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Das Säugetier von Gottes Gnaden

Religion. – Religion und Naturwissenschaften sollten sich ergänzen, nicht gegeneinander arbeiten – so ist die Überzeugung des Theologen und Biologen Ulrich Lüke, Lehrstuhlinhaber für Katholische Theologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Er hat dazu ein sehr informatives, aber nicht unbedingt leicht verständliches Buch geschrieben.

Von Dagmar Röhrlich | 10.12.2006
    Es ist eine alte Frage, die im Mittelpunkt dieses Buches steht: Ist der Mensch ein Geschöpf Gottes oder nur ein Zufallsprodukt? Die Auseinandersetzung darüber tobt seit der Aufklärung, und sie verschärft sich derzeit durch das Erstarken kreationistischer Sichtweisen. In "Das Säugetier von Gottes Gnaden" führt der Theologe und Biologe Ulrich Lüke Naturwissenschaft und Glauben zusammen. Er tritt auf beiden Ebenen gegen den Kreationismus an. So führt der Theologe aus, warum die beiden unabhängig voneinander entstandenen Schöpfungsgeschichten im Alten Testament nicht überein zu bringen sind: Die "Sieben-Tage"-Schöpfung widerspricht "Adam und Eva" – die Bibel ist keine "Mitschrift" von Geschehnissen. "Die Bibel", führt er aus, "ist keine primitive Naturkunde darüber, wie es zum Menschen kam, sondern eine Urkunde darüber, was es mit dem Menschen auf sich hat". Und weiter: "Die Evolution ist wahr", der Kreationismus hingegen sei unredlich.

    Die Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaften und Religion beschränkt sich nicht nur auf das Feld Evolutionstheorie kontra Schöpfungsgeschichte. Lüke fasst auch andere heiße Eisen an, etwa das der Stammzellenforschung gegen christliche Ethik oder die Debatte um die Existenz eines freien Willens.

    Lüke konstatiert, dass sowohl in der Religion, als auch in der Naturwissenschaft der Glauben eine zentrale Rolle spielt – auch wenn es die Forscher nicht immer wahrhaben wollen. Und er zitiert Einstein: "Obwohl die Religion das Ziel bestimmt, hat sie doch weitgehend von der Wissenschaft gelernt, mit welchen Mitteln sich diese von ihr gesetzten Ziele erreichen lassen. Die Wissenschaft kann hingegen nur von denen aufgebaut werden, die durch und durch von dem Streben nach Wahrheit und Erkenntnis erfüllt sind. Diese Quelle der Gesinnung entspringt aber wiederum auf religiösem Gebiet… Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind." Und Lüke steht zu dieser Auffassung. Ihm geht es darum, dass für beide Disziplinen gilt, dass sie keinen Alleinvertretungsanspruch auf die Wahrheit postulieren können, denn dann irren sie. Und er wünscht sich einen redlichen Diskurs.

    Das Buch richtet sich ausdrücklich nicht nur an Theologen und Philosophen, sondern an alle. Leider hat Lüke den interessierten Laien nicht immer im Blick. Manches wird einfach nicht ausreichend erklärt, Fachvokabular wird vorausgesetzt und Lateinisches nicht immer übersetzt. Die Lektüre dieses Buches ist anspruchsvoll – aber es lohnt die Mühe.

    Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden
    ISBN 3-451-28859-1
    Herder Verlag, 336 Seiten, 19,90 Euro