Elke Durak: Die SPD arbeitet daran, die CDU auch. Beide Parteien wollen sich ein neues Grundsatzprogramm geben. Und während die SPD den vorsorgenden Staat anstrebt und mehr Geld für den Sozialstaat irgendwie auftreiben will, orientiert die CDU auf weniger Staat. Heute konstituiert sich die CDU-Kommission für das Programm, das bisher jedenfalls neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit verspricht.
Am Telefon ist Norbert Röttgen, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen!
Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Durak!
Durak: Wozu brauchen Sie, das CDU-Mitglied Röttgen, ein neues Grundsatzprogramm?
Röttgen: Damit wir uns über die Ideen verständigen, die die Politik realisieren möchte. Wir müssen fragen: Ist das, was wir grundsätzlich erreichen wollen, noch zeitgemäß, ist es zukunftsgemäß? Das ist die Vergewisserung und auch Erneuerung des Maßstabs von Politik für alltägliches Handeln. Das treibt uns doch in Wahrheit an. Es muss uns jedenfalls antreiben. Es ist unser Maßstab für das alltägliche Handeln. Darum braucht man das immer wieder als erneuertes Programm und auch als Vergewisserung: Was ist eigentlich das Wichtigste, was Politik ausmacht?
Durak: Das scheint Gerechtigkeit zu sein, wenn man die Meinungsäußerungen im Vorfeld sich anhört. Die CDU - so lese ich jedenfalls oder einige ihrer Repräsentanten sagen - wir haben mehr Gerechtigkeit. Da scheint sich ein Wettlauf um die gerechteste Gerechtigkeit anzubahnen, oder?
Röttgen: Na ja, wir sind ja am Anfang dieser Diskussion. Wenn man die Diskussionen nicht wirklich von Anfang an völlig entwerten will dadurch, dass man vorgibt, schon alle Antworten zu haben, dann stehen am Anfang Fragen und nicht Antworten. Meine persönliche Einschätzung ist, dass die Grundwerte der Union, die Personalität des Menschen, Freiheit, auch die Beurteilung des Menschen als Sozialwesen, damit auch die Solidarität, Subsidiarität, der Vorrang der kleineren Einheit, dass die nicht als solche wirklich in Frage stehen, sondern es geht um die Anwendung dieser Grundwerte und Grundeinsichten vom Menschen und der Gesellschaft auf unsere Zeit. Ich finde das, was unsere Zeit im Wesentlichen im Hinblick auf politisches Handeln ausmacht, ist eben der Prozess der Globalisierung, ein Prozess der Entgrenzung. Auf den hat noch keine Partei, nach meiner Beurteilung auch keine gesellschaftliche Institution eine umfassende Antwort in kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht.
Durak: Inwiefern, Herr Röttgen – und damit komme ich auf den Titel an, wenn er denn noch so stimmt -, ermöglicht mehr Freiheit größere Gerechtigkeit?
Röttgen: Der Titel unseres jetzigen Grundsatzprogramms ist "Freiheit in Verantwortung". Wir haben noch keinen neuen Titel und das Freiheit, Gerechtigkeit und Verantwortung Kernelemente politischen Handelns sind, Wertmaßstäbe sind, das ist nicht in Zweifel gezogen. Aber wir müssen eben heute fragen: Wie drückt denn der Staat sein Bemühen um Gerechtigkeit aus? Wie kann der Staat heute die Erwartungen an ihn erfüllen im Prozess der Globalisierung, im Prozess des Wettbewerbs, an dem wir einerseits teilnehmen müssen, der aber andererseits ja auch Millionen von Menschen ängstigt, Verlierer dieses Wettbewerbsprozesses zu sein? Und der Staat hat im Hinblick auf diejenigen, die wettbewerbsstark sind, die Bürger, eine andere Funktion. Da sollte er sich vielleicht eher zurücknehmen. Er sollte die Menschen befähigen, teilzunehmen am Wettbewerb. Und er hat eine andere Funktion gegenüber denjenigen, die von sich sagen, von denen man sagt, die sind nicht so wettbewerbsstark. Die brauchen also eine andere Ansprache, auch eine andere Funktion des Staates. Und darum machen diese abstrakten Diskussionen wahrscheinlich relativ wenig Sinn, sondern die Menschen erwarten doch aus Grundwerten abgeleitete konkrete politische Aussagen.
Durak: Und darin ist ja die CDU eingebunden in die große Koalition. Die SPD spricht davon, den vorsorgenden Staat, den Sozialstaat fördern zu wollen. Was unterscheidet sie von der CDU oder die CDU von der SPD in diesem Sinne?
Röttgen: Wenn man es fair diskutiert: Die SPD hat jetzt einen Begriff genannt, vorsorgender Sozialstaat. An diesem Begriff ist zunächst überhaupt nichts neu, sondern er drückt eine allgemeine Erkenntnis aus, dass Vorsorge in der Regel besser ist als Nachsorge. Was damit verbunden ist an politischer Vorstellung ist noch überhaupt nicht klar, sondern es ist ein Blankett-Begriff. Ich will mich auch jetzt gar nicht so sehr über die Grundsatzbemühungen der SPD äußern. Nach meiner Einschätzung ist die SPD als SPD in der Globalisierung in der Tat in einer fast existenziellen Sinnherausforderung oder auch Sinnkrise. Diese Fragen muss aber jede Partei für sich beantworten.
Auch wir als Union sind ideell herausgefordert, unter den Bedingungen von Globalisierung an Grundwerten orientierte Politik zu definieren. Und da ist eine der Fragen, die sich stellt: Was kann heute der Staat leisten? An welcher Stelle muss er sogar mehr leisten?
Durak: Was kann er sich vor allem leisten? Herr Röttgen Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Was kann sich der Staat leisten? Und Sie sind ja auch sozusagen materiell in der Verantwortung als Tragender dieses Staates, als Mitglied der großen Koalition. Die SPD will nicht weniger Staat wie Sie, will vor allem die Finanzierungsgrundlage für all die großen Reformen verbreitern. Sie wollen, die CDU will staatliche Ausgaben und Aufgaben zurückführen. Wie weit?
Röttgen: Entschuldigen Sie, wenn ich in der Fragestellung widerspreche. Sie tun so in Ihrer Fragestellung, als wäre der Staat ein drittes Wesen, das gibt oder nimmt. Der Staat sind wir, alle Bürger, und der Staat hat überhaupt nur das, was die Bürger ihm geben. In den letzten 40 Jahren seit Beginn der ersten großen Koalition haben wir alle über unsere Verhältnisse gelebt und haben damit auf Kosten der nachfolgenden Generationen gelebt. Das sind die Fragen, die sich, glaube ich, stellen. Der eine will mehr, der andere weniger. Die Frage ist: Was ist unsere Erwartung an gemeinsames Handeln, zum Beispiel auch im Hinblick auf kommende Generationen? Doch sicherlich nicht die Politik der Vergangenheit, dass wir heute sagen als Parteien, am wichtigsten ist der nächste Wahlsieg und darum vertagen wir die Lösung von Problemen insbesondere mit dem Mittel der Verschuldung. Wer mehr möchte, der muss doch ganz sicher sagen, dass er das nicht mehr machen möchte auf Kosten der kommenden Generationen.
Durak: Also werden wir die Steuern erhöhen müssen?
Röttgen: Nein. Wir werden sie durch die Mehrwertsteuererhöhung zum Anfang des nächsten Jahres erhöhen. Aber das ist nicht ein einfaches Steuererhöhungsprogramm, sondern da liegt die Konzeption zugrunde, dass der Staat, der soziale Sicherheit bislang weitestgehend über Beiträge, das heißt über Arbeit finanziert, sich unklug verhält, weil er damit die Bedingungen für die Entstehung von Arbeitsplätzen behindert. Darum haben wir gesagt, wir wollen die spezifische Kostenbelastung von Arbeit reduzieren, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken, und die Allgemeinheit dafür um solidarischen Ersatz bitten. Das ist eine Funktion und nur so werden dann auch diese Debatten erklärbar, nicht als allgemeine Finanzbeschaffungsmaßnahme, sondern als eine konkrete Gestaltung für mehr Arbeitsplätze. Das ist eben etwas, was der Staat kann, wenn er sich so verhält, aber andererseits haben Sie Recht, dient es auch der Verbesserung der Einnahmesituation, um die Erwartungen an den Staat erfüllen zu können. Das stimmt. Aber, ich glaube, wir haben jetzt von dem Instrument Steuererhöhung Gebrauch gemacht. Das reicht jetzt auch.
Durak: Danke schön. Norbert Röttgen war das, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Danke Herr Röttgen für das Gespräch und auf Wiederhören.
Röttgen: Bitte sehr.
Am Telefon ist Norbert Röttgen, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen!
Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Durak!
Durak: Wozu brauchen Sie, das CDU-Mitglied Röttgen, ein neues Grundsatzprogramm?
Röttgen: Damit wir uns über die Ideen verständigen, die die Politik realisieren möchte. Wir müssen fragen: Ist das, was wir grundsätzlich erreichen wollen, noch zeitgemäß, ist es zukunftsgemäß? Das ist die Vergewisserung und auch Erneuerung des Maßstabs von Politik für alltägliches Handeln. Das treibt uns doch in Wahrheit an. Es muss uns jedenfalls antreiben. Es ist unser Maßstab für das alltägliche Handeln. Darum braucht man das immer wieder als erneuertes Programm und auch als Vergewisserung: Was ist eigentlich das Wichtigste, was Politik ausmacht?
Durak: Das scheint Gerechtigkeit zu sein, wenn man die Meinungsäußerungen im Vorfeld sich anhört. Die CDU - so lese ich jedenfalls oder einige ihrer Repräsentanten sagen - wir haben mehr Gerechtigkeit. Da scheint sich ein Wettlauf um die gerechteste Gerechtigkeit anzubahnen, oder?
Röttgen: Na ja, wir sind ja am Anfang dieser Diskussion. Wenn man die Diskussionen nicht wirklich von Anfang an völlig entwerten will dadurch, dass man vorgibt, schon alle Antworten zu haben, dann stehen am Anfang Fragen und nicht Antworten. Meine persönliche Einschätzung ist, dass die Grundwerte der Union, die Personalität des Menschen, Freiheit, auch die Beurteilung des Menschen als Sozialwesen, damit auch die Solidarität, Subsidiarität, der Vorrang der kleineren Einheit, dass die nicht als solche wirklich in Frage stehen, sondern es geht um die Anwendung dieser Grundwerte und Grundeinsichten vom Menschen und der Gesellschaft auf unsere Zeit. Ich finde das, was unsere Zeit im Wesentlichen im Hinblick auf politisches Handeln ausmacht, ist eben der Prozess der Globalisierung, ein Prozess der Entgrenzung. Auf den hat noch keine Partei, nach meiner Beurteilung auch keine gesellschaftliche Institution eine umfassende Antwort in kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht.
Durak: Inwiefern, Herr Röttgen – und damit komme ich auf den Titel an, wenn er denn noch so stimmt -, ermöglicht mehr Freiheit größere Gerechtigkeit?
Röttgen: Der Titel unseres jetzigen Grundsatzprogramms ist "Freiheit in Verantwortung". Wir haben noch keinen neuen Titel und das Freiheit, Gerechtigkeit und Verantwortung Kernelemente politischen Handelns sind, Wertmaßstäbe sind, das ist nicht in Zweifel gezogen. Aber wir müssen eben heute fragen: Wie drückt denn der Staat sein Bemühen um Gerechtigkeit aus? Wie kann der Staat heute die Erwartungen an ihn erfüllen im Prozess der Globalisierung, im Prozess des Wettbewerbs, an dem wir einerseits teilnehmen müssen, der aber andererseits ja auch Millionen von Menschen ängstigt, Verlierer dieses Wettbewerbsprozesses zu sein? Und der Staat hat im Hinblick auf diejenigen, die wettbewerbsstark sind, die Bürger, eine andere Funktion. Da sollte er sich vielleicht eher zurücknehmen. Er sollte die Menschen befähigen, teilzunehmen am Wettbewerb. Und er hat eine andere Funktion gegenüber denjenigen, die von sich sagen, von denen man sagt, die sind nicht so wettbewerbsstark. Die brauchen also eine andere Ansprache, auch eine andere Funktion des Staates. Und darum machen diese abstrakten Diskussionen wahrscheinlich relativ wenig Sinn, sondern die Menschen erwarten doch aus Grundwerten abgeleitete konkrete politische Aussagen.
Durak: Und darin ist ja die CDU eingebunden in die große Koalition. Die SPD spricht davon, den vorsorgenden Staat, den Sozialstaat fördern zu wollen. Was unterscheidet sie von der CDU oder die CDU von der SPD in diesem Sinne?
Röttgen: Wenn man es fair diskutiert: Die SPD hat jetzt einen Begriff genannt, vorsorgender Sozialstaat. An diesem Begriff ist zunächst überhaupt nichts neu, sondern er drückt eine allgemeine Erkenntnis aus, dass Vorsorge in der Regel besser ist als Nachsorge. Was damit verbunden ist an politischer Vorstellung ist noch überhaupt nicht klar, sondern es ist ein Blankett-Begriff. Ich will mich auch jetzt gar nicht so sehr über die Grundsatzbemühungen der SPD äußern. Nach meiner Einschätzung ist die SPD als SPD in der Globalisierung in der Tat in einer fast existenziellen Sinnherausforderung oder auch Sinnkrise. Diese Fragen muss aber jede Partei für sich beantworten.
Auch wir als Union sind ideell herausgefordert, unter den Bedingungen von Globalisierung an Grundwerten orientierte Politik zu definieren. Und da ist eine der Fragen, die sich stellt: Was kann heute der Staat leisten? An welcher Stelle muss er sogar mehr leisten?
Durak: Was kann er sich vor allem leisten? Herr Röttgen Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Was kann sich der Staat leisten? Und Sie sind ja auch sozusagen materiell in der Verantwortung als Tragender dieses Staates, als Mitglied der großen Koalition. Die SPD will nicht weniger Staat wie Sie, will vor allem die Finanzierungsgrundlage für all die großen Reformen verbreitern. Sie wollen, die CDU will staatliche Ausgaben und Aufgaben zurückführen. Wie weit?
Röttgen: Entschuldigen Sie, wenn ich in der Fragestellung widerspreche. Sie tun so in Ihrer Fragestellung, als wäre der Staat ein drittes Wesen, das gibt oder nimmt. Der Staat sind wir, alle Bürger, und der Staat hat überhaupt nur das, was die Bürger ihm geben. In den letzten 40 Jahren seit Beginn der ersten großen Koalition haben wir alle über unsere Verhältnisse gelebt und haben damit auf Kosten der nachfolgenden Generationen gelebt. Das sind die Fragen, die sich, glaube ich, stellen. Der eine will mehr, der andere weniger. Die Frage ist: Was ist unsere Erwartung an gemeinsames Handeln, zum Beispiel auch im Hinblick auf kommende Generationen? Doch sicherlich nicht die Politik der Vergangenheit, dass wir heute sagen als Parteien, am wichtigsten ist der nächste Wahlsieg und darum vertagen wir die Lösung von Problemen insbesondere mit dem Mittel der Verschuldung. Wer mehr möchte, der muss doch ganz sicher sagen, dass er das nicht mehr machen möchte auf Kosten der kommenden Generationen.
Durak: Also werden wir die Steuern erhöhen müssen?
Röttgen: Nein. Wir werden sie durch die Mehrwertsteuererhöhung zum Anfang des nächsten Jahres erhöhen. Aber das ist nicht ein einfaches Steuererhöhungsprogramm, sondern da liegt die Konzeption zugrunde, dass der Staat, der soziale Sicherheit bislang weitestgehend über Beiträge, das heißt über Arbeit finanziert, sich unklug verhält, weil er damit die Bedingungen für die Entstehung von Arbeitsplätzen behindert. Darum haben wir gesagt, wir wollen die spezifische Kostenbelastung von Arbeit reduzieren, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken, und die Allgemeinheit dafür um solidarischen Ersatz bitten. Das ist eine Funktion und nur so werden dann auch diese Debatten erklärbar, nicht als allgemeine Finanzbeschaffungsmaßnahme, sondern als eine konkrete Gestaltung für mehr Arbeitsplätze. Das ist eben etwas, was der Staat kann, wenn er sich so verhält, aber andererseits haben Sie Recht, dient es auch der Verbesserung der Einnahmesituation, um die Erwartungen an den Staat erfüllen zu können. Das stimmt. Aber, ich glaube, wir haben jetzt von dem Instrument Steuererhöhung Gebrauch gemacht. Das reicht jetzt auch.
Durak: Danke schön. Norbert Röttgen war das, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Danke Herr Röttgen für das Gespräch und auf Wiederhören.
Röttgen: Bitte sehr.
