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Das Rennen um die Teilchenschleudern

Physik.- Der LHC in Genf ist die mit Abstand leistungsstärkste Teilchenschleuder aller Zeiten. Da mag es verwundern, dass Physiker in Japan und in Italien nun neue Ringbeschleuniger bauen. Mit einem Umfang von zwei bis drei Kilometern sollen diese deutlich kleiner ausfallen als der Gigant von Genf - unnütz sind sie deswegen aber noch lange nicht.

Von Frank Grotelüschen | 12.09.2011
    Kyo Shibata klappt seinen Laptop auf. Dann zeigt der Physiker vom japanischen Teilchenforschungszentrum KEK auf den Bildschirm. Dort gibt es ihn schon, zumindest als Konstruktionszeichnung – den leistungsfähigsten Beschleuniger, den Japan je gebaut hat.

    "Er ist ziemlich groß, der Umfang beträgt drei Kilometer. Eingebaut wird der Beschleuniger in den Ringtunnel seiner Vorgängermaschine namens KEKB. Sie war bis 2010 in der Wissenschaftsstadt Tsukuba in Betrieb, nordöstlich von Tokio. Der große Unterschied zwischen den beiden Beschleunigern ist, dass die neue Maschine viel mehr Teilchen beschleunigen kann als die alte – und zwar 40 Mal so viele."

    Und da der neue Beschleuniger so viel besser sein wird als KEKB, der alte, bezeichnen ihn Shibata und seine Leute einfach als SuperKEKB. Ebenso wie sein Vorgänger wird er Elektronen auf ihre Antiteilchen jagen, die Positronen. Dabei entstehen exotische Teilchen namens B-Mesonen, die umgehend wieder in lauter Bruchstücke zerplatzen, die dann von einem haushohen Detektor gezählt und präzise vermessen werden. Ähnlich wie beim LHC will man durch diese Experimente herausfinden, aus welchen Urbausteinen die Materie besteht und was diese Urbausteine zusammenhält. Und ähnlich wie in Genf hofft man auch in Japan, ganz neue Formeln und Gesetze aufzuspüren, die über das derzeitige Weltbild der Physiker hinausgehen – das Standardmodell.

    "Das ist immer die Frage nach neuer Physik",

    sagt Christian Kiesling vom Max-Planck-Institut für Physik in München, einem von immerhin acht deutschen Instituten, die sich an dem japanischen Projekt beteiligen.
    "Das ist übrigens auch etwas, das wir am LHC versuchen. Nur haben wir dort die Idee, dass wir zu sehr hohen Energien gehen. Während wir im SuperKEKB-Beschleuniger zu sehr hoher Präzision gehen. Die beiden Dinge sind komplementär."

    Der LHC fahndet quasi mit der Brechstange nach neuer Physik. SuperKEKB dagegen versucht es per Präzisionslupe. In ihm werden die Kollisionen zwischen den Elektronen und Positronen zwar längst nicht so energiereich sein wie die Zusammenstöße der Wasserstoffkerne im LHC. Dafür aber sind die Ereignisse viel sauberer und lassen sich deutlich präziser analysieren. Und da SuperKEKB extrem viele Teilchen aufeinander feuern und entsprechend viele Messdaten sammeln soll, hoffen die Forscher, in diesem Datenwust auf Anzeichen neuer, bislang unbekannter Elementarteilchens zu stoßen.

    "Letztes Jahr haben wir mit dem Projekt begonnen. Und trotz des großen Erdbebens im März dürften wir den Fahrplan einhalten können: Ende 2014 sollen die ersten Teilchen im Ring kreisen."

    Doch Kyo Shibata und seine Leute bekommen Konkurrenz. In Italien nahe Rom soll ein ähnlicher Beschleuniger entstehen. Ein Zwilling quasi, und auch der Name ist ganz ähnlichen: SuperB, so heißt die Maschine von Nicolas Arnaud und seinen Leuten.

    "SuperB wird von Grund auf neu gebaut, während die japanische Maschine im Prinzip das Upgrade eines älteren Beschleunigers ist. Deshalb werden wir in Italien wohl später loslegen, erst gegen 2016. Dafür aber wird SuperB leistungsfähiger sein und noch mehr Messdaten produzieren können als der japanische Beschleuniger. Und darauf kommt es schließlich an. Wir suchen ja nach sehr seltenen Effekten. Und je mehr Daten man sammelt, umso wahrscheinlicher ist es, dass man etwas findet."

    Manche Experten begrüßen das japanisch-italienische Wettrennen – getreu dem Motto "Konkurrenz belebt das Geschäft". Andere dagegen halten es für überflüssig, zwei so ähnliche Maschinen zu bauen. Denn ein Schnäppchen sind sie mit Baukosten von rund 400 Millionen Euro beide nicht.