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Das Scheitern der Mitte-Rechts-Koalition in Österreich

Was hat das Zustandekommen der schwarz-blauen Regierung in Österreich, bestehend aus der Österreichischen Volkspartei ÖVP und Jörg Haiders Freiheitlicher Partei FPÖ, Anfang 2000 nicht alles ausgelöst: Proteststürme im In- und Ausland, EU-Sanktionen gegen die Alpenrepublik, die dann später wieder aufgehoben wurden, offizieller Rückzug Jörg Haiders aus der österreichischen Bundespolitik - und dennoch: sein faktisches Mitregieren von Kärnten aus in die Wiener FPÖ-Regierungsmannschaft hinein, nein, Haider machte es seinen Bundesministern, allen voran seiner Vertrauten, der Vizekanzlerin Riess-Passer, wirklich nicht leicht.

Susanne Glass und Werner Trinker |
    Allerdings schien es eine Zeitlang so, als ob sich trotz der umstrittenen FPÖ-Regierungsbeteiligung eine gewisse Beruhigung einstellte. Selbst Kritiker bescheinigten dem schwierigen Bündnis in vielen Bereichen durchaus produktive Koalitionsarbeit geleistet zu haben, mit der Folge - Querschüsse aus Klagenfurt hin oder her - dass Kanzler Schüssel das Experiment schwarz-blau bis zum Ende der Legislaturperiode werde weiterführen können.

    Doch dann brachte das auch in Österreich schwere Schäden hinterlassende Hochwasser das Fass zum Überlaufen. Innerhalb der FPÖ konnte man sich nicht auf den Zeitpunkt einer ursprünglich schon für 2003 vorgesehenen Steuerreform einigen, die angesichts der Finanzbelastungen durch die Hochwasserschäden von Kanzler Schüssel verschoben werden sollte. Die Wiener FPÖ-Regierungsriege wollte die Verschiebung mittragen - doch Jörg Haider aus Kärnten nicht. Daran zerbrach - letztendlich - Schwarz-Blau.

    Das Gedränge der Journalisten, Fotografen und Kamerateams war groß, als gestern - pünktlich um 15 Uhr - der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, vor die versammelte internationale Presse trat. Und er verkündete das Ende dieser Koalitionsregierung zwischen der österreichischen Volkspartei ÖVP und der Freiheitlichen Partei FPÖ. Es sollte Neuwahlen geben so schnell wie möglich:

    Ich will Klarheit schaffen. Ich habe mich daher entschlossen, bei der nächsten Gelegenheit in der Nationalratssitzung am 19. September die Auflösung des Nationalrats zu beantragen und so rasch wie irgendwie möglich Neuwahlen durchzuführen.

    Es war der Schlusspunkt eines langen parteiinternen Machtkampfs beim Koalitionspartner, der FPÖ. Dieser Machtkampf mündete zuletzt im Rücktritt der freiheitlichen Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer. Mit ihr gingen auch Finanzminister Karl Heinz Grasser, Infrastrukturminister Mathias Reichhold sowie der Chef des FPÖ - Parlamentsclubs Peter Westenthaler. Für den Koalitionspartner, die ÖVP, war die Verlässlichkeit innerhalb der Freiheitlichen Partei nicht mehr gegeben, wie Bundeskanzler Schüssel sagt:

    In der Freiheitlichen Partei sind derzeit die zu Recht von einer Regierungspartei erwartete unabdingbare Vorhersehbarkeit und Durchsetzbarkeit von Entscheidungen nicht mehr gegeben, wie ich das erwarte und wie das auch die Bevölkerung will. Es sind also nicht nur inhaltliche Fragen, sondern es gilt eine sehr grundsätzliche Frage, will man regieren oder opponieren, zu klären. Beides zugleich geht nicht. Das berühmte österreichische "Entweder - Und - Oder" funktioniert nicht. Da hilft auch kein Formel-Kompromiss.

    Die Krise beim Koalitionspartner FPÖ begann schleichend. Mit dem Eintritt der FPÖ in die Regierung - Anfang 2000 - kam es auch immer wieder zu Differenzen zwischen der freiheitlichen Regierungsmannschaft in Wien und Landeshauptmann Haider in Kärnten, dem Parteichef und "Architekt" dieser Koalition. Nach nur drei Monaten Regierungsarbeit kündigte Haider erstmals seinen Rückzug aus der Bundespolitik an. Er wolle vermeiden, dass der Eindruck entstehe, die freiheitlichen Minister müssten bei jeder Entscheidung den "Schattenkanzler" in Kärnten um Erlaubnis fragen, sagte Haider damals. Beim FPÖ - Parteitag im Mai 2000 war es dann soweit. Haider wollte nur noch ein einfaches Parteimitglied sein. Er übergab die Führung der FPÖ an Susanne Riess-Passer:

    Susanne, geh voran! Glückauf!

    Und ich weiß natürlich auch jetzt schon, was morgen für Kommentare in den Zeitungen stehen werden. Sie wird weiter eine Marionette von Jörg Haider sein. Und, werden sie schreiben, das ist eben immer noch die FPÖ von Jörg Haider. Und so, meine lieben Freunde, ist es auch.

    Wahre Worte von der langjährigen Haider-Wegbegleiterin und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, die nun auch FPÖ Chefin war. Denn Jörg Haider hielt wirklich weiter das Ruder fest in der Hand und dachte nicht daran, die Bundesregierung in Ruhe arbeiten zu lassen. Immer wieder kam heftige Kritik aus Kärnten, vor allem am Koalitionspartner ÖVP. Nach Niederlagen bei den Landtagswahlen in den Bundesländern Steiermark und Wien, warf Haider der ÖVP eine Doppelstrategie und Hinterhältigkeit vor. Zum endgültigen Bruch kam es dann, als angesichts der Hochwasserkatastrophe die Steuerreform um ein Jahr verschoben wurde. Haider beharrte darauf: die Steuerreform müsse 2003 kommen - noch vor der nächsten Nationalratswahl, die im Herbst 2003 auf dem Programm stand. Am Höhepunkt dieses Streits kündigt Haider sogar ein Volksbegehren gegen die eigene Regierung an:

    Ich werde an der Spitze einer Bürgerbewegung, die wir quer durch Österreich bilden, in einem ersten Schritt ein Volksbegehren starten, das zum Gegenstand hat die Steuerreform 2003 wirklich werden zu lassen.

    Die FPÖ-Regierungsmannschaft blieb aber dabei: die Steuerreform müsse verschoben werden. Die Hilfe für die Hochwasseropfer habe Vorrang. Der Konflikt eskalierte immer mehr. Bis es Ende August, Anfang September zum offenen Bruch innerhalb der Freiheitlichen Partei kam. Jörg Haider über diese Entwicklung:

    Was mich wirklich bedrückt, ist die Tatsache, dass meine Partei unseren politischen Gegnern auf den Leim gegangen ist, und dass meine Partei sich mit unseren Gegnern verbündet hat, um mich sozusagen zur Strecke zu bringen.

    Die FPÖ-Landesgruppen der Bundesländer Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark und Kärnten fordern nun vehement einen Sonderparteitag, in dem über die Linie der Freiheitlichen Partei abgestimmt wird. Delegiertenunterschriften für einen solchen Parteitag werden gesammelt. Und innerhalb kürzester Zeit sind über 400 Unterschriften beisammen, weit mehr als nötig. Der Druck auf die Freiheitliche Regierungsmannschaft wächst. Die Fronten verhärten sich. Am 3. September trifft sich der freiheitliche Bundesparteitag zu einer außerordentlichen Sitzung. In einer 12-Stunden-Marathonkonferenz wird versucht, eine Lösung zu finden. Im Morgengrauen steht allerdings fest: es gibt keinen Kompromiss. Und sollte es zu einem Sonderparteitag kommen, werde das gesamte freiheitliche Regierungsteam zurücktreten. Allen voran Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer:

    Es war von vornherein klar, und zwar schon vor dieser Sitzung, dass, wenn es einen Sonderparteitag gibt, dass es dort auch Neuwahlen der Parteiführung geben wird.

    In der Folge kommt es zu einem letzten großen Treffen. Jörg Haider lädt die 400 Delegierten, die für einen Sonderparteitag unterschrieben haben, zu einer gemeinsamen Sitzung ein. Es soll noch einmal versucht werden, einen Kompromiss zu erzielen, den drohenden Sonderparteitag zu verhindern. An diesem Treffen nehmen auch Finanzminister Grasser und Verteidigungsminister Scheibner teil - der vor Beginn der Tagung noch sehr zuversichtlich ist:

    Ich gehe jetzt hinein zu den Delegierten und werde mit ihnen diskutieren. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns hier einigen werden, denn alle, denen die FPÖ, denen auch Österreich am Herzen liegt, müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Wähler von uns Arbeit verlangt und nicht Streit in der Öffentlichkeit.

    Diese Zuversicht bewahrheitet sich allerdings nicht. Das Ergebnis dieses Treffens könnte so zusammengefasst werden: die Probleme werden aufgeschoben aber nicht aufgehoben. Konkret wurde beschlossen, den Sonderparteitag nicht jetzt abzuhalten, sondern das traditionelle Neujahrstreffen der FPÖ im Januar zu einem Parteitag umzufunktionieren. Außerdem sollte sofort eine Steuerreformkommission eingesetzt werden. Auch sie sollte bis zum Anfang 2003 Vorschläge ausarbeiten, wie die Steuerreform doch noch 2003 umgesetzt werden könne. Für Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl Heinz Grasser und Clubobmann Peter Westenthaler ist damit der Richtungsstreit in der Partei nicht beendet. Denn inhaltlich habe sich nichts verändert. Sie erklären nach längeren Beratungen ihren Rücktritt:

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben Sie heute hier eingeladen, um Ihnen mitzuteilen, dass wir unsere Funktionen in der österreichischen Bundesregierung und in der Freiheitlichen Partei zurücklegen werden. In den letzten Wochen hat sich eine immer größere Kluft aufgetan zwischen uns und Teilen unserer Partei. Alle Versuche, diesen Riss zu kitten, sind leider fehlgeschlagen. Wir haben in stundenlangen, nächtelangen Sitzungen alles darangesetzt, die notwendige Einigkeit und Geschlossenheit der Partei wiederherzustellen. Wir müssen heute leider feststellen, dass uns das nicht gelungen ist.

    Kurz darauf tritt dann auch Infrastrukturminister Matthias Reichhold zurück. Und die noch verbleibenden freiheitlichen Minister kündigen an, dass sie beim nächsten Parteitag die Vertrauensfrage stellen werden. Der Ball war nun bei Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der gestern Nachmittag Neuwahlen verkündet.

    Und dann werden die Bürger, und zwar jetzt alle, und nicht nur einige Parteirebellen, darüber entscheiden, welches Programm die Unterstützung, welchen Personen sie diese Verantwortung zutrauen. Denn, sehen Sie, die Alternative wäre ein quälendes Weiterwurschteln mit all den Problemen, die Sie selber auch in den Zeitungen oder Kommentaren beschrieben haben. Ich meine, es braucht hier Klarheit.

    Die Schlüsselfigur der alpenländischen Turbulenzen heißt zweifellos Jörg Haider. Der weilte gestern übrigens zunächst in Liechtenstein und hielt dort ein Referat über "Die Zukunft der Kleinstaaten in Europa", wobei er sich nach Presseberichten betont zurückhaltend gab. In Richtung Wien sprechend, unterstrich er seine Auffassung von Politik dahingehend, dass man entweder mit allen Mitteln die Macht zu erringen und sie dann mit allerlei Kompromissen zu erhalten habe, oder - so der Kärntner Landeshauptmann weiter - man fühle sich den Wählern verpflichtet und nehme dafür Risiken in Kauf.



    Jörg Haider und die Risiken - Portrait eines umstrittenen Politikers

    ...Ich werde ab sofort mich völlig aus der Bundespolitik zurückziehen... ...Ich bin schon weg... ...Es wird auch in Zukunft die Zurufe aus dem Süden geben...

    Sie sind inzwischen legendär – die Rücktritte des Jörg Haider und seine Rücktritte vom Rücktritt. Geschadet hat ihm sein Schlingerkurs bisher nicht. Im Gegenteil: Der 52-jährige Kärntner, der sich nun schon mehrmals aus der Bundespolitik zurückgezogen hat, ohne überhaupt Mitglied der Regierung zu sein, ist nach wie vor einer der einflussreichsten Politiker des Landes. So einflussreich, dass er Aufstieg und Fall der schwarz-blauen Regierung bestimmen konnte. Jörg Haider ein Ausnahmepolitiker, wie seine Anhänger sagen? Oder doch nur ein selbstverliebter Radaubruder?

    Haiders Bandbreite ist in jeder Hinsicht beachtlich. Der stets braun-gebrannte Porsche-Fahrer bedient ein Spektrum von linksliberal bis rechtsnational. Selbst durch seine Garderobe verstärkt er den Eindruck, er sei ein Chamäleon. Die sportlich saloppe Kleidung für ungezwungene Auftritte, den Trachtenjanker für die Heimatvereine und Burschenschaften sowie den Nadelstreifenanzug für staatstragende Reden. Der Oberösterreicher ist aber auch so etwas wie ein Stehaufmännchen. Innerparteiliche Krisen meisterte er mehrfach. Die erste kam 1991 als er nach einem Lob für die "ordentliche Beschäftigungspolitik im dritten Reich" als Kärntner Landeshauptmann zurücktreten musste. Für Kritik im In- und Ausland sorgte seine Rede vor SS-Veteranen, in der er sie als Männer mit "Ehr’ und Charakter" bezeichnete. Berührungsängste quälen Haider offenbar nicht, er kennt das Wählerpotenzial der Freiheitlichen Partei und will es ausschöpfen.

    Wenn es sein muss, auch durch das Absingen gemeinsamer Lieder im Kreis von rechten Freunden. Haider stammt selbst aus einer Familie mit NS-Vergangenheit. Er selbst beschrieb seine politische Heimat, und die seiner Partei, in einem ARD-Interview so:

    Wir haben neben diesem Republik-Bekenntnis auch selbstverständlich in Bezug auf unsere kulturpolitische Orientierung klar formuliert, dass wir uns als Teil der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft bekennen, worin wir keinen Widerspruch zu Österreich erblicken, sondern es wesentlich ist, den Anteil Österreichs auch im Rahmen dieser größeren kulturpolitischen Einheit herauszustreichen.

    Haider machte seine Freiheitlichen von einer Fünf-Prozent-Partei zur zweitstärksten politischen Kraft im Land. Bei den Nationalratswahlen am 3. Oktober 1999 wurde die FPÖ mit knapp 27 Prozent der Stimmen erstmals in ihrer Geschichte zweitstärkste Partei hinter der SPÖ und landete knapp vor der ÖVP, die nur gut 400 Stimmen weniger hatte. Nachdem die Verhandlungen zwischen der SPÖ und der ÖVP über eine Fortführung ihres seit 1987 bestehenden Regierungsbündnisses im Januar 2000 endgültig gescheitert waren, nahm die ÖVP unter Wolfgang Schüssel gegen massive Kritik im In- und Ausland Koalitionsverhandlungen mit Haider und der FPÖ auf, die schon nach wenigen Wochen erfolgreich abgeschlossen wurden. Jetzt sei das "schwarz-rote Machtkartell geknackt" und damit sein "Lebenswerk" vollbracht, jubelte Haider. Die vorübergehende politische Isolation Österreichs durch die EU machte auf ihn keinen Eindruck. Im Gegenteil. Er verspottete den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den französischen Präsidenten Jacques Chirac.

    Dieses Österreich braucht keinen Westentaschen-Napoleon des 21. Jahrhunderts. "Wir haben noch einen Koffer in Berlin", singen die Deutschen, da meinen’s den Schröder...

    Am 1. Mai 2000 übergibt Haider nach 14 Jahren beim Parteitag in Klagenfurt die FPÖ-Führung an Susanne Riess-Passer. Beide demonstrieren bestes Einvernehmen: und tatsächlich konnte sich Jörg Haider lange auf seine Susanne verlassen. Obwohl sie der Kärntner Landeshauptmann in den folgenden Monaten mehr als einmal brüskierte und demütigte. Warum? Der frühere Wiener Bürgermeister Zilk von der SPÖ führt die Persönlichkeitsstruktur des – so wörtlich – "talentiertesten Politikers Österreichs" ins Feld. In einem Zeitschriftenbeitrag meint Zilk wörtlich:

    Trotz der hohen Intelligenz überwiegt bei ihm die kleinkindhafte Trotzhaltung dessen, der sich nicht genügend geliebt, beachtet und gehätschelt fühlt.

    Und das erinnere ihn, so Zilks Schlussfolgerung, "an politische Bettnässerei." In diesem Februar reiste Haider in den Irak zu Diktator Saddam Hussein, just zur gleichen Zeit als Riess-Passer in den USA für ihre Partei warb. Die Entrüstung war gewaltig. Sogar Fraktionschef Westenthaler sagte zur österreichischen Zeitung "Die Presse", er verstehe die Kritik an Haider. Der versucht beim Politischen Aschermittwoch in Ried am 13. Februar die Wogen zu glätten und der Parteichefin zu schmeicheln:

    Sie muss ja auch immer wieder innerparteilich letztlich manches reparieren, wenn im Süden ein Grollen auftaucht, der Südwind zuviel bläst, das ist keine wirklich leichte Aufgabe, aber sie meistert das, unsere Vizekanzlerin Susanne Riess mit der Bravour, wie wir nur ihr Hochachtung und Respekt entgegenbringen können. Dass wir eine so tolle Frau an der Spitze unserer Partei haben.

    Wenige Tage später überrascht Haider die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, sich ganz aus der Bundespolitik zurückziehen zu wollen. Es ist – wie gesagt – nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass er zu diesem Mittel greift, um seine Linie durchzusetzen.

    ...Ich bin schon weg... ...Es wird auch in Zukunft die Zurufe aus dem Süden geben...

    Die nächste Krise provoziert Haider während des Sommerurlaubes von Riess-Passer. Er trifft sich in Kärnten mit Vertretern rechtsextremer europäischer Parteien. Riess-Passer ist entsetzt. Und doch lässt sie sich am Ende wieder zu einer "Versöhnungspressekonferenz" mit Jörg Haider überreden, auf der sie der Altvorsitzende als "unbeflecktes Lamm" bezeichnet. Laut Haider soll das ein Lob dafür sein, dass Riess-Passer nicht zu den "Privilegien-Rittern" gehöre. In Wien wird nun laut darüber nachgedacht, dass zu einem Lamm immer ein Hirte gehöre und wer könne das anderes sein als Jörg Haider?

    Im Rückblick muss man sagen: So ist es! Mit seinem Aufstand am vergangenen Samstag im steirischen Knittelfeld gegen die gesamte Parteispitze hat Jörg Haider bewiesen, dass er die Macht in der FPÖ nie wirklich abgegeben hat. Es ist ihm gelungen, mehr als die Hälfte der insgesamt 751 Delegierten zu mobilisieren und Riess-Passer öffentlich zu demütigen, indem er einen Kompromiss-Vorschlag, den er zuvor mit der Parteichefin ausgehandelt hatte, bei der Tagung zerreißen lies. Die Forderungen, die die Delegierten in Knittelfeld schließlich verabschiedeten, waren für die Vizekanzlerin unannehmbar. Denn sie hätten für Riess-Passer bedeutet, von der mit der ÖVP vereinbarten Regierungslinie abzuweichen und die schon beschlossene Steuerreform wieder rückgängig zumachen sowie die EU-Osterweiterung zu blockieren. In Österreich stehen jetzt Neuwahlen bevor. Die Spitzenkandidaten von ÖVP, SPÖ und Grünen sind bekannt. Aber wer führt die Freiheitlichen? Jörg Haider jedenfalls gibt sich zerknirscht:

    Ich bin persönlich gescheitert, das heißt, ich habe 15 Jahre lang etwas aufgebaut, um letztlich die FPÖ als mitgestaltende Kraft zu etablieren, und scheitere jetzt an - wie ich sage - Kleinigkeiten, Mimosenhaftigkeiten, die mit inhaltlichen Fragen überhaupt nichts zu tun haben. Daher glaube ich nicht, dass ich wirklich der geeignete Kandidat bin.

    Inzwischen hat Haider übrigens verkündet, dass er sich notfalls doch bereit erklären würde, den Parteivorsitz wieder zu übernehmen. Etwas anderes hätte wohl auch niemand von einem Jörg Haider erwartet.