichtung auflösen sollte. Dass er diesen Auftrag auch im wiedervereinigten Deutschland erfüllen würde und eine weltweit einzigartige Behörde im Volksmund nach ihm benannt werden würde, konnte der Pastor aus Mecklenburg freilich noch nicht ahnen.

    Das Weltbild des Kandidaten ist stark geprägt von seinen Erfahrungen in der DDR. In seiner Biografie schreibt Joachim Gauck:

    "Das Schicksal unseres Vaters wurde zur Erziehungskeule. Die Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie schloss auch die kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus. Das machen wir nicht, vermittelte uns die Mutter unmissverständlich."

    Gauck schloss sich weder den Jungen Pionieren noch der FDJ an. Nach dem Abitur folgte die Antwort des Regimes: Das Germanistikstudium wurde ihm verwehrt. Stattdessen studierte er evangelische Theologie.

    "Anders als die elterliche oder die staatliche Autorität bot der Glaube die Möglichkeit, sich einer Wahrheit anzuvertrauen, die von niemandem befohlen und von niemandem genommen werden konnte. Er vermittelte eine geheimnisvolle Kraft, die uns befähigte, den Minderheitenstatus durchzuhalten, mutig zu bleiben, wo andere sich schon angepasst hatten.!

    Bis zur Wende wurde er vor allem von einem Wunsch getrieben – das wird in der ARD-Dokumentation "Joachim Gauck: Gelebte Freiheit" deutlich, wenn er an den Überresten der Berliner Mauer an der Bernauer Straße spazieren geht:

    "Plötzlich wird die Freiheit wieder so wichtig, und sie ist dann in mir, als wäre sie in mir zu Hause. Es ist ein warmes und liebevolles Gefühl, und das hängt damit zusammen, dass ich sie so lange vermisst habe."

    Dieser unbedingte Glaube an die Freiheit und Demokratie gehört wohl zu den größten Stärken des 72-Jährigen. Aber auch die Versöhnung ist sein Thema:

    "Wenn derjenige, der etwas getan hat, die Wahrheit sagt, und aufgrund von Wahrheit werden Menschen versöhnungsbereit, sofort und unmittelbar. Und wenn zu dieser Wahrheit auch noch im Grunde Schuldeingeständnis gehört und manchmal vielleicht ein bisschen Reue, dann läuft das ganz von selbst mit der inneren Einheit und der Versöhnung."

    Als Chef der Stasiunterlagenbehörde machte er deutlich, dass die DDR-Bürger kein "Volk der Verräter" gewesen seien. Seine Stärke ist es, diese Versöhnung auch vorzuleben. Besonders deutlich wird das, wenn er über seine eigenen Erfahrungen mit Spitzeln im Freundeskreis berichtet.

    "Und ich werde nie vergessen, wie eines Tages mal einer zu mir kam und sagte, du kennst mich aus den Akten. Ich sagte: Nein, ich kenn dich, weil du mein Freund bist. Und dann kommt ein Geständnis, ich war doch damals Spitzel der Staatssicherheit und ich voller Staunen: Du auch? Und warum hast du es mir nicht erzählt, du bist doch mein Freund? Und dann das Wort, ich konnte das nicht erzählen, ich hatte solche Angst vor dir, denn ich hab mich so geschämt. Aber ich hab an seinen Augen gesehen und in seinem Gesicht gesehen, wie schwer es für ihn gewesen ist, zu mir zu kommen und von seiner Scham zu sprechen. Er war gekommen, weil er das Alte los werden wollte. Und in dem Moment wird ein Mensch generös."

    Allerdings könnte für Joachim Gauck eine Gefahr darin bestehen, als Bundespräsident zu pastoral und oberlehrerhaft aufzutreten – diese Seite ist schon in der Vergangenheit nicht immer nur gut angekommen.

    Als reisender Demokratielehrer bezeichnet Gauck sich selbst. Und tatsächlich wird er nicht müde, in Reden, bei Fernsehauftritten und in Publikationen für den Wert von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie einzutreten. In seinem aktuellen Buch "Freiheit. Ein Plädoyer", das in zwei Wochen erscheint, beschreibt Gauck drei Wesensmerkmale, die seiner Ansicht nach unsere Gesellschaft ausmachen: Freiheit, Verantwortung und Toleranz. Wobei Freiheit sowohl in diesem Buch als auch in seinen Äußerungen insgesamt – auch immer in Rückbesinnung auf 1989 - der zentrale Begriff ist:

    "Wir Deutsche können Freiheit, erstaunlich, aber tatsächlich."

    Die eigene Freiheit nutzen, sich der Verantwortung bewusst sein, die freies Denken und Handeln mit sich bringt – ein weiterer Aspekt, der für den früheren Bürgerrechtler nach wie vor im Mittelpunkt steht. In seinem Buch ruft er dazu auf, sich der Bequemlichkeit zu widersetzen und Freiheit nicht nur als Wahrung des Besitzstandes zu definieren:

    "Ich wünschte mir, dass sich unsere Gesellschaft tolerant, wertbewusst und vor allen Dingen in Liebe zur Freiheit entwickelt und nicht vergisst, dass die Freiheit der Erwachsenen Verantwortung heißt."

    Dieses Einstehen für Freiheit drückt sich auch in Gaucks Haltung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr aus. Frieden sei zweifellos eines der großen politischen Ziele und eine große theologische Vision. Ein Pazifist sei er aber nicht:

    "Bei den ganzen Antikriegsversammlungen und -sprüchen verwirrt mich doch, dass wir bei diesen Aktionen, die wir mit einem internationalen Mandat ausgestattet mitbegleiten, dass wir eine Sprache führen, die so ähnlich ist, als würden deutsche Heere in früheren Kriegen deutsche Interessen vertreten, als würden wir Kolonial- oder Eroberungskriege führen. Es ist eben ein Unterschied, wer die Waffe zu welchem Zweck führt. Dann ist es wichtig, dass wir uns fragen, wer leitet uns eigentlich. Unsere Angst oder unsere Liebe zur Freiheit und zu den Menschenrechten und Bürgerrechten? Wir werden auch einmal Solidarität anderer brauchen."

    Der Präsidentschaftskandidat lässt keinen Zweifel daran, welche Staatsform er für die richtige hält. Die Demokratie, so wie sie die westlichen Staaten umgesetzt haben, sei nicht vollkommen. Sie habe aber Vorbildcharakter:

    "Nebenbei gibt es ganze Bevölkerungen, die gelernt haben, was eine Zivilgesellschaft ihnen bietet. Und wo wir auch hinschauen, um den ganzen Erdball herum verstehen die Unterdrückten aller Völker das, was wir unter Menschenrechten und Freiheit verstehen. Das lehrt uns Nordafrika gerade."

    Es lasse sich schwerlich etwas Neues, etwas anderes als Demokratie und Marktwirtschaft erfinden, schreibt Gauck in seinem aktuellen Buch.

    ""Ich jedenfalls kenne keine, die den Grundsätzen dieser westlichen Variante von Eigenverantwortung vorzuziehen wäre."

    Eigenverantwortung bedeutet für Gauck auch, Mut zu zeigen. Mut zu entwickeln, also die Angst zu überwinden, um etwas anzusprechen, etwas zu bewegen, für etwas einzustehen. Auch hier beruft er sich auf seine Erfahrungen als Bürgerrechtler in der DDR:

    "Auf der einen Seite die Angst, die in uns saß, und auf der anderen Seite, hach, die Sehnsucht nach Freiheit. Und irgendwann stand ich hier vorne an der Stelle und hab’ gesagt: Wir sagen unserer Angst Auf Wiedersehen. Ich schluckte, weil ich hatte das noch nie probiert, ohne Angst zu leben, die ging immer mit uns. Und die Leute merkten, wie ich so schluckte, und klatschten Beifall. Sie spürten, wir müssen uns endlich von diesem Bann der Angst lösen."

    Mut äußert sich auch darin, politische Überzeugungen durchzusetzen – auch wenn man sich damit nicht nur Freunde macht. Und so lobte Gauck 2004 den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder dafür, die "Agenda 2010" auf den Weg gebracht zu haben. Hartz IV, das Prinzip "Fordern und Fördern" – er hält die Reform bis heute für richtig. Als "mutig" bezeichnete der Anwärter auf das Präsidentenamt auch Thilo Sarrazin. Als der Autor im vergangenen Jahr seine umstrittenen Thesen zur Zuwanderung präsentierte, sprang Gauck ihm zur Seite. Denn Freiheit, das betont er immer wieder, ist für ihn vor allem auch die Freiheit des Andersdenkenden. Gerade vor diesem Hintergrund überraschten die kritischen Äußerungen des 72-Jährigen gegenüber den Protesten um "Stuttgart 21". Zwar sprach sich Gauck grundsätzlich für bürgerschaftliches Engagement aus:

    "Denn ich mag den Bürger nicht, wenn er nur bequem auf dem Fernsehsessel sitzt und darüber nachdenkt, was er nun morgen im Einkaufszentrum sich besorgen soll. Da soll er lieber sich für die öffentlichen Dinge interessieren, soll wählen gehen und so weiter."

    Aktionen auf der Straße jedoch, die sich zu weit von diesem "wählen gehen" entfernen, sieht er durchaus kritisch:

    "Problematisch finde ich, dass ein Verfahren, das rechtsstaatlich abgelaufen ist und sich über viele Jahre durch die Instanzen gequält hat, nun plötzlich gestoppt werden soll. Also das schafft eine Verfahrensunsicherheit, die sich dann als Belastung für die Demokratie herausstellen kann. Und so ist bei genauer Betrachtung die Aktivierung etwas Gutes, aber die Infragestellung von rechtlichen Normen und Abläufen problematisch."

    Im vergangenen Jahr, als weltweit Hunderttausende gegen die Macht des Finanzkapitals demonstrierten, kritisierte er die Occupy-Aktivisten für deren "romantische Vorstellungen" – den dadurch aufflammenden Antikapitalismus fand er gar "unsäglich albern". Als SPD und Grüne Joachim Gauck vor zwei Jahren zum ersten Mal als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorschlugen, war die Netzgemeinde noch begeistert: In den sozialen Netzwerken gründeten sich Dutzende Unterstützergruppen. Sie betrachteten ihn als "ihren" Kandidaten, erhofften sich von ihm als Streiter für Freiheit und Bürgerrechte auch Unterstützung für "ihre" Sache: die Freiheit des Internets. Doch mittlerweile ist die Begeisterung deutlich abgekühlt. In den Blogs und sozialen Netzwerken gerät Joachim Gauck immer häufiger unter Beschuss – zum Beispiel, weil er sich für die sogenannte "Vorratsdatenspeicherung" ausgesprochen hat. So schrieb gestern Abend, kurz nach der Nominierung Gaucks, ein Nutzer des Kurznachrichtendienstes "Twitter":
    "Gauck ist pro Überwachung im Internet, pro Sarrazin, pro Irakkrieg. Ausgerechnet den wollen SPD, Grüne und FDP wählen?"

    Immer wieder findet sich im Netz der Vorwurf, der ehemalige Pastor Gauck vertrete eine "Theologie der Herzlosigkeit".

    "Ein Pfaffe der barmherzigen Kirche kommt an die Macht. Jetzt wird's kalt in Deutschland!"

    Eine Nutzerin zeigt sich schließlich regelrecht ratlos bei all der Kritik auf der einen Seite und der Lobhudelei auf der anderen:

    "Nach der Debatte der letzten Stunden erscheint mir Gauck immer mehr als leere Form, die fast beliebig deutbar ist. Seltsam."

    Der Wunsch, ausgerechnet in dem streitbaren Joachim Gauck einen allseits anerkannten, gänzlich unumstrittenen Kandidaten gefunden zu haben, könnte sich also als allzu blauäugig herausstellen. Dass er auch als proklamierter Konsenskandidat der Parteien durchaus polarisiert, scheint auch ihm selbst bewusst zu sein: Bescheiden gab sich Joachim Gauck am Sonntagabend, als er bei der Pressekonferenz mit verstrubbeltem Haar und sichtlich überwältigt zwischen den Parteipolitikern saß, die ihn unterstützen wollen: In seiner kurzen, noch etwas atemlosen Ansprache warnte er davor, in ihm einen "Übermenschen" zu sehen. Er werde, so betonte er, seiner Rolle als "reisender Demokratielehrer" treu bleiben:

    "Ich werde, allerdings gestützt von meinen Amt und einem Apparat, weiter als ein solcher unterwegs sein, und kann Sie nur bitten, die ersten Fehler gütig zu verzeihen, und von mir nicht zu erwarten, dass ich ein Supermann und ein fehlerloser Mensch bin. Aber wie wir alle wissen, kann man ganz gute Dinge auch machen, wenn man nicht von Engeln umgeben ist, sondern von Menschen."

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