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Das romantische Schloss der Königin

Mittelalterliche Ruine das eine, Herrensitz des 19. Jahrhunderts das andere - das sind die Inverlochy Castles in Schottland. Mitten in den Highlands liegen die Schlösser. Über das neu erbaute sagte Queen Victoria von Großbritannien: "Nie sah ich einen entzückenderen oder romantischeren Ort!"

Von Katrin Kühne |
    Wie bei dem Besuch von Königin Victoria 1873 regnet es in Strömen vor den hohen Fenstern von Inverlochy Castle, gelegen in den West-Highlands von Schottland. Drinnen in der Great Hall prasselt ein Feuer gemütlich im großen Kamin. Darüber ein Ölgemälde des nationalen Volkshelden und eines Vorfahren Victorias, Bonny Prince Charlie zu Pferde, im Kreise seiner Mannen. Mir gegenüber, versunken in einen Ohrensessel, nippt der Deputy-Lord-Lieutenant an seinem Highland-Whisky. Iain Thornber, Stellvertreter von Elisabeth II. in der Region Inverness, ist stilecht mit grünem Kilt und Sporran, der Geldtasche aus Fell, gekleidet.

    "Der Landsitz gehörte der später geadelten Familie Scarlett. Sie waren, wenn auch schottischen Ursprungs, in England reich gewordene Industrielle. James Scarlett, der erste Lord Abinger, kaufte in der Mitte des 19.Jahrhunderts das Anwesen. In gewisser Weise folgte er damit den Spuren Prinz Alberts und Queen Victorias, die sich zu dieser Zeit in den Highlands in Balmoral ein Schloss bauten. Wie das königliche Paar wollten nun auch englische Industrielle schottisches Landleben mit Hirschjagden und Lachs-Fischen genießen."
    <im_74141>ACHTUNG: NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_74141>
    1863 wird der Landsitz der Abingers im "Scottish Baronial Style" aus grauen Granitquadern errichtet. Die junge Victoria besucht in den 1840er-Jahren mit ihrem deutschen Prinzgemahl die Gegend. Besonders beeindruckt sie die Bergschlucht Glen Coe. Ein schauriger Ort mit grandioser Landschaft, wo in der Folge des Aufstands von Bonnie, Prince Charlie gegen die englische Herrschaft, Mitte des 18.Jahrunderts ein Massaker stattfand, von dem sich die ehemals mächtigen Highland-Clans nie wieder erholten. 1873 kehrt die verwitwete Königin zurück. Sie quartiert sich Anfang September mit Dienern, Hofarzt, jüngster Tochter und eigenem Himmelbett für eine Woche in Inverlochy Castle ein, das ihr die Abingers zur Verfügung stellen. Ihr schottischer Leibdiener und Bodyguard John Brown, ein attraktiver Mann mit hellen Augen, Backenbart und selbstverständlich im Kilt, begleitet sie.

    " Der Grund, warum sie zurückkehrte, war zum einen die Erinnerung an glücklichere Tage, als sie mit Albert die Region besucht hatte. Zum anderen wollte die talentierte Hobbymalerin die spektakuläre Natur zeichnen, wie sie in ihren Tagebüchern schreibt. Bei einer Kutschfahrt nach Glen Coe wurden John Brown und die öffentlichkeitsscheue Königin zu ihrem Entsetzen von Journalisten beobachtet. Auf Wunsch der Queen verjagte er die Presseleute mit körperlicher Gewalt."

    Der stets bewaffnete John Brown begleitet die Königin überall hin, ist immer bei ihr. Sogar nachts?

    "Ihr Schlafzimmer war natürlich Teil eine ganzen Reihe von Räumen, die sie bewohnte. Er wird heute noch als Queen's Room bezeichnet. Und das mit einer kleinen Treppe verbundene Badezimmer, das es damals noch nicht gab, war das Zimmer, in dem John Brown schlief, um ihr so nah wie möglich zu sein - aus Sicherheitsgründen. Aus ihren Journalen wissen wir, dass sie von ihrem Zimmer aus gezeichnet hat. Vor allem den Ben Nevis wollte sie malen."

    Man kann heute im Queen's Room mit seiner halbrunden Fensterfront und riesigem Four-Poster-Bed übernachten, denn Inverlochy Castle ist seit Langem ein Schlosshotel. Ging es da damals wirklich nur ums Aquarellmalen oder war es eine Art Lady Chatterly-Verhältnis zwischen Victoria und dem Mann aus dem einfachen Volk? Die geflügelten Puttchen im blauen Sommerhimmel des ovalen Deckenplafonds in der großen Halle scheinen mir zuzuzwinkern. Immerhin wird die Monarchin in der damaligen Öffentlichkeit spöttisch "Mrs.Brown" betitelt. Sogar ein weiteres heimliches Kind wird ihr angedichtet.

    "Also ich glaube, das war alles Klatsch und Tratsch. Queen Victoria hatte sehr hohe moralische Ansprüche und so etwas war sicherlich undenkbar für sie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass nie eine Art von sexuellem Verhältnis bestand."

    Aber eine innige, lebenslange Verbindung zwischen dem flotten Highlander und der später etwas rundlichen Regentin. Sie ernennt ihn im Laufe seines langjährigen Dienstes zum "Esquire" und erhöht immer wieder sein Honorar bis auf, für einen Diener, damals unvorstellbare 400 Pfund im Jahr. John Brown, der schon zu Lebzeiten Alberts in dessen Diensten im schottischen Balmoral gestanden hatte, ist es aber auch, den die Familie mit Victorias Pony von dort aus auf die südenglische Insel Wight schickt, um sie aufzumuntern und aus ihrer Depression zu reißen. Die Königin hatte sich dort in tiefster Trauer nach dem Tod ihres Gemahls vergraben.

    "Ganz sicher wurden sie damals Freunde. Victoria war von einem ziemlich blasierten Hofstaat umgeben. John Brown war ein grober Charakter, aber er hat immer eine ehrliche Antwort auf eine Frage gegeben und niemals herumtaktiert. Selbstverständlich behandelte er Victoria nicht als wäre sie seinesgleichen. Als echter Schotte aber war er nie unterwürfig. Natürlich waren die Hofadeligen neidisch wegen des engen Verhältnisses der beiden."

    Reiste die Monarchin noch einen ganzen Tag, mit Dampfeisenbahn und Kutsche, von Balmoral nach Inverlochy, geht es heute mit der modernen "Motorkutsche" in rund drei Stunden von dort zum "Highland Retreat" der Windsors.

    "Wir sitzen hier im Schatten von Balmoral Castle, das Victoria und Albert in einem romantisch-neogotischen Stil errichten ließen. Seit über 150 Jahren ist das Schloss der offizielle Sommersitz der Familie."

    <im_74139>ACHTUNG: NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_74139>Der Historiker Michael Fry begleitet mich bei meinem Besuch auf dem Anwesen der Royal Family. John Brown kam aus der Gemeinde Crathie, zu der Balmoral gehört. Auf dem Friedhof dort liegt er begraben. Die Vorfahren der Schlossangestellten Morag Gordon haben bereits Victoria auf Balmoral gedient, wie seinerzeit der Bodyguard der Königin. Wir spazieren mit ihr in einen abgelegenen Teil des Royal Park, wo die von Victoria gestiftete Bronzestatue John Browns steht.

    "Die Statue stand ursprünglich vor dem Schloss. Aber als Queen Victoria starb, befahl Ihr Sohn, König Edward VII. sofort, sämtliche Erinnerungen an John Brown zu tilgen. Die Skulptur sollte zerstört werden, aber die Bediensteten verhinderten das und seit damals steht sie nun hier versteckt im Wald."

    Abends zurück in Inverlochy Castle, spielt Hauspianist Clellan Barrie bekannte Highland-Melodien in der Great Hall. Behende gleiten die Finger des 74-Jährigen über die Tasten des historischen Instrumentes. Und man kann sich zurückträumen in die Zeit, als Queen Victoria bei ihrem Besuch 1873 darauf dieselben Lieder spielte. Erwärmt von ihrem Lieblingsgetränk - einem Gläschen mit Whisky aufgepeppten Rotwein, so wird erzählt. Serviert von ihrem "beloved friend" wie auf seinem Grabstein steht, John Brown.