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Das Schicksal der Erde in Menschenhand

Das "Anthropozän" ist ein neues Erdzeitalter, das vor etwa 200 Jahren begonnen hat. Seit dem bestimmen nicht mehr natürliche Prozesse das Schicksal der Erde, sondern der Mensch. Über diesen wichtigen wissenschaftlichen Perspektivwechsel wird nun im Haus der Kulturen der Welt in Berlin diskutiert.

Von Oliver Kranz |
    "Ist das Anthropozän menschlich? Ist das Anthropozän schön? Ist das Anthropozän gerecht?"

    Das sind die Fragen, mit denen das Haus der Kulturen der Welt auf Plakaten und in Videotrailern für die Veranstaltung geworben hat. Anthropo-Was??? – werden sich viele gefragt haben: Denn in Deutschland ist der Begriff noch nicht in der öffentlichen Debatte angekommen. Dabei beschreibt er einen der wichtigsten wissenschaftlichen Perspektivwechsel der letzten hundert Jahre:

    "Der Wechsel, der jetzt hier vollzogen wird, dass wir nicht mehr sagen können: Auf der einen Seite ist die Spezies Mensch und hier draußen ist die Natur, die ihre Prozesse vollzieht. Diese Trennung fällt weg."

    Katrin Klingan hat die Veranstaltungen der Eröffnung des Anthropozän-Projekts im Haus der Kulturen der Welt kuratiert. Wenn man akzeptiert, dass die Natur zu einem großen Teil menschengemacht ist, muss auch die Trennung zwischen Human- und Naturwissenschaften überdacht werden …

    "Hier geht es um ganz grundsätzliche Fragen, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten uns begleiten werden. Welche Organisationen der Wissenschaften, welche Organisation des Wissens wollen wir? Und diesen Prozess versuchen wir hier an ein Publikum zu bringen."

    Dass ausgerechnet eine Kulturinstitution versucht, ein so komplexes wissenschaftliches Thema populär zu machen, überrascht. Doch das Haus der Kulturen der Welt versteht sich nicht als klassischer Veranstaltungsort. Es will – unter Einbeziehung künstlerischer Arbeitsweisen - Debatten anregen. Im Februar wird es ein Festival mit unmenschlicher Musik geben, Kompositionen, die von Maschinen, Computern oder Tieren geschaffen wurden. Im April öffnet eine große Ausstellung, ab Mai werden Filme gezeigt.

    Doch im Moment wird die Atmosphäre im Haus der Kulturen der Welt von einer großen Installation der Gruppe Raumlabor bestimmt. Die "Metabolische Küche" besteht aus einem großen Förderband, mit dem das Fleisch eines gegrillten Ochsen von der Galerie im ersten Stock zu vier ganz in Weiß gehaltenen Verarbeitungsstationen führt.

    "Der Ochse vom Grill wird nachher als Burger präsentiert. Dazu wird er in der Zerkleinerungsstation zerkleinert, wird dann weiter transportiert in die Endmontage, wo das zerkleinerte Fleisch zusammengeführt wird mit einem Hefebrötchen, was drüben in der Dünststation hergestellt wird. Wenn das dann alles zusammen gekommen ist – das wird dann in einem Glas zusammengeführt – dann bringen wir das Glas in die Ausgabestation."

    … erklärt Markus Bader von Raumlabor. Der Burger im Glas sieht wie ein Salat aus. Das kleingehäckselte Grillfleisch liegt unten, Salatblätter, Kresse und Gürkchen obenauf. Heute wird es in der Metabolischen Küche pürierte Pizza in Würstchenform geben …

    "Metabolic Kitchen kommt vom Metabolismus also vom Stoffwechsel, also von der Idee der Verarbeitung und des permanenten Übergangs von allem in alles, was unser Leben und unsere Welt ausmacht."

    Aufs Anthropozän verweist die Metabolische Küche, weil sie unterstreicht, dass unsere Nahrungsmittel durch und durch menschengemacht sind. Ob dieses Essen die angereisten Wissenschaftler bei ihren Vorträgen und Podiumsgesprächen inspiriert?

    Ein bisschen kopflastig ist die Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt nämlich schon - das sinnliche Erfahren kommt erst an zweiter Stelle. Und trotzdem ist das Projekt hochspannend. Es bringt Themen ins Gespräch, die uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten begleiten werden.