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Das Risiko auf einen Blick

Dioxin im Ei oder Salpetersäure in Reinigungsmittel: Immer wieder sorgen neue Skandale für Aufregung unter Verbrauchern. Das Bundesinstitut für Risikobewertung will fortan in grafischen Profilen aufzeigen, wie unbedenklich oder gefährlich bestimmte Produkte tatsächlich sind.

Von Volkart Wildermuth | 22.04.2013
    Für Sicherheit ist auf dieser Tagung gesorgt. Ohne Personalausweiskontrolle kommt niemand herein. Drinnen werden Risiken dann eher abstrakt abgehandelt. Denn um ein Problem vernünftig einschätzen zu können, braucht es vor allem eines: Statistik.

    "Risiken kann man natürlich nicht so einfach messen wie Körpergröße oder Köpergewicht."

    Für die Vorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik, Professorin Christine Müller von der TU Dortmund, ist Risiko definiert als Schadenshöhe mal Eintrittswahrscheinlichkeit. So weit, so klar. Das Problem ist, dass beide Größen selten bekannt sind und aus Tierversuchen, Bevölkerungsbeobachtungen und anderen mal mehr mal weniger soliden Daten abgeschätzt werden müssen. All die Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten lassen sich mathematisch in einer Zahl, dem Risiko, bündeln. Leider können nur die wenigsten diesen Wert richtig einschätzen, so Dr. Gaby-Fleur Böl, Leiterin der Abteilung Risikokommunikation beim BfR, dem Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung.

    "Menschen nehmen Risiken eben nicht nur über reine Zahlen wahr, sondern sie empfinden Risiken, sie nehmen Risiken ganz anders wahr. Ein wichtiges Kriterium ist zum Beispiel, ob man den Eindruck hat, dass man ein Risiko kontrollieren kann. Es herrscht zum Beispiel eine große Angst vor Chemie im Essen und es herrscht eine geringe Angst zum Beispiel, was hygienische Bedingungen von Essen anbelangt."

    Chemische Rückstände im Salat bringen aber niemanden um, dagegen sterben jedes Jahr fast 50 Deutsche an einer Salmonelleninfektion. Eine Gefahr, die man mit Händewaschen und Küchenhygiene einfach in den Griff bekommen kann. So klare Informationen möchte das BfR vermitteln, seine Stellungnahmen sind aber geprägt von vielen wenn’s und aber’s, schließlich sollen sie wissenschaftlich korrekt sein. Um den Bürgern dennoch eine schnelle Einschätzung des persönlichen Risikos zu ermöglichen, gibt es ab heute zu jeder Stellungnahme ein grafisches Risikoprofil, das die wichtigsten Informationen auf einen Blick enthält: wer ist betroffen, wie häufig kommt es zu Problemen, wie schwer sind die, wie sicher sind die Daten und vor allem: was kann jeder einzelne tun? Je weiter rechts die blauen Markierungen in den Kategorien stehen, desto schlimmer. Beispiel Reinigungsmittel mit Salpetersäure, die vor allem in türkischen Haushalten beliebt waren.

    "Im Endeffekt braucht man nur das angucken und sehen; oh wie, meine Kinder sind eventuell gefährdet. Das Zeug nehme ich besser nicht, ich kauf was anders, die Datenlage ist hier völlig klar und wenn ich dann einen Schaden kriege, ist er auch richtig schlimm."

    Die Mittel werden im Übrigen nicht mehr verkauft. In diesem Fall war die Einschätzung klar. Bei Acrylamid in Chips wirkt das Risikoprofil unübersichtlicher. Betroffen: Allgemeinbevölkerung. Schädigung: möglich, aber dann potenziell schwerwiegend, nämlich Krebs. Es gibt aber zu wenige Daten. Unterm Strich ist also keineswegs klar, ob es Sinn macht, auf Chips zu verzichten oder nicht. Diese Unsicherheit bleibt bei vielen Problemen, Grafik hin oder her. Professor Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Experte für die Erklärung von Risiken, wünscht sich deshalb vor allem noch eine klare Einordnung.

    "Insgesamt finde ich das einen guten Weg, ich würde nur gerne etwas sehen, wo man verschiedene Risiken besser in Vergleich setzten kann. Das ist ja das Kernproblem. Wir fürchten uns vor den Dingen, die uns wahrscheinlich nicht umbringen. Wir fürchten uns kaum vor den Dingen, die uns umbringen: Zigarettenrauchen, Autofahren oder zu viel Alkohol."

    Immerhin, die Risikoprofile lassen sich schneller erfassen, als ein langer Text. Das könnte gerade in Situationen vergleichbar dem EHEC-Ausbruch 2011 nützlich sein, wenn sich Datenlage und Bewertungen schnell verändern. Auf den Internetseiten des BfR kann zurzeit jeder Lob und Kritik an den Risikoprofilen anmerken. So wollen die Statistik-Experten herausfinden, ob ihre Grafiken wirklich so klar und informativ sind, wie sie hoffen.


    Links ins Netz:

    Zu den Risiko-Grafiken des BfR