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Das schleichende Siechtum der EU

Langsam wird es wirklich albern, was uns die Herren da so bieten. Alle naselang treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU irgendwo, streiten sich wie die Kesselflicker, fingieren ein lockeres Lächeln für das traditionelle Gipfelfoto und reisen schließlich unverrichteter Dinge wieder ab. Wann bitte haben sie eigentlich zuletzt einfach mal ihren Job gemacht, ein paar Probleme gelöst und eine richtig erfreuliche Nachricht produziert?

    Die Europäische Verfassung liegt im Koma, der Haushalt auf Eis, der Start der Verhandlungen mit der Türkei weckt bei vielen Bürgern vor allem Ängste und nun kracht es – nicht zuletzt durch die Erweiterung - auch noch bedenklich im Sozialmodell. Europa steckt also so richtig im Schlamassel. Und offensichtlich weiß keiner der Chefs, wie er es da wieder rausholen kann.

    Der britische Premierminister Tony Blair, dessen Land derzeit die EU-Präsidentschaft hat, hat bislang nicht einmal versucht, die dringendsten Probleme zu lösen. Sicher, gute Reden hat er gehalten. Doch das war es dann auch. Selbst der Gipfel im illustren Schloss von Hampton Court, zu dem er in der vergangenen Woche geladen hatte, war schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilt – schließlich sollten die echten Streitpunkte gar nicht besprochen werden. Alle 25 Regierungschefs sollten einfach mal in netter Atmosphäre versöhnlich plaudern. Daraus hätte nur etwas werden können - wenn sich nicht schon vorher die entscheidenden Chefs so bitter zerstritten hätten, dass ihnen wahrscheinlich nur noch eine lange Therapie helfen kann. Seit dem Irakkrieg ist die Atmosphäre vergiftet, seither können diese Männer offensichtlich keine Probleme mehr miteinander lösen. Tony Blair ist daran übrigens nicht ganz unschuldig.

    So kam denn, was kommen musste. Bundeskanzler Gerhard Schröder, für den das der letzte Auftritt dieser Art war, verabschiedete sich mit einem Tritt vors Schienenbein von Tony - dezent als Kritik am angelsächsischen Wirtschaftsmodell verkleidet. Und der Franzose Jacques Chirac trat nach, indem er öffentlich damit drohte, zum Wohle seiner Bauern die Welthandelsgespräche platzen zu lassen.

    Auf dem vermeintlichen Versöhnungsgipfel kündigte Chirac damit übrigens so ganz nebenbei einen weiteren Offenbarungseid für Europa an. Bislang gilt die Handelspolitik als die Stärke der EU – auch weil dort bisher Einigkeit herrschte. Wenn die nun auch noch zerstört wird, wäre das nicht nur die Demontage einer wichtigen Gemeinschaftspolitik. Das würde auch den Ruf Europas vor allem in der Dritten Welt ruinieren. Denn der hatte die EU einst vollmundig versprochen, im Welthandel für fairere Bedingungen zu sorgen.

    Persönlicher Streit, schier unüberbrückbare ideologische Gegensätze, Interessenkonflikte – auf der Suche nach positiven Europa-Nachrichten bleiben derzeit wohl nur Hoffnungswerte: Irgendwann wechseln auch die Regierungschefs und damit unter Umständen das Gipfelklima. Vielleicht ruft ja Frau Merkel, Deutschlands Dame, die Herren schon beim nächsten Treff endlich zur Raison.