Köhler: Thomas Krüger, den kennen Sie noch, der war Innensenator in Berlin, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und wurde für ungewöhnliche Aktionen bekannt. Seit drei Jahren ist er Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn. Von morgen an bis zum Sonntag unterstützen Sie nicht, sondern veranstalten in Erinnerung an die zehnten Weltfestspiele der DDR 1973, nach 30 Jahren, die so genannten Aktionstage mit viel Musik, Ausstellungen, Stadtrundfahrten und Filmen. Bauchnabelfrei lief man damals wohl offenbar schon rum, wenn ich dem Ankündigungsplakat glauben darf. Herr Krüger, Sie sind als Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung jetzt offenbar unter die Konzertveranstalter gegangen?
Krüger: Nein, wenn man sich das Programm genau anguckt, findet man hier ja ein sehr vielfältiges Programm vor, das unterschiedliche Zugänge zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis eröffnet, nämlich dem der Weltfestspiele 1973. Und das ist genau unser Ziel. Die Mittel der politischen Bildung nicht auf die klassische Vortrags- und Podiumsdiskussionsveranstaltung zu konzentrieren, sondern eine Vielfalt der Zugänge zur Zeitgeschichte zu ermöglichen. Wir beobachten zur Zeit ein neues Interesse an zeitgeschichtlichen Ereignissen. Dieses wird für meine Begriffe vor allem dadurch unterstützt, dass die ideologischen Interpretationsmuster, die bis weit in die 90er Jahre hin Gültigkeit besaßen für die Interpretation von Zeitgeschichte, in die Einzelteile zerfallen und damit die Ereignisse neu zugänglich werden, neu von den Menschen angeeignet werden können. Und das versuchen wir natürlich, mit einer solchen Veranstaltungskomplexität wie an diesem Wochenende in Berlin zu erreichen.
Köhler: In allen Ehren, dass Sie neue Wege beschreiten. Aber könnte das nicht auch zu einer Art politischen Love Parade oder Revival Parade der DDR-Kultur werden?
Krüger: Auf keinen Fall. Wir haben ja ganz bewusst eine eher kritische Befassung mit der Thematik aufgerufen, sowohl, was die Sommeruniversität angeht, die das Herzstück und Kernstück dieser Veranstaltung ist, als auch, was die begleitende Filmreihe, die Konzerte und vor allem die Ausstellungen betrifft. Es gibt unterschiedliche Zugänge zu Zeitgeschichte, und die müssen möglich sein, die muss man sich erschließen können. Und es verbietet uns keiner, uns auch eingängiger Formate zu bedienen, um Menschen, die sich für Zeitgeschichte nicht in Form von Zeitungsberichten oder Büchern interessieren, eben mit solchen Möglichkeiten und Methoden heranzuführen und in die Diskussion zu verstricken.
Köhler: Sie sagten, Sie arbeiten zusammen mit dem Podewil, mit der Humboldt-Universität, mit der Kunsthochschule Weißensee, der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Fürchten Sie am Ende nicht doch bei der derzeitigen Stimmung der Ostalgie in Zeiten vom Kinofilm Good Bye Lenin, so eine Art Retro-Future-Festival zu etablieren?
Krüger: Das wird man uns vielleicht vorwerfen, aber wer genau hinguckt, sieht, dass die Bundeszentrale in den letzten Jahren verstärkt die alltagskulturelle Behandlung von DDR-Themen aufgerufen hat und bei verschiedenen Gelegenheiten auch realisiert hat, zum Beispiel zum 17. Juni. Was Good Bye Lenin betrifft, so haben wir mit den Produzenten und Verleihern seit Wochen und Monaten schon im Vorfeld dieses Films kooperiert und ein Schulmaterial zu diesem Film entwickelt, was mit dem Filmstart herauskam. Uns also vorzuwerfen, wir würden jetzt dem Retrotrend von Good Bye Lenin aufsitzen, geht schon deshalb völlig in die Irre, weil wir an all diesen Aktivitäten selber im Vorfeld beteiligt waren, mitgewirkt haben und uns eingebracht haben. Der entscheidende Punkt ist, dass die Thematik DDR zur Zeit eben gerade nicht ostalgisch abgehandelt wird, sondern ganz offenbar eine ganz neue Verfügbarkeit von Zeitgeschichte und neue alltagskulturelle Zugänge zur Zeitgeschichte eröffnet, und dieses zu einem lockereren Umgang mit Zeitgeschichte führt - übrigens im Osten wie im Westen. Und das, so finde ich, ist eine riesige Chance. Und politische Bildung darf sich das nicht entgehen lassen.
Köhler: Herr Krüger, lassen Sie uns noch einen Moment über diese alltagskulturelle Seite oder die Inhalte sprechen. Sie waren nicht nur Berliner Jugendsenator, Sie zählen zu den Gründungsmitgliedern der DDR-SP, Sie haben das alles aus unmittelbarer Nähe mitbekommen, selbst erlebt. 1973 gab es, wenn ich es richtig weiß, 200 politischer Veranstaltungen und 1000 kulturelle etwa. Dieses Mal wird es, wenn ich richtig gezählt habe, etwa 30 Veranstaltungen geben. Damals kamen ausländische Besucher, und nicht nur aus sozialistischen Bruderstaaten. Könnte denn nicht ein bisschen auch jetzt das Bild dieser ehemaligen "weltoffenen" Diktatur wieder herauskommen, so ein bisschen sentimental dieses "rote Woodstock"?
Krüger: Gegen dieses Bild arbeiten wir gerade an. Ich glaube, das ist ein Schein gewesen, der damals stattgefunden hat. Und dieser Schein darf natürlich nicht darüber hinweglügen, dass 800 Leute Berlinverbot hatten, über 2.000 Festnahmen stattgefunden haben, 400 Leute in die Psychiatrie zeitweise eingewiesen worden sind. Die harte Realität DDR hat im Hintergrund dieser Weltfestspiele natürlich stattgefunden. Und das wird bei dieser Veranstaltung auch zur Sprache kommen. Ein Musiker wie Klaus Renft, der damals vier Auftritte hatte, während der Weltfestspiele, ist nur anderthalb Jahre später aus der DDR ausgewiesen worden mit seiner Band, und er kann dramatische Geschichten erzählen, wo es noch während der Weltfestspiele zu Konflikten mit der FDJ und den Veranstaltern gekommen ist. Ich glaube, dass wir mit vielen konkreten Angeboten die Vielfalt, auch die politische Ambivalenz der Zeit einfangen.
Köhler: Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung zu den Aktionstagen, die daran erinnern, dass vor 30 Jahren die Weltfestspiele der DDR stattfanden.
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Krüger: Nein, wenn man sich das Programm genau anguckt, findet man hier ja ein sehr vielfältiges Programm vor, das unterschiedliche Zugänge zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis eröffnet, nämlich dem der Weltfestspiele 1973. Und das ist genau unser Ziel. Die Mittel der politischen Bildung nicht auf die klassische Vortrags- und Podiumsdiskussionsveranstaltung zu konzentrieren, sondern eine Vielfalt der Zugänge zur Zeitgeschichte zu ermöglichen. Wir beobachten zur Zeit ein neues Interesse an zeitgeschichtlichen Ereignissen. Dieses wird für meine Begriffe vor allem dadurch unterstützt, dass die ideologischen Interpretationsmuster, die bis weit in die 90er Jahre hin Gültigkeit besaßen für die Interpretation von Zeitgeschichte, in die Einzelteile zerfallen und damit die Ereignisse neu zugänglich werden, neu von den Menschen angeeignet werden können. Und das versuchen wir natürlich, mit einer solchen Veranstaltungskomplexität wie an diesem Wochenende in Berlin zu erreichen.
Köhler: In allen Ehren, dass Sie neue Wege beschreiten. Aber könnte das nicht auch zu einer Art politischen Love Parade oder Revival Parade der DDR-Kultur werden?
Krüger: Auf keinen Fall. Wir haben ja ganz bewusst eine eher kritische Befassung mit der Thematik aufgerufen, sowohl, was die Sommeruniversität angeht, die das Herzstück und Kernstück dieser Veranstaltung ist, als auch, was die begleitende Filmreihe, die Konzerte und vor allem die Ausstellungen betrifft. Es gibt unterschiedliche Zugänge zu Zeitgeschichte, und die müssen möglich sein, die muss man sich erschließen können. Und es verbietet uns keiner, uns auch eingängiger Formate zu bedienen, um Menschen, die sich für Zeitgeschichte nicht in Form von Zeitungsberichten oder Büchern interessieren, eben mit solchen Möglichkeiten und Methoden heranzuführen und in die Diskussion zu verstricken.
Köhler: Sie sagten, Sie arbeiten zusammen mit dem Podewil, mit der Humboldt-Universität, mit der Kunsthochschule Weißensee, der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Fürchten Sie am Ende nicht doch bei der derzeitigen Stimmung der Ostalgie in Zeiten vom Kinofilm Good Bye Lenin, so eine Art Retro-Future-Festival zu etablieren?
Krüger: Das wird man uns vielleicht vorwerfen, aber wer genau hinguckt, sieht, dass die Bundeszentrale in den letzten Jahren verstärkt die alltagskulturelle Behandlung von DDR-Themen aufgerufen hat und bei verschiedenen Gelegenheiten auch realisiert hat, zum Beispiel zum 17. Juni. Was Good Bye Lenin betrifft, so haben wir mit den Produzenten und Verleihern seit Wochen und Monaten schon im Vorfeld dieses Films kooperiert und ein Schulmaterial zu diesem Film entwickelt, was mit dem Filmstart herauskam. Uns also vorzuwerfen, wir würden jetzt dem Retrotrend von Good Bye Lenin aufsitzen, geht schon deshalb völlig in die Irre, weil wir an all diesen Aktivitäten selber im Vorfeld beteiligt waren, mitgewirkt haben und uns eingebracht haben. Der entscheidende Punkt ist, dass die Thematik DDR zur Zeit eben gerade nicht ostalgisch abgehandelt wird, sondern ganz offenbar eine ganz neue Verfügbarkeit von Zeitgeschichte und neue alltagskulturelle Zugänge zur Zeitgeschichte eröffnet, und dieses zu einem lockereren Umgang mit Zeitgeschichte führt - übrigens im Osten wie im Westen. Und das, so finde ich, ist eine riesige Chance. Und politische Bildung darf sich das nicht entgehen lassen.
Köhler: Herr Krüger, lassen Sie uns noch einen Moment über diese alltagskulturelle Seite oder die Inhalte sprechen. Sie waren nicht nur Berliner Jugendsenator, Sie zählen zu den Gründungsmitgliedern der DDR-SP, Sie haben das alles aus unmittelbarer Nähe mitbekommen, selbst erlebt. 1973 gab es, wenn ich es richtig weiß, 200 politischer Veranstaltungen und 1000 kulturelle etwa. Dieses Mal wird es, wenn ich richtig gezählt habe, etwa 30 Veranstaltungen geben. Damals kamen ausländische Besucher, und nicht nur aus sozialistischen Bruderstaaten. Könnte denn nicht ein bisschen auch jetzt das Bild dieser ehemaligen "weltoffenen" Diktatur wieder herauskommen, so ein bisschen sentimental dieses "rote Woodstock"?
Krüger: Gegen dieses Bild arbeiten wir gerade an. Ich glaube, das ist ein Schein gewesen, der damals stattgefunden hat. Und dieser Schein darf natürlich nicht darüber hinweglügen, dass 800 Leute Berlinverbot hatten, über 2.000 Festnahmen stattgefunden haben, 400 Leute in die Psychiatrie zeitweise eingewiesen worden sind. Die harte Realität DDR hat im Hintergrund dieser Weltfestspiele natürlich stattgefunden. Und das wird bei dieser Veranstaltung auch zur Sprache kommen. Ein Musiker wie Klaus Renft, der damals vier Auftritte hatte, während der Weltfestspiele, ist nur anderthalb Jahre später aus der DDR ausgewiesen worden mit seiner Band, und er kann dramatische Geschichten erzählen, wo es noch während der Weltfestspiele zu Konflikten mit der FDJ und den Veranstaltern gekommen ist. Ich glaube, dass wir mit vielen konkreten Angeboten die Vielfalt, auch die politische Ambivalenz der Zeit einfangen.
Köhler: Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung zu den Aktionstagen, die daran erinnern, dass vor 30 Jahren die Weltfestspiele der DDR stattfanden.
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