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Das Rätsel des Dickseins

Dicke Eltern haben dicke Kinder. So will es der Volksmund. Aber woran liegt's? Kopieren die Kleinen die ungesunden Ernährungsgewohnheiten von Mama und Papa oder gibt es eine genetische Veranlagung zur Fettleibigkeit? Letzteres!, sagt zumindest ein internationales Forscherteam im Fachmagazin "PNAS".

Von Christine Westerhaus |
    Wer stark übergewichtig ist, dem kann ein sogenannter Magen-Bypass helfen. Bei dieser komplizierten Operation werden der Magen und der Darm umgestaltet, die ehemals fettleibigen Patienten verlieren bis zu 80 Prozent ihres Übergewichts. Dieser Eingriff hilft aber offenbar nicht nur den Betroffenen, sondern auch ihren Kindern. John Kral von der State University of New York hat das Schicksal von 50 Kindern untersucht, deren Mütter am Magen operiert worden waren. Dabei entdeckte der Adipositas-Forscher einen interessanten Zusammenhang: Diejenigen Kinder, die vor dem Eingriff zur Welt kamen, hatten in ihrem späteren Leben oftmals selber Gewichtsprobleme. Ihre Geschwister, die erst nach der OP zur Welt kamen, blieben meist schlank.

    "Wir konnten zeigen, dass bestimmte Gene bei den Kindern verändert waren. Je nachdem, ob sie vor oder nach dem Eingriff zur Welt kamen, waren diese Erbinformationen aktiv oder nicht. Diese Gene spielen eine Rolle bei der Regulierung des Nährstoffhaushalts – des Zucker- und Fettstoffwechsels. Offenbar erben die Kinder diese speziellen Aktivitätsmuster von der Mutter."

    Diese Aktivitätsmuster sind sogenannte epigenetische Veränderungen. Sie markieren, ob bestimmte Gene aktiv sind, die in ihnen enthaltene Erbinformation also gerade vom Körper genutzt wird. Diese Muster werden offenbar während der Schwangerschaft auf das Ungeborene übertragen.

    "Es gibt Mechanismen im Körper, die mit einem chronischen Überangebot an Nährstoffen zusammenhängen. Bei manchen ist Stress die Ursache, bei anderen Entzündungs- oder Immunreaktionen. Sie alle wirken zusammen und können Typ II Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt und sogar Krebs auslösen. Wenn wir diese Mechanismen durch einen Magenbypass korrigieren, ändern wir auch die Aktivitätsmuster der Gene, die dafür verantwortlich sind."

    Solche chirurgischen Eingriffe verändern aber nicht nur Stoffwechselwege, die zu Übergewicht führen. Nach solchen Operationen tummeln sich oftmals auch andere Bakterien im Darm als zuvor. John Kral hält es deshalb für möglich, dass die Darmkeime an den genetischen Veränderungen beteiligt sind.

    "Wir wissen, dass bestimmte Bakterien die Nährstoffe aus der Nahrung im Darm verändern können. Gleichzeitig wissen wir, dass Nährstoffe die Aktivitätsmuster bestimmter Gene verändern. Bringt man beides zusammen, erkennt man einen Mechanismus: Darmbakterien haben einen Einfluss darauf, welche Nährstoffe aus der Nahrung aufgenommen werden und im Blut zirkulieren und das wiederum kann zu den genetischen Veränderungen führen."

    Auf dem Weg durch den Geburtskanal übertragen Mütter solche Bakterien auf das Neugeborene. Fettleibige Frauen bringen ihre Kinder jedoch häufig per Kaiserschnitt zur Welt. Den Neugeborenen fehlen diese Pionierkeime daher zunächst. Auch das könnte dazu führen, dass die Nährstoffaufnahme im Darm dieser Kinder verändert ist. Kral geht aber davon aus, dass die genetische Weichenstellung im Mutterleib reversibel ist. Wer ausreichend Sport treibt und Nährstoffe in Maßen zu sich nimmt, sei trotz dieses genetischen Erbes nicht dazu verdammt, fettleibig zu werden."

    "Ich denke, dass die Aktivitätsmuster in den Erbinformationen rückgängig gemacht werden können. Wenn man den Nährstoffhaushalt wieder ins Gleichgewicht bringt, wirkt sich das auch auf die Gene aus."

    Kral und seine Kollegen wollen das Schicksal der untersuchten Kinder in den kommenden Jahren weiter verfolgen und dabei nach zusätzlichen genetischen Markern suchen. Dass die Magenbypass-Operation der Mutter Übergewicht beim Nachwuchs verhindern kann, ist manchmal offensichtlich: Eine der untersuchten Frauen brachte vor dem Eingriff zwei Kinder zur Welt, die heute jeweils mehr als 100 Kilogramm wiegen. Ihre später geborenen Geschwister sind dagegen bis heute schlank.