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Das Puzzle des Herrn Wegener

Alfred Wegener ist für die Geowissenschaften so etwas wie Galileo Galilei für die Astronomie oder Charles Darwin für die Biologie. Denn seine Idee von der Kontinentaldrift lieferte Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Vorlage für die Plattentektonik, die in den 70er Jahren die Geologie und Geophysik revolutioniert hat. "Die Kontinente sind beweglich" - diese Erkenntnis erlaubte es, den Planeten Erde als ein sehr komplexes System zu begreifen.

Von Dagmar Röhrlich | 06.11.2005
    Der Polarforscher und Meteorologe Alfred Wegener wurde vor 125 Jahren am 1. November 1880 in Berlin geboren, und er starb vor 75 Jahren in Grönland, Anfang November 1930, wenige Tage nach seinem 50. Geburtstag. Heute ist die Plattentektonik unbestritten. Aber immer noch - wie schon zu Lebzeiten Wegeners, der den Durchbruch seiner Ideen nicht mehr erlebt hat - wird über den Motor diskutiert, der diesen Prozess antreibt. Modellrechungen auf Hochleistungscomputern lassen erahnen, welche Kräfte und Prozesse im Inneren der Erde wirken, welche Mechanismen für die Morphologie der Erde verantwortlich sind.

    Frankfurt am Main, 6. Januar 1912, Hauptversammlung der Geologischen Vereinigung. Ein junger Privatdozent für Meteorologie und Geophysik von der Universität Marburg tritt unter dem wohlwollenden Applaus der Honoratioren ans Rednerpult. Alfred Wegener hatte den Vorsitzenden der Konferenz überzeugt, dass er im großen Hörsaal des Senckenberg-Museums erstmals seine neue Theorie vorstellen darf. Der Titel seines Vortrags: "Die Herausbildung der Kontinente und Ozeane auf geophysikalischer Grundlage". Wegener ist aufgeregt. Der 32jährige Meteorologe weiß, dass er dem geologischen Weltbild widersprechen wird. Also atmet er tief durch und beginnt:

    Magnifizenz, Spectabiles, hochverehrte Professores. Im Folgenden soll ein Versuch gemacht werden, die Großformen der Erdrinde, das heißt die Kontinentaltafeln und die ozeanischen Becken, durch ein einziges umfassendes Prinzip genetisch zu deuten, nämlich das der horizontalen Beweglichkeit der Kontinentalschollen.

    Alfred Wegener erzählt von physikalischen Prinzipien, von den Spuren einer Hunderte von Millionen Jahren zurückliegenden Vereisung, die sich in Australien findet, in Südafrika, Südamerika, sogar in Westindien - aber nicht auf der Nordhalbkugel. Er erklärt, dass die Kontinente keineswegs unverrückbar auf der Erdkugel festgewachsen sind, wie es die Lehre besagt. Im Gegenteil:

    Sie haben im Lauf der Erdgeschichte ihre Lage verändert. Nehmen wir ein Abspalten und Abtreiben der Kontinentalschollen an, erhalten wir ein neues Bild von der Natur unserer Erdrinde.

    Kontinente bewegen sich! Diese Botschaft erstaunt das Auditorium. Die Meere und Kontinente sind doch nie anders gewesen als heute. Höchstens, dass eine Landbrücke zwischen den Kontinenten im Ozean versinkt oder ein Gebirge wächst. Wenn das passiert, liegt das daran, dass das heiße Erdinnere abkühlt, weshalb die Erde schrumpft. Die Gebirge entstehen wie Runzeln auf einem alten Apfel. Aber dass sich Kontinente verschieben - das gibt es nicht. Je länger der Vortrag dauert, um so größer wird die Empörung im Saal. Die Blicke aus dem Publikum sind kalt, ein Raunen setzt ein. Alfred Wegener wird nervös, spricht schneller. Eine Zwischenfrage. Er versucht den Vortrag zu beenden.

    Dr. Wegener, es tut mir leid, aber wir müssen hier aus Zeitgründen schließen.


    "Von Diskussionen musste wegen der fortgeschrittenen Zeit abgesehen werden", heißt es trocken im Protokoll über die Hauptversammlung. Die in Erzählungen überlieferten Kommentare sind wenig freundlich:

    Gewäsch!
    Humbug!
    Völliger Blödsinn!
    Niemand, der bei klarem Verstand ist, darf so etwas unterstützen!

    Der Meteorologe Alfred Wegener wurde am 1. November 1880 in Berlin geboren und starb Anfang November 1930 bei einer Expedition in Grönland. Wegener war nicht nur ein hervorragender Polarforscher, er legte als Außenseiter den Grundstein für die Revolution der Geologie. Den Durchbruch seiner Ideen sollte er nicht mehr erleben.
    Geologisch betrachtet ist die spröde, steinerne Außenhaut der Erde ein Riesenpuzzle aus einigen großen und etlichen kleineren Platten. Zwar war es schon im 17. Jahrhundert Gelehrten aufgefallen, dass die Konturen der Kontinente zusammenpassen. Aber erst Alfred Wegener erkannte, was dahinter steckt: dass die Erde ein mobiler Planet ist. Mit seiner Idee von der Kontinentverschiebung legte er den Grundstein für die Theorie der Plattentektonik: Die Erkenntnis, dass unter unseren Füßen eine gewaltige Maschine läuft, die Kontinente verschiebt, Gebirge auftürmt, Ozeane aufreißt und alte Meereskruste verschlingt - und die dafür sorgt, dass die Erde für Pflanze, Tier und Mensch bewohnbarer Planet ist und bleibt.

    " Die Plattentektonik ist sehr wichtig für die Erde: Sie stabilisiert sie, indem sie für den natürlichen Treibhauseffekt sorgt, weil Vulkane ständig Kohlendioxid aus dem Erdinneren freisetzen. Zudem fördert die Plattentektonik Wasser an die Planetenoberfläche, und auch das stabilisiert die Bedingungen."

    André Brack vom Zentrum für Molekularbiophysik in Orléans. Dass die Erde seit Jahrmilliarden ein Blauer Planet ist, hängt mit der Plattentektonik zusammen - und umgekehrt:

    " Plattentektonik und Wasser gehen Hand in Hand. Man bekommt das eine nicht ohne das andere."

    Wasser schmiert den Planeten: Ohne fräße sich der Kreislauf der Plattentektonik schnell fest, die Erde erstarrte. Aber ohne Plattentektonik gäbe es längst kein flüssiges Wasser mehr auf der Erde. Trotz der grundlegenden Bedeutung ist die Plattentektonik erst spät erkannt und noch später akzeptiert worden. Ähnlich wie Charles Darwin mit seinem Buch "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl", sah sich auch Alfred Wegener großen Widerständen gegenüber: Zu revolutionär war sein Konzept, zu stark die Vorbehalte der andere Wissenschaftler. Allerdings hatte Wegener ein grundlegendes Problem: Die Beweislage war dünn:

    " Der Durchbruch der Plattentektonik ist lange dadurch behindert worden, dass niemand einen Motor kannte, der die Platten an der Erdoberfläche antreiben könnte."

    John Tarduno, Geophysiker von der University of Rochester. Zu Wegeners Lebzeiten war dieser Mechanismus noch nicht entdeckt. Das geschah erst später - zufällig. Der Geologe Onno Oncken vom Geoforschungszentrum Potsdam.

    " Es ging im Zweiten Weltkrieg den Amerikanern darum, Werkzeuge für die U-Boot-Jagd zu entwickeln. Zu diesem Zweck wurden /die Ozeane systematisch magnetisch kartiert/, um eben magnetische Störungen zu kennen, um vor ihrem Hintergrund U-Boote besser identifizieren zu können. Die zufällige Beobachtung war, dass man systematische magnetische Muster auf den Ozeanböden fand, die die Leute völlig vor den Kopf gestoßen haben, sie konnten sich das überhaupt nicht erklären."
    Diese Zebramuster entstehen durch die mehr oder weniger regelmäßigen Umpolungen des Erdmagnetfelds. Eine weitere Erkenntnis brachten Echolotmessungen: Sie enthüllten die Tiefseegräben am Pazifikrand und außerdem ein weltumspannende Netz untermeerischer Gebirgszüge: die mittelozeanischen Rücken. Das Streifenmuster verlief rechts und links parallel zu diesen Rücken. Das "Seafloor-spreading" - das Meeresbodenspreizen - war entdeckt. Bei diesem Sea-floor-spreading passiert folgendes: Unter dem Zentralgraben der mittelozeanischen Rücken dringt Magma aus dem Erdmantel hoch. Die Kruste reißt ein Stück weit auf, Magma füllt die Spreizungszone, neuer Meeresboden entsteht, eine neue ozeanische Kruste.

    " Wir können die Magnetfeldstreifen auf dem Meeresboden datieren. Wenn an den mittelozeanischen Rücken Magma aufsteigt, drängt es die ältere Kruste zur Seite. Und falls sich in der Zeit seit dem letzten Ausbruch das Erdmagnetfeld umgepolt hat, erstarrt dieser neue Meeresboden dann mit umgekehrter magnetischer Ausrichtung. Die älteste Ozeankruste können wir auf 200 Millionen Jahre datieren."

    Kent Condie ist Geochemiker am New Mexico Institute of Mining and Technology in Soccorro. Dieses Sea-floor-spreading schafft also neue Meereskruste. Aber weil die Erde nicht größer wird, muss der Ozeanboden anderswo wieder verschwinden. Die Forscher entdeckten, dass das an den Tiefseegräben passiert: Dort versinkt die Meereskruste Hunderte von Millionen Jahren nach ihrer Entstehung wieder im Erdinneren.

    " Die Plattentektonik als Konzept entstand in den 1970er Jahren. Ich war 1972 auf einer Konferenz in Kalifornien, die der Startschuss für die Plattentektonik war - und die Theorie ging ab wie eine Rakete. Die alten Fachbegriffe wurden umgewidmet oder über Bord geworfen, wir prägten viele neue Begriffe. Seit damals ging es für die Plattentektonik immer nur bergauf."

    Begonnen hat alles wenige Monate vor dem Vortrag, im Herbst 1911. Alfred Wegener stößt in der Marburger Universitätsbibliothek zufällig auf einen Aufsatz, der Fossilien auflistet, die beiderseits des Atlantiks - in Südamerika und in Afrika - identisch sind. Endlose Stunden verbringt er in der Bibliothek, sucht nach ähnlichen Aufsätzen.

    Passt die Ostküste Südamerikas nicht genau an die Westküste Afrikas, so, als wären sie einst verbunden gewesen?

    schreibt er an seine Verlobte Else Köppen:

    Diese Idee möchte ich weiter verfolgen.

    Seine Gedanken kreisen nur noch um seine Idee, er schläft kaum noch. Je mehr er grübelt, desto mehr ist er überzeugt, dass er Recht hat. Schon seit zwei Jahrhunderten, seit Entstehung der Geologie als Wissenschaft, suchen Gelehrte nach einer "Theorie der Erde". Aber alle Erklärungsversuche sind unbefriedigend. Zahllose offene Fragen tauchen auf:

    Warum sind die Erdbeben nicht gleichmäßig über die Erde verteilt, warum häufen sie sich an den Rändern der Kontinente? Warum finden sich die Fossilien der frühesten Reptilien sowohl in den Süßwasserablagerungen Afrika, als auch von Südamerika?

    Sicher, für die Fossilien wenigstens gibt es eine klassische Erklärung, die von den Landbrücken. Zwischen Südamerika und Afrika soll es eine kontinentgroße Landmasse gegeben haben, die im Atlantik versunken und spurlos verschwunden ist. Aber das ist physikalisch einfach unmöglich, erklärt er seinem späterem Schwiegervater, dem Meteorologen Wladimir Köppen.

    Bisher ist man von der Vorstellung der unveränderlichen Lage jeden Landes ausgegangen, davon, dass Landbrücken versinken. Aber das widerspricht der Isostasie und überhaupt der Physik. Der Tiefseeboden besteht aus dichtem und schwerem Basalt, und ein Kontinent aus weniger dichtem Granit. Ein Kontinent kann also nicht versinken, weil er leichter ist als das, worauf er schwimmt.

    Wenn es diese ominösen Landbrücken gäbe, müsste eine große Kraft sie in den Erdmantel hinabdrücken. Sobald die Kraft nachlässt, schwämmen sie wie Korken auf. Dann zitiert Alfred Wegener gern das Beispiel Skandinavien, das seit dem Ende der Eiszeit aufsteigt - von der Last des Eises befreit. Nein, wenn die Fossilien beweisen, dass es eine Verbindung zwischen Afrika und Südamerika gegeben hat, war das keine Landbrücke: Die Kontinente müssen sich bewegt haben.

    Es geht gar nicht anders.

    Aber er kennt die Schwäche seiner Idee: Ihm fehlt der Motor.

    Inzwischen haben hochgenaue Satellitenmessungen bewiesen, dass sich die tektonischen Platten tatsächlich an der Erdoberfläche bewegen: Die meisten tun das mit der Geschwindigkeit eines wachsenden Fingernagels.

    " Die große Antriebsmaschine /der terrestrischen Planeten ist die Erzeugung von Hitze im Inneren dieser Planeten und wie der Planet diese Hitze wieder verliert. "

    Die Erde erzeugt eine enorme innere Hitze, und die muss sie los werden. Für den Erdmantel gibt es zwei "Heizungen". Erstens ist da 2900 Kilometer unter unseren Füßen der Erdkern mit seinen 5-, 6000 Grad, zweitens wirkt der radiaktive Zerfall, der gleichmäßig den gesamten Erdmantel wärmt. Inzwischen glauben die Geodynamiker, dass die Plattentektonik vor allem diese Wärme des radioaktiven Zerfalls zur Erdoberfläche hin abführt. Denn:

    " Eine der effektivsten Möglichkeiten, Wärme abzuführen, ist, das Material selber zu transportieren."

    Der Geophysiker Hans-Peter Bunge von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Es klingt paradox: Obwohl die Mantelgesteine fest sind, stehen sie niemals still. Sie "brodeln", durch Hitze und Druck im Erdinneren verformbar geworden, strömen wie ein äußerst zäher Brei in einem Kochtopf:

    " Strömungen tief in der Erde sind Bereiche, in denen warmes Material tief aus dem Planeten nahe an die Oberfläche gefördert wird, oder eben kälteres Material von der Nähe der Oberfläche dann eben langsam in die Tiefe des Planeten sinkt."

    Diese Strömungen sind der Motor der Plattentektonik: Sie wird also angetrieben durch den Versuch der Erde, ihre Hitze möglichst effizient loszuwerden. Das Geschehen im Erdinneren ist die Ursache für mittelozeanische Rücken und Tiefseegräben. Und die Symptome sind Erdbeben und Vulkanausbrüche, was am deutlichsten wird in dem berühmten Feuerring rund um den Pazifik.

    " Ein System, das sich letztendlich von Alaska bis Feuerland zieht, mit einer relativ kurzen Unterbrechung entlang der San Andreas Störung, und es gibt ein zweites System, das sich im Westen von den Kurilen und Japan herunterzieht bis nach Neuseeland."

    Die Naturkatastrophen sind dort deshalb so häufig, weil an den gewaltigen Rinnen Tiefseegräben die Meereskruste wieder ins Erdinnere verschwindet, also "subduziert" wird.

    " Alle Tiefseegräben sind Zonen, wo eine solche Subduktion stattfindet. Unter Japan, Philippinen, aber auch unter Südamerika. Im Atlantik eher weniger. Der Atlantik öffnet sich noch, und irgendwann, wenn der Atlantik groß genug geworden ist, wird die atlantische Kruste auch wieder in den Mantel subduziert werden. Aber so weit sind wir noch nicht."

    Albrecht Hofmann ist Geochemiker am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Der Atlantik wächst also noch: Das Meer zwischen Europa und Nordamerika, zwischen Afrika und Südamerika öffnet sich.

    Die mittelozeanischen Rücken, an denen die Ozeankruste entsteht, ankern nur sehr flach im Erdmantel: Vermutlich sind sie lediglich der Bereich, an dem zufälligerweise die Aufströme im Mantel auf die Krustenplatte an der Oberfläche treffen und sie zerreißen, und von wo aus sich dann für eine Weile die Kontinente wie auf einem Fließband auseinander bewegen.

    " Rekonstruktionen zeigen, dass die Subduktionszonen um das Pazifische Becken herum relativ stabil waren, sie bewegen sich ein wenig, aber nicht besonders schnell. Auf der anderen Seite haben sich die mittelozeanischen Rücken des Pazifiks in den letzten 100 Mio. Jahren eigentlich sehr viel und sehr weit bewegt. Ozeanische Rücken wurden gebildet, haben dann wieder aufgehört, haben sich nach Osten bewegt, haben sich nach Westen bewegt."

    Noch vor wenigen Jahren schienen die mittelozeanischen Rücken überall auf der Welt ziemlich gleichförmig zu sein. Gut, sie fördern unterschiedlich viel Lava, aber was da herausflog, war sehr homogen, und damit muss ja wohl auch der Erdmantel, der ja das Magma liefert, gleichförmig sein. Das ist en Trugschluss. In Kristallen, die vor dem Ausbruch in der Magmenkammern gewachsen sind, gibt es vielmehr verräterische, mikroskopisch kleine Einschlüsse ursprünglicher Schmelze:

    " Ich habe meine Meinung über diesen magmatischen Prozess vollkommen umkrempeln müssen, weil in der Tat die Schmelzen, die man in diesen Einschlüssen findet, zum Teil extrem heterogen sind, das heißt, /unter den ozeanischen Rücken ist der Mantel wahrscheinlich sehr heterogen. Und erst beim Schmelzen wird dann ein Großteil dieser Homogenität erzeugt."

    Damit wären die großen Magmenkammern, die die mittelozeanischen Rücken speisen, gigantische Rührschüsseln. Der Erdmantel selbst hingegen ist eher ein ganz fein gezogener Marmorkuchen aus durch Hitze und Druck verformbar gewordenem Gestein.

    Als Alfred Wegener 1915 und auch in den späteren Jahren seine Ideen vertritt, schlägt ihm eine Welle der Entrüstung entgegen. Auf Konferenzen findet er wenige Befürworter, viele Redner reagieren zynisch, manche sogar beleidigend. Er sagt wenig, sitzt ruhig da, raucht seine Pfeife und hört zu. Ob er ahnt, dass erst die Zeit reif werden muss? Und ob er ahnt, wie viele Jahre noch vergehen werden? Der Widerstand der Gegner ist menschlich verständlich. Ein Geologe formuliert es so:

    " Wenn wir das glauben, können wir die Forschung der letzten 70 Jahre vergessen und von vorn anfangen!"

    Nur, dass es 150 Jahre Forschung werden, die im Papierkorb landeten sollten. Wegener hofft zeitlebens darauf, dass seine Kollegen sie verstehen werden:

    Wenn erst einmal klar wird, was diese Entdeckung für die ganze Geschichte der Erdentwicklung bedeutet - warum sollten wir dann auch nur einen Moment zögern, die alten Ansichten über Bord zu stoßen?

    1906 hatte der Alfred Wegener an seiner ersten Forschungsexpeditionen in Grönland teilgenommen. Dort sah er zum ersten Mal in seinem Leben Eisberge, wie sie ebenso majestätisch wie unerbittlich durch dünnes Treibeis pflügten: es zerbrachen, auseinander trieben, sich ihren Weg bahnten. Eine entscheidende Beobachtung. Denn als er später die Kontinente "mobilisiert", schwimmen sie für ihn über die Meereskruste wie die Eisberge durchs Treibeis. Alfred Wegener entwickelt seine Theorie weiter. Zusammen mit seinem Schwiegervater Vladimir Kötten erstellt er die Karten längst vergangener Erdepochen, zeichnet uralte Wüsten, Dschungel und Vereisungen ein. Und plötzlich ist logisch, warum diese seltsame Eiszeit vor 280 Millionen Jahren nur die Südhalbkugel getroffen hat: Die Südkontinente waren damals alle vereint - und standen über dem Pol. Wegener ist überzeugt, dass es einen Urkontinent gegeben hat, der auseinanderbrach - wodurch die Kontinente und Ozeane von heute entstanden. 1922 erscheint die dritte Ausgabe seines Buchs "Die Entstehung der Kontinente und Ozeane": Darin schreibt er, dass vor 300 Millionen Jahren alle Landmassen zu einer einzigen verbunden waren: Er nennt sie Pangäa und dieser Superkontinent, schreibt er, erstreckte sich von Pol zu Pol.

    Vor 200 Millionen Jahren begann Pangäa dann auseinander zu brechen und - die Kontinente bewegen sich seitdem auf ihre heutige Position zu.

    Das Innere der Erde steht nie still. So treiben Konvektionsströme im Erdmantel an der Oberfläche Südamerika und Afrika immer weiter auseinander, reißen im Lauf von Jahrmillionen den Atlantik auf. Südamerika schiebt sich über den Pazifik hinweg, dessen Meereskruste vor der Westküste im Peru- und im Chile-Tiefseegraben zurück ins Erdinnere sinkt. Jedes Jahr verschwinden sechseinhalb Zentimeter südpazifischer Erdkruste - während gleichzeitig Südamerika mit jährlich knapp drei Zentimetern westwärts drängt. In der Knautschzone der Kollision türmen sich die Anden auf. Die Platten verschieben sich nur um Zentimeter gegeneinander, trotzdem entstehen entlang der Abtauchbahn der Meereskruste riesige Erdbeben, darunter das größte, das je gemessen wurde. Es geschah am 22. Mai 1960, das große Chile-Beben, mit einer Stärke von 9,5. Die Anden sind auch gespickt mit Vulkanen. Denn je tiefer subduzierte, kalte Meereskruste ins Erdinnere sinkt, desto heißer wird es um sie herum. Schließlich beginnt die Gesteinszunge zu schmelzen: Magma entsteht, steigt auf und speist die Vulkane.

    " Wir wissen heute, dass sich der tiefe Erdmantel in ständiger Bewegung befindet und die Platten oben drüber sind nicht mehr als eine dünner Haut, und dass diese dünne Haut reagiert, auf die Bewegungen, die wir im Erdmantel haben. Umstritten ist die Frage, wie wird gesteuert: Wird sie dadurch gesteuert, dass, wie in einen Kochtopf, im heißen Erdmantel das Material aufsteigt, die Platten oben auseinander treibt und dann wieder in die Tiefe zieht? Oder wird sie dadurch gesteuert, dass wir eine kalte Hülle haben, die schwerer ist als das Erdinnere und danach drängt, wieder in das Erdinnere hinunter zutreiben. Was ist Henne und was ist Ei?"

    John Tarduno:

    " Zunächst dachte man, dass die Kontinente wandern, weil an den mittelozeanischen Rücken neue Meereskruste produziert wird."

    Dass also der Druck die Platten auseinander treibt. Inzwischen scheint klar, dass die Kräfte dort nur eine untergeordnete Rolle spielen.

    " Wir betrachten die Plattentektonik meist als ein von oben gesteuertes System. Mit der Zeit wird die ozeanische Platte immer kälter und dichter. Nach etwa 200 Millionen Jahre wird sie zu schwer und sinkt dann passiv unter ihrem eigenen Gewicht zurück in den Erdmantel."

    Bunge:

    " Das ist eigentlich sehr anders, als wenn man sich vorstellt, dass an den mittelozeanischen Rücken konzentrierte Aufströme explizit die Platten auseinander treiben. In der Tat ist wirklich das Absinken von schweren, alten Platten der größere Teil des Antriebsmechanismus und nicht das Auftreten von einzelnen lokalen Aufströmen."

    Die globale Maschine der Plattentektonik wird entschlüsselt: mit Hochleistungsrechner und modernen Netzwerken zur Erdbebenerforschung. Die Beben liefern aussagekräftige Daten darüber, was tief unter unseren Füßen vor sich geht. Aus diesen Informationen errechnen die Geophysiker das tomographische Bild des Planeten - nicht unähnlich einer tomographischen Aufnahme des Gehirns. Sie erkennen, dass die Konvektionsströmungen äußerst komplex sind - viel komplexer als vor zehn Jahren gedacht: Der Faktor Zeit rückt ins Zentrum:

    " Manche Subduktionszonen wie die unter dem westlichen Nordamerika waren in den letzten 200 Mio. Jahren aktiv. Manche, wie zum Beispiel einige so um Tonga herum, sind sehr jung, vielleicht gerade 30 Mio. Jahre alt. An diesen Subduktionszonen haben die Platten gerade den obersten Bereich des unteren Mantels erreicht. Aber an den Subduktionszonen, wo die Subduktion lange stattgefunden hat, sehen wir, dass die Platten ziemlich tief bis an die Grenze zwischen dem Erdkern und Erdmantel, also ungefähr 3000 Kilometern unter unseren Füßen, abgetaucht sind."

    An alten Subduktionszonen sinkt die abtauchende Krustenplatte bis zur Grenze des Erdkerns. Vor kurzem noch wären Geochemiker dagegen Sturm gelaufen. Denn sie brauchten einen Erdmantel, der aus zwei "Stockwerken" besteht. Nur wenn "oben" und "unten" kaum etwas miteinander zu tun hatten, ließ sich erklären, warum einige chemische Elemente so ungewöhnlich verteilt sind. Manchmal ist an der Oberfläche weniger von ihnen vorhanden, als aufgrund von Meteoriten erwartet, die als "Nulllinie" für den chemischen Ausgangszustand der Erde gelten. Wenn in der Erdkruste etwas fehlt, muss es anderswo mehr davon geben.

    " Die Vorstellung, dass der untere Erdmantel sozusagen primitiv geblieben ist und seine ganzen Spurenelemente und Wärme produzierenden Elementen beibehalten hat, die ist so nicht mehr haltbar, seit wir wissen, dass die Subduktion bis in den tiefsten Erdmantel hinuntergeht, denn großräumig vermischt natürlich diese Subduktion den oberen mit dem unteren Erdmantel, denn die Mengen, die nach unten gehen, müssen durch aufsteigendes Material ersetzt werden."

    Die Lösung scheint gefunden: An der Grenze zwischen Erdmantel und Erdkern enthüllt die seismische Tomographie eine etwa 200 Kilometer mächtige Schicht, die sich sehr stark vom Rest des Mantels unterscheidet. Könnte das eine Art "Protokruste" sein, die damals, als die Erde jung war, einfach die heute an der Oberfläche fehlenden Elemente mit hinab in den tiefsten Erdmantel gerissen hat, an der Grenze zum Kern? Die "Protokruste" säße seit Jahrmilliarden dort unten fest, weil sie - anders als die moderne Erdkruste - zu dicht und schwer ist, als dass sie noch einmal auftauchen könnte.

    " Wenn es einen solchen Prozess gegeben hat in der frühesten Zeit, dann könnte man damit die Existenz dieser Grenzschicht im untersten Erdmantel und verschiedene andere geochemische Ungereimtheiten sehr elegant erklären. Dieses Reservoir hat dann eine grundlegende geochemische Bedeutung, die in der Tat unser ganzes Denken über die Mantelentwicklung verändern dürfte, wenn es sich bestätigt."

    Je mehr wir über die Plattentektonik lernen, desto komplexer erscheint uns die Erde - und vor allem - um so mobiler. Die Theorie öffnete neue Horizonte: Sie half, die komplexen Zusammenhänge in und auf der Erde zu verstehen. Den Grundstein legte Alfred Wegener mit seiner Idee von der Kontinentaldrift. Er hat die Geologie revolutioniert. Es ist ironisch: Der fehlende Motor war zu Lebzeiten Wegeners die schärfste Waffe seiner Gegner gewesen. Inzwischen ist die Theorie akzeptiert - aber ihr Antrieb im Erdinneren wird immer noch erforscht.

    Polarforscher sind verpflichtet Helden zu sein.

    Grönland, 1930. Alfred Wegener leitet eine große meteorologische und glaziologische Expedition. Ziel ist die Station "Eismitte". Das Wetter ist grauenhaft. Zwei Wissenschaftler sind schon in "Eismitte", um alles vorzubereiten. Aber immer wieder verzögert sich der Aufbruch der anderen. Die Rückkehr ist unmöglich. Die beiden werden überwintern müssen. Reichen die Vorräte? Der Funk ist ausgefallen. Alfred Wegener zieht mit dem Meteorologen Fritz Loewe und 13 Inuit los, um die Station zu versorgen. Sie kämpfen sich vorwärts. Alle bis auf Wegener, Loewe und Rasmus Villumsen geben auf. Mit letzter Kraft erreichen sie "Eismitte". Fritz Loewe ist zu erschöpft, bleibt im Camp. Alfred Wegener und Rasmus Villumsen machen auf den Rückweg, nachdem sie alle noch Wegeners 50. Geburtstag gefeiert hatten. Sie werden nie wieder lebend gesehen. Am 12. Mai 1931 findet die Suchmannschaft Alfred Wegeners Leiche im Schnee. Er liegt auf einem Rentierfell, eingewickelt in seinen Schlafsack. Seine Augen sind offen, er sieht ruhig und friedlich aus. Die Freunde errichten ein Iglu über seinem Körper, stellen später ein großes Eisenkreuz auf. Von all' dem ist nichts mehr zu sehen. Alfred Wegener ist Teil des großen Gletschers geworden. Die Leiche von Rasmus Villumsen bleibt verschollen.