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"Das Showbiz ist ein bisschen wie die Politik"

In seinem Heimatland Senegal kandidiert der Musiker Youssou N'Dour für das Präsidentenamt. Seine Kandidatur sei "kein Künstlertraum", sagt er selbst. Als politisches Vorbild nennt N'Dour den brasilianischen Präsidenten Lula, denn der habe es geschafft, dass "alle Kinder Brasiliens zur Schule gehen."

Youssou N'Dour im Gespräch mit Martina Zimmermann | 20.01.2012
    Moderator: Er trägt den Titel "Afrikanischer Künstler des Jahrhunderts". "Seven Seconds" - mit diesem Song, den er gemeinsam mit Neneh Cherry sang, beförderte sich der senegalesische Sänger Youssou N’Dour in den Pop-Olymp. Seitdem ist er berühmt. Und das nicht nur in Afrika, sondern rund um den Globus - als musikalischer Botschafter des Senegal, als Künstler, der mit afrikanischer Weltmusik auch im Westen ganze Stadien füllt. Er war mit Musikgrößen wie Sting, Peter Gabriel, Bruce Springsteen auf Tour. Der senegalesische Superstar Youssou N’Dour sorgte für weltweite Überraschung, als er am Anfang des Jahres ankündigte, Präsident in seiner Heimat werden zu wollen. Die Wahl findet am 26. Februar statt. Senegal galt als Vorbild in Sachen Stabilität und Demokratie, doch seit Monaten gehen immer mehr Menschen auf die Strasse. Sie haben genug von Machtmissbrauch, Korruption, ständigen Stromausfällen und steigenden Lebensmittelpreisen. Und von Präsident Wade. Obwohl die Verfassung nur zwei Mandate vorsieht, will der 86jährige ein drittes Mandat antreten. Die Opposition konnte sich nicht auf einen einzigen Kandidaten einigen. Angesichts dieser angespannten Lage nannte Youssou N’Dour seine Kandidatur eine "patriotische Pflicht". Martina Zimmermann hat den Sänger mit politischen Ambitionen aufs höchste Staatsamt in Dakar interviewt.

    Martina Zimmermann: Hilft Ihnen ihre Erfahrung aus dem Showbusiness in der Politik? Sie sind Sie es ja gewohnt, die Massen zu begeistern...

    Youssou N’Dour: Ich bin vielleicht kein Politikprofi, aber ich hatte immer ein politisches Bewusstsein. Das Showbiz ist ein bisschen wie die Politik. Sie müssen sich verkaufen. Sie müssen einen Inhalt rüberbringen, und Sie müssen die Leute berühren, sie direkt ansprechen. Da gibt es sicher Parallelen. Wenn der Wahlkampf beginnt, werde ich von meinem Programm sprechen und nicht dreckige Wäsche waschen, wie es sonst gemacht wird und auch nicht anderen die Ideen stehlen. Ich werde originell sein im Vergleich zu den anderen. Ich glaube schon, dass ich die Mehrheit der Senegalesen überzeugen kann – nicht nur die Unentschlossenen, sondern auch Anhänger der traditionellen Parteien.

    Zimmermann: Bisher überzeugen Sie vor allem mit Ihrer persönlichen Karriere, die viele beeindruckt. Aber gibt es im Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit Allheilmittel?

    N’Dour: Wenn ich an die Macht komme und nicht wirksam gegen die Armut kämpfe und den jungen Leuten Arbeit gebe, dann bin ich gescheitert. Ich will die Kosten des Staatsapparates drastisch senken. Der Staat muss nützlich und stark sein, aber in einem vernünftigen Ausmaß. Das Geld, das wir da sparen, wird uns Projekte ermöglichen, die den jungen Leuten in ihren Vierteln Arbeit geben. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Senegal gibt es fast keine Bürgersteige. Die Straßen sind geteert, aber dann kommt Sand und dann erst kommen die Häuser. Ich will keinen Sand zwischen Haus und Straße. Ich habe ein großes Projekt, das Hunderttausende Arbeitsplätze schaffen kann: Die jungen Leute werden in ihrem Viertel arbeiten und werden ihr Umfeld herrichten. Sie bekommen eine Ausbildung. Da stecken viele Arbeitsplätze drin in ganz Senegal. Das Projekt stammt ursprünglich aus Deutschland. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.

    Zimmermann: Auf dem Land brauchen die Menschen aber zuerst mal den Wasseranschluss! Das war ein schönes konkretes Beispiel, aber es gibt doch größere Probleme in Senegal.

    N’Dour: Unser jetziger Präsident wacht morgens auf und sagt, ich möchte eine Statue, die 20 oder 30 Millionen Euro kostet. Ich werde da bauen, wo es mir gefällt. Dann trinkt er seinen Tee und freut sich darüber, während die Menschen draußen kein Trinkwasser haben. Da frage ich: Wo sind die Prioritäten? Ich hätte dieses Geld genommen für die Regionen im Senegal, die kein Trinkwasser haben. Das Geld muss dahin, wo es gebraucht wird. Jeder Bürger muss spüren, dass er die gleichen Rechte hat. Das ist eine Frage der Menschenrechte.

    Zimmermann: Kultur wird Ihnen doch wohl auch wichtig sein?

    N’Dour: Es wird eine Kulturpolitik geben, aber ich sehe Kulturpolitik im Senegal nicht als oberste Priorität. Meine Priorität ist das Volk.

    Zimmermann: Haben Sie keine Angst, als Präsident so zu werden wie die anderen Politiker und auch unbeliebte Entscheidungen fällen zu müssen, die Sie als normaler Bürger missbilligen würden?

    N’Dour: Ich will anders arbeiten: Den Experten zuzuhören, kompetenten hohen Beamten in der Verwaltung. Wir brauchen Analysen, wie man Probleme kurz- und langfristig angehen kann. Und Meinungsumfragen. Die sind bisher verboten, ich werde sie erlauben. Das sind Voraussetzungen für meine Entscheidungen, die ich am Ende verantworten muss. Es müssen nicht alle damit einverstanden sein, aber ich will beide Seiten gehört haben. Die Leute lieben und vertrauen uns. Die Gefahr droht von anderer Seite. Wissen Sie, als ich meine Entscheidung zur Kandidatur angekündigt habe, erhielt ich Morddrohungen, öffentlich. Einer sagte, wenn du in die Arena steigst, wirst du ein toter Mann sein. Er hat es anders ausgedrückt, er sagte, du wirst angegriffen. Aber ich habe keine Angst. Ich glaube an Gott. Gott ist für alle da.

    Zimmermann: Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff hat gerade gesagt, man müsse als Präsident viel dazulernen. Glauben Sie auch an "Learning by Doing"?

    N’Dour: Auch die Menschen im Senegal müssen die Kultur des Rücktritts lernen. Man hat einen Beruf und einen Posten, und nicht drei auf einmal. Diese Neuheit werden wir einführen. Es braucht eine Kultur der Entlassungen. Wenn einer seine Funktion schlecht ausübt, muss er den Mut haben, den Hut zu nehmen, wie das in modernen Demokratien auch passiert. Das bedeutet auch Chancengleichheit. Ich als Präsident werde da mit gutem Beispiel vorangehen. Ich werde weder die Demokratie noch die Verfassung antasten. Das garantiere ich.

    Zimmermann: Sie haben auch ein Medienimperium, die meistgelesene Tageszeitung, eine beliebte Radio- und Fernsehstation. Wenn man das hört, denkt man in Europa sofort an Berlusconi. Ich schätze, Sie werden sich nicht mit dem vergleichen wollen?

    N’Dour: Vorrangig ging es mir dabei um den Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Und das ist mir auch ein Stück weit gelungen. Meine Zeitung existiert seit acht Jahren, und sie agiert gänzlich unparteiisch. Also, keine Sorge! Keine Sorge! Berlusconi ist nicht mein Vorbild. Wir haben nichts gemein. Wer denkt, ich könnte es wie er machen, spricht mit böser Zunge oder er täuscht sich.

    Zimmermann: Wer ist Ihr Vorbild?

    N’Dour: Mein Modell? Es stimmt, es gibt Sänger, die Präsidenten wurden wie Martelli auf Haiti. Aber mein Vorbild ist vielmehr der brasilianische Präsident Lula. Kein Intellektueller sondern eigentlich ein Arbeiter und Gewerkschaftler. Heute hat er es geschafft, dass alle Kinder Brasiliens zur Schule gehen. Lula hat Brasilien wirtschaftlich stärker gemacht als England!

    Zimmermann: Hören Sie auf zu singen, wenn Sie gewählt sind?

    N’Dour: Ich habe meine Karriere bereits vorübergehend eingestellt. Die Präsidentschaft ist ein langfristiges Projekt, das über den Wahlabend hinaus dauert. Das bin ich den Millionen Menschen, die mich unterstützen, schuldig. Das ist kein Bluff, kein Künstlertraum.