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"Das Risiko macht ja nicht Halt an den Ländergrenzen"

Frankreich und Großbritannien wollen entschärfte Stresstests zur Überprüfung ihrer Atomkraftwerke. In der EU, aber auch in Deutschland regt sich Widerstand: Es müssten die gleichen Kriterien für alle Länder gelten, denn ein Störfall betrifft auch die Nachbarn.

Von Arndt Reuning im Gespräch mit Theo Geers | 05.05.2011
    Theo Geers: Ein Erdbeben plus Tsunami, diese Kombination aus gleich zwei Naturkatastrophen war für die Atomkraftwerke in Fukushima bekanntlich zu viel. Hierzulande wurde nach dem Gau in Fukushima schnell reagiert mit dem Atommoratorium. Mit einem Atommoratorium wurden acht Atommeiler binnen Tagen vom Netz genommen und es wurde beschlossen, alle 17 Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen. Jetzt sollen die Atomkraftwerke getestet werden, Arndt Reuning. Nach europäischen Tests aber wird das verwässert, oder?

    Arndt Reuning: Das scheint, im Moment ein wenig verwässert zu werden. Allerdings hat EU-Energiekommissar Günther Oettinger erklärt, er möchte an seinen ursprünglichen Plänen festhalten. Es hatte sich da eine Vereinigung von Atomkraft-Experten geäußert, und die möchte da einfach etwas weniger testen. Die möchten eben nicht mehr testen auf zum Beispiel Anschläge, nicht mehr testen auf Flugzeugabstürze, nicht mehr testen auf zum Beispiel menschliches Versagen. Hier hat nun Günther Oettinger gesagt, ich möchte weiterhin eine umfassende Prüfung haben, einen umfassenden Stresstest. Er hat also diesen Vorschlag deutlich kritisiert und er möchte weiterhin eben festhalten an seinen Plänen. Auch das Umweltministerium hat diese Pläne kritisiert und das deutsche Verbraucherschutzministerium.

    Geers: Welche Bedeutung hat denn der europäische Stresstest überhaupt?

    Reuning: Die Atomsicherheit fällt ja primär in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Speziell in Deutschland liegt die Atomaufsicht bei den Bundesländern. Und dieser europäische Stresstest ist daher freiwillig. Falls ein Kraftwerk nicht bestehen sollte, dann drohen auch keine Konsequenzen. Es ist sogar so, dass die Ergebnisse nicht unbedingt veröffentlicht werden müssen. Großbritannien zum Beispiel hat bereits angekündigt, dass die Resultate unter Verschluss bleiben sollen. Wichtiger sind in diesem Zusammenhang dann die Stresstests, die auf nationaler Ebene angesetzt sind, oder auch schon bereits angelaufen sind, zum Beispiel in Frankreich oder auch bei uns in Deutschland. Aber diese Tests auf Ebene der EU-Mitgliedsstaaten, die erfolgen natürlich nicht europaweit nach denselben Standards.

    Geers: Das heißt also, Herr Reuning, die nationalen Regierungen haben sehr unterschiedliche Meinungen zu diesen Tests?

    Reuning: Ja tatsächlich, besonders eben auch in Deutschland. Da laufen ja schon die Begutachtungen, und zwar nach sehr, sehr strengen Kriterien. Anschläge, Flugzeugabstürze, die werden in Betracht gezogen, und vor allem schaut man, welchen Belastungen die AKW denn gewachsen sind, die über die normale Auslegung hinausgehen, denn genau das war ja der Fall in Fukushima, ein gewaltiger Tsunami, der bei der Auslegung der Anlage offenbar keine Rolle gespielt hat. Also in Deutschland prüft man sehr aufwendig, und schon alleine daher ist es natürlich wünschenswert, dass in allen EU-Mitgliedsstaaten das Niveau ähnlich hoch liegt, denn sonst würde ja mit zweierlei Maß gemessen. Und das würde dann wohl eine neue Debatte eröffnen, wenn nämlich Deutschland nach einem strengen Stresstest eigene Altmeiler stilllegen würde, während in den Nachbarstaaten ähnliche Kraftwerke weiterlaufen. Das kann nicht das Ziel eines Stresstests sein, weder auf nationaler Ebene, noch auf EU-Ebene, denn das Risiko macht ja nicht Halt an den Ländergrenzen.

    Geers: Nun gibt es aber Forderungen nach einem entschärften Stresstest. Die kamen vor allem aus Frankreich und Großbritannien. Was sagen denn diese beiden Länder speziell zu den Tests?

    Reuning: Das sind Länder, die über verhältnismäßig viele Reaktoren verfügen. In Frankreich stammen knapp 80 Prozent des Stroms aus Kernkraftwerken. Die meisten davon sind ungefähr 30 Jahre alt. Natürlich hat also die Regierung ein Interesse daran, dass die Begutachtung nicht allzu scharf ausfällt. In Frankreich hat sich auch zusätzlich noch eine Debatte entwickelt um einen ganz bestimmten Reaktor, der zurzeit noch gebaut wird. Das ist der EPR, ein Druckwasser-Reaktor der dritten Generation, ein Vorzeigeprojekt, das allerdings die geplante Bauzeit und das geplante Budget deutlich überstiegen hat. Der soll besonders sicher sein. Aber der Chef der französischen Atomaufsicht, André-Claude Lacoste, fordert, dass dieser, im Bau befindliche Reaktor genauso sorgfältig einem Stresstest unterzogen wird wie die gebauten Anlagen bereits, denn diese Tests finden ja sowieso nicht vor Ort statt, sondern einfach nur auf Papier.

    Geers: Vielen Dank! – Das war Arndt Reuning mit Erklärungen zu den europäischen Stresstests und wie das Ganze zusammenpasst, wenn die verwässert werden, mit dem, was gerade in Deutschland bei den Atomkraftwerken geprüft wird.