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Das rote Wien

Die Architekturschau im Wiener Architekturzentrum wird eine Dauerausstellung werden. Nach einer ersten Ausstellung über die Zeit bis 1918 folgte nun die Zwischenkriegszeit, auch bekannt unterm Stichwort "Das rote Wien". Viele Wohnbausiedlungen mit großen Höfen und Torbögen als Einfahrt kann man noch besichtigen. Auffallend daran ist, dass man zwar auf die Wohnungsnot mit einem menschlichen Maß zu reagieren versuchte, aber merkwürdig modernitätsresistent blieb. Für das Proletariat baute man auch in Wien klassizistisch.

Von Beatrix Novy |
    "Unbeirrt von all dem Geschrei der steuerscheuen besitzenden Klassen holen wir uns das zur Erfüllung der vielfachen Gemeindeausgaben notwendige Geld dort, wo es sich wirklich befindet". So deutlich sprach Hugo Breitner, Finanzstadtrat der Gemeinde Wien, die seit 1919 als erste Millionenstadt unter sozialdemokratischer Verwaltung stand. Und als ehemaliger Banker wusste Breitner, wo das Geld sich befindet. Mit Hilfe progressiver Luxussteuern und einer eigenen Wohnbausteuer schuf er die Grundlage für jenes einmalige sozialpolitische Experiment, das als Rotes Wien weltbekannt wurde. Nicht umsonst nimmt es breiten Raum ein in der zweiten Etappe des a-schau genannten Projekts, mit dem das Architekturzentrum eine Art kollektives Architekturgedächtnis der österreichischen Nation aufbauen will.

    60000 Wohnungen baute die Gemeinde Wien in der Zeit bis zum austrofaschistischen Putsch von 1934, ein ungeheurer Kraftakt, um die immense Wohnungsnot zu lindern. In den monumentalen Wohnhöfen waren die einzelnen Wohnungen klein, die kollektive Versorgung vom Kindergarten bis zur Wäscherei aber komplett; sie waren gleichzeitig Orte einer hochentfalteten Arbeiterkultur, ihrer Vereine und Konsumläden. Eines aber boten diese in traditionell-klassizistischem Stil gebauten Höfe nicht: nämlich die moderne Architektur, die in den 20er Jahren gerade den politischen Fortschritt zu verkörpern glaubte. Das trug ihnen bis in die 70er Jahre hinein ein spitzfingriges Desinteresse der Architekturszene ein, und gar bis heute hört man eine gewisse Verlegenheit auch den Ausführungen Monika Platzers vom Wiener Architekturzentrum an

    Wir haben hier die Genese der Ringstrasse des Proletariats, da ging es um den urbanistischen Kontext, im Gegensatz zur Internationale der modernen Architektur….den man aber so nicht aufrechterhalten kann,…sehr gut genutzt….es hat sich bewährt in dieses historische Gefüge in dem städtischen Gefüge zu bleiben, anstatt wie ciam Satellitenstädte nach außen zu gehen.

    Inzwischen gehörten die Bauten des Roten Wien, namentlich der Karl Marx Hof, zu den historischen Aushängeschildern der Stadt wie Heuriger, Stefansdom und Ringstraße. Dass viele Otto Wagner Schüler an den Arbeiterwohnungen mitplanten, belegt eine besondere Kontinuität, die die Wiener Architektur seit den Zeiten der Habsburger Monarchie auszeichnet, eine Kontinuität, die auch von der Zeit des Austrofaschismus und den Nazi-Jahren nicht ganz gebrochen wurde. Unter dem Stichwort "Macht" lässt die Ausstellung im Architekturzentrum einiges von dem passieren, was zwischen 1934 und 38 namentlich im Zeichen des Doyens Clemens Holzmeister gebaut wurde, dessen moderat-modernes Haus des Rundfunks heute noch den ORF beherbergt. Der von ihm begünstigte Oswald Haerdtl stellte zur Weltausstellung von 1937 einen österreichischen Pavillon hin, der mit seiner großgerasterten Glasfassade und dem dahinterliegenden Alpenpanorama noch heute zeitgenössisch wirken würde.

    Hier wird deutlich, dass die Vereinnahmung durch autoritäre Machthaber sich nicht notwendig in einem als "faschistisch" vorgezeichneten Stil ausdrückt, während umgekehrt Monumentalität keineswegs ein Stilprivileg der verschiedenen Faschismen war, sondern eine überall zu findende Architekturtendenz, wie sie sich bis hin zu den Bauten des New Deal in den USA fand.

    Wo es um Austrofaschismus geht, das ist ja ein heikles Thema, wird oft ausgelassen, zu zeigen, dass es beide Phänomene gibt: klassizistische Rückgriffe, aber gleichzeitig auch moderne Formensprache, man kann per se nie von einer austrofaschistischen Architektur sprechen. Wir wollten zeigen dass die Architektur sich von politischen Systemen und Machthabern sich aneignen lässt. Ich selber bin in einem dieser Hitlerbauten in Linz aufgewachsen und schätze diese Anlage an sich..

    Eindeutig nationalsozialistisch waren also nicht einmal die Wohnbauten in der Führerhauptstadt Linz nach 1938, sondern letztlich nur die von Albert Speer selbst geleiteten Planungen für die monumentalen Eckpunkte der Führerhauptstadt, zu der Hitler Linz erklärt hatte.

    In die 30er Jahre fallen auch jene Großprojekte, die die Naturbezwingung feiern: die Höhenstraße bei Wien, die Großglocknerstraße. In der Doppelfigur von Eroberung und sehnsüchtiger Rückbesinnung kommt jener Geist der Zeit zur Geltung, die die Reize der Natur verfügbar macht und sie dabei dieser Reize beraubt.

    Das zur Alpenrepublik geschrumpfte Österreich erlebte in den 20er Jahren einen enormen Aufschwung des Fremdenverkehrs und die Ausweitung des bürgerlich-elitären zum Massentourismus. Heute sind wir gewöhnt an die konsequente Verhunzung der Landschaft durch Baumarkt-Imitationen einer phantasierten Ländlichkeit; umso überraschender wirkt die Modernität der in Wien gezeigten Beispiele aus dieser Zeit: das von Lois Welzenbacher gebaute Parkhotel in Hall, Tirol, mit seiner leicht gewölbten Fassade in Bauhaus-Weiss hat nichts mit der Lederhosenarchitektur zu tun, gegen die in unserer Zeit erst wieder seit den 90er Jahren eine junge Moderne der Regionalarchitektur ankämpft.