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Das schlesische Elysium

Das schlesisches Elysium wurde es genannt. Und tatsächlich hat das Hirschberger Tal im Südwesten Polens viel Paradiesisches zu bieten. Da ist das Tal an sich mit seinen malerischen Hügeln, Flüssen und Dörfern vor der mächtigen Kulisse des Riesengebirges. Im 19. Jahrhundert zog es den preußischen Adel dort hin. So ließen sich Grafen, Prinzen und Generäle prächtige Sommerresidenzen errichten. Die Architekten Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler hinterließen ihre Spuren, der Preußische Gartendirektor Peter Joseph Lenné entwarf weitläufige Parkanlagen. So entstand im Hirschberger Tal die höchste Schlösserdichte in Europa. Dichter, Künstler und Kulturreisende wie Caspar David Friedrich, Johann Wolfgang von Goethe, selbst der spätere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Quincy Adams waren von der romantischen Stimmung des Tals hingerissen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Bau- und Kunstdenkmale zwar kaum beschädigt. Doch die touristische Blütezeit des Hirschberger Tals war vorbei. Nach der Wende begann langsam die Wiederbelebung. Eine Reihe von Schlössern konnte dem Verfall entrissen werden, viele von ihnen sind heute wieder öffentlich zugänglich und erstrahlen in neuem Glanz.

Von David Goessmann | 07.06.2009
    Ein dutzend Trachten, bestickte Schürzen und weiße Hauben wiegen sich hin und her. Ein Mädchenchor hat sich in einem Halbrund auf einer kleinen Bühne aufgestellt. Singt ostpolnische Volkslieder. Besucher drängen in den Schlosssaal. Im Nebenraum bieten schlesische Hausfrauen regionale Spezialitäten an, fette Würste und Kuchen.

    Elisabeth von Küster hat sich einen weiten Schal um die Schultern gelegt. Die blonden Haare sind nach hinten gebunden. Die Schlossbesitzerin zeigt mir stolz die imposante Eingangshalle von Schloss Lomnitz.

    "Sie sehen hier zwei schöne klassizistische Säulen. Die gleichen Säulen, die auch an der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin stehen. Denn das Schloss Lomnitz ist, als es 1835 vom Vorfahren meines Mannes erworben wurde, der ein preußischer Beamter war und frisch in den Adelsstand erhoben wurde, nach der Mode der damaligen Zeit von einem Schüler Schinkels gebaut. Daher diese beiden schönen klassizistischen Säulen, die auch alle Wirren der Zeit überstanden haben."

    An der Wand hängt ein flämischer Gobelin. Drei mal vier Meter groß. Nach der Wende, Anfang der 90er-Jahre, kamen die Küsters hierher nach Lomnitz. Das Schloss war damals eine Ruine, das Witwenhaus nebenan, das heute ein Hotel und ein Restaurant beherbergt, sanierungsbedürftig. Die Küsters verliebten sich sofort in das Anwesen, in das malerische Tal mit seinen sanften Hügeln und dem benachbarten Riesengebirge, in die 1600 Meter hohe Schneekoppe. Und erwarben das zum Verkauf stehende Schloss.

    Heute erstrahlt die barocke Anlage von Lomnitz wieder in vornehmem Goldgelb. Spazierwege führen durch die Parkanlage. Umgeben von Blumenrabatten, altem Baumbestand und weiten Rasenflächen. Schloss Lomnitz ist eines von fast 40 Schlössern, Burgen und Herrenhäusern im Hirschberger Tal, deren Anfänge oft weit zurück gehen bis ins Mittelalter. Eine Handelsroute führte damals hier entlang. Das brachte ersten Wohlstand in die Region.

    "Im 19. Jahrhundert kam dann als Beschleuniger die Romantik ins Spiel. Und da hat der preußische Königshof, der ja mit Friedrich dem Großen Schlesien erworben hat, im Geiste dieser Romantik sich hier seine Sommerresidenzen errichtet. Weil man halt diese majestätische imposante Landschaft des Riesengebirges genießen wollte. Das ist sozusagen der Beginn des Modischwerdens des Hirschberger Tals. Und dann begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Tourismus. Gerade für die Berliner, Breslauer und Dresdener - Theodor Fontane hatte hier viele Jahre seine Sommerfrische verbracht, monatelang oft. Und so entstand diese Dichte an Schlössern, die bis heute noch zu sehen ist."

    Durch den Park von Schloss Lomnitz, entlang eines Flusses, gelangt man in nur wenigen Minuten zum nächsten Prachtbau, Schloss Schildau. Noch vor einigen Jahren war es eine abgebrannte Ruine. Jetzt steht dort eine Art Märchenschloss in Weiß mit vier markanten Ecktürmen. König Friedrich Wilhelm III schenkte es seiner Tochter Prinzessin Luise. Ein Investor aus Breslau hat nun daraus ein Tagungszentrum gemacht mit angeschlossenem Luxus-Hotel.

    Ich fahre in Richtung Schneekoppe, polnisch "Schnieschka". Der Schnee auf dem höchsten Berg hier schmilzt erst im Sommer. Daher der Name. Am Fuß des Riesengebirges tauchen rustikale Blockhäuser auf mit dunklen Holzbalkonen, Häuser, wie man sie nur aus den Alpen kennt. Einige hundert Protestanten, verfolgt im österreichischen Zillertal, fanden im liberalen Preußen eine neue Heimat. Das war 1837.

    Doch nicht nur die Tiroler Kolonie Zillertal verströmt alpinen Flair. Ich kurve auf Serpentinen ins Riesengebirge, durch den touristischen Ort Karpacz, deutsch: Krumhübel. Im Winter ein beliebter Skiort.

    Ein kleiner Brunnen plätschert auf einem hochgelegenen Plateau über Karpacz. Von dort blickt man weit ins Tal. Hineingestreut: Dörfer, ein See, weiter hinten sanfte Hügel.

    Leicht vergisst man, dass die eigentliche Attraktion hier oben etwas anderes ist. Was wie ein Wikingerschiff in den Himmel ragt, ist in Wahrheit eine norwegische Kirche aus dem Mittelalter. Eine sogenannte Stabholzkirche, die so bis ins 19. Jahrhundert am Vangsee in Südnorwegen stand. Das dunkle Kiefernholz der Kirche Wang, die mehrfach gestaffelten steilen Dächer, die Drachenköpfe: Alles wurde hier nach Niederschlesien gebracht von Friedrich Wilhelm III und original wieder aufgebaut.

    Im Inneren ist das Holz hell. Der Kirchenraum ist klein. Die feinen Holzsäulen, die verschlungenen Ornamente und Tierdarstellungen, die winzigen Fensterchen verbreiten eine wohlige Atmosphäre.

    Durch Seitentüren gelangt man in einen schmalen Gang, der den kompletten Hauptraum umläuft. Was wie eine Art Geheimgang wirkt, hatte einen pragmatischen Zweck. Er sollte die Gottesdienstbesucher vor der Kälte schützen.

    Im übrigen: Für die Holzkirche wurde kein einziger Metallnagel verwendet.

    Am Ende eines der vielen Seitentäler des Riesengebirges liegt Agnetendorf. Hier lebte und arbeitete der Schriftsteller Gerhart Hauptmann. 30 Jahre lang kam er hier her, im Frühjahr oder Herbst. Im Sommer und Winter zog es ihn nach Italien oder an die Ostsee. Die Neorenaissance-Villa Wiesenstein nannte Hauptmann "eine Burg zum Schutz und Trutz". Kamila Ptak führt mich in die gründerzeitlich-schwere Haupthalle. Die Gewölbekuppeln sind himmelblau, die Wände aufwändig und in kräftigen Farben mit Paradiesszenen bemalt.

    "Ganz oben im Lichtzentrum befindet sich Hanneles Himmelfahrt, nach Hauptmanns Drama. Jesus empfängt Hannele im Himmel. Einerseits war das Haus von Hauptmann eine Dichterstätte. Hier im Turm der Villa hatte er seine beiden Arbeitszimmer, wo seine Werke entstanden. Und oben ist das Observatorium, wo er sich seinen Reflexionen hingeben konnte. Andererseits war das Haus ein Treffpunkt für Künstler aus zum Beispiel Dresden, Breslau, Berlin. Fast jeden Abend lud Familie Hauptmann Gäste ein. Diese versammelten sich hier um den Kamin und danach wurden sie hier im Esszimmer bewirtet."

    Schloss Stonsdorf. Ein schlichtes spätbarockes Schloss, eingebettet in einen weitläufigen Landschaftspark nach englischem Vorbild. Die letzte Station auf meiner Reise durchs Hirschberger Tal. Die Abendsonne legt die Anlage in warmes Licht. Der polnische Eigentümer Waclaw Dzida führt mich hinter das Schloss, zu einem rotleuchtenden klassizistischen Gartenhaus mit einem Turm in der Mitte.

    "Gegenüber das sogenannte Kavaliershaus. Das war ursprünglich eine Remise im 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert die Etage noch dazu gebaut. Dazwischen ein kleiner französischer Garten, der gerade auch neu eingerichtet ist. Der Springbrunnen wird gerade gemacht. Da kommen noch so Buchsbaumkugeln, noch Skulpturen und die Rosen sind gerade gepflanzt. Das muss ja alles noch wachsen, aber man kann schon sehen, was da entsteht. 'Was stand eigentlich noch von diesem Schloss?' Das Schloss war noch da. Was gut war, dass ist ja die Feuerwehr, die vor uns hier war. Die hat vor 30 Jahren das Schieferdach, das schon damals undicht war, sie haben es ersetzt durch ein Kupferdach und eigentlich damals das Haus gerettet."

    Im Schloss wimmelt es von niedrigen Kreuzgewölben, alten Parkettböden, offenen Kaminen und barocken Stuckdecken. Dzida steuert durch den Speisesaal mit Landschaftszeichnungen, vorbei an antiken Holzmöbeln, Ölgemälden und dunkelgrünen Ledersofas zu einer großen Eichentür. Dahinter befindet sich die Suite des Hotels.

    "Das einzige Zimmer, wo wir einen offenen Kamin haben. Hier ist der große Salon mit einer Holzdecke, die einfach gewachst ist. Dann gehen wir durch die Geheimtür. Das war früher ein Schrank. Durch den kann man wieder ins Schlafzimmer. Sie sehen hier auch eine bemalte Decke. Und da links noch ein großes Bad. Praktisch fast 100 Quadratmeter. Also ein ganz großes Apartment. Bewundern sie auch die Breite der Dielen. Wenn man die Breiten hier sieht, das ist ja auch Orginalfußboden. Also man kann sich kaum vorstellen: solche Bäume! Die Breite ist so 70, 80 Zentimeter. Also das ist schon gewaltig."

    Unten im Restaurantkeller von Schloss Stonsdorf werden die Speisen fürs Abendessen bereits vorbereitet.

    "Das sind die Steinpilze mit Zwiebeln. Davon wird die Steinpilzsoße gemacht. Zu einem Pork-Filet. Das ist die Erdbeersoße, das ist für die Nachspeise, das kommt zu den Pfannkuchen. Und da entsteht eine Suppe. Auch typisch regional. Ein Jurek. Eine polnische Spezialität. 'Wie wird die gemacht?' Der Jurek kommt von einer sauren Mehlsuppe, also von Mehl. Also eine saure Substanz, die von Getreide kommt. Und das wird dann gekocht mit ein bisschen Fleisch, mit Wurst, Zwiebeln. Pilze, Gurken. Alles weiß ich auch nicht ganz genau. Hauptsache es schmeckt."

    Der Tag im Hirschberger Tal hat hungrig gemacht. Ich sitze im Speisesaal. Und freue mich schon nach dem Essen auf den "Echt Stonsdorfer", einen weit bekannten Kräuterlikör. Die Stonsdorfer-Brennerei siedelte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Norderstedt. Doch der Likör entstand ursprünglich hier im Tal Anfang des 19. Jahrhunderts und wurde über viele Jahrzehnte in der sogenannten Stonsdorferei gebrannt.